Volle Zustimmung zum ersten Punkt, allerdings sind Spiele wie „1W6-Freunde“ als Einstieg für jüngere Spieler ebenfalls nur bedingt geeignet, denn die Thematik ist mittlerweile veraltet und spricht über den Nostalgiefaktor eher ältere Semester an, die mit „TKKG“, „???“ u.ä. aufgewachsen sind. Siehe hierzu auch folgende Rezension (Sichwort „veraltete Jugensprache“, die aber zumindest bei „TKKG“ ein Markenzeichen der Serie war):
http://www.tv-kult.com/kritiken/1000-1w6-freunde.html
Andere Systeme wie „Funky Colts“ versagen dann teilweise sogar schon darin, einem rollenspielunerfahrenen Rezensten das Konzept des Spieles überhaupt bergreiflich zu machen:
http://www.tv-kult.com/kritiken/1008-funky-colts.html
Ich habe es mir jetzt nicht genauer angesehen, aber mein erster Gedanke bei "1W6 Freunde" waren die sogar noch erheblich älteren "5 Freunde" Bücher von Enid Blyton... Andererseits weiß ich aber nicht, inwieweit die Idee, dass eine Gruppe befreundeter Kinder/Jugendlicher Abenteuer erlebt & Geheimnisse aufklärt, veraltet sein soll. Und wie ist das denn - sind diese Bücher denn wirklich sooo out? Von den drei ??? erscheinen zumindest in Deutschland weiterhin sehr regelmäßig immer neue Bücher und Hörspiele, und die beiden Kinofilme sind jetzt auch noch keine Ewigkeit her (2007 & 2009). Und von den fünf Freunden ist immerhin gerade in diesem Jahr ein Kinofilm herausgekommen! Oh, und wie ich sehe, wird auch TKKG weiterhin in Buch- und Hörspielform fortgesetzt, und die ersten TKKG-Bände sind gerade erst in allerjüngster Vergangenheit in Neubearbeitung erschienen... Außerdem sollte "Emil und die Detektive" auch heute noch für Jugendliche Pflichtlektüre sein!
Und dann ist ja keineswegs gesagt, dass Rollenspielereinsteiger zwingend so jung sein müssen. Gerade Erwachsene kann man mit einer Fünf-Freunde-Thematik ganz hervorragend in ihre ersten Runden einführen.
Die "Funky Colts" Rezension habe ich mir jetzt einmal angesehen - und zumindest das Grundprinzip des Rollenspiels scheint der Rezensent ja durchaus verstanden zu haben! Wenn er davon spricht, dass ihm ein Spielbrett oder etwas anderes zum "Anfassen" fehlt, dann scheint er mehr die haptische Komponente zu meinen, die ja auch helfen kann, Spieler für ein Spiel zu begeistern. Was ihn hingegen offenbar abschreckte, war der Ballast komplexer Regeln. Aus der Rezension zumindest geht übrigens auch nicht hervor, dass es sich um ein Einsteigerrollenspiel handelt. So, wie es sich liest, gibt es zwar jede Menge detaillierte Beispiele dafür, wie man die Regeln anwenden kann, aber offenbar keine Beschreibung einer Beispielrunde, die das beste Mittel wäre, ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie Rollenspiel eigentlich abläuft. Damit würde sich Funky Colts eben nicht an Rollenspieleinsteiger wenden - oder es zumindest nicht gut machen.
Ich gebe aber zu, dass ich mich nie wirklich mit Einsteigerrollenspielen befasst habe, aus den gleichen Gründen, wie logischerweise wohl die meisten hier: Ich gehöre halt nicht zur Zielgruppe und habe keinen Bedarf, da ich ja als erfahrener Spielleiter zur Verfügung stehe. Ich denke, damit (sowie mit dem Bedürfnis von Verlagen, ihre speziellen Produkte zu verkaufen) hängt es auch hauptsächlich zusammen, dass es so wenige und wenig gute Einsteigerrollenspiele gibt: Die meisten Leute in der Szene haben dieses Hobby eben über direkten Kontakt kennengelernt und das Gefühl für die Bedürfnisse und Schwierigkeiten von echten Neulingerunden nie entwickelt (oder vielleicht auch wieder verloren).
Dabei sind die potenziellen Spieler absolut vorhanden! Man kann fast auf jeder Party mit halbwegs erwachsenen Menschen ein paar Runden "Die Werwölfe vom Düsterwald" spielen und wird meistens auch auf Begeisterung stoßen. Sich aus dieser Richtung dem Hobby Rollenspiel anzunähern ist tausend Mal sinnvoller, als Neulinge erst einmal dazu zu zwingen, das Konzept ihrer Spielfiguen mittels irgendeines Systems in Zahlenwerte zu abstrahieren und sie mit dem Spagat zwischen Regelspiel und Erzählspiel zu konfrontieren - das ist nämlich genau die Kluft, in der sich die meisten "normalen" Leute (sprich: Nicht-Hardcore-Gamer) am Anfang verlieren - klar sind viele Menschen intellektuell in der Lage, Rollenspielgrundregeln trotz ihrer vergleichsweise hohen Komplexität zu erlernen, aber sich gleichzeitig in ihre Figuren hineinzudenken und die Geschichte aus den Erzählungen eines möglicherweise unerfahrenen Spielleiters in ihren Köpfen ablaufen zu lassen, und diese Dinge auch noch zueinander in Beziehung setzen zu müssen - damit sind die meisten Spieler überfordert, damit sind erst recht Spielleiterneulinge überfordert, und ganz ehrlich, selbst viele erfahrene Regelspieler, die behaupten, dass sie beides miteinander vereinen können, lügen sich dabei in die Tasche! "Suspension of Disbelief", während man immer wieder die Schnüre sieht, an denen die Figuren über die Bühne schweben, ist eine Sache, aber wenn man selbst dafür mit zuständig ist, diese Schnüre zu bedienen, steht man eigentlich auf verlorenem Posten.
Mir ist da gerade ein Gedanke gekommen, wie ein gutes Konzept für ein Einsteigerrollenspiel aussehen könnte:
1. Krimi-/ Mysterythematik, mit den Spielerfiguren als Detektive (im weiteren Sinn) - wenn es ein Geheimnis aufzuklären gibt, ist das "Ziel" des Spiels für Beginner leichter erfassbar, und eine Ansiedlung der Handlung in der realen Welt vereinfacht enorm das Eindenken.
2. Zurückfahren von Actionelementen zugunsten von Interaktion mit Nichtspielerfiguren - üblicherweise wissen die meisten Menschen recht gut, wie sie sich mit anderen unterhalten können, während die Translation einer Erzählhandlung in ein Taktikspiel (und wieder zurück) alles andere als intuitiv ist.
3. Props in Form von typischen Kleidungsstücken, sowohl für Spieler-, als auch für Nichtspielerfiguren. Das fügt dem Spiel die fehlende Haptik hinzu, die manche Spieler orientierungslos lässt, und vermittelt ein Gefühl dafür, dass man in bestimmte Rollen schlüpft. Insbesondere für Nichtspielerfiguren ist das nützlich, weil es den Spielern direkt vor Augen führt, mit wem sie sich gerade unterhalten, auch wenn der SL nicht gerade die großartigste darstellerische Begabung besitzt. Ein typischer Hut, eine auffällige Brille, eine Pfeife, ein Kopftuch, ein Halstuch, eine selbstklebende Narbe für die Wange, ein Schnurrbart etc... Für jede Spielerfigur und Nichtspielerfigur halt ein offensichtliches Erkennungsmerkmal. Dazu ein "neutrales" SL-Käppi, das dieser aufsetzt, wenn er allgemein als Beschreiber und Regelverwalter aktiv ist (am besten gleich mit einem entsprechenden Aufdruck).
4. Zu den Props jeweils kurze Tipps zur Darstellung der Figuren. Keine komplexe Charakteranalyse, nur zwei, drei Adjektive mit den wesentlichsten Charaktermerkmalen und die eine oder andere Idee, wie man sie spielen/darstellen kann (Dinge wie eine bedächtige Sprechweise, ein Hang zum Fluchen und zu Obszönitäten, ständiges Einbrigen von "mein verstorbener Mann pflegte immer zu sagen...") Es geht hier nur darum, deutlich zu machen, dass die Spieler in eine Rolle schlüpfen und sich nicht selbst darstellen (und dem armen SL zu helfen).
5. Wie aus den vorigen Punkten schon hervorgeht: Vorgegebene Spielerfiguren, und ein überschaubarer Plot mit einer handhabbaren Anzahl Nichtspielerfiguren. Dazu ein in sich abgeschlossenes Setting (ein im Schnee steckengebliebener Zug, ein in der Wüste notgelandetes Flugzeug, eine Yacht) und für dieses einige ein Gefühl für die Atmosphäre vermittelnde Illustrationen, sowie übersichtliche Bodenpläne (am besten auch mit einer kopierbaren, spielergeeigneten Version, in welche die Spieler Hinweise eintragen können)
6. Ein nicht übermäßig starrer, aber einigermaßen zügiger, jedoch minimaler Handlungsablauf. Der Hauptteil des eigentlichen Geschehens (der Mord oder Diebstahl oder wasauchimmer) findet entweder unmittelbar vor Handlungsbeginn oder exakt zu Handlungsbeginn statt. Danach geht es nur noch darum, die Spieler nicht allzu hilflos dastehen zu lassen und zu verhindern, dass sie eine Situation totdiskutieren, anstatt weiter zu handeln: Nichtspielerfiguren, die das Gespräch suchen und neue Informationen bringen, sind die beste Möglichkeit, die Handlung voranzubringen. Auf jeden Fall muss die Geschichte aber eine Klimax haben, die nicht oder zumindest nicht ausschließlich von den Handlungen der Spielerfiguren abhängt (nicht zuletzt deswegen, damit sie "rechtzeitig" passiert, bevor die Spieler müde werden oder nach Hause müssen). Idealerweise sollte auch diese Klimax den einzigen wirklichen Ballungspunkt für den Einsatz der Spielregeln darstellen; der abschließende Kampf mit dem Mörder oder eine Verfolgungsjagd mit dem Dieb etc...
7. Sehr, sehr einfache und rasch abzuwickelnde Regeln!
8. Anschlusspublikationen: 2 oder 3 weitere entsprechend aufgebaute Abenteuer, die mit den selben Spielerfiguren bestritten werden. Dabei nach und nach Einführung in weitere Erzähltechniken (z.B. Rückblenden, Traumsequenzen) und neue Actionszenen zur Demonstration der Möglichkeiten, welche die Regeltechnik eröffnet.
9. Dann ein Transitionsprodukt, welches zu einem vollständigen, aber immer noch regelarmen Detektivrollenspiel hinführt, aufgeteilt in ein Spieler- und ein Spielleiterheft. Das Spielerheft erläutert, wie man selbst entworfene Spielerfiguren in Regeltermini beschreibt, gibt Tipps für verschiedene archetypische Rollen (einschließlich typischer Lebensumstände und Ausrüstung), ohne die Spieler auf diese Archetypen zu beschränken, und fasst die Regelmechaniken zusammen, wobei es den Zusammenhang zwischen den Attributen/Fähigkeiten und den Situationen, in denen diese besonders bestimmend für die Möglichkeiten der Figuren sind, in den Vordergrund stellt (also solche Fragen beantwortet, wie "warum genau sollte eigentlich ein Pilot geschickt sein und ein Vertreter charismatisch?") Dazu ein Kapitel mit allgemeinen Tipps für Spieler (gerne einmal genau nachfragen, wenn man sich eine Situation nach SL-Beschreibung noch nicht richtig vorstellen kann; auf Eigenheiten von Nichtspielerfiguren eingehen, wenn man mit ihnen interagiert; Gewalt nur als letztes Mittel anwenden, nicht als einfachste Lösung; sich Notizen machen und auf subtile Hinweise des SL achten, die Anknüpfungspunkte für Handlungsmöglichkeiten darstellen können... so was)
Im Spielleiterheft entsprechend Tipps zur Darstellung von weniger wichtigen Figuren, sowie zur Improvisation von durch Handlungen der Spieler überraschend wichtigen Figuren; erzähltechnische Tipps, wie Geschichten gehandhabt werden, deren Settings nicht örtlich in sich abgeschlossen sind, bei denen die Spielerfiguren mehr Aktionsfreiheit besitzen, und in denen "im Hintergund" wichtige Handlungsstränge ablaufen, welche der SL koordinieren muss. Tipps zur Umsetzung unerwarteter Actionszenen mit Hilfe der Regeltechnik. Tipps zur klaren und einprägsamen Präsentation von Situationen. Eine Diskussion, wann man den Spielern Freiräume lassen sollte, und wann es besser ist, die Handlung voranzutreiben. Troubleshooting für den Umgang mit schwierigen Spielern und mit verfahrenen Handlungssituationen (alle im Krankenhaus/Gefängnis etc...) Diskussion des Abwägens zwischen dem Eintreten verdienter, aber unerwünschter Konsequenzen bei ungeschickten Spielerhandlungen (Spielerfigur tot, Abenteuer läuft an den Spielerfiguren vorbei) und dem Einsatz dramaturgischer Mittel, um die Spielerfiguren in der Handlung zu behalten. Tipps zum Einschätzen, wie subtil/brachial man seiner Gruppe handlungsrelevante Hinweise vermitteln muss, damit sie darauf anspringen.
10. Mehrere Abenteuer für das Transitionsprodukt, die im Gegensatz zu den Einsteigerabenteuern selbst entworfene Spielerfiguren erlauben, komplexere Handlungen und offenere Settings benutzen, mehr Actionszenen bieten und mehr Improvisation seitens des SL gestatten und verlangen.
11. Schließlich ein auf das Transitionsprodukt aufbauendes Produkt (welches sich an Spielleiter wendet), welches dieses zu einem Universalrollenspiel erweitert, bestehend einerseits aus einer Übersicht und Erläuterung verschiedener Genres und Spielstile (einschließlich einer Vorstellung verschiedener Spielertypen und Tipps, welche man davon wie unter einen Hut kriegt, und wie man auf ihre Bedürfnisse eingeht), und andererseits aus optionalen detaillierteren Regeln (im Wesentlichen drei Bereiche: Erweiterte Charaktererschaffung und Charakterentwicklung; stärker taktikorientierte Kampfregeln; Ideen für die regeltechnische Handhabung übernatürlicher Fähigkeiten); dazu eine Diskussion, welche Art und welcher Komplexitätsgrad von Regeln sich für welchen Spielstil am besten eignen. Dann noch zwei oder drei kompakt vorgestellte "Anwendungsbeispiele" für die Konfiguration der Regeln für bestimmte Runden, welche sowohl durch Genre als auch bevorzugten Spielstil definiert sind (z.B. klassische Fantasy mit detailliertem taktischen Kampfsystem und Schwerpunkt auf dem "Aufstieg" der Figuren zu mächtigen Helden; Pulp Horror in den Zwanzigern in regelarmer Präsentation mit Schwerpunkt auf Stimmungsspiel und der Darstellung innerer Konflikte, sowie einer einigermaßen realistischen Mortalitätsrate; Space Opera im aktionsreichen, aber regelarmen cineastischen Stil mit starken dramaturgischen Eingriffen des SL, um sowohl das Überleben der Spielerfiguren als auch wichtiger Antagonisten sicherzustellen). Damit wäre dann der Übergang von Einsteigerrollenspiel für völlige Neulinge zum vollwertigen Rollenspiel vollendet.