Ich denke, in der Praxis ist kein "Einsteigersystem" auch nur einen Bruchteil so nützlich wie ein erfahrener Spielleiter, der gezielt Runden für Einsteiger leitet. Wenn man nicht gerade ein besonders regellastiges System benutzt (was eine erfahrener Spielleiter nicht täte), ist der Einstieg für Spieler unter geeigneter Anleitung komplett unproblematisch. Ein ideales Einsteigerprodukt müsste sich daher gezielt an Spielleiter richten - aber das ist einfacher getippt als getan, weil gutes Spielleiten etwas ist, was sich letztlich nur durch persönlichen Kontakt mit erfahrenen Spielleitern wirklich erfassen und erlernen lässt.
Der Brettspiel-Weg als Einstieg ins Rollenspiel wurde ja auch nicht zuletzt deswegen so gerne gewählt (abgesehen davon, dass man den Leuten für bunte Figuren, Würfel und Pläne in einer großen Box gleich viel Geld abknöpfen kann), weil er die Rolle des Spielleiters weitgehend auf die eines Regelverwalters reduziert. Blöd ist dabei aber einerseits, dass die zusätzlichen Dimensionen der Spielleitung auf diese Weise nicht vermittelt werden können, und andererseits, dass der Reiz von solchen Brettrollenspielen im Internetzeitalter immer mehr abnimmt, weil die Spieler rasch merken, dass sie eigentlich nur extrem reduzierte Computerrollenspiele ohne Computer, aber mit viel busywork spielen.
Ich denke, sobald erst einmal die Grundidee des Spielleitens vermittelt wurde, sind auch umfangreiche Rollenspielwerke mit vielfältigen Optionen zur Charaktererschaffung und ausführlichen Weltenbeschreibungen weniger das Problem. Entscheidend ist vielmehr, dem Spielleiter deutlich zu machen, dass das Erlernen seines Jobs eben NICHT in erster Linie Beherrschen von Spielregeln und Auswendiglernen von Hintergrundinformationen bedeutet. Das ist ein fundamentaleer Unterschied zu "herkömmlichen" Spielen, deren Erlernen darin besteht, die Regeln zu lesen und zu verstehen! Ein Einsteigerrollenspiel muss das dem zukünftigen Spielleiter klarmachen, weil es ihn ansonsten einerseits zwangsläufig mit seiner Fülle an Material frustriert und überfordert, und anderereits immer noch mit diesem erworbenen Wissen weitgehend alleine lässt, selbst wenn er dies alles in sich aufgesogen hat, weil er dann immer noch nicht weiß, was er nun eigentlich damit anstellen soll.
"Rules light" sind hier natürlich der richtige Weg, aber der wichtigere Aspekt muss sein, dass die Regeln FLEXIBEL sind; dass der Spielleiter, der eine Situation lösen will, auf Anhieb etwas findet, was er anwenden kann, anstatt sich endlos den Kopf darüber zu zerbrechen, die Anwendung welcher Regel genau in einer Situation KORREKT ist. Intuitive, aussagekräftige Figurenbeschreibungen (also keine abstrakten Monstrositäten wie THAC0s) und nachvollziehbare Würfelergebnisse (offensichtliches "gut" oder "schlecht" an Stelle von Zahlenwerten, die erst im Kontext eines bereits verstandenen, komplexen Systems mit Bedeutung gefüllt werden) sind hier eine große Hilfe. Das Einsteigerspiel muss begreiflich machen, dass Spielleitung eine Technik ist; dass das Spiel eben nicht wie bei herkömmlichen Spielen die Summe seiner Regeln ist, sondern dass die Regeln Werkzeuge sind, welche dem Spielleiter zur Verfügung stehen, um das Spiel unter seiner Leitung zu erschaffen.