Gute Frage.
Wir haben uns ja schon ein paar Mal anlässlich deiner 40K-Konversion darüber unterhalten. Aber hier vielleicht nochmal allgemeiner formuliert:
SW lebt sehr von seinem in sich stimmigen Regelsystem. Je weniger du also daran änderst, desto besser. Die am besten funktionierenden Settings sind auch die, die wenig neues an Regeln einführen. Das würde ich also nach Kräften vermeiden. 50 neue Talente ist entschieden zu viel. 10 bis 20 neue Mächte auch. Ich wette mit dir, dass du vieles unter die bestehnden Talente und Mächte subsummieren kannst. Und das allermeiste vom Rest einfach rauswerfen, weil es nicht wirklich einen Mehrwert bietet oder sogar die Balance zerschießt. Ein Talent, dass einem einen Toughness-Bonus gibt, wenn man ohne Rüstung rumläuft, wäre so ein Beispiel. Damit würde man letztlich nur Rüstung überflüssig machen.
Wenn du neue (mechanische) Spielelemente einbauen willst, stell dir am besten die folgenden Fragen:
1) Kann ich das Ziel auch mit einer schon bestehenden Mechanik erreichen (Beispiel: Statt einer neuen "Feuerblitz"-Macht einfach die schon bestehende "Blast" nehmen)? -> wenn ja, dann nimm diese, wenn nein, weiter zu 2)
2) Entwertet mein neues Element ein bestehendes? (etwa ein 4W6 Feuerblitz für 2 MP)-> wenn ja, dann weiter zu 2a), wenn nein, dann weiter zu 3)
2a) Ist die Entwertung zu rechtfertigen (etwa, weil das entwertete Element sowieso nicht ins Setting passt - ALLE Magier der Welt schießen NUR mit Feuerblitzen und die sind auch IMMER extrem tödlich) -> wenn ja ersetzt das neue Element das alte per Settingregel, wenn nein besser das neue Element mit dem alten verbinden, es darunter subsumieren oder ganz drauf verzichten
3) Mein neues Element ist also zwingend notwendig und definitiv nicht mit einer bestehenden Mechanik darzustellen... was hat es denn möglicherweise für unbeabsichtigte Drittwirkungen (was macht also ein Alchemist, der auf die Idee kommt, sich aus der Gallenblase eines Mantikors eine Säurespritze zu bauen? Spritzt die jetzt automatisch auch einen Feuerblitz?)
Bei SW ist es wichtig, Mechanik und Setting ganz klar zu trennen. Wenn du über Mechaniken (Talente, Mächte etc...) sprichst, musst du sie aus mechanischem Blickwinkel betrachten. Das Setting, der "Fluff" wird dann in einem zweiten Schritt draufgesetzt. Das ist auch das, woran beispielsweise Shaintar so massiv gescheitert ist. Und von Zornhau völlig zu Recht in der Luft zerrissen worden ist. Es wurde versucht, irgendwelche Settingideen auf Biegen und Brechen in die Mechanik zu zwängen. Womit dann am Ende die Mechanik völlig zerlegt wurde. Die guten Settings machen es eben anders herum. Sie halten die Mechanik weitestgehend unangetastet und erklären sie nur anders.
Um das mal zu illustrieren, will ich es mal am Beispiel eines bestehenden Settings erklären.
The Day After Ragnarok als so "mittelgutes" Setting beispielsweise hat eine neue Eigenschaft, die Nationalität, die mechanisch einem 1-Punkte-Vorteil entspricht und unproblematisch ist, weil sie JEDER Charakter bekommt, wodurch etwaige Disbalancen ausgeglichen werden.
Außerdem hat es 5 neue Hindrances, von denen aber ehrlich gesagt drei überflüssig sind, weil sie bestehende Hindrances kopieren, eine in ihrer leichten Ausprägung nur "all Thumbs" nachbildet, was nur deren schwere Ausprägung und die "Snakebit"-Hindrance, die wirklich eng mit dem Hintergrund verzahnt ist, als sinnvolle Neuerung übrig lässt.
Außerdem hat es noch 18 neue Edges, von denen auch die meisten überflüssig sind, weil sie Dinge abbilden, die eigentlich auch ganz prima ohne extra Edges darstellbar wären. Zu den sinnvollen gehören noch die Settingeigenen Arcane Backgrounds, die aber nur Neuorganisierungen der Standard ABs sind und diese ersetzen und die "Bump for Languages"-Edge, die das Erlernen von Sprachen sehr vereinfacht, was in diesem Setting bei einer der angepeilten Spielweisen (reisende Abenteurer auf einer postapokalyptischen Erde der 1950er Jahre) extrem sinnvoll ist.
Eine, die ich eher sinnlos finde, ist beispielsweise eine Edge, die einen +1 fighting und parry- Bonus für Schwertkampf gibt mit der Begründung, dass in dieser Welt Munition knapp sei und Nahkampfwaffen daher wieder eine stärkere Bedeutung genössen. Wo sich mir die Frage stellt, wie dieser Hintergrund die Edge rechtfertigen soll. Wenn Munitionsknappheit das Thema ist, wäre es ja wohl besser, eine entsprechende Settingregel (beispielsweise analog zu Necropolis einen Wurf nach jedem Kampf, wie es mit dem Munitionsvorrat bestellt ist plus eventuelle Edges, um das noch zu modifizieren) einzuführen. Was es stattdessen macht, ist, dass es noch ein weiteres +1 auf schon bestehende Edges drauf setzt, die schon die selben oder zumindest ähnliche Effekte produzieren.
Schließlich hat dieses Setting noch ganze 2 (in Worten: zwei!) neue Mächte: Dunkelsicht und Aquatik. Wobei man bei letzterem schon wieder zweifeln könnte, ob das wirklich so sinnvoll und nötig ist (es bildet die "environmental protection"-Macht nach, beschränkt sie aber auf Wasser und erhöht dafür die Geschwindigkeit des betroffenen.)
Das eigentliche Magie-Kapitel ist dann wieder beispielhaft gelöst: Dort werden alle mechanisch schon aus den Grundregeln bekannten Mächte im Spiegel des Settings und der dort verbreitetsten Magie, der Ophi-Tech (einer besonderen Form von Weird Science) beschrieben. Es wird beispielsweise die Geschichte und Funktionsweise der Maconi-gun vorgestellt und dann die Mechanik (die Macht "Blast") nochmal abgedruckt, damit der Spieler nicht extra ins Grundregelbuch gucken muss. Aber an der eigentlichen "Blast"-Mechanik wird nichts geändert.
Besonders bei den Edges habe ich als erfahrener SW-Spieler manchmal etwas die Augen verdreht, weil sie teilweise so unnötig sind und nur Platz und Zeit fressen, ohne wirklich etwas beizutragen. Bei anderen (Bump for Languages, Ophi-Tech) habe ich mich gefreut, dass sie drin sind, weil sie wirklich sinnvoll sind und auch die Mechanik nicht sprengen, da sie eine bestehende Mechanik (-2 smarts roll) mit einem neuen und Settinglogischen Element (Lernen einer neuen Sprache) verbinden.
Im Idealfall willst du deinen Spielern (und dir) ja die erste Reaktion ersparen. Auch wenn ein starkes Setting über ein paar kleinere Schnitzer hinwegtrösten kann.