AW: Sind Rollenspiele eine Modeerscheinung der 80er?
So, jetzt hab ich ein wenig mehr Zeit als gestern und kann länger kommentieren.
Ich habe mich, Moriarty, übrigens nicht zu meinen Überlegungen geäussert weil mir der philosophische Zug was rollenspiele angeht meistens abgeht. Aber wenn man fragt...
Zornhau schrieb:
Das ein Brettspielspieler im Allgemeinen nicht den Drang verspürt zu erzählen[...] Dadurch hat man eine ganz andere Art an Bindung, als es bei Brettspielen, Tabletops, Computerspielen der Fall ist.
Grundsätzlich gebe ich dir recht. Auf der anderen Seite prägt das nunmal einfach ein bestimmtes Bild vom "Rollenspieler".
Und manchmal, ja manchmal erzählen auch Brettspieler, wie ihre letzte Eiserne Thron Runde abgegangen ist, oder Tabletop-Spieler, wie ihr letzter Showdown bei Legends of the Old West verlaufen ist, oder ...
Auch da haben wir mal wieder Spiele die eine gewisse nähe zum Rollenspiel haben, aufgrund von Genre oder Art (Tabletops).
Zornhau schrieb:
Das Mitteilungsbedürfnis ist doch zum einen ein Charakteristikum der jeweiligen Spielerpersönlichkeit, und zum anderen - wie oben ja schon erwähnt - abhängig von der emotionalen Bindung zu den Spielereignissen. - Und bei der emotionalen Bindung haben die Rollenspiele grundsätzlich einfach durch das individuelle Charakterkonzept die Nase vorn. Aber auch beim kommunikativen Teil des Mitteilungsbedürfnisses neigen Rollenspieler als Spieler von Spielen, die grundsätzlich mehr Kommunikation, mehr sprachliche Interaktion erfordern als Brettspiele oder gar Computerspiele, einfach eher dazu sich anderen mitzuteilen, auf andere - auch Fremde - offen zuzugehen und - mit gefühltem Stolz - von den Ereignissen ihrer Charaktere, die ja auch Ereignisse sind, die ihnen selbst in gewisser Art und Weise widerfahren sind, zu berichten.
Ja - und letztlich finde ich das leicht gestört. Diese Ereignisse SIND ja nicht wirklich passiert. Wenn mir Leute erzählen was ihnen auf ihrer letzten Reise nach Seattle passiert ist, dann ist das gesund und gut. Wenn mir leute erzählen was ihnen auf ihrem letzten RUN in Seattle passiert ist, dann rolle ich mit den Augen. Die Phantasien anderer Leute sehe ich grundsätzlich nicht als Leistung. Ich kann sogar bei WoWlern verstehen wenn sie mir erzählen wie sie neulich Ragnaros gelegt haben (Sie haben da was erreicht, wenn auch etwas unglaublich triviales). Aber Rollenspieler erreichen regelmäßig GAR nichts sondern erzählen einem einfach nur was sie sich tolles einfallen lassen...
Selbst bei einem (garnicht so klassischen, wie durch die zeitliche Verzerrung nur als die damals "übliche" Spielweise entstellten) Dungeon Crawl erlebt man eine Geschichte. Und Geschichten sind - unabhängig davon, auf welche Art sie entstanden sind, ob ausgedacht, oder erspielt - etwas, das zum (Nach-)Erzählen bestens geeignet ist. Geschichten SOLLEN erzählt werden.
Grundsätzlich sollen Geschichten nur denjenigen erzählt werden die es hören wollen. Und vor allen Dingen nur solchen Leuten die sie verstehen können - also nicht wahllosen Passanten.
Das Problem das ich halt meine ist das diese Leute das Bild von Rollenspielern formen - salbadernde Missionare die der Meinung sind mit ihrem dämlichen kleinen Rollenspiel hätten sie den heiligen Gral gefunden und alle anderen wären nur zu dumm das zu merken.
Arroganz gegenüber "Nichtrollenspielern" war leider schon immer bei Rollenspielern verbreitet - man selbst hat ja ein unglaublich anspruchsvolles Hobby. Ich wage es diesem Punkt zu widersprechen. Rollenspiele sind weder pädagogisch wertvoller als Fernsehen, noch in irgendeiner Form "besser".
Zornhau schrieb:
Das ist in unzulässiger Weise verallgemeinernd, da es nur für bestimmte Rollenspielarten und auch da nur zum Teil zutrifft. - Ich spiele mit Engel ein Rollenspiel, welches nach Arkana-"System" eigentlich mehr ein Sich-gegenseitig-etwas-erzählen"-Spiel ist (im Unterschied zu Erzählspielen, bei denen ein "Erzähler" den Spielern etwas erzählt - bei solchen warte ich lieber auf die Kinofassung, wenn ich als Spieler eh nichts beeinflussen kann). Alle anderen Rollenspiele, die ich spiele, sind mit taktischen Elementen, mit z.T. erheblichem Zufallsfaktor, mit mehr oder weniger Crunch ausgestattet, so daß ich dieses "sich gegenseitig erzählen, wie toll man ist" überhaupt nicht nachvollziehen kann.
Ich sage ja das es welche gibt. Aber die breite Masse sind Erzählspiele - obwohl D&D das ganz klar davon abweicht sich WIRKLICH gut verkauft. Nischenspiele für die Erzählspielfreaks kann man weiter produzieren - aber Rollenspiel steht hier in einem direkten Wettstreit mit anderen Medien und hat im Vergleich zu diesen nicht unerhebliche Nachteile im Wettbewerb.
Zornhau schrieb:
Und Gewinner gibt es im Rollenspiel ständig. Und nicht nur auf der reinen Materialismus-Ebene der Schatztabelle, sondern Gewinner, die das Problem lösen, Gewinner, die SIEGEN, Gewinner, die wüste Gefahren überleben, Gewinner, die das Unbekannte ergründen, Gewinner, ... , Gewinner, ... , Gewinner, ...
Das ist es ja, was die meisten Brettspiele so arm macht: es gibt meist nur einen Gewinner, der sein Erfolgserlebnis aus den N-1 Mißerfolgen seiner Mitspieler zieht. - Einfach jämmerlich.
Das sagst du. Ich persönlich habe nichts dagegen einen Sieger zu haben. Die Siegeskommunistenenromantik geht mir gehörig auf den Senkel. Wenn ich der Beste bin ist es ganz alleine meine Entscheidung ob ich meinen Sieg teile. Wenn alle gewinnen und das Ergebnis von vorneherein feststeht bleibt die Spannung auf der Strecke. Ausserdem fehlt die Motivation der Spieler sich gegenüber den anderen Spielern abzuheben. Siegen macht Spaß. Wenn sich ein Rollenspiel durchsetzen will muss man gewinnen können. PVP Server sind die beliebtesten
Zornhau schrieb:
Brettspiele sind genau das, was das Leistungsstreben unserer Zeit auf die materielle Ebene herabzieht, das Sich-gegen-alle-anderen-Durchsetzen in den Köpfen der Menschen selbst im Spiel zementiert und einem Spieler durch die reine Leistungsfokussierung der Regelwerke keinerlei Freiräume läßt andere, eigene Wertvorstellungen in das Spiel einzubringen. - Rollenspiele sind da ganz anders (wie ich erst vorgestern bei Unknown Armies wieder erleben durfte).
Ich spiele aber nicht um mir die Wertevorstellungen eines anderen näherbringen zu lassen. Sich gegen alle anderen durchsetzen ist gut. Konkurrenz ist genau das was uns am Leben hält und ein integraler Bestandteil jeden Spiels.
Zornhau schrieb:
Ja. Das ist so. - Und das ist in der heutigen zeitlosen, zeitverknappten Zeit ein Problem. - Weil niemand sich mehr Zeit NEHMEN will (und manche es auch wirklich nicht mehr können).
Die Zeitverknappung hat nicht wirklich zugenommen, lediglich die Art diese Zeit zu verbringen hat sich geändert. Es ist ein strukturelles Problem bei Rollenspielen. Wenn man noch nebenbei einem Orchester, einem Fußballverein und dem lokalen Heimatkundeverein angehört (3 Tätigkeiten mit grundsätzlich höherem Eigenwert) - dann hat man nicht unbedingt die Nerven noch einmal die Woche regelmäßig Rollenspiele zu spielen.
Solche Menschen spielen nicht - es sei denn es sind Fanatiker (wie wir alle wahrscheinlich) oder sie haben die Möglichkeit das ganze zeitschonender anzugehen.
Ja. Das kommt zusätzlich zu dem Problem der verfügbaren freien Zeit hinzu. Die Menschen werden in unserer heutigen Gesellschaft immer mehr zur Entsolidarisierung, zum Verlassen von Gemeinschaften, zum Jeder-kämpft/spielt-für-sich-selbst, zum "Non-Commitment" getrieben.
Das ist grauenhaft. Grauenhaft und zerstörerisch.
Naja. Da zweifle ich doch einfach mal dran
Zornhau schrieb:
Wenn ich etwas WILL, wenn ich etwas will, daß ich nicht alleine haben kann, sondern nur mit Freunden, mit anderen Menschen, die mir etwas bedeuten und denen ich (hoffentlich) etwas bedeute, dann DENKE ich garnicht so wie Du das mit dem "Verein aus 6 Leuten" implizierst. - Also ich MAG meine Mitspieler, mit denen ich auch mehr und anderes unternehme als ausschließlich Rollenspiele zu spielen. Ich fühle mich nicht im geringsten, wie von Dir mit Deiner Formulierung ja impliziert, genötigt(!) in einem "Verein" mit lauter Leuten, die ich garnicht mag, die mich ekeln, die mich in meiner freien Selbstbestimmung meines Freizeitverhaltens einzuschränken versuchen, zusammenzuspielen. - Ganz im Gegenteil.
Nein - ABER: Mein Freundeskreis ist erheblich größer als die 5 Leute mit denen ich Rollenspiele spiele. Viele Kollegen, Komilitonen, Schulfreunde sind darunter die nichts mit Rollenspielen anfangen können oder wollen. Wenn ich 4 Abende der Woche pauschal mit irgendwelchen Aktivitäten verplant habe, einen Abend der Woche für diese Freunde opfere, dann bleiben mir zwei freie Tage die meine Freundin dankenswerterweise haben kann. Freie Tage, wo ich einfach mal GAR nichts tun kann, gibt es da generell nicht mehr. Ich habe dieses Problem durch Aufgabe einiger Hobbies gelöst - Rollenspiel hat sich bei mir durchgesetzt. Ist nur die Frage ob das bei anderen auch passiert...
Zornhau schrieb:
Wir haben mit dem Spiel etwas Gemeinsames.
Etwas, das uns trotz unterschiedlicher Altersgruppen, unterschiedlicher Bildungsstände, unterschiedlicher Berufe verbindet.
Wir sind wir. Wir spielen zusammen.
Wenn Du das nie erlebt hast, dann fehlt Dir tatsächlich eine wichtige menschliche Erfahrung.
Das fehlt mir in der Tat. Über Rollenspiele hab ich das noch nie erlebt. Um dich zu beruhigen - ich bin ein ganz passabler Musiker und weiß darum wie man mit Leuten von 11 bis 67 (gegenwärtiger Alterschnitt) zusammen was unternimmt. Ob ich das bei Rollenspielen wirklich könnte?
Zornhau schrieb:
Rollenspiele kann man nicht überall spielen. Computerrollenspiele tun auch nur so, als ginge das. Aber sie stellen nur ein hohles Gestell, eine rein seelenlose technische Plattform für etwas zur Verfügung, was mit Rollenspiel soviel zu tun hat, wie ein Instant-Nudel-Gericht mit selbstgemachten Kässpätzle. - Man kann es ständig bekommen, es hat ständig die gleiche Qualität, und man ist nicht eingeschränkt durch Rücksichtnahme auf andere Menschen.
Man ist allein.
Ich weiß nicht ob du schonmal ein MMORPG gespielt hast - aber die Gilden die sich da bilden haben regelmäßig ein ganz kompliziertes Geflecht des sozialen Miteinanders gebildet. Keiner ist da alleine. Irgendjemand hat hier gesagt das man Teamspeak nur zum koordinieren benutzt - nicht da wo ich gespielt habe. Darum lehne ich auch den Vergleich mit dem Instant Nudelgericht ab. Es ist vorgeformter als ein Rollenspiel - aber es kann letztlich das gleiche. Nur muss niemand Spielleiter machen und ich kann tatsächlich gewinnen.
Zornhau schrieb:
Und das ist der Preis für das "Non-Commitment". - Das ist der Preis für das Nachvornestellen des Eigenen, des Egos gegenüber den Dingen, die ein Miteinander, ein Wir, eine Rücksichtnahme, eine Absprache, ein Aufeinandereinlassen erfordern.
Ruhig Brauner. Rollenspiel ist nicht das alleinseligemachende Hobby.
Zornhau schrieb:
In meinen Runden sind Mitspielerfreunde mit unterschiedlichen räumlichen und (berufs-)zeitlichen Verfügbarkeiten vorhanden. Wir stimmen uns ab, weil wir miteinander gemeinsam spielen wollen. - Nicht weil wir müssen. - Wenn ein Spieler nicht zu einem Termin kann, dann wird der Termin eben verschoben. Dazu haben wir ja parallel laufenden Kampagnen in unterschiedlicher Besetzung und in unterschiedlichen Rollenspielen, daß man nie zu lange ohne eine Spielmöglichkeit sein muß. Aber wir WOLLEN ja eben auch gerade mit dem einen oder der anderen, die gerade verhindert sein mögen, zusammen spielen, weil wir sie als Mensch, als Freund, als Mitspieler schätzen.
Japp. Genauso mache ich das auch. Das sorgt aber regelmäßig für ein totales Chaos am Spieltisch weil man teilweise bestimmte Besetzungskonstellationen ein halbes Jahr nicht mehr sieht.
Zornhau schrieb:
Wenn man natürlich mit einem ANSPRUCH auf Unterhaltung durch seine Mitspieler ankommt und dann aufgrund der Breite seines Egos nur die Befriedigung seiner eigenen Rollenspielwünsche, hier, jetzt, sofort, als die einzige Art Rollenspiele zu spielen ansieht, dann wird man sich natürlich von den lästigen, kleinen Problemchen der anderen Zu-meiner-Unterhaltung-mit-dabei-Spieler eingeengt fühlen.
Darum geht es doch nicht - aber je größer die Gruppe wird desto größer die Schwierigkeiten. Nicht jeder hat den Schrank voller Rollenspiele wie du und ich. Wenn meine Gruppe nur DSA spielen würde, dann würden WOCHEN vergehen bis ich die ganze Truppe wieder zusammen habe. Wir kämen kaum von Fleck weil die Hälfte der Sachen die vorgefallen sind wieder vergessen worden sind. Mit kleineren, handlicheren Abenteuern passiert das ganze nicht.
Zornhau schrieb:
Nehmt Euch Zeit. Findet Freunde. Spielt. - Und stehlt jedem Leistungsmenschen die Karriere-Erarbeitungszeit, indem ihr so breit und ausführlich wie möglich von Euren Abenteuern berichtet. Ihr rockt nämlich!
Wenn man das tut muss man sich letztlich auch bewußt sein das man damit dem Hobby einen Bärendienst erweißt. Je mehr Leute Rollenspiele spielen, desto besser für uns. Je größer der Markt, desto besser die Qualität für uns. Und desto größer die Wahrscheinlichkeit das sich auch solche Perlen wie das Aeonverse länger in den Regalen finden. Das ist das was wir gewinnen können. Wir opfern hier lediglich die Idee von der perfekten Rollenspielertraumwelt. Ich bin bereit das zu bringen.