AW: Kurzgeschichten Arcane Codex
Kälte 2
Karolinas Welt badete im Blut. Ihre Kameraden fielen scharenweise unter den Klingen ihrer Feinde. Boris, Anton, Olga – alle tot. Von der Gräfin keine Spur. Erfolgreich waren sie gewesen. Sie hatten das Schloss in Brand gesteckt. Aber zu welchem Preis? Karolina stand im Hof und sah sich um. Die Ställe brannten, die Scheune auch. Gut, sehr gut.
Ein Knecht griff sie an, aber sie machte ihn allein durch die Kraft ihres glühenden Hasses nieder. Dann kamen vier auf einmal, denen sie nicht gewachsen war. Ein stumpfer Gegenstand traf sie hart am Hinterkopf. Ihre Umgebung wurde unscharf und verschwand.
Brüllender Schmerz in ihrem Kopf weckte sie. Ihre Hände waren so straff auf ihren Rücken gedreht und gefesselt, dass ihre Schultern schmerzten. Auch ihre Füße waren gefesselt. Karolina schüttelte sich um einen klaren Gedanken fassen zu können. Alles drehte sich, aber als die Welt aufgehört hatte, sich zu drehen, sah Karolina, dass sie sich in einem dunklen Raum befand, einer Zelle. Sie lag auf dem feuchten Boden, umgeben von schimmeligem Stroh. Die Luft roch muffig. Der Raum war sehr klein.
Probehalber ruckelte Karolina an ihren Fesseln. Sie saßen fest, da war nichts zu machen. Ihre Waffen waren selbstverständlich nicht hier. Karolina biss die Zähne zusammen, um die pochenden Schmerzen in Kopf und Schultern zu ignorieren und hielt nach etwas, das ihr helfen konnte, ihre Fesseln loszuwerden, Ausschau. Einen Nagel, oder eine scharfe Kante, aber sie fand nichts. Es blieb Karolina also nichts anderes übrig als zu warten.
Nach Stunden verlor Karolina jegliches Zeitgefühl. Ihre Zelle hatte kein Fenster. Sie wusste nicht, wie lange sie schon in diesem elenden Loch gefangen gehalten wurde. Waren es fünf Stunden? Ein Tag? Oder zwei Tage? Karolina konnte es nicht sagen. Anfangs war sie unruhig gewesen, aber jetzt war sie nur noch lethargisch. Das Pochen in ihrem Kopf war dumpfer geworden, weniger stechend.
Karolina lag da und harrte der Dinge, die noch kommen mochten, als sie Schritte hörte. Ein Schlüssel wurde im Türschloss umgedreht, dann schwang die Tür mit einem Quietschen auf. Herein trat eine Frau in guter Abendgarderobe. Ihre Haare waren zu einer kunstvollen Frisur aufgetürmt, das Gesicht elegant geschminkt. Sie war wunderschön. Die Gräfin sah Karolina an, als sei sie nichts weiter als ein Wurm. Sie trat ein paar Schritte vor und ihr folgte ein junger Mann, bei dessen Anblick Karolina das Herz in der Brust zersprang. Laszlo! Karolinas verschwundener Geliebter.
Die Gräfin musterte Karolina.
„Die letzte Überlebende, sagst du?“, fragte die Gräfin an Laszlo gewandt.
„Ja, Herrin.“
Diese zwei Worte ließen Karolinas Herz endgültig zu Eis erstarren. Dieser Verräter! Lügner! Diese Worte durchzuckten Karolinas Gedanken wie Blitze, blieben jedoch unausgesprochen. Sie konnte Laszlo nur hasserfüllt anstarren.
„Aufstände werden nicht geduldet. Gnade wird nicht gewährt. Laszlo, kümmere dich um diese lästige Angelegenheit!“
Die Gräfin gestikulierte abfällig in Karolinas Richtung, drehte sich um und ging. Karolina war nun allein mit Laszlo in der Zelle. Er kniete sich neben Karolinas Füßen hin und schnitt die Fesseln durch. Ihre Tritte fing er mühelos ab. Er griff so hart zu, er hätte mit diesem Griff auch einen Bären niederringen können.
„Lass‘ das, du tust dir noch weh!“, sagte er vollkommen emotionslos. Dann zerrte er die sich wehrende Karolina unsanft auf die Beine und schubste sie vor sich her zur Tür hinaus. Vor der Zelle packte er sie an ihren Handfesseln und schob sie vor sich her aus dem Schloss hinaus. Karolina zweifelte nicht daran, dass er sie töten wollte, daher wehrte sie sich nach Leibeskräften. Es brachte nichts. Es war, als würde man mir einem Sieb Wasser schöpfen. Am Rande bemerkte sie, dass Laszlo sie aus dem Burghof heraus brachte. Vielleicht wollte er noch mit ihr spielen, sie jagen wie ein Tier? Karolina fühle Verzweiflung. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Es konnte nicht wahr sein, dass Laszlo ein Verräter war! Das würde ja bedeuten, dass er….die ganze Zeit…
Ein seltsames Geräusch erklang, dann wurden Karolinas Hände frei. Verwirrt, aber dennoch wütend, starrte Karolina Laszlo an, als sie ihre aufgescheuerten Handgelenke befühlte. Sie straffte ihre Gestalt und sah ihn stolz an.
„Worauf wartest du? Bringen wir es hinter uns!“
Laszlos Gesicht verlor seine Emotionslosigkeit und wurde weich. Schnell überwand er die Distanz zwischen sich und Karolina und zog sie in seine Arme. Überrascht schrie sie auf. Er hielt sie fest und Karolina kam sich vor, als wäre sie von Stein umschlossen. Sie fühlte kalte Lippen auf ihrer Stirn. Dann ließ er sie überraschend los und griff in seine Tasche um einen Geldbeutel hervorzuholen. Diesen gab er, zusammen mit einem Dolch, der verwirrten Karolina. Zärtlich strich er ihr ein letztes Mal über die vernarbte Wange.
„Lauf weg. Flieh aus Drakia, solange du noch kannst!“
Abrupt drehte Laszlo sich um und ging fort. Karolina blieb allein in der Dunkelheit und der Kälte zurück.
22/10/08