Die Frage ist, welche ART der "Dokumentation" von Quantitäten ein kartenbasiertes System braucht?
Everway hat seine vier Elemente (gröbeste Fähigkeits-"Mengen"), die mit Zahlenwerten "bepunktet" werden. Darüber hinaus gibt es noch ein paar Fähigkeiten pro Element, die man besonders gut kann, die also effektiv einen höheren Zahlenwert haben, wenn man etwas entlang dieser Fähigkeit zu tun versucht. - Es ist klar geregelt, wie sich diese Zahlenwerte innerhalb eines Elements vergleichen lassen. Damit erlaubt Everway die Entscheidung von Unsicherheiten nach "Karma", also der Vorgeschichte und den bereits etablierten FAKTEN über den Charakter. Charakter A ist mit Erde 4 IMMER stärker als Charakter B mit Erde 2. (Außer es gibt dramaturgische Gründe, deretwegen dies nicht der Fall sein soll: Das ist die Entscheidung nach "Drama". Oder es gibt Gründe für einen gewissen Zufallseinfluß, so daß hier das Everway Fate Deck befragt wird: Das ist die Entscheidung nach "Schicksal". - Everway löst Unsicherheiten immer nach einem dieser drei Wege auf: Drama, Karma, Schicksal.)
Bei Idee! haben die SCs KEINE Zahlenwerte, wohl aber Stärken und Schwächen textuell beschrieben. Wenn also jemand bei der Charaktererschaffung eine Karte gezogen hat wie "Der Schwan" - Aufrechte Bedeutung: Kraftvoll, und ein anderer hat "Der Kleine Löwe" - Aufrechte Bedeutung: Aufstrebend, dann sind das keine Zahlenwerte. (Übrigens: Die "Arkana" im generischen Idee! sind Sternbilder, falls sich jemand fragt, woher die Kartenbezeichnungen kommen.) - Wie sich diese jeweiligen Stärken auswirken, kommt in einem konkreten Konflikt zum Tragen. Der eine Charakter beschreibt seine Stärke (Schwan - Kraftvoll) als "Anmutig, geschmeidig und mit jeder Bewegung und jedem Wort die pure Lebenskraft ausstrahlend", der andere Charakter beschreibt seine Stärke (Der Kleine Löwe - Aufstrebend) als "Zähe Fliegengewicht-Boxerin mit dem Willen den Sieg zu erringen". - In den meisten Konflikten würden diese Stärken nicht gegeneinander in den Vergleich gesetzt werden können, da die Konflikte zu unterschiedlich lägen. Ginge es um Nahkampf, wäre die Boxerin sowieso im Vorteil. Ginge es darum Leute auf dem Laufsteg zu beeindrucken, hätte der Schwan die bessere Karte. Das ist eine Entscheidung nach "Karma". Wenn aber beide von einem tückischen Alien-Virus infiziert wurden und beider Körper darum ringen, diese Infektion abzuwehren und zu überleben, dann könnten beide ihre jeweilige Stärke einbringen. Nur wenn sie GEGENEINANDER agierten, dann hätte man in ganz bestimmten Konflikten einen Vergleich: Der Schwan will den kleinen Löwen durch "Bemuttern" von einer Handlung abbringen, der kleine Löwe will diesen Versuch des Schwans ihn zu manipulieren mittels seiner inneren Stärke abschmettern, da ihm die Handlung wichtig ist. Hier ist der Ausgang nicht klar und man zöge für jeden eine Karte. Z.B. für den Schwan: Orion - Aufrecht:Geduldig und für den Kleinen Löwen: Schwan - Umgekehrt: Traurig. Die Interpretation liegt natürlich wie üblich bei den Spielern. Ich sähe hier z.B. den Schwan als die geduldige Vaterfigur, der den Fürsorger, den Beschützer gibt, weil der der Boxerin Ärger und Schmerz ersparen möchte. Der Kleine Löwe ist in diesem Konflikt geprägt davon, daß sie den Schwan (gleiche Karte wie die Stärke des Gegenübers!) wohl zutiefst enttäuscht, ihn traurig macht, wenn sie sich durchsetzen sollte. Ich könnte mir gut vorstellen, daß in diesem Konfikt der Schwan (Vater?) mit seiner geduldigen, alles verstehenden, aber auch überwältigenden Art den Kleinen Löwen (Tochter?) dazu bringt ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie sich gegen ihn durchzusetzen versuchte, weshalb sie dieses Mal (wieder) nachgibt. - So könnte es ablaufen, wenn es KEINE Zahlenwerte gibt.
Aber wie wäre es denn in einem konventionelleren System mit Zahlenwerten? - Klassische 3-18-Spanne. Der obige Vater-Charakter hat Charisma 11, seine Tochter, die aufstrebende Boxerin, hat Charisma 10. In den meisten Fällen KEIN SPÜRBARER Unterschied, trotz Verwendung klarer(?) Zahlenwerte! Nach BRP gäbe es die Widerstandstabelle, nach der z.B. der Vater seiner Tochter die Teilnahme an einem riskanten offenen Turnier mit 55% ausreden könnte. Das kann man dann würfeln. Schafft er die 55% , dann geht die Tochter nicht auf das Turnier. - So gesehen hat man eine schnelle und klare Auflösung dieses Konfliktes (ich habe hier bewußt die Fertigkeiten außer Acht gelassen - das ging nach BRP auch noch etwas anders).
Aber welche Auflösung sagt uns mehr über die Charaktere?
Ich finde, daß der soziale Konflikt im Kartensystem deutlicher entlang der Beziehung dieser beiden Charaktere verläuft, sich viel natürlicher, stimmiger in das bisherige Bild der Charaktere paßt, und man DIREKT die "Fortschreibung der Geschichte" bekommt. - Beim Würfelsystem bekommt man erst einmal ein "nacktes" Ergebnis, einen Gewinner und einen Verlierer (meist ohne Zwischenstufen). Und dann kann man sich überlegen, wie man das Ergebnis z.B. über die Beziehung der Charaktere zueinander interpretiert und beschreibt.
Die Karten hingegen, geben direkte BEGRIFFE an die Hand, welche man für die Beschreibung verwenden kann und welche mehr Informationen als nur "geschafft/nicht geschafft" bieten.
Somit braucht es nicht wirklich Zahlenwerte, wohl aber gewisse Aussagen zu Quanitäten, vor allem bei der OBJEKTIV beschreibbaren Welt, also den DINGEN. Weniger bei den SUBJEKTIV beschriebenen Weltelementen wie den Charakteren!
Nochmal zurück zu Charisma 11 gegenüber Charisma 10. Was ist nun tatsächlich der UNTERSCHIED? Wie spielt man solch einen Unterschied aus? Oder auch Stärke 14 oder Stärke 15? - Oft werden solche Zahlenskalen in wenige, diskrete "Bänder" heruntergebrochen, in denen es dann einen gewissen Bonus gibt. Bei 14 gibt es nur +1, ab 15 +2. Somit ist nicht die ganze Spanne 3 bis 18 interessant, sondern nur die sieben Bänder, in denen der Charakter angesiedelt ist. Solche UNBEDEUTENDEN, ja geradezu WIRKUNGSLOSEN Zahlenwerte kann man sich eigentlich sparen und manche Systeme tun dies auch. - Nur: Dann hat man doch wieder eine GROBE Modellierung, bei der die Charaktere nur z.B. ein bis fünf Punkte in einem Attribut haben können im Unterschied zu einer 01 bis 100 Prozentskala (vorausgesetzt jedes einzelne Prozent macht auch einen Unterschied).
Ich sehe daher für eine Art "Meta-System", eine Art "Pseudo-Spielwerte" bestenfalls eine drei- oder fünf-stufige Skala von -, 0, + oder - - , - , 0, +, + + . Und das nicht einmal für alles, was irgendein Spielwert sein könnte, sondern nur für interessante Punkte eines Geräts, Gebäudes, einer Person, Kreatur, usw. - Das verwenden eben manche systemunabhängigen Spielhilfen schon seit langem (City of Carse, Corrinis).
Mir wären bei einem OA-Schicksalskarten-System einfache TEXTUELLE Beschreibungen wichtiger. Denn diese kann man gleich aufgreifen und in die gemeinsame Schilderung einbauen ohne sie von Zahlenwerten erst rückzuübersetzen zu müssen und dann mit Beschreibungstexten versehen zu müssen.
Meine Idee wäre hier eher, daß Stärken und Schwächen als gezogene Karten (Arkanum plus Aufrechte oder Umgekehrte Bedeutung) notiert werden, und diese dann sofort in einer textuellen Beschreibung münden (anders als bei FATE-Aspekten braucht diese nicht ambivalent sein, da hier nichts über Compel erzwungen werden muß).
Was ich besonders attraktiv finde und aus Everway auch in Engel-Runden importiert habe: Das Schicksal des Charakters (für die nächste Spielzeit). Eine Karte, die gezogen wird, bei der aber nicht die aufrechte oder umgekehrte Bedeutung definierend ist, sondern das Arkanum selbst mit seinen beiden Bedeutungen beschreibt einen im Charakter angelegten KONFLIKT, das, was sein Schicksal in nächster Zeit für ihn zu entscheiden vorsieht. Ist dieser (oft länger angelegte) Konflikt aufgelöst, zieht er eine neue Karte für sein weiteres Schicksal.
Mit solchen Schicksalskarten kann man wirklich eine ganze Menge machen - wenn man sich von jeglichen Simulationsgedanken löst und voll in die Erzählung einsteigt.