AW: Das Vergewaltigungsthema
Falls du aus meinem Posting diese Deutung herausgelesen hast,
Habe ich nicht. - Das war nur eine Übertragung auf die von mir erwartete Art des Umgangs mit solchen IDEALEN: Man versteht diese als 100%-Forderung, redet sich darauf heraus, daß die 100% eh nicht zu schaffen sind, und bringt dann genau 0%. - Das ist es, was ich mit Ausweichen vor den im Ideal angelegten Fragen, die man SICH SELBST (und nur sich selbst!) stellen sollte, meinte.
Insofern halte ich Maximalforderungen durchaus für etwas Schwieriges, da sie eventuell den ein oder anderen "Mitstreiter" von vorneherein abschrecken und somit letztlich zu den von dir beschriebenen 0% führen könnten.
Maximalforderungen sind wenigsten KLAR und nicht wischi-waschi-schön-daß-wir-darüber-geredet-haben.
Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten.
Klar. - Hart und ohne Spielraum für Kompromisse, für weniger als 100%. - So versteht das wirklich JEDER.
Und doch ist es ein IDEAL.
Da der Mensch Fehler macht, da er NICHT ideal, KEIN Supermensch ist, WIRD man dieses Ideal NIE vollauf erreichen können. - Muß man aber auch nicht!
Das Tolle an Idealen ist, daß sie in denen, die sie erstreben, eine BEWEGUNG, eine NIE ENDENDE Bewegung auslösen. - Ein Idealist steht nie still. Er ist immer am Streben, am Wachsen, am Bewegen auf sein Ideal zu - auch wenn er es nie wirklich erreichen kann. - Hier zählt auch DER WEG an sich mehr als das Erreichen des Endes des Weges.
Wichtig ist nicht die Art und Weise, auf die man versucht sich seinen Idealen zu nähern. - Wichtig ist nur, DASS man es versucht, daß man es tut, daß man sich auf den Weg begibt.
Etwas, was man ABSEHBAR erreichen kann, das ist KEIN WEG, der einen Wert hat.
Wenn man sich nur stets das Schaffbare vornimmt, dann wird man nie über das Vorgenommene hinaus etwas schaffen können.
Antworte bei der nächsten Umfrage hier im Forum wahrheitsgemäß. - Ist leicht zu schaffen. - Wohin bringt einen das?
Antworte beim nächsten Mal wahrheitsgemäß, wenn der Freund oder die Freundin nach dem Sex "Wie war ich?" fragt. - Ist leicht zu schaffen. - Hat das wahrheitsgemäße Antworten hier irgendwelche Konsequenzen? Für wen? - Ist somit die Handlung des wahrheitsgemäßen Antwortens, die ja schaffbar ist und eigentlich "auf dem Weg" zum obigen Ideal liegen müßte, eine moralisch vertretbare Tat gewesen? - Sind die Konsequenzen, die sich aus der wahrheitsgemäßen Antwort ergeben, vom Antwortenden und vom Fragenden absehbar gewesen - und sind sie erträglich gewesen? Oder reißt hier die Bindung zweier Menschen durch die "Wahrheit"?
Wer meint ein Ideal mit dem Schieben des Reglers auf 100% (Ich sage IMMER und JEDEM die VOLLE Wahrheit.) erstreben zu können, der handelt NICHT in seiner moralischen Pflicht. - Er macht es sich einfach: Das Extreme zu wählen, bringt ihm scheinbar, d.h. nach außen hin, eine Deckungsgleichheit mit dem Ideal. Doch ist das nur ein hohles Gestell. Dadurch daß er sich ALLER moralischer Fragen, die sich bei JEDER Aussage über deren Wahrheitsgehalt und dessen Konsequenzen stellen werden, zu ENTLEDIGEN versucht, vergibt er sich auch die Chance mit jeder inneren Frage, die er sich selbst stellt, mit jeder äußeren Antwort, die er selbst voll und ganz verantworten muß, zu WACHSEN, sich zu ENTWICKELN, seinen Weg zu gehen.
Nur die kleinen Schritte zu gehen, die man sich auch zutraut, bringt einen nur dahin, wohin einen die Selbstbeschränkung gelangen läßt.
Im Eiltempo ans (vermeintliche) Ziel zu rasen, läßt einen da stehen bleiben, wo man angefangen hat.
Sich einen Weg zu suchen, den man gehen will, dessen Ende man ahnt, von dem man sich aber BEI JEDEM SCHRITT überraschen lassen möchte, bei dem man mit jedem Schritt etwas erfahren, etwas wachsen, etwas durchleben möchte, das geht nur mit Wegen, die als Ideale über alles absehbar zu Schaffende hinaus führen.
Sich ein Ideal als Maximalforderung zu nehmen, aber dessen Weg IN EIGENEM TEMPO und mit EIGENEN UMWEGEN zu gehen, das ist es, was einen wirklich weiterbringt.
Nur das Schaffbare zu erreichen erfordert stumpfen Gehorsam und bietet unbefriedigende Zielerreichung (weil man ja WEISS, daß man imstande gewesen wäre, MEHR zu erreichen, wenn man sich idealistischere Ziele gesteckt hätte).
Nur die Zielerreichung des Unschaffbaren DARZUSTELLEN, erfordert nach außen hin schauspielerische Qualitäten und bietet nach innen hin den Selbstbetrug (weil man sich um das, was eigentlich auf dem Weg erreichbar gewesen wäre, betrogen hat und nun mit nichts da steht - nicht einmal mit dem wenigen, unbefriedigenden Schaffbaren).
Das Unschaffbare anzugehen, erfordert waches Leben, interessiertes Streben und die Reife mit Müdigkeit und nachlassendem Eifer genauso seinen Weg zu machen, wie mit frischem Tritt, und es bietet Erfüllung.
Daher bin ich ein großer Freund von "Maximalforderungen".
Die Maximalforderungen, die man sich SELBST stellt, und denen man entspannt nachgeht, bringen einen tatsächlich weiter als man selbst für möglich gehalten hätte.
Und das ist der wichtige Punkt: Autoren von Rollenspielen sollten nicht etwa irgendwelche "Maximalforderungen" von außen (von welcher Seite denn überhaupt?) gestellt werden, sondern sie sollten sich ihre Ideale SELBST suchen, danach streben und ihr Handeln an ihrer moralischen Verpflichtung ihren Lesern, ihren Verlagen, ihren Mit-Autoren, ihren Familien, ihren sonstigen sozialen Gruppen, denen sie angehören bzw. zu denen sie eine Beziehung haben, ausrichten. - Dann werden sie auch bessere Autoren.
Das betrifft natürlich nicht nur Autoren.
Als Mitte der Achtziger die VR China sich zaghaft öffnete und sehr gute chinesische Wushu-Lehrer das erste Mal nach Europa kamen, da war ich auf einem Chen-Stil Taijiquan Lehrgang, auf welchem die Trainerin bei einem Übergang der ersten Form etwas 48er-Form reingemischt hatte. Ein Versehen. Kann ja mal passieren. - Doch sie wollte das nicht vor allen Teilnehmern korrigieren. In der ersten Pause hatte dann der Organisator eine längere Diskussion mit ihr und direkt nach der Pause hat sie gesagt, daß es eine Verwechslung gab und daß die Form eigentlich etwas anders weiterging. Da wir alle die Form das erste Mal auf diesem Lehrgang gelernt hatten, war noch keine einzige Bewegung wirklich eingeschliffen, so daß man schnell umlernen konnte. NIEMAND hat die Trainerin für diese Korrektur weniger geachtet oder ihre Kompetenz als Trainerin angezweifelt. - Gut, daß der Organisator auch jemand mit Idealen ist und sie überzeugt hat, daß es kein Beinbruch ist, ihren Irrtum zuzugeben und alle von diesem Irrtum betroffenen Lehrgangsteilnehmer von der Korrektur zu unterrichten.
Vor nicht allzulanger Zeit gab es hier im Forum einen Thread dazu, wie ein Spielleiter mit Irrtümern seinerseits hinsichtlich Regeleinhaltung, Regelanwendung, Settingfakten usw. umgehen sollte. - Ich hatte damals und habe immer noch die Ansicht, daß man diese offen den Spielern gegenüber kund tun sollte. Das ist doch überhaupt kein Problem. Man sagt, wo der Fehler, den man selbst oder den einer der Mitspieler entdeckt hat, passiert ist, und welche Konsequenzen das hatte, dann überlegt man sich gemeinsam, wie man damit umgehen soll.
Einfach zu sagen, daß man einen Fehler gemacht hat, ist doch kein wirklich schwerer Schritt. Und man wird von seinen Mitspielern ja auch nicht weniger dafür geachtet (eher mehr!).
Beim Vergewaltigungsthema ist dies offensichtlich nicht passiert. Und daher ist der Umgang mit diesem Thema auch so ein "Dauerbrenner" in diversen Foren und kommt wie Malaria immer wieder in "Fieberschüben" zum Ausbruch, statt durch ein echtes Auflösen des Konfliktes moralisches Handeln und somit Rückgrat vor den betroffenen Gruppen zu demonstrieren.