AW: Darstellen von Geisteskrankheiten im Rollenspiel
Ich dachte mir schon, daß so etwas kommt.
We aim to please.
Eine falsche Darstellung ist schlicht unergreifend eine unpassende Darstellung.
Für mich ist - DIESELBE fachliche Unkenntnis wie bei meinen Mitspielern vorausgesetzt - nicht einmal ERKENNBAR, ob eine Darstellung "richtig" oder "falsch" ist. - Ich glaube nicht, daß ich so einfach Spanisch von Portugiesisch auseinanderhalten kann, da mein Kontakt mit beiden Sprachen ausgesprochen gering ist. - Das hört sich irgendwie "südländisch" an. Mein Eindruck: Paßt schon.
Wenn der Spielleiter es nicht merkt, und es auch die Mitspieler nicht merken, kann man dann dem Spieler noch das Urteil "Du spielst FALSCH!" verkünden?
Und wenn der Spielleiter vielleicht ein Experte in dem fachlich nicht vollständig korrekt dargestellten Gebiet ist, er also den "Fehler" merkt, dieser ihm aber EGAL ist, und es auch den anwesenden Experten seitens der Mitspieler EGAL ist (von denen vielleicht sogar zwei aus Portugal bzw. Spanien stammen, die aber jeweils einen Russen bzw. einen Chinesen "falsch" spielen), soll der Spielleiter dann trotzdem noch den Spieler UNTERBRECHEN, den Spielfluß anhalten, und den Fehler klar herausarbeiten und eine zeitnahe Korrektur einfordern?
Der Spielleiter entscheidet es. Sobald er sich anmaßt Belohungen für cooles, stimmiges oder passendes Rollenspiel zu verteilen, hat er Kriterien festgelegt, die richtig und falsch enthalten.
Du schreibst "anmaßt". - Das ist eine Abwertung des Spielleiters, der Erfahrungspunkte, Bennies, Fate-Chips, Hero-Points, Abenteuerpunkte, usw. für cooles, stimmiges und passendes Rollenspiel vergibt, WEIL DIE REGELN DAS VORSEHEN.
Mal ein kurzer Abstecher: In Agon müssen sich die Spieler ihre Ruhmpunkte (so etwas ähnliches wie Erfahrungspunkte in anderen Rollenspielen) SELBST ABHOLEN. Es gibt HARTE Regeln, wann und wieviele dieser Punkte für das Ausspielen von welchen Handlungen mit welchem Ausgang zu bekommen sind. - Solch ein Spiel ist die absolute AUSNAHME. - "Normale" Rollenspiele haben schon immer die Rolle des Spielleiters als der Beurteilungs- und Belohnungs-Instanz in den Regeln festgeschrieben und verweisen schon seit den Anfängen des Rollenspiels auf die persönliche Urteilskraft des Menschen in dieser Rolle des Spielleiters statt mit einer Fülle harter Regeln einen Anspruch auf XP für stimmungsvolles Rollenspiel festzuschreiben.
Kommen Deiner Erfahrung nach die vielen Spielleiter dieser vielen Rollenspiele, die seit den 70er-Jahren solche Belohnungen dauernd, in jeder Spielrunde, in jeder Spielsitzung, vergeben, mit einer ANMASSENDEN HALTUNG an den Spieltisch?
Spielst Du nur Rollenspiele, die solche Belohnungen dem Spielleiter explizit UNTERSAGEN?
Ich bin hier wirklich neugierig, weil ich aus Deiner Wortwahl ("Anmaßung") entnehme, daß Du diese Vergabe für problematisch hältst, daß Du damit vermutlich schlechte Erfahrungen gemacht hast, und daß Du diesbezüglich eine grundsätzlich negative Einstellung hast.
Etwas zu den "Kriterien", die solch ein "anmaßender" Spielleiter festgelegt haben soll: Das EXPLIZITE FESTLEGEN von Kriterien zur Vergabe von Belohnungen für bestimmte Verhaltensweisen von SCs ist meiner Erfahrung nach ein ausgesprochener Ausnahmefall. - Normal, üblich und aufwandsmäßig beherrschbar ist hingegen das Vergeben "nach Bauchgefühl". Heute so, morgen anders (das Ideal, welches anzustreben ist, wäre hier eine über lange Zeit KONSISTENTE Entscheidungsfindung, aber ein Spielleiter ist ja kein Heiliger und DARF tagesformabhängige Schwankungen seines Bauchgefühls haben).
Klar hat ein Spielleiter bei einem Nachteil "Phobie" eine gewisse ERWARTUNG, eine gewisse VORSTELLUNG, was ER darunter versteht. Andererseits weiß ein Spielleiter auch, daß seine Spieler eine ANDERE Erwartung oder Vorstellung davon haben können. - Ein Spielleiter kann somit nachfragen (vorher - aber das macht eh kaum jemand - oder nachdem eine Situation eingetreten ist, die eine Belohnung auslösen könnte). Oder - und das ist der weitaus streßärmere Weg für den Spielleiter - der Spieler fragt SELBST nach "Bekomme ich für diese Aktion einen Bennie?". Und dann sagt der Spielleiter erst einmal "Ja, klar.", wenn sein Bauch ihm das warme Gefühl der Sicherheit vermittelt, daß dies eine coole und belohnenswerte Sache war, von der ER, der Spielleiter als einer der vielen unter anderem auch Zuschauenden, auch Unterhaltenen, in Zukunft gerne MEHR sehen möchte. Ist er sich unsicher, so kann er einfach nur in die Gesichter der Mitspieler schauen. Sind diese begeistert, hat ihnen die Aktion Spaß gemacht, SAGEN sie das eventuell sogar offen "Los, gib ihm einen Bennie! Solche Szenen sieht man nicht alle Tage!", dann ist die Zustimmung auch kein Problem. Und wenn er sich nicht sicher ist UND die Mitspieler sich auch nicht gerade begeistert zeigen ("Sieh, ich habe 'Bringt seine engsten Freunde um' als Nachteil, und ich habe jetzt zwei aus unserer Abenteurergruppe umgelegt. Bekomme ich dafür einen Bennie, oder besser ZWEI?!"), dann gibt es eben KEINE Belohnung und dafür FEEDBACK, warum es keine Belohnung gab ("Ich will so etwas nicht an meinen Spieltisch sehen. Alle kommen um GEMEINSAM spielen zu können. Du hast gerade zwei meiner Freunde aus dem Spiel genommen. Geh weg, und komm nie wieder! - Ach ja, Bennies gibt es auch keine, aber Dein Charakterbogen kann in meinen Reißwolfaufsatz auf dem Papierkorb, wo er vermutlich schon länger hingehört hätte, wenn mir dieser SCHEISS-Nachteil vorher präsent gewesen wäre.").
Wer dann behauptet, er weiß nicht was schlechtes Rollenspiel sein soll, der sollte keine Belohnungen verteilen, da er offensichtlich Stimmigkeit und Unstimmigkeit nicht auseinander halten kann.
"Schlechtes" Rollenspiel erkennt man sofort aufgrund des eigenen Bauchgefühls. Das ist dann nämlich auch schlecht. - Gutes Rollenspiel erkennt man auch sofort anhand des Spaßes, den man hat.
"Richtiges" und "falsches" Rollenspiel im Sinne der akademisch-fachlichen Korrektheit aller ins Spiel gebrachten Fakten und Verhaltensweisen, hat überhaupt NICHTS mit GUT oder SCHLECHT zu tun.
In einem Pulp-Rollenspiel ist eine Faust ins Gesicht weitaus effektiver im Ausschalten eines Gegners als eine Maschinenpistolen-Garbe in den Bauch. - TOTAL FALSCH. - SCHLECHTES Rollenspiel, Indy! Sitz, Indy! Heute gibt es kein Leckerli, Indy!
In Gun-Fu-Filmen wird beständig - trotz vordergründig modernen, nicht-übernatürlichen Settings - so ziemlich jedes Gesetz der klassischen Physik "gebrochen". Alles FALSCH. - Schlechtes Rollenspiel, wo man nur geht, steht, oder 20-Meter-Sprünge in Zeitlupe ausführt, während man seine beiden Knarren im Flug nachlädt, gezielt den fünf Gegnern stilvoll in die Sonnenbrillen ballert und es noch schafft eine Zigarette aus dem Etui zu holen und mit brennender Kippe nach der Landung dazustehen, während hinter einem die fünf Gegner langsam hintenüberkippen. - So etwas gibt sogar wegen nachweisbarer Unmöglichkeit XP-Abzug, weil das ja gleich alle promovierten Physiker unter den Mitspielern sofort in Rage bringt und ihnen die Spiellaune verdirbt.
Allerspätestens an der Stelle hätte der SL schreien müssen, daß die Darstellung absolut unglaubwürdig und unpassend ist. Cool vielleicht, stimmungsvoll vielleicht auch, aber trotzdem unpassend und unglaubwürdig.
Eine Coole Szene (tm). - Cut! - Neinneinnein! So GEHT das NICHT! - Hast Du denn den Handapparat an Büchern etwa NICHT gelesen, den ich extra für Deinen brasilianische, soziophoben Kryptographie-Experten-SC per Fernleihe zusammengestellt habe? - Also so bekommst Du bei mit KEINEN EINZIGEN XP, sondern 10 Demerits, die Du mir beim Bücherkatalogisieren abarbeiten kannst.
Der Spielleiter hätte
S.C.H.R.E.I.E.N. müssen, daß die Darstellung unglaubwürdig ist?
Also MUSS der Spielleiter bei jeder Wissenslücke, die zu einer "fachlich falschen" Darstellung führt, SOFORT die coole, stimmungsvolle Szene, in der alle handelnden Spieler wie gebannt eingetaucht waren, SPRENGEN und eine "Spontan-Rüge" erteilen?
Also, wenn ich, der ich mich AUCH in manchen Fachgebieten viel besser auskenne, als meine Mitspieler, das jedesmal machen würde, dann verdiente ich meine soziale Einsamkeit - denn solch ein Verhalten wäre für meine Mitspieler UNERTRÄGLICH. Je nach Gruppe/Spielrunde sind sogar die meisten ÄLTER als ich, sind selbst Uni-Dozenten oder zumindest promoviert in Fächern, von denen ich KEINE Ahnung habe. Die haben es aber überhaupt nicht nötig sich solche Scheiße von einem Spielleiter oder Mitspieler antun zu lassen. Und das sagen sie auch!
Offengestanden halte ICH dieses kleinkarierte Oberlehrer-Klischee-Verhalten für ANMASSEND.
Wenn bei uns der Spielleiter schreit, dann nur weil ihm jemand das letzte Stück Kuchen wegfressen will, oder wenn schon wieder jemand Kaffee in seinen Würfelbecher statt in den Kaffeepot eingeschenkt hat und nun der gesamte Tisch schwimmt. - Also alles GUTE Gründe.
Den Spielleiter als Fachlichen-Korrektheits-Nazi kann ICH mir jedenfalls NICHT als spielförderlich vorstellen.
Als Spieler würde ich dann aber dagegen halten ich habe keine Ahnung wie man eine Soziophobie darstellt, aber ich wollte so tun, als wäre ich jemand der sich auf der Straße auskennt, wobei ich aber die Vorgabe beachtet habe, daß Menschen mit Soziophobie niemanden ansprechen. Was ich ja nicht habe, ich habe ja nichts gesagt und als ich gefragt wurde habe ich nur eine kurze Antwort geben.
Genau. - Das wäre auch vollkommen in Ordnung gewesen. - Keiner am Tisch hätte dagegen irgendetwas einzuwenden gehabt, es wäre eine coole Szene gewesen, und eine Belohnung wäre auch noch durch einstimmiges Nicken und ggf. Szenenapplaus (ja, das soll es auch geben) fällig gewesen.
So sieht GUTES Rollenspiel aus.
Hätte ich mich vorher genauer informiert, was eine Soziophobie ist, dann hätte ich es glaubwürdiger darstellen können. Dann wüßte ich z.B. das Menschen mit Soziophobie Augenkontakt meiden und hätte eine ganz andere Möglichkeit gewählt der Wurf zu interpretieren.
Das wäre vermutlich auch in Ordnung gewesen. - Wenn es eine coole Szene gewesen wäre, dann wäre es ABSOLUT GLEICHWERTIG zur weniger fachlich informierten Darstellung gewesen. - NIEMAND hätte den fachlichen Informationsgehalt, die akribische Vorbereitung, das absolvierte Fern-Studium, welches hinter dieser Szene stecken mochte, ERKENNEN geschweige denn WÜRDIGEN können.
Nachdem ja Soziophobe offensichtlich recht problematische Leute sind, würde ich aus dem Bauch heraus sogar erwarten, daß die Szene weit weniger cool und eher etwas abtörnend ausgefallen wäre.
Wenn ich die Wahl zwischen Cool-und-"falsch" und Uncool-aber-"fachlich richtig" hätte, dann würde ich mich IMMER für Cool-und-"falsch" entscheiden.
In diesem Fall hat man allen Grund von einer falschen Darstellung zu reden, da der Spieler einen Fehler in seine Darstellung eingebaut hat, die auf Unwissenheit beruht.
Damit weist man dem Spieler eine SCHULD zu.
Der Spieler hat, so habe ich Dich verstanden, geradezu die PFLICHT sich über das hinaus, was im Regelwerk stehen mag (und das ist ja bei psychischen Nachteilen oft sehr wenig), zu informieren und auf fachlich einwandfreie Darstellung zu achten. - Informiert er sich nicht, macht er eben aus Unwissenheit IMMER SCHLECHTES Rollenspiel und bekommt KEINE Belohnungen (XP, Bennies, usw.).
Wenn man Rollenspiel spielt, kann man ja wohl verlangen, daß die Spieler zu mindestens eine grobe Vorstellung davon haben, was sie spielen und nicht nur über ein kleines Stückchen Informationen verfügen und sich darauf verlassen, sich an den Regeln zu einer richtigen Darstellung entlang handeln zu können.
Offengestanden kann man nicht einmal "verlangen", daß ein Spieler die REGELN wirklich gelesen und verstanden hat.
Viele Spieler spielen halt einfach so mit, um Spaß mit ihren Freunden zu haben. - Sind die alle "Falschspieler"?
Diesen Spielern helfen nicht einmal Regeln für die Darstellung, weil sie nicht willens sind sich 400+ Seiten Regelwerk reinzuziehen, wenn sie vielleicht einmal im Monat mit ein paar Kumpels spielen wollen. - Selbst leichtgewichtige Regelwerke mit knappsten Regelumfang werden NICHT GELESEN. - Und NEIN, diese Spieler sind keine ungebildeten faulen Schweine, sondern Leute, die in ihren Jobs mehr als genug lesen und schreiben müssen, und die einfach fürs Rollenspiel KEINE LUST haben tatsächlich noch ARBEIT aufzuwenden. - "Darf" man mit diesen "Ignoranten" überhaupt noch spielen? Dürfen diese "Ignoranten" dann brasilianische, soziophobe Kryptographie-Experten mit doppelten Silber-Colts und Ninja-Training spielen, die gegen indisch-schweizerische Cyberdrogen-Kartelle Anschläge auf deren Killerkommandos verüben?
Also bei mir schon.