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Daniel Neugebauer: Vielen Dank, dass ihr beide euch Zeit für das Interview genommen habt. Andreas betreut Dungeon Crawl Classics redaktionell und hat mich für das Spiel vor vielen Jahren begeistert. Daniel ist nicht nur der Lektor für Der Schatten des Dämonenfürsten, sondern auch für DCC und kennt beides in- und auswendig. DCC ist für uns alle, würde ich sagen, etwas Besonderes. Was reizt euch so an diesem Spiel?
Daniel Hoffmann: Und Danke an dich, Daniel, dass ich bei diesem Projekt dabei sein darf. Es ist in der Tat auch für mich etwas ganz Besonderes. Was macht es zu etwas Besonderem? Jetzt muss ich wirklich aufpassen, dass ich mich nicht in einem vielseitigen Sermon ergehe.
Dungeon Crawl Classics packt mich einfach auf so vielen Ebenen und weckt am Ende des Tages genau dieses Gefühl, dieses märchenhafte, sagenhafte, abenteuerliche Unbekannte ist einfach da, welches mich ursprünglich gepackt hat, als wir in den Neunzigern zum ersten Mal das Advanced Dungeons & Dragons Triumvirat Spielerhandbuch, Handbuch für Spielleiter und Monsterkompendium aufschlugen und drauflosspielten. Was mochte hinter der nächsten Biegung auf uns lauern? In jedem Fall unbekannte, fantastische Abenteuer! Dieses Gefühl ist wieder da.
Das liegt vor allem daran, dass es das Spiel schafft, mit einer klaren Orientierung an den literarischen Ursprüngen von D&D, dem sogenannten Appendix N, ein weitgehend den grundlegenden, klassischen D&D-Regelmechaniken verpflichtetes Spiel zu generieren, ohne dass dadurch der Zauber durch irgendeine implizierte „In-Game-Physik“ und Berechenbarkeit verloren geht. Wem etwa D&D in seinen letzter Iteration etwas fad und langweilig, ja schon fast herzlos vorkommt, wird wissen, was ich meine. Die klare Orientierung am Appendix N, also den Werken von Fritz Leiber, Michael Moorcock, H. P. Lovecraft aber auch Robert E. Howard sieht sich das Regelwerk verpflichtet und transportiert dies mit fast jeder Zeile. Den schlanken Regelmechanismen gelingt es, dieses Spielgefühl zu unterstützen und die Spielwelt auch vor dem Regelhintergrund plausibel erscheinen zu lassen.
Das Ganze wird dabei unterstützt mit Illustrationen, die eben nicht den einfachen realistischen (böse Zungen würden sagen kitschigen) Weg gehen, den wir von anderen Rollenspielen kennen, sondern vielschichtige, oftmals künstlerisch, vielleicht auf den ersten Blick einfach wirkende Illustrationen, die mit Details das Besondere an dieser fantastischen Welt transportieren und Impetus für die eigene Kreativität geben.
Andreas Melhorn: Es ist schön, dabei sein zu dürfen. Ich freue mich riesig, zum deutschen DCC etwas beitragen zu können.
Wenn ich die Frage mit einem Satz beantworten müsste, würde ich wohl Folgendes sagen: Es ist das unterhaltsamste Spiel, das ich kenne.
Alle Spielrunden, die ich bisher hatte, waren spannend, chaotisch und witzig. Wir haben immer viel gelacht, was meiner Meinung nach ein wichtiger Teil eines guten Spielabends ist. Man merkt DCC in jeder Zeile an, dass es von Grund auf dazu entwickelt wurde, Spaß am Spieltisch zu machen. Die Abenteuer tragen einen großen Teil dazu bei. Sailors on a Starless Sea (wir haben uns noch nicht entschieden, wie die deutsche Version heißen wird) ist eines der unterhaltsamsten Abenteuer, die ich je geleitet habe.
Die Stimmung des Appendix N, die das Spiel anstrebt, ist ebenfalls gut eingefangen, finde ich. Egal, ob es abgefahrene Gottheiten oder völlig chaotische Magie sind. Was mich aber damals dazu brachte, das Spiel zu kaufen, war die Bebilderung. Ich mag diese bunten Coverbilder. Ich mag den Stil, auch wenn er etwas ungewöhnlich ist. Die Innenillus bieten immer etwas zu entdecken und untermalen die Stimmung der Abenteuer.
DN: Auf die Optik von DCC kommen wir gleich noch zu sprechen, werfen wir zunächst noch einen Blick auf den Text. Der Appendix N ist wichtig für die Entwicklung des Spiels. Joseph Goodman beschreibt, dass er bei der Gestaltung von DCC zurück zu den Wurzeln des Rollenspiels gegangen ist, also zu den Geschichten, die Gary Gygax selbst inspiriert haben. Welche Geschichten und Autoren inspirieren euch und sind die Geschichten noch immer gut?
DH: Meine eigenen Abenteuer sind immer wieder von Robert E. Howards Conan-Episoden, die man sicherlich nicht näher vorstellen muss, und den in Lankhmar angesiedelten Erzählungen von Fritz Leiber inspiriert. Dort begegnet einem in jeder Geschichte etwas, das unmittelbaren Eingang in unser heutiges Verständnis von D&D-Fantasy gefunden hat, ob es nun Mörder- und Diebesgilden, mächtige Priester, magische Rituale, Zauberer, die in Türmen wohnen, oder Barbarenstämme im Norden sind.
Und das gilt natürlich auch für die Charaktere, die man spielt!
Bei den von mir bereits gelesenen Werken fand ich wirklich faszinierend, dass man bei jedem einzelnen Buch merkt, wie es die Vorstellung von Fantasy, wie sie die D&D-Regelwerke seit jeher transportieren, beeinflusst hat. Und eigentlich alle sind erfrischend anders als die allseits bekannte Tolkien-Fantasy – die aber natürlich ebenso im Appendix N gelistet ist, wie andere Klassiker wie Moorcock, Lovecraft und Zelazny.
Zeitlos großartig sind natürlich auch John Bellairs Das Gesicht im Eis, wo zwei Hexenmeister gegen einen finsteren Zauberer und sein Werk antreten, oder Dunsanys Die Königstochter aus Elfenland, wo wir mit ausdrucksstarken Beschreibungen ein Elfenland kennenlernen, in dem die Zeit unberührt im ewigen Frühsommer stillsteht und für Menschen nicht leicht einzuordnende, fremdartige Elfen, Trolle und Einhörner leben. Die dortigen Themen, wie das Reisen zwischen ganz verschiedenen Welten, Konfrontation mit Eigenheiten ihrer Bewohner und Kulturen, das Spielen mit der Zeit, Unberechenbarkeit von Zauberei, sie alle spiegeln sich auch in den zu DCC publizierten Abenteuern wider.
Man findet kein „Fäntelalter mit Goblins“, dafür umso mehr Sword & Sorcery, aber auch Genre-Mashups.
Zu den Wurzeln von Letzterem bin ich leider noch nicht gekommen, also den Fantasy-/Sci-Fi-Crossovern von Fred Saberhagen, Jack Vance, Philip José Farmer usw., sind aber schon (antiquarisch) besorgt und warten im Regal.
AM: Die Geschichten des Appendix N sind heute noch absolut lesenswert. Ich habe im Zuge der DCC-Vorbereitungen angefangen, einige davon auszugraben und (erneut) zu lesen. Tolkien hat einen so starken Einfluss auf die moderne Fantasy, dass man häufig dazu geneigt ist, ihn als selbstverständlich hinzunehmen. Man betritt eine neue Art der Fantasy, wenn man sich wieder an die alten Sachen macht. Man muss nur damit leben, dass dort ein paar Klischees geschaffen wurden, die einem heute zwangsläufig altbacken erscheinen. Das sind aber immer nur einzelne Details. Was ich sehr mag ist die Tatsache, dass die Genres noch nicht so stark getrennt waren. Da war auch schon mal ein wenig Sci-Fi in meiner Fantasy. Das ist bei der heutigen strickten Trennung sehr erfrischend.
Seit ich Dreiherz von Poul Anderson kenne, verstehe ich endlich das Gesinnungssystem. Den Amber-Zyklus lese ich gerade zum ersten Mal (siehe auch Blaupausen: hier und hier) und die große Herrscherfamilie mit ihren Fehden und Intrigen ist einfach großartiges Abenteuer-Futter. Jack Vance und seine sterbende Erde ist immer wieder aufs neue lesenswert und gibt vermutlich gleich Dutzende Ideen für Abenteuer, Monster und coole Weltdetails. Conan und Lankhmar gehen ebenfalls immer, auch wenn ich gestehen muss, dass ich bei beiden gerade erst in die originalen Geschichten einsteige. Kane, der Verfluchte hab ich als Teenager geliebt. Den muss ich unbedingt mal wieder lesen.
DCC fängt diese etwas anderen, nennen wir sie „ursprünglicheren“ Ideen sehr gut ein, sowohl in den Regeln als auch in den Abenteuern. Es ist rau und böse, chaotisch und witzig. Das mag ich sehr, denn es bringt Spannung und Spielspaß.
DH: Oh ja, Amber entdecke ich auch gerade (in der exzellent gelesenen Hörbuchausgabe) für mich.
Wo Andreas gerade die allgemein in Appendix N transportierte und von DCC aufgenommene Stimmung anspricht: Es wird nicht erst bis zu einer höheren Stufe gewartet, um unerwartete, großartige, dimensionsübergreifende Abenteuer zu erleben, sondern die unbedarften Protagonisten werden von Anfang an in episches Getümmel geworfen, betreten nicht einfach einen Goblinbau, sondern treten in Kontakt zu Göttern und denjenigen, die schon alt waren, als die Götter noch jung waren … Auf Stufe 1 zum Dienst an den Hof des Chaos’ gerufen zu werden, das ist DCC.
AM: Ja stimmt, sogar auf der 0. Stufe, wenn die Charaktere Glück (oder Pech, ganz wie man es nimmt) haben. Aber dann haben die Spieler ja ein paar mehr davon.
DN: Ein guter Punkt! DCC geht sofort in den Frontalangriff, hält sich nicht mit Banalitäten auf den ersten Stufen auf, sondern entwickelt konsequent ein Gefühl von echtem Abenteuer. Eines der besten Szenarien überhaupt ist Sailors on a Starless Sea, mit dem Andreas mir DCC auf der Hannover Spielt Convention gezeigt hat. Ein Abenteuer für Stufe 0, aber trotzdem erlebt man ein gigantisches Abenteuer. Wie fühlt sich das an, als Spieler und als Spielleiter?
AM: Schwer zu sagen, wie sich das anfühlt. Es macht mir immer wieder Spaß, DCC zu leiten. Ich weiß, dass sich auch erfahrene Spieler nie langweilen, weil immer abgefahrene Dinge passieren. Schnell wird den Spielern klar, dass sie trotz niedriger Stufe und wenigen Trefferpunkten nicht mit Samthandschuhen angefasst werden. Auf Stufe 0 hat jeder Spieler drei bis vier Charaktere, die wahnsinnig schnell sterben. Daniel, du erinnerst dich vielleicht an die allererste Aktion, die in „Sailors“ gemacht wurde.
DN: Ja, das ging nicht gut aus!
AM: Genau. Danach waren alle gewarnt. Man könnte denken, dass die Spannung auf der Strecke bleibt und sich die Spieler nicht mit ihren Charakteren identifizieren, meine Erfahrung ist jedoch, dass immer so viel Ungewöhnliches passiert, dass der „Sense of Wonder“ die Angst um die eigenen Charaktere ersetzt. Spätestens wenn nur noch ein oder zwei Figuren übrig sind, kommt die Spannung von allein.
Ich erinnere mich an ein Abenteuer, in dem wir einen Charakter mit Glück 5 hatten, ein echter Pechvogel. (Anmerkung: Die Werte gehen von 3–18 und Glück ist der einzige Wert, auf den direkt mit 1W20 gewürfelt wird.) Die junge Dame drückte jeden Knopf, den sie fand, und stürmte als erste in jeden Raum. Trotzdem überlebte sie immer und immer wieder, auch die gefährlichsten Situationen, obwohl sie mehrere Male auch auf Glück würfeln musste. Das ist eine Figur, die im Gedächtnis bleibt. Einmal in einem anderen Abenteuer skandierte gegen Ende die gesamte Spielerschaft: „Drück den Knopf! Drück den Knopf!“, als ein einzelner Charaktere vor einer mysteriösen Apparatur stand und überlegte, was er tun sollte. Was mit ihm geschah, will ich hier nicht verraten. Wenn alle am Tisch voll Begeisterung auch die Gefahren für andere Figuren mitverfolgen, heißt das wohl, dass das Abenteuer alles richtig macht.
Falls sich übrigens jemand über die große Anzahl an Knöpfen wundert: Beide Abenteuer hatten Sci-Fi-Elemente. Das ist jedoch Zufall, nur wenige Abenteuer haben das. Als Spieler stehen meine Erfahrungen leider noch aus.
DH: Als Spieler ist sicherlich das Besondere, dass es keine gewöhnlichen Bewegungen gibt, wie man Sie aus anderen Fantasy-Rollenspielen typischerweise auf den Anfangsstufen erlebt. Auch gibt es kein grundlegendes Balancing, welches Begegnungen berechenbar macht. Das macht das Ganze ungemein aufregend und führt auch dazu, dass man alternative Lösungsansätze versucht. Nichts wird geschenkt, alles muss man sich selbst erarbeiten. Umso abenteuerlicher wird das alles natürlich dadurch, dass ein Kampagnenhintergrund impliziert wird, nachdem die den Einwohnern bekannte Welt allenfalls die nähere Umgebung ist. Schon auf den nächsten fünf Kilometern mag ein Abenteuer warten, in dem, auch wenn die eingesetzten Figuren noch so klein sein mögen, eine Schlacht im ewigen Kampf zwischen Ordnung und Chaos geschlagen wird.
Als Spielleiter finde ich es ungemein befreiend, die Spieler bereits von Beginn an das Verlorene Lemuria, die Hohlerde, den Schlund des Leviathans und den Schicksalsberg erkunden zu lassen. Dafür haben die Spieler schon meistens deshalb jeden Anlass, weil schon der Wunsch, einen Zauber des geringsten Grades zu erlernen, die Spieler dazu veranlassen kann – lass mich einmal auf Tabelle 7-1 würfeln –, diesen von den noch immer flüsternden Lippen des großen Zauberers Thaka-khan erlernen zu müssen, dessen Leichnam vor Jahrhunderten unter dem Sand der großen Wüste begraben wurde, und als Preis dafür – Tabelle 7-2 – seine hässliche Tochter geheiratet werden muss. Und dann haben wir noch nicht darüber gesprochen, was passiert, wenn dann der erlernte Zauber einmal gesprochen werden muss …
DN: Bringen gerade die Zufallstabellen den „Sense of Wonder“ an den Spieltisch, weil so ein Wurf eigentlich nie langweilig wird?
DH: Die Zufallstabellen helfen dabei, eine märchenhaft-wundersam-fantastische Hintergrundwelt zu erzeugen, die in und zwischen den Zeilen im Zusammenspiel mit den Illustrationen präsentiert wird. Hier finden sich überall Andeutungen, ohne zu sehr zu konkretisieren. Gerade genug, um Fantasie und Neugier anzuregen.
Und das beginnt schon beim Umschlag. Wir sehen einen Abenteurer oder eine Abenteurerin mit einem fantastischen Langschwert und einem Zauberstecken. Den Blick auf die stoisch dreinblickende steinerne Pforte auf der anderen Seite eines Abgrunds gerichtet und dazu der bekannte Klappentext … Wo kommt sie oder er her, was mag hinter der Pforte lauern, was ist das für ein nebelverhangener Abgrund? Als Spieler weiß ich fast nichts über diese Welt. Ich sehe die fantastischen Bilder, lese, dass Cthulhu zu den neutralen Göttern gehört und dass ich meinen nächsten Zauberspruch in der Bibliothek von Alexandria suchen muss. Und so geht es auch den Charakteren. Es sind die einfachen, unwissenden Bewohner einer mystischen Zeit, die plötzlich in ein Appendix-N-Abenteuer hineingeraten.
AM: Ob es von vornherein Designziel war oder sich aus der Analyse des Appendix N ergeben hat, weiß ich nicht, aber fest steht, dass Unberechenbarkeit ein wichtiger Teil von DCC ist. Zufallstabellen spielen da eine wichtige Rolle. Man schaue sich nur die Zauber an. Wie genau ein Zauber wirkt, hängt vom Probenwurf ab. Das kann zu Chaosmutationen führen, oder einen Zauber so ausufern lassen, dass er nicht nur wie geplant den einen Gegner vor der Gruppe tötet, sondern über viele Räume reicht und vielleicht sogar andere Dinge kaputtmacht. Ich glaube, das ist der Punkt, der die meiste Verwirrung auslöst. Ungefähr die Hälfte des fast 500 Seiten dicken Regelbuchs ist mit Tabellen für die Zauber gefüllt. Das scheint auf den ersten Blick ein Nachteil in einem Spiel zu sein, das prinzipiell einfach und unkompliziert ist. Die Zaubertabellen machen das Zaubern aber jederzeit aufregend und, wie es sich für das chaotische Wesen der Magie gehört, nie 100%ig einschätzbar. Jeder Zauberspruch ist ein Abenteuer für sich.
Das Prinzip der Unvorhersehbarkeit findet sich aber nicht nur in Zufallstabellen wieder. Joseph Goodman verbietet „Monster von der Stange“ in seinen Abenteuern. Kein Gegner ist altbekannt. Standardorks gibt es nicht. So sind auch Gegner spannend, die von den Werten her gar nicht so gefährlich sind.
DN: Ich glaube, es gibt keine Kaufabenteuer, in denen Orks und Goblins vorkommen. Alles hat einen besonderen Anstrich, alles ist eine vertraute Fremde. Ist das die Befreiung von dem ganzen Rollenspielwissen, von der ganzen Erfahrung, die man als Rollenspieler so gemacht hat? Goblins haben 1W6 Trefferpunkte, Metallene Drachen sind Geschöpfe des Guten, es gibt keine Roboter …
AM: So habe ich das noch gar nicht gesehen. Aber ja, irgendwie schon. Wenn ich als Spieler nicht weiß, was mich erwartet, wenn ich kein Monster kenne und auf der ersten Stufe bereits den Höllenarmeen trotzen muss, dann ist das ein wenig wie damals, als ich noch keine Ahnung von Rollenspiel hatte und ohne Erwartungen an ein Abenteuer rangegangen bin.
DH: Ja, und dies betrifft nicht nur die Monster, sondern auch Zaubersprüche, magische Gegenstände, ja sogar „Feats“ und alle anderen D&D-Stellschrauben, die man so kennt, und zwar im Sinne einer bewussten Designentscheidung. Man weiß wenig darüber, was da kommen wird, alles ist möglich, ohne willkürlich zu wirken. Schon auf der ersten Stufe mag einem ein wahnsinnig mächtiger Gegenstand in die Hände fallen und das Regulativ erfolgt dann bevorzugt über die Story. So hassen die Götter einfach jeden, der eine +2 Waffe oder mächtiger mit sich herumträgt, weil er ihnen damit schaden kann. Und da haben wir noch nicht darüber gesprochen, dass magische Gegenstände ganz häufig ihren eigenen Willen haben …
Diese vielen einzelnen Designentscheidungen im Detail haben für mich als Spieler in der Umsetzung immer diesen einen besonderen Zauber transportiert, den neudeutschen „Sense of Wonder“, der für mich persönlich nach Jahrzehnten des Wiederkäuens, zugegebenermaßen nach unzähligen Sitzungen, etwas verloren gegangen war. Und als Spielleiter ist es natürlich eine ungemeine kreative Befreiung, wenn man aus den streng regulierten Umgebungen aktuellerer D&D-Iterationen kommt, weil man einfach viel schneller die PS dort auf den Boden bekommt, wo man staunt und schwärmt, wenn man durch das Handbuch oder die literarischen Vorlagen blättert. Epische Kämpfe gegen Glipkerio the Chronomancer, den Emerald Enchanter oder eine Reise zum Purple Planet, das ist der Stoff, aus dem Träume und Legenden sind.
Okay, ich gerate so ins Schwärmen, ich bin niemandem beleidigt, wenn er jetzt kotzen muss. Ich merke gerade erst, was für ein Fanboy ich da offenbar geworden bin, auch wenn ich anfangs skeptisch war und schon etwas gebraucht habe, die Designentscheidungen zu verstehen.
DN: Genauso wichtig wie der Text und die Regeln ist das Artwork, das untrennbar mit DCC verwoben ist, gerade in Bezug auf Doug Kovacs Covern und Dungeonkarten. Daniel hat ja vorhin das DCC Cover erwähnt. Was ich da noch besonders erwähnenswert finde, ist die Perspektive. Wie bei Caspar David Friedrich (Wanderer über dem Nebelmeer) sehen wir der Person über die Schulter und sehen nicht ihr Gesicht. Im Gegensatz dazu hat das Abenteuer, nämlich die Pforte in den Dungeon, ein Gesicht!
AM: Über die Symbolik könnte man wahrscheinlich stundenlang schwadronieren. Auf jeden Fall ist es so, dass die Charaktere am Anfang weniger „Gesicht“ haben als die Dungeons. Ihre Persönlichkeiten formen sich durch das Spiel – sowohl durch die Regeln (welche Götter begegnen ihnen, welche Zauber lernen sie, …) als auch natürlich durch die Story selbst. Die Abenteuer formen die Legende der Charaktere. Ob das so gemeint ist, wage ich nicht zu raten, aber es passt.
DH: Das ist ein schöner Punkt, den du hier aufgreifst. Denn die Charaktere sind ja zu Beginn auf Stufe 0 nur zufällig ermittelte „Gemeine“ in einer grob mittelalterlichen Umgebung. Ob nun Abtrittanbieter oder Wahrsagerin, ich denke, jeder Spieler und jede Spielerin dürfte sich in die Figuren von der Zufallstabelle hineinversetzen können, wenn sie in ein fantastisches Abenteuer gezogen werden, wie gut durch die ein oder andere Illustration wiedergegeben.
AM: Das Artwork ist für mich untrennbar mit DCC verbunden. Auch wenn es wie erwähnt nicht jedermanns Sache ist (und sein kann), hat die Optik einen ganz eigenen, rohen und überraschenden Charme. Er passt wahnsinnig gut zum Rest. Die Karten – ich denke, da werden mir auch diejenigen zustimmen, die den Rest weniger mögen – sind toll. Es gibt auch abseits der reinen Raumanordnung immer etwas zu entdecken.
DH: Ja, die Karten und Bodenpläne transportieren auch auf einer bewusst nicht realistischen Ebene die Stimmung der Abenteuer auf inspirierende Weise.
AM: Man kann das nur schwer beschreiben, aber der Stil ist schon sehr genau durchdacht. Er spiegelt wider, was DCC ausmacht, er ist sonst nirgendwo zu finden und er ist auffällig. Das Cover von Sailors on a Starless Sea hat mich damals sofort gepackt. Es ist bunt, grell, abgedreht, oldschoolig und strahlt den Wahnsinn aus, den das Abenteuer ausmacht. Ob es hübsch ist, muss wohl jeder selbst entscheiden, aber ich kann mir kaum denken, dass es jemanden kaltlässt.
DH: Gerade die Maps sollte man durchaus (vergrößert) herauskopieren und am Spieltisch verwenden. Ich habe den Eindruck, dass der künstlerische Ansatz weitgehend verhindert, dass das Ganze zu einem brettspielartigen Figurengeschiebe verkommt und auch für Spieler durchaus fantasieanregend ist.
DN: DCC hat ganz deutlich einen besonderen Stil und wie Andreas sagt: Er lässt einen nicht kalt! In einem Interview habe ich gehört, dass die grellen Farben den Pulp-Magazinen Tribut zollen. Gerade das erwähnte Sailors on a Starless Sea, mit dem quietschgelben Cover, ist klassisch für kaufanreizende Pulp-Magazin-Cover, die am Zeitungsstand Aufmerksamkeit erregen mussten. Mein derzeitiger Favorit dürfte wohl das Cover von Peril on the Purple Planet sein. Wie schaut es bei euch aus?
DH: Ich liebe die Detailarbeit in The 998th Conclave of Wizards. Ein Zauberer mit einer dämonischen Pfeife, deren grellorange leuchtender Rauch sich zu einem Dämon mit Pfeife formt … Genial! Die ganz neuen Cover von Sanjulian bringen natürlich einen frischen Wind in die Sammlung. Der Stil von The Tower of Faces und The Queen of Elfland’s Son gefällt mir schon besonders gut.
DN: Die Magier der Konklave sind wirklich was Besonderes: Einer ist sogar ein Zauberbuch! Das ist genau die Art von seltsam, die ich bei DCC besonders mag. Beim Purple Planet mag ich allein schon das Farbspektrum und die ganzen unterschiedlichen Pilze (die sogar alle Spielwerte besitzen)!
AM: Sailors hatte ich ja schon erwähnt. Das Cover selbst finde ich sehr gelungen. Bei mir macht häufig die Farbgebung den Unterschied, ob ich ein Cover besonders gut finde oder nicht. The Emerald Enchanter gefällt mir sehr gut. Frozen in Time und The One Who Watches From Below sind ebenfalls beeindruckende Cover (und ganz nebenbei auch herausragende Abenteuer). Und zu guter Letzt muss ich Daniel H. darin zustimmen, dass The Queen of Elfland’s Son ein Beispiel für einen tollen, ebenfalls passenden Stil ist.
DN: Alles gute Abenteuer! Vielen Dank für die ausführlichen Antworten, ich bin sicher, das war nicht das letzte Gespräch zu Dungeon Crawl Classics.
Der Beitrag Ein Gespräch mit Andreas und Daniel über Dungeon Crawl Classics erschien zuerst auf .
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Daniel Hoffmann: Und Danke an dich, Daniel, dass ich bei diesem Projekt dabei sein darf. Es ist in der Tat auch für mich etwas ganz Besonderes. Was macht es zu etwas Besonderem? Jetzt muss ich wirklich aufpassen, dass ich mich nicht in einem vielseitigen Sermon ergehe.
Dungeon Crawl Classics packt mich einfach auf so vielen Ebenen und weckt am Ende des Tages genau dieses Gefühl, dieses märchenhafte, sagenhafte, abenteuerliche Unbekannte ist einfach da, welches mich ursprünglich gepackt hat, als wir in den Neunzigern zum ersten Mal das Advanced Dungeons & Dragons Triumvirat Spielerhandbuch, Handbuch für Spielleiter und Monsterkompendium aufschlugen und drauflosspielten. Was mochte hinter der nächsten Biegung auf uns lauern? In jedem Fall unbekannte, fantastische Abenteuer! Dieses Gefühl ist wieder da.
Das liegt vor allem daran, dass es das Spiel schafft, mit einer klaren Orientierung an den literarischen Ursprüngen von D&D, dem sogenannten Appendix N, ein weitgehend den grundlegenden, klassischen D&D-Regelmechaniken verpflichtetes Spiel zu generieren, ohne dass dadurch der Zauber durch irgendeine implizierte „In-Game-Physik“ und Berechenbarkeit verloren geht. Wem etwa D&D in seinen letzter Iteration etwas fad und langweilig, ja schon fast herzlos vorkommt, wird wissen, was ich meine. Die klare Orientierung am Appendix N, also den Werken von Fritz Leiber, Michael Moorcock, H. P. Lovecraft aber auch Robert E. Howard sieht sich das Regelwerk verpflichtet und transportiert dies mit fast jeder Zeile. Den schlanken Regelmechanismen gelingt es, dieses Spielgefühl zu unterstützen und die Spielwelt auch vor dem Regelhintergrund plausibel erscheinen zu lassen.
Das Ganze wird dabei unterstützt mit Illustrationen, die eben nicht den einfachen realistischen (böse Zungen würden sagen kitschigen) Weg gehen, den wir von anderen Rollenspielen kennen, sondern vielschichtige, oftmals künstlerisch, vielleicht auf den ersten Blick einfach wirkende Illustrationen, die mit Details das Besondere an dieser fantastischen Welt transportieren und Impetus für die eigene Kreativität geben.
Andreas Melhorn: Es ist schön, dabei sein zu dürfen. Ich freue mich riesig, zum deutschen DCC etwas beitragen zu können.
Wenn ich die Frage mit einem Satz beantworten müsste, würde ich wohl Folgendes sagen: Es ist das unterhaltsamste Spiel, das ich kenne.
Alle Spielrunden, die ich bisher hatte, waren spannend, chaotisch und witzig. Wir haben immer viel gelacht, was meiner Meinung nach ein wichtiger Teil eines guten Spielabends ist. Man merkt DCC in jeder Zeile an, dass es von Grund auf dazu entwickelt wurde, Spaß am Spieltisch zu machen. Die Abenteuer tragen einen großen Teil dazu bei. Sailors on a Starless Sea (wir haben uns noch nicht entschieden, wie die deutsche Version heißen wird) ist eines der unterhaltsamsten Abenteuer, die ich je geleitet habe.
Die Stimmung des Appendix N, die das Spiel anstrebt, ist ebenfalls gut eingefangen, finde ich. Egal, ob es abgefahrene Gottheiten oder völlig chaotische Magie sind. Was mich aber damals dazu brachte, das Spiel zu kaufen, war die Bebilderung. Ich mag diese bunten Coverbilder. Ich mag den Stil, auch wenn er etwas ungewöhnlich ist. Die Innenillus bieten immer etwas zu entdecken und untermalen die Stimmung der Abenteuer.
DN: Auf die Optik von DCC kommen wir gleich noch zu sprechen, werfen wir zunächst noch einen Blick auf den Text. Der Appendix N ist wichtig für die Entwicklung des Spiels. Joseph Goodman beschreibt, dass er bei der Gestaltung von DCC zurück zu den Wurzeln des Rollenspiels gegangen ist, also zu den Geschichten, die Gary Gygax selbst inspiriert haben. Welche Geschichten und Autoren inspirieren euch und sind die Geschichten noch immer gut?
DH: Meine eigenen Abenteuer sind immer wieder von Robert E. Howards Conan-Episoden, die man sicherlich nicht näher vorstellen muss, und den in Lankhmar angesiedelten Erzählungen von Fritz Leiber inspiriert. Dort begegnet einem in jeder Geschichte etwas, das unmittelbaren Eingang in unser heutiges Verständnis von D&D-Fantasy gefunden hat, ob es nun Mörder- und Diebesgilden, mächtige Priester, magische Rituale, Zauberer, die in Türmen wohnen, oder Barbarenstämme im Norden sind.
Und das gilt natürlich auch für die Charaktere, die man spielt!
Bei den von mir bereits gelesenen Werken fand ich wirklich faszinierend, dass man bei jedem einzelnen Buch merkt, wie es die Vorstellung von Fantasy, wie sie die D&D-Regelwerke seit jeher transportieren, beeinflusst hat. Und eigentlich alle sind erfrischend anders als die allseits bekannte Tolkien-Fantasy – die aber natürlich ebenso im Appendix N gelistet ist, wie andere Klassiker wie Moorcock, Lovecraft und Zelazny.
Zeitlos großartig sind natürlich auch John Bellairs Das Gesicht im Eis, wo zwei Hexenmeister gegen einen finsteren Zauberer und sein Werk antreten, oder Dunsanys Die Königstochter aus Elfenland, wo wir mit ausdrucksstarken Beschreibungen ein Elfenland kennenlernen, in dem die Zeit unberührt im ewigen Frühsommer stillsteht und für Menschen nicht leicht einzuordnende, fremdartige Elfen, Trolle und Einhörner leben. Die dortigen Themen, wie das Reisen zwischen ganz verschiedenen Welten, Konfrontation mit Eigenheiten ihrer Bewohner und Kulturen, das Spielen mit der Zeit, Unberechenbarkeit von Zauberei, sie alle spiegeln sich auch in den zu DCC publizierten Abenteuern wider.
Man findet kein „Fäntelalter mit Goblins“, dafür umso mehr Sword & Sorcery, aber auch Genre-Mashups.
Zu den Wurzeln von Letzterem bin ich leider noch nicht gekommen, also den Fantasy-/Sci-Fi-Crossovern von Fred Saberhagen, Jack Vance, Philip José Farmer usw., sind aber schon (antiquarisch) besorgt und warten im Regal.
AM: Die Geschichten des Appendix N sind heute noch absolut lesenswert. Ich habe im Zuge der DCC-Vorbereitungen angefangen, einige davon auszugraben und (erneut) zu lesen. Tolkien hat einen so starken Einfluss auf die moderne Fantasy, dass man häufig dazu geneigt ist, ihn als selbstverständlich hinzunehmen. Man betritt eine neue Art der Fantasy, wenn man sich wieder an die alten Sachen macht. Man muss nur damit leben, dass dort ein paar Klischees geschaffen wurden, die einem heute zwangsläufig altbacken erscheinen. Das sind aber immer nur einzelne Details. Was ich sehr mag ist die Tatsache, dass die Genres noch nicht so stark getrennt waren. Da war auch schon mal ein wenig Sci-Fi in meiner Fantasy. Das ist bei der heutigen strickten Trennung sehr erfrischend.
Seit ich Dreiherz von Poul Anderson kenne, verstehe ich endlich das Gesinnungssystem. Den Amber-Zyklus lese ich gerade zum ersten Mal (siehe auch Blaupausen: hier und hier) und die große Herrscherfamilie mit ihren Fehden und Intrigen ist einfach großartiges Abenteuer-Futter. Jack Vance und seine sterbende Erde ist immer wieder aufs neue lesenswert und gibt vermutlich gleich Dutzende Ideen für Abenteuer, Monster und coole Weltdetails. Conan und Lankhmar gehen ebenfalls immer, auch wenn ich gestehen muss, dass ich bei beiden gerade erst in die originalen Geschichten einsteige. Kane, der Verfluchte hab ich als Teenager geliebt. Den muss ich unbedingt mal wieder lesen.
DCC fängt diese etwas anderen, nennen wir sie „ursprünglicheren“ Ideen sehr gut ein, sowohl in den Regeln als auch in den Abenteuern. Es ist rau und böse, chaotisch und witzig. Das mag ich sehr, denn es bringt Spannung und Spielspaß.
DH: Oh ja, Amber entdecke ich auch gerade (in der exzellent gelesenen Hörbuchausgabe) für mich.
Wo Andreas gerade die allgemein in Appendix N transportierte und von DCC aufgenommene Stimmung anspricht: Es wird nicht erst bis zu einer höheren Stufe gewartet, um unerwartete, großartige, dimensionsübergreifende Abenteuer zu erleben, sondern die unbedarften Protagonisten werden von Anfang an in episches Getümmel geworfen, betreten nicht einfach einen Goblinbau, sondern treten in Kontakt zu Göttern und denjenigen, die schon alt waren, als die Götter noch jung waren … Auf Stufe 1 zum Dienst an den Hof des Chaos’ gerufen zu werden, das ist DCC.
AM: Ja stimmt, sogar auf der 0. Stufe, wenn die Charaktere Glück (oder Pech, ganz wie man es nimmt) haben. Aber dann haben die Spieler ja ein paar mehr davon.
DN: Ein guter Punkt! DCC geht sofort in den Frontalangriff, hält sich nicht mit Banalitäten auf den ersten Stufen auf, sondern entwickelt konsequent ein Gefühl von echtem Abenteuer. Eines der besten Szenarien überhaupt ist Sailors on a Starless Sea, mit dem Andreas mir DCC auf der Hannover Spielt Convention gezeigt hat. Ein Abenteuer für Stufe 0, aber trotzdem erlebt man ein gigantisches Abenteuer. Wie fühlt sich das an, als Spieler und als Spielleiter?
AM: Schwer zu sagen, wie sich das anfühlt. Es macht mir immer wieder Spaß, DCC zu leiten. Ich weiß, dass sich auch erfahrene Spieler nie langweilen, weil immer abgefahrene Dinge passieren. Schnell wird den Spielern klar, dass sie trotz niedriger Stufe und wenigen Trefferpunkten nicht mit Samthandschuhen angefasst werden. Auf Stufe 0 hat jeder Spieler drei bis vier Charaktere, die wahnsinnig schnell sterben. Daniel, du erinnerst dich vielleicht an die allererste Aktion, die in „Sailors“ gemacht wurde.
DN: Ja, das ging nicht gut aus!
AM: Genau. Danach waren alle gewarnt. Man könnte denken, dass die Spannung auf der Strecke bleibt und sich die Spieler nicht mit ihren Charakteren identifizieren, meine Erfahrung ist jedoch, dass immer so viel Ungewöhnliches passiert, dass der „Sense of Wonder“ die Angst um die eigenen Charaktere ersetzt. Spätestens wenn nur noch ein oder zwei Figuren übrig sind, kommt die Spannung von allein.
Ich erinnere mich an ein Abenteuer, in dem wir einen Charakter mit Glück 5 hatten, ein echter Pechvogel. (Anmerkung: Die Werte gehen von 3–18 und Glück ist der einzige Wert, auf den direkt mit 1W20 gewürfelt wird.) Die junge Dame drückte jeden Knopf, den sie fand, und stürmte als erste in jeden Raum. Trotzdem überlebte sie immer und immer wieder, auch die gefährlichsten Situationen, obwohl sie mehrere Male auch auf Glück würfeln musste. Das ist eine Figur, die im Gedächtnis bleibt. Einmal in einem anderen Abenteuer skandierte gegen Ende die gesamte Spielerschaft: „Drück den Knopf! Drück den Knopf!“, als ein einzelner Charaktere vor einer mysteriösen Apparatur stand und überlegte, was er tun sollte. Was mit ihm geschah, will ich hier nicht verraten. Wenn alle am Tisch voll Begeisterung auch die Gefahren für andere Figuren mitverfolgen, heißt das wohl, dass das Abenteuer alles richtig macht.
Falls sich übrigens jemand über die große Anzahl an Knöpfen wundert: Beide Abenteuer hatten Sci-Fi-Elemente. Das ist jedoch Zufall, nur wenige Abenteuer haben das. Als Spieler stehen meine Erfahrungen leider noch aus.
DH: Als Spieler ist sicherlich das Besondere, dass es keine gewöhnlichen Bewegungen gibt, wie man Sie aus anderen Fantasy-Rollenspielen typischerweise auf den Anfangsstufen erlebt. Auch gibt es kein grundlegendes Balancing, welches Begegnungen berechenbar macht. Das macht das Ganze ungemein aufregend und führt auch dazu, dass man alternative Lösungsansätze versucht. Nichts wird geschenkt, alles muss man sich selbst erarbeiten. Umso abenteuerlicher wird das alles natürlich dadurch, dass ein Kampagnenhintergrund impliziert wird, nachdem die den Einwohnern bekannte Welt allenfalls die nähere Umgebung ist. Schon auf den nächsten fünf Kilometern mag ein Abenteuer warten, in dem, auch wenn die eingesetzten Figuren noch so klein sein mögen, eine Schlacht im ewigen Kampf zwischen Ordnung und Chaos geschlagen wird.
Als Spielleiter finde ich es ungemein befreiend, die Spieler bereits von Beginn an das Verlorene Lemuria, die Hohlerde, den Schlund des Leviathans und den Schicksalsberg erkunden zu lassen. Dafür haben die Spieler schon meistens deshalb jeden Anlass, weil schon der Wunsch, einen Zauber des geringsten Grades zu erlernen, die Spieler dazu veranlassen kann – lass mich einmal auf Tabelle 7-1 würfeln –, diesen von den noch immer flüsternden Lippen des großen Zauberers Thaka-khan erlernen zu müssen, dessen Leichnam vor Jahrhunderten unter dem Sand der großen Wüste begraben wurde, und als Preis dafür – Tabelle 7-2 – seine hässliche Tochter geheiratet werden muss. Und dann haben wir noch nicht darüber gesprochen, was passiert, wenn dann der erlernte Zauber einmal gesprochen werden muss …
DN: Bringen gerade die Zufallstabellen den „Sense of Wonder“ an den Spieltisch, weil so ein Wurf eigentlich nie langweilig wird?
DH: Die Zufallstabellen helfen dabei, eine märchenhaft-wundersam-fantastische Hintergrundwelt zu erzeugen, die in und zwischen den Zeilen im Zusammenspiel mit den Illustrationen präsentiert wird. Hier finden sich überall Andeutungen, ohne zu sehr zu konkretisieren. Gerade genug, um Fantasie und Neugier anzuregen.
Und das beginnt schon beim Umschlag. Wir sehen einen Abenteurer oder eine Abenteurerin mit einem fantastischen Langschwert und einem Zauberstecken. Den Blick auf die stoisch dreinblickende steinerne Pforte auf der anderen Seite eines Abgrunds gerichtet und dazu der bekannte Klappentext … Wo kommt sie oder er her, was mag hinter der Pforte lauern, was ist das für ein nebelverhangener Abgrund? Als Spieler weiß ich fast nichts über diese Welt. Ich sehe die fantastischen Bilder, lese, dass Cthulhu zu den neutralen Göttern gehört und dass ich meinen nächsten Zauberspruch in der Bibliothek von Alexandria suchen muss. Und so geht es auch den Charakteren. Es sind die einfachen, unwissenden Bewohner einer mystischen Zeit, die plötzlich in ein Appendix-N-Abenteuer hineingeraten.
AM: Ob es von vornherein Designziel war oder sich aus der Analyse des Appendix N ergeben hat, weiß ich nicht, aber fest steht, dass Unberechenbarkeit ein wichtiger Teil von DCC ist. Zufallstabellen spielen da eine wichtige Rolle. Man schaue sich nur die Zauber an. Wie genau ein Zauber wirkt, hängt vom Probenwurf ab. Das kann zu Chaosmutationen führen, oder einen Zauber so ausufern lassen, dass er nicht nur wie geplant den einen Gegner vor der Gruppe tötet, sondern über viele Räume reicht und vielleicht sogar andere Dinge kaputtmacht. Ich glaube, das ist der Punkt, der die meiste Verwirrung auslöst. Ungefähr die Hälfte des fast 500 Seiten dicken Regelbuchs ist mit Tabellen für die Zauber gefüllt. Das scheint auf den ersten Blick ein Nachteil in einem Spiel zu sein, das prinzipiell einfach und unkompliziert ist. Die Zaubertabellen machen das Zaubern aber jederzeit aufregend und, wie es sich für das chaotische Wesen der Magie gehört, nie 100%ig einschätzbar. Jeder Zauberspruch ist ein Abenteuer für sich.
Das Prinzip der Unvorhersehbarkeit findet sich aber nicht nur in Zufallstabellen wieder. Joseph Goodman verbietet „Monster von der Stange“ in seinen Abenteuern. Kein Gegner ist altbekannt. Standardorks gibt es nicht. So sind auch Gegner spannend, die von den Werten her gar nicht so gefährlich sind.
DN: Ich glaube, es gibt keine Kaufabenteuer, in denen Orks und Goblins vorkommen. Alles hat einen besonderen Anstrich, alles ist eine vertraute Fremde. Ist das die Befreiung von dem ganzen Rollenspielwissen, von der ganzen Erfahrung, die man als Rollenspieler so gemacht hat? Goblins haben 1W6 Trefferpunkte, Metallene Drachen sind Geschöpfe des Guten, es gibt keine Roboter …
AM: So habe ich das noch gar nicht gesehen. Aber ja, irgendwie schon. Wenn ich als Spieler nicht weiß, was mich erwartet, wenn ich kein Monster kenne und auf der ersten Stufe bereits den Höllenarmeen trotzen muss, dann ist das ein wenig wie damals, als ich noch keine Ahnung von Rollenspiel hatte und ohne Erwartungen an ein Abenteuer rangegangen bin.
DH: Ja, und dies betrifft nicht nur die Monster, sondern auch Zaubersprüche, magische Gegenstände, ja sogar „Feats“ und alle anderen D&D-Stellschrauben, die man so kennt, und zwar im Sinne einer bewussten Designentscheidung. Man weiß wenig darüber, was da kommen wird, alles ist möglich, ohne willkürlich zu wirken. Schon auf der ersten Stufe mag einem ein wahnsinnig mächtiger Gegenstand in die Hände fallen und das Regulativ erfolgt dann bevorzugt über die Story. So hassen die Götter einfach jeden, der eine +2 Waffe oder mächtiger mit sich herumträgt, weil er ihnen damit schaden kann. Und da haben wir noch nicht darüber gesprochen, dass magische Gegenstände ganz häufig ihren eigenen Willen haben …
Diese vielen einzelnen Designentscheidungen im Detail haben für mich als Spieler in der Umsetzung immer diesen einen besonderen Zauber transportiert, den neudeutschen „Sense of Wonder“, der für mich persönlich nach Jahrzehnten des Wiederkäuens, zugegebenermaßen nach unzähligen Sitzungen, etwas verloren gegangen war. Und als Spielleiter ist es natürlich eine ungemeine kreative Befreiung, wenn man aus den streng regulierten Umgebungen aktuellerer D&D-Iterationen kommt, weil man einfach viel schneller die PS dort auf den Boden bekommt, wo man staunt und schwärmt, wenn man durch das Handbuch oder die literarischen Vorlagen blättert. Epische Kämpfe gegen Glipkerio the Chronomancer, den Emerald Enchanter oder eine Reise zum Purple Planet, das ist der Stoff, aus dem Träume und Legenden sind.
Okay, ich gerate so ins Schwärmen, ich bin niemandem beleidigt, wenn er jetzt kotzen muss. Ich merke gerade erst, was für ein Fanboy ich da offenbar geworden bin, auch wenn ich anfangs skeptisch war und schon etwas gebraucht habe, die Designentscheidungen zu verstehen.
DN: Genauso wichtig wie der Text und die Regeln ist das Artwork, das untrennbar mit DCC verwoben ist, gerade in Bezug auf Doug Kovacs Covern und Dungeonkarten. Daniel hat ja vorhin das DCC Cover erwähnt. Was ich da noch besonders erwähnenswert finde, ist die Perspektive. Wie bei Caspar David Friedrich (Wanderer über dem Nebelmeer) sehen wir der Person über die Schulter und sehen nicht ihr Gesicht. Im Gegensatz dazu hat das Abenteuer, nämlich die Pforte in den Dungeon, ein Gesicht!
AM: Über die Symbolik könnte man wahrscheinlich stundenlang schwadronieren. Auf jeden Fall ist es so, dass die Charaktere am Anfang weniger „Gesicht“ haben als die Dungeons. Ihre Persönlichkeiten formen sich durch das Spiel – sowohl durch die Regeln (welche Götter begegnen ihnen, welche Zauber lernen sie, …) als auch natürlich durch die Story selbst. Die Abenteuer formen die Legende der Charaktere. Ob das so gemeint ist, wage ich nicht zu raten, aber es passt.
DH: Das ist ein schöner Punkt, den du hier aufgreifst. Denn die Charaktere sind ja zu Beginn auf Stufe 0 nur zufällig ermittelte „Gemeine“ in einer grob mittelalterlichen Umgebung. Ob nun Abtrittanbieter oder Wahrsagerin, ich denke, jeder Spieler und jede Spielerin dürfte sich in die Figuren von der Zufallstabelle hineinversetzen können, wenn sie in ein fantastisches Abenteuer gezogen werden, wie gut durch die ein oder andere Illustration wiedergegeben.
AM: Das Artwork ist für mich untrennbar mit DCC verbunden. Auch wenn es wie erwähnt nicht jedermanns Sache ist (und sein kann), hat die Optik einen ganz eigenen, rohen und überraschenden Charme. Er passt wahnsinnig gut zum Rest. Die Karten – ich denke, da werden mir auch diejenigen zustimmen, die den Rest weniger mögen – sind toll. Es gibt auch abseits der reinen Raumanordnung immer etwas zu entdecken.
DH: Ja, die Karten und Bodenpläne transportieren auch auf einer bewusst nicht realistischen Ebene die Stimmung der Abenteuer auf inspirierende Weise.
AM: Man kann das nur schwer beschreiben, aber der Stil ist schon sehr genau durchdacht. Er spiegelt wider, was DCC ausmacht, er ist sonst nirgendwo zu finden und er ist auffällig. Das Cover von Sailors on a Starless Sea hat mich damals sofort gepackt. Es ist bunt, grell, abgedreht, oldschoolig und strahlt den Wahnsinn aus, den das Abenteuer ausmacht. Ob es hübsch ist, muss wohl jeder selbst entscheiden, aber ich kann mir kaum denken, dass es jemanden kaltlässt.
DH: Gerade die Maps sollte man durchaus (vergrößert) herauskopieren und am Spieltisch verwenden. Ich habe den Eindruck, dass der künstlerische Ansatz weitgehend verhindert, dass das Ganze zu einem brettspielartigen Figurengeschiebe verkommt und auch für Spieler durchaus fantasieanregend ist.
DN: DCC hat ganz deutlich einen besonderen Stil und wie Andreas sagt: Er lässt einen nicht kalt! In einem Interview habe ich gehört, dass die grellen Farben den Pulp-Magazinen Tribut zollen. Gerade das erwähnte Sailors on a Starless Sea, mit dem quietschgelben Cover, ist klassisch für kaufanreizende Pulp-Magazin-Cover, die am Zeitungsstand Aufmerksamkeit erregen mussten. Mein derzeitiger Favorit dürfte wohl das Cover von Peril on the Purple Planet sein. Wie schaut es bei euch aus?
DH: Ich liebe die Detailarbeit in The 998th Conclave of Wizards. Ein Zauberer mit einer dämonischen Pfeife, deren grellorange leuchtender Rauch sich zu einem Dämon mit Pfeife formt … Genial! Die ganz neuen Cover von Sanjulian bringen natürlich einen frischen Wind in die Sammlung. Der Stil von The Tower of Faces und The Queen of Elfland’s Son gefällt mir schon besonders gut.
DN: Die Magier der Konklave sind wirklich was Besonderes: Einer ist sogar ein Zauberbuch! Das ist genau die Art von seltsam, die ich bei DCC besonders mag. Beim Purple Planet mag ich allein schon das Farbspektrum und die ganzen unterschiedlichen Pilze (die sogar alle Spielwerte besitzen)!
AM: Sailors hatte ich ja schon erwähnt. Das Cover selbst finde ich sehr gelungen. Bei mir macht häufig die Farbgebung den Unterschied, ob ich ein Cover besonders gut finde oder nicht. The Emerald Enchanter gefällt mir sehr gut. Frozen in Time und The One Who Watches From Below sind ebenfalls beeindruckende Cover (und ganz nebenbei auch herausragende Abenteuer). Und zu guter Letzt muss ich Daniel H. darin zustimmen, dass The Queen of Elfland’s Son ein Beispiel für einen tollen, ebenfalls passenden Stil ist.
DN: Alles gute Abenteuer! Vielen Dank für die ausführlichen Antworten, ich bin sicher, das war nicht das letzte Gespräch zu Dungeon Crawl Classics.
Der Beitrag Ein Gespräch mit Andreas und Daniel über Dungeon Crawl Classics erschien zuerst auf .
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