Caitlin war wie erstarrt, eben noch war sie überzeugt gewesen, es mit dem Wesen aufnehmen zu können und hätte bei ihrem Versuch zu Kiera zu gelangen ohne zu zögern den ganzen Berg in Schutt und Asche gelegt. Und nun? Was, wenn er nicht log? Was wenn er tatsächlich das Leben von Kiera und den anderen in der Hand hatte? Durfte sie überhaupt wagen, daran zu zweifeln, dass er die Wahrheit sprach und wirklich die Macht dazu hatte oder brachte sie Kieras Leben mit ihrem Zweifel in Gefahr? Für einen Augenblick war aus der Regentin kein vernünftiger Gedanke herauszuholen und die anderen sprangen dankenswerterweise ein und erkauften ihr einige wichtige Sekunden um sich zu entscheiden. Dass das Wesen so klar in Gedanken mit ihr sprach, war ein Beleg für seine Macht. Caitlin war seit über hundert Jahren eine Geisteswissenschaftlerin und niemand durchdrang ohne gewisse Anstrengung ihren mentalen Panzer, davon war sie restlos überzeugt. Sie verwarf Drohungen, Schweicheleien und ging die Fakten durch.
Das Wesen hatte eine boshafte Aura. Es gab vor seine Ruhe haben zu wollen, die Vampire würden es stören. Aber nicht nur die Vampire auch die Garou, die hier lebten, waren dem Wesen offenbar ein Dorn im Auge. Dennoch waren sie hier. Er hätte längst die Pfeiler zum einstürzen bringen lassen können, um sie zu vertreiben. Hat er aber nicht, also will er es nicht. Eine leere Drohung. Vermutlich will er etwas beschützen war im Berg verborgen war. Wie kam es dass das Museum soweit fertig gestellt war, bevor die Arbeiten abgebrochen worden sind? Dass er dafür verantwortlich war, daran zweifelte Caitlin nicht. Also werden sie ihn im Laufe ihrer Arbeiten irgenwie befreit haben. Haben sie eine Kammer geöffnet, die hätte verschlossen bleiben sollen? Aber das war ein anderes Thema und interessierte sie im Augenblick nicht die Bohne. Der Schutzkreis der Angst im Eingangsbereich hat vielleicht für die Arbeiter und harmlosen Wanderer funktioniert, nicht aber für jemanden, der ein echtes Ziel hatte hier hinein zu kommen. Sehr verwirrend und eine schwere Entscheidung, beinhaltete es nicht nur sie selbst, sondern auch alle anderen im Raum. Doch sie musste antworten, daran führte kein Weg vorbei.
Dann dachte sie klar: "Deine Ansichten sind verständlich und nachvollziehbar und dein Vorwurf magelnder Etiquette berechtigt. Im Moment kämpfen meine Schwester und Ihre Gefährten jedoch womöglich bereits gegen diese Wolfsmenschen und stecken in Schwierigkeiten. Solange du nicht dafür garantieren kannst, dass sie den Kampf gewinnen und lebend herauskommen, werde ich nicht weichen. Ob sie jetzt sterben, weil der Pfeiler einstürzt oder weil die Garou sie zerfleischen. Wo ist der Unterschied? Kannst du es garantieren? Besitzt du überhaupt diese Macht? Warum hat dein Schutzkreis uns nicht davon abgehalten, deine Hölen zu betreten? Warum sind die Werwölfe noch in deinem Reich und nennen es ihr Zuhause, wenn sie dich so stören und nicht respektieren? Ich biete dir unsere Mitarbeit an. Arbeiten wir zusammen. Du bist die Werwölfe los und alle Vampiere der Stadt. Niemand wird dich weiter behelligen, wenn es dein Wunsch ist. Auch wenn wir in deinen Augen nichts weiter als Ungeziefer sind, die dein Haus verseuchen, ist die Seuche nicht vielmehr bereits da gewesen? Vielleicht sind wir ja nur Ameisen, die ein wenig aufräumen?!"
Irgendwie kam sie nicht umhin einen Gedanken nachzuschieben, auch wenn er gar nicht an das Wesen gerichtet war, sondern ihr vielmehr durch den Kopf schoss: "Und wenn wir alles ins Gras beißen, dann sind wir bei dem Versuch gestorben meine Schwester und unseren Prinzen da rauszuholen. Wofür könnte es sich mehr lohnen zu sterben?!" Sie hatte nach ihren Möglichkeiten gekämpft. Fakten und Manipulationen zusammen gezogen und ihm dabei einen ehrenhaften Ausweg geboten. Was hätte sie sonst noch tun können, außer nachgeben und damit ihr Blut zu verraten? Sie war bereit und gewissenlos genug, die anderen mit reinzuziehen. Die Entscheidung ihr Unleben zu riskieren, hatten sie alle schließlich bereits auf dem Liftparkplatz getroffen. Wer trat gegen wahnsinnige Garou an, wenn er nicht bereit war zu sterben?!
Nach außen blieb sie ruhig wie ein Stein. Haltung bewahrend und still. Sie schien in absoluter Konzentration zu sein. Warum sagte sie bloß nichts. Die Zeit dürfte den anderen sehr lang werden, denn von ihrem Entscheidungskampf hatte niemand etwas mitgekommen, der nicht ihre Gedanken las.