AW: [10.10.] Vorbereitungen IIa)
Richards Blick in Jennys Seele zeigte vor allem eines:
Leere!
Trotzdem war es keine Einsamkeit.
Die Bilderflut die über den Toreador hereinbrach zeigte ein Wesen das sich selbst, freiwillig, an den Rand de Gesellschaft begeben hatte. In jeder Szene stand Jenny allein, am Rand gesellschaftlicher Ereignisse. Auf der Straße stehend blickte sie in heller erleuchtete Fenster hinter denen sich Familienleben, Freundschaften und Liebesszenen abspielten. Sie war allein, nicht weil sie allein sein musste, sondern weil sie sich der Gesellschaft nicht mehr zugehörig fühlte.
Trotzdem bewegte sie sich natürlich auch innerhalb der kainitischen Gemeinschaft. Sie besuchte ihr geliebtes Hovel, die Anarchenfabrik, die Kanalisation tief unter der Erde. Wann immer sie das jedoch tat, trug sie ihre Maske. Einen Schutz, den sie über ihre Seele gezogen hatte und der sie trotz aller Nähe zu anderen Lebewesen von ihnen abschirmte. Jetzt plötzlich wurde Richard auch klar, warum sich die Caitiff so sehr mit den Nosferatu verbunden fühlte. Sie war nicht nur durch diesen Clan gerettet, aufgenommen und erzogen worden. Sie war sogar genau wie sie. Nur eben das sie ihre Maske nicht äußerlich trug, sondern tief in ihrem Inneren. Die Ähnlichkeiten gingen tiefer als selbst Lurker es sich je hätte vorstellen können. Die Nosferatu versteckten ihr missgestaltetes Gesicht hinter einer vorgegaukelten, erträglicheren, Maske die es anderen erlaubte freier mit den entstellten Kindern dieses Clans umzugehen. In erster Linie, aber auch um sich selbst zu schützen. Wie oft wurden die körperlich Versehrten, die Hässlichen, Ziel von Hohn, Spott und Ausgrenzung? Bei Jenny verhielt es sich ähnlich! Nur eben, dass sie nicht ihr entstelltes Gesicht zu schützen versuchte, sondern ihre narbenübersäte Seele. Zum Schutze für sich selbst, aber auch für die anderen – damit niemand gezwungen war in diese dunklen Untiefen menschlichen Geistes zu blicken.
Der Körper des Toreador nahm beinahe nebensächlich war, wie sie sich ihm näherte. Zu sehr war sein Geist in der Flut von Bildern gefangen. Jennys drahtiger Körper drückte sich an den seinen. Ihre Umarmung war innig, kraftvoll, voller Leidenschaft. Richard spürte ihren festen Busen und ihren durchtrainierten Muskeln. Das leichte Beben das sie durchlief. Ihre Lippen trafen die seinen, ihre Zunge fand den Weg in seinen Mund um ihn fordernd, lustvoll und hingebungsvoll zu erforschen. Seine eigenen Gedanken prallten an Jennys Empfindungen ab, wie an einer Betonmauer. In ihrem Herz war kein Platz für etwas anderes als das was in dieser Sekunde in ihr hochkochte....
Die Bilder wechselten.
Liebe war plötzlich der hervorstechendste Eindruck der schnell wechselnden Szenen. Eine Liebe, die so groß, so vollkommen war, dass Richard selbst niemals für möglich gehalten hätte, dass etwas Derartiges überhaupt denkbar sein könnte. Zu welch gigantischen Gefühlen dieses kleine Mädchen imstande war. Fast schmerzlich musste der Toreador erkennen, dass nicht er das Ziel dieser unbeschreiblichen Zuneigung war. Er wusste dass Jenny ihn gern hatte, sehr gern, aber wie sehr verblasste jede Empfindung in Gegenwart dieser einen Person. Tom! So war sein Name. Jennys Herz machte einen Sprung vor Glück wenn ein Lächeln über sein Gesicht gehuscht war. Jede seiner Berührungen, selbst ein kurzes Streicheln seiner Hand über ihre Finger war bedeutungsvoller und intensiver als jeder Sex mit einem anderen Mann. Jenny blühte auf in der Nähe des Mannes – ihres Mannes. Der einen Person an die sie unwiederbringlich ihr Herz verloren hatte und der noch heute häufig in ihren Träumen vorbeischaute und sie im totenähnlichen Tagesschlaf vor Glückseligkeit lächeln ließ. Das Gefühl dieser einen Liebe, schnürte Richard die Kehle zu. Hatte er jemals etwas derart Großes fühlen dürfen?
Jennys Gedankenwelt brach über ihm zusammen und nun mischten sich weitere Gefühle hinzu. Sehnsucht gewann an Bedeutung! Unendliche Sehnsucht! Und sie brachte etwas Dunkles mit sich.
Etwas Schreckliches, dass so erschütternd und fürchterlich war das alle Sinne des Toreador darum schrien sich von den Empfindungen der Caitiff losreißen zu dürfen…
FLIEH!