AW: [05.05.2008] Jemand da?
„Na das ist doch hervorragend, dann muss ich nicht hier auf dem Gang herumstehen. Danke! Und ich gebe dann Asgar diese komische Karte, klar. Also ich mag auch richtige Schlüssel lieber.“
Lilly nahm die Karte und öffnete damit die Tür zu Asgars Zimmer. Noch wohnte er ja nicht selbst darin, also war es nicht wie ein Eindringen in eine fremdes Zimmer.
Und da Rothschild sie nicht in seine eigene Suite einlud wollte er offenbar allein sein. Auch gut, dann hatte sie Zeit die Mappe auszufüllen. Aber als erstes würde sie noch kurz ihren Ghul nach Finstertal pfeifen.
„Falls wir uns heute nicht mehr sehen – gute Tagesruhe“, wünschte Lilly dem Malkavianer und blieb zunächst bei geöffneter Tür stehen und blickte nachdenklich auf die Tür des Raumes, in dem sich gerade die beiden Männer befanden, wegen denen sie beschlossen hatte in Finstertal zu bleiben.
Sie wollte in Asgars Nähe sein um möglichst gut auf ihn Acht geben zu können. Sie war es ja gewesen, die ihn „aufgelesen“ hatte, das war als hätte sie ein ausgesetztes Baby im Weidenkorb gefunden. Sie fühlte immer stärker mütterliche Gefühle durchbrechen, sie fühlte sich mitverantwortlich für ihn und wollte ihn beschützen. Körperlich konnte er sich gut selbst beschützen, aber ansonsten war er noch ein absolutes Baby und den Manipulationen anderer Kainskinder ausgeliefert. Er war noch total naiv, unbedarft und arglos gegenüber anderen Kainskindern, er hatte noch nicht diese typische Verschlagenheit und Falschheit.
Und da lief er jetzt in Gefahr von anderen ausgenutzt zu werden.
Und ja, sie blieb auch wegen der Geissel hier. Auch an dem Typen hatte sie einen Narren gefressen. Leider? Sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie sich wünschte ihn zu küssen.
Das kann doch wohl nicht wahr sein!
Das war ihr schon lange nicht mehr passiert. Sie wehrte sich dagegen. Wie lange war es her, dass Sie zuletzt mit einem Mann intim gewesen war? Und es genossen hatte?
Das war lange her. Und dann jetzt so was. Warum ausgerechnet der? Weil er Ihrer großen Liebe so ähnlich sah? Nun ja, er sah aus wie eine etwas ältere Version von Mongabe, der damals 18 gewesen war als er gestorben war. Und wieder bekam sie Wut auf ihren Vater. Wie hatte er ihr so was antun können?! Sie hatte ihren Vater doch geliebt, und ausgerechnet dieser Mensch hatte dafür gesorgt, dass ihr Liebster ins Gefängnis gesteckt und dort zu Tode geprügelt wurde. Nur weil er schwarze Haut hatte. So jemanden hatte sie also nicht lieben dürfen. Und ihr Vater hatte es als eine Schande gesehen, dass seine Tochter von einem Schwarzen geschwängert worden war.
Dieser Mistkerl hatte ihr das Baby weggenommen. Einen einzigen Blick nur hatte sie auf ihre Tochter werfen können, nicht ein einziges Mal hatte Lilly sie in den Armen halten können.
Es war ein so mieses Gefühl jemanden zu hassen, den man einst geliebt hatte. Am liebsten hätte sie den Kerl umgebracht, aber sie hatte es nicht getan, da er ihr Vater war. Doch sie hatte ihn nie wieder sehen wollen.
Wegen ihm war sie auf und davon. Vorbei war´s dann mit dem Luxusleben. Gut so!
Sonst wäre ihr Leben doch reichlich öde gewesen. Verheiratet mit einem reichen Weißen und dann Hausfrau und Mutter spielen. Nein, danke. Da war sie wirklich aus anderem Holz geschnnitzt als dass ihr so ein biederes Leben hätte gefallen können. Aber es wäre schön gewesen, wenn sie ihre Tochter hätte behalten können.
Die Geissel wollte doch garantiert keine Lovestory. Danach sah der wirklich nicht aus.
Aber man musste ja nicht gleich sentimental werden. Das wollte sie doch gar nicht, nee, doch nicht bei dem. Wahre Liebe unter Kainiten gab´s doch eh nicht.
Aber warum nicht etwas Spaß miteinander haben. O.K., Sex war jetzt nicht mehr wirklich dasselbe wie früher, man musste da erst seinen Körper ankurbeln quasi. Aber die Berührung nackter Haut konnte immer noch sehr schön sein.
Mit ihm wäre es schön, ganz sicher. Und wenn er nicht wollte? Doch da war sie zuversichtlich und grinste.
Den werde ich schon noch rumkriegen.
So hässlich war sie ja nun auch wieder nicht. Bisher wusste sie aber leider nicht einmal den Vornamen von dem Typen.
Und außerdem musste sie aufpassen was er mit Asgar anstellte. Vielleicht wollte er Asgar formen, ihn einspannen, ihn sich gefügig machen. War ja jetzt eine gute Gelegenheit, denn solange Asgar noch nicht offiziell Gangrel war, da hatte die Geissel die Verantwortung für ihn. Das passte Lilly überhaupt nicht, und ob der Typ wohl mit sich reden ließ, dass auch sie sich um Asgar kümmern durfte? Na toll, wenn sie da dann um Erlaubnis betteln musste, gab´s da wirklich keine andere Möglichkeit?
Lilly nahm ihr Handy hervor, Tobias wäre jetzt sicher nicht sehr angetan aus dem Bett geklingelt zu werden, aber der sollte sich mal nicht so anstellen.
Nach siebenmal Klingeln ging er dann schließlich dran. Sie ignorierte seine verschlafene Stimme und hielt sich gar nicht erst lange mit Vorreden auf, und auch nicht mit einer Begrüßung
„Du kommst heute noch nach Finstertal. Such dir ne Wohnung und für mich auch eine, also insgesamt zwei.“
Sie schaute in der Mappe nach und nannte ihm das Gebiet wo die Wohnungen sein sollten. Die sollten ja dann am besten in Brujah Gebiet sein. Dann hatte sie zur Sicherheit eine zweite Zuflucht, war ja nicht gut jede Nacht in derselben Zuflucht zu verbringen.
Und wenn er bis heute Abend die Wohnungen nicht besorgt hatte, schlecht für ihn, aber das brauchte sie nicht hinzuzufügen, das war ihm auch so klar.
Nein, Tobias war es nicht gewohnt mit Samthandschuhen angefasst zu werden von Lilly. Er war froh über jede Zuwendung, und da sie recht selten wirklich nett zu ihm war genoss er es umso mehr wenn sie ihn mal lobte.
„Und äh, mein Job?“
„Na was denn – lass dich versetzen. Das wirst du wohl noch hinkriegen. Morgen bin ich erstmal beschäftigt, und wenn ich fertig bin melde ich mich. Falls ich mich bis Morgengrauen nicht melde, gibt´s mich nicht mehr."
Dass sie das so ungerührt sagen konnte! Tobias war noch nicht sonderlich lange Ghul und hatte ziemliche Angst um Lilly, wenn sie sich auf was Gefährliches einließ. Wenn sie bloß nicht umkäme Morgen.
„Und dann?“
„Dann lebst du eben wieder ohne mich. Es wird zuerst weh tun, aber das schaffst du schon. Und Du haust dann eben wieder ab aus Finstertal. Es weiß ja dann noch niemand dass du hier bist, also wird man auch nicht nach dir suchen.“
Das fehlte noch, dass die Geissel Tobias abmurkste, das hatte ihr Tobi nun wirklich nicht verdient, er war ja ganz passabel bisher.
Und gut für ihn, dass er keiner dieser alten Ghule war, die dann augenblicklich zu Greisen wurden oder starben, wenn ihr Domitor vernichtet wurde. Er hätte dann höchstens zwei drei Fältchen mehr.
„Aber könnte auch sein, dass ich dann in Starre bin", fügte sie hinzu.
Oh bloß nicht! Wenn sie in Schadensstarre war, das hieße ja, sie würde dann wahrscheinlich von Enio, falls er dann noch existierte, Blut bekommen damit sie wieder aufwachte, und an den Alten wollte sie nun wirklich nicht gebunden sein.
„Kannst also ruhig ne weitere Nacht abwarten.“
Jetzt aber genug gelabert.
„Bis Morgen dann, oder auch nicht.“
Lilly legte auf. Dann machte sie die Tür des Zimmers ein wenig auf und warf einen Blick auf den Gang. Die waren wohl noch zugange im Seminarraum, also nahm sie sich doch mal die blöde Mappe vor. Was die da wohl wieder alles wissen wollten, ächz.
Sie holte sich einen Stuhl heran und setzte sich so, dass sie aus den Augenwinkeln die Tür des Seminarraums sehen konnte. Die kamen also nicht da raus ohne dass Lilly was davon mitbekam.
Mist, sie hätte mal besser ihr Adressbuch mitgenommen, die wollten doch bestimmt alle möglichen Kontaktadressen haben wo man sich über Lilly erkundigen konnte. Na ja, konnte sie ja später noch nachtragen.