AW: Warum DSA nicht Aventurien abbildet
Ja, ich halte Savage Worlds für viele Abenteuer in Aventurien für geeigneter und Hero Wars auch.
Und andere spielen in Aventurien mit Risus, D20, GURPS oder anderen Regelsystemen.
Mein Eindruck: für BESTIMMTE Arten in Aventurien zu spielen sind diese anderen Regelsysteme einfach besser ausgelegt, besser fokussiert.
Warum? Aventurien ist für mich ein Fantasy-Pulp-Setting. Die Anfänge sind wild aus allen Genres zusammenkopiert, man macht schon mal einen Abstecher per Raumschiff oder Stargate auf fremde Planeten, begleitet Phileasson Foggwulf 80 Wochen um die Welt, hält einen Plausch mit Bandalf dem grauen Magier oder wandelt auf den Spuren von Odysseus.
Alles mit der Lizenz, es als Spieler so richtig schön heldenhaft krachen zu lassen. Und trotz der Bemühungen "seriöser" und eigenständiger zu werden, wird Aventurien das nicht so schnell los.
Wenn hier auch nur für EINEN Aventurien-Fan dieses Aventurien ein Pulp-Fantasy-Setting, unverschämt zusammengeklaubt und zusammengeklaut, ist, dann ist das eine legitime Sichtweise. - Wenn diese Sichtweise NICHT von den DSA4-Regeln unterstützt wird, dann passen sie nicht auf diese Sicht auf Aventurien und es kommt zu Unzufriedenheiten.
Das ist Pulp in Reinkultur und damit ein Heimspiel für Savage Worlds. Ich denke, das muß ich hier nicht weiter ausführen.
Oder eben D20 oder Risus oder andere mehr in "groben Pinselstrichen" und mehr auf Action ausgelegte Regelsysteme.
Hero Wars eignet sich meiner Meinung nach ebenso dafür, da es mit seiner hohen Abstraktion den Spielfluß nicht durch Kleinkrämerei stört und mit der Unterscheidung Einfacher Wettstreit / Erweiterter Wettstreit ermöglicht die spannenden Konflikte schön breit auszutragen und die unwichtigen schnell abzuhandeln, ohne dafür Wagenladungen an Sonderregeln zu bemühen.
HeroQuest/HeroWars nimmt jedenfalls den Begriff "Held" ernst und schreibt ihn GROSS. - Man spielt dort HELDEN. - Aller Kleinkram, den ein "rechter Held ohne hin kann", der erfordert nicht einmal die Anwendung von Regelmechanismen, da das die Helden eben automatisch erfolgreich können. - Einfachere Konflikte werden kurz (mit einem Wurf) abgehandelt, und nur die "guten Stellen" der Geschichte, nur die wichtigen Gespräche, die bedeutsamen Kämpfe, die bewegenden Liebeserklärungen werden GROSS UND BREIT abgehandelt.
Für Aventurien-Fans, die zwar immer noch Charaktere spielen wollen, denen auch bei jedem Kampf Konsequenzen drohen, die aber mehr Action und mehr Überlebenswahrscheinlichkeit für Helden gegenüber Normalos erwarten, für diese ist ein Action-System wie D20 oder Savage Worlds sicherlich eine gute Möglichkeit in ihrem Lieblings-Setting auf die Art zu spielen, die ihnen am meisten Spaß macht.
Für Aventurien-Fans, die "Großes Kino" mögen, die HELDEN (wie von den Coverbildern der DSA-Produkte) spielen wollen, für die ist ein erzählorientiertes Regelsystem wie HeroQuest/HeroWars sicher besser geeignet, als das zum Erbsenzählen neigende DSA4-System, aber auch als ein eher taktisch ausgerichtetes Savage Worlds. - Wer es ERNST meint mit der "Guten Geschichte (tm)", der wird von HQ/HW da bestens unterstützt.
Und - wie ich in diesem Thread ja schon einmal sagte - eine RISUS AVENTURIEN Umsetzung hätte etwas enorm Interessantes: klar herausgearbeitete Aventurien-Klischees. Das ist das FUNDAMENT eines jeden Settings.
Damit einher geht, daß ich Savage Worlds und Hero Wars handwerklich gut gelungen und Hero Wars als Regelkonstrukt sogar ausgesprochen schön finde.
Mein Eindruck aus der hiesigen Diskussion ist, daß DSA4 durchaus ein paar "handwerkliche Mängel" aufweist, die von den meisten Gruppen SELBST durch Hausregelungen (und eine Regel zu ignorieren ist, wenn man das als regelmäßige Praxis im Konsens der Gruppe macht, auch eine Hausregel) behoben oder vermieden werden.
Handwerkliche Mängel wird JEDES einigermaßen regel-komplexe System haben (und auch manche weit weniger komplexen, ja geradezu minimalistischen Systeme haben solche Mängel sogar in besonders starkem Maße!). - Die Frage ist nur, wie sehr diese Mängel einen ärgern. - Ist es zu aufwendig sie zu "hausregeln"? Sind sie KERNKONZEPTE des Regelwerks und somit ständig präsent und nicht einfach zu ändern?
Mein Eindruck aus diesem Thread ist, daß es - je nach Gruppe - mehr wahrgenommene Probleme mit "Kleinkram", d.h. durch simple (oder mäßig komplexe) Hausregeln in den Griff zu bekommende Regelelemente gibt, als daß an wirklich grundsätzlichen Regelkernelementen Probleme gesehen werden.
Am auffälligsten fand ich das Umkommen bei Lebensenergieverlust. Da scheint mir eine aus einer vornehmlich taktisch-herausfordernden Sichtweise gestaltete Regel (wem DIE kritischste Resource ausgeht, der ist halt tot) in Konflikt mit dem WUNSCH mehr cinematisch-heroisch zu spielen (d.h. NICHT-taktisch-sportlich, sondern erzählungsgetrieben) kollidiert.
Gibt es noch mehr solcher eher grundlegenderen Kritikpunkte?
Und zumindest die handwerkliche Güte ist für ein Regelwerk nötig, bevor es überhaupt versuchen kann, eine bestimmte Welt abzubilden.
Das sehe ich anders. - Man KANN mit einem denkbar schlecht, lückenhaft und widersprüchlich produzierten Regelwerk eine ganze FÜLLE von Rollenspielwelten erspielen. - AD&D 1st Edition.
Es ist nur die Frage, OB es einen stört, und WORAN man sich am Regelwerk stört.
Für mich erscheint es so, daß die große (schweigende) Mehrheit der auf Aventurien spielenden Rollenspieler sich eben NICHT WESENTLICH an DSA4 stören. - Sie nehmen es hin und spielen trotz mancher Ecken und Kanten irgendwie weiter.
Klar ginge es ihnen vielleicht leichter von der Hand, klar wären nicht umfangreiche Hausregelungen nötig, klar hätten sie mehr auf ihrer Interessenslinie liegende Erlebnisse im Spiel, wenn sie ein anderes "Betriebssystem" für Aventurien nähmen. - Aber ein Umstieg (wie der Savage Aventurien Thread zeigt) ist nicht leicht, wenn man sich neben der Spielwelt und dem alten Regelsystem auch noch in die DENKWEISE, die einem als Filter durch das Regelsystem aufgestülpt wurde, eingefahren hat. - Andere Regelsystem "ticken anders". Deutlich anders.
Ein Wechsel von DSA4 nach HQ/HW ist geeignet einen echten KULTURSCHOCK auszulösen. Genauso bei DSA4 nach SW. Oder DSA4 nach Risus.
Das muß man sich immer auch noch überlegen, wenn man überlegt die alte Spielwelt zu behalten und mit einem neuen Regelsystem zu bespielen.