AW: SF RPGs - ein paar Gedanken
Bei Fantasy erübrigen sich Erklärungen des Aussehens, der Bedienung und der Funktionsweise der "Alltagstechnik",
Weit gefehlt. - Warum sonst stellen ausgearbeitete Fantasy-Kulturen, die eben ANDERS als mit einer "Mittelalter-Markt-Idylle" daher kommen, eine z.T. ERHEBLICHE Einstiegshürde für die Spieler (und den Spielleiter) dar?
Es ist doch EGAL, ob es sich um eine Kultur, deren Sitten, Gebräuche, technische Lösungen, usw. FREMDARTIG zu unserer heutigen 2008er-Mitteleuropa-Umgebung sind. - Wenn man es ERNST meint mit der Darstellung fremder Kulturen, dann wird es IMMER schwierig. Auch heute, auch bei zeitgenössischen Rollenspielen.
Wenn man Cthulhu Ende der Zwanziger Jahre in Deutschland spielt, und ein Spieler möchte gerne mit seinem Handy die Polizei anrufen, dann weiß man, wie problematisch schon allein das Zurückversetzen um 80 Jahre ist. - Was war denn damals so Sitte und Gebrauch? Was war technologisch bereits gängig verfügbar, was hat man grundsätzlich anders gemacht (man denke mal nur daran, wie sich die Nichtverfügbarkeit heutiger Haushaltsgeräte wie Waschmaschine, Kühlschrank, usw. auswirkt).
Das ist bei Fantasy, die ja absichtsvoll unhistorisch ist, jedoch überall Anleihen bei historischen Vorbildern nimmt, noch viel schlimmer! Man hängt ob der anachronistischen Zusammenstückelung von "das wirkt halt irgendwie mittelalterlich, das paßt schon"-Elementen völlig in der Luft. - Fantasy kommt oft als Flickwerk wie ein "Mittelalter"-Markt daher, d.h. mit "Wikingern", "Landsknechten", Böllerschützen des Trachtenvereins, Plastikgepanzerten Stunt-Rittern aus Film und Fernsehen, und Ritterspielern mit unterschiedlich peinlichen Aufzügen. DAS ist der Fantasy-Mix, der mindestens seit Anfang der Siebziger üblich ist.
Woher soll denn in diesem Kuddelmuddel der einzelne Spieler wissen, was geht, wie es geht, und wie die Basistechnologie funktioniert? - NICHTS weiß man da. Man nimmt sich das, was man kennt (Filme, Romane, Comics, Computerspiele) und füllt damit die Lücken so aus, daß man auch als Spieler selbst sagen kann "paßt schon".
Das ist auch bei heute angesiedelten Rollenspielen wie WoD oder UA der Fall. Wer nicht in den USA aufgewachsen ist und die dortigen "Beliebtheitswettläufe" an den High Schools mitgemacht hat, der VERSTEHT manche US-Szenarien völlig anders als das eigentliche Zielpublikum, US-Rollenspieler. - Kann man deswegen keine US-Szenarien mehr spielen? - Doch. Man kann. Aber man WIRD sie ANDERS spielen. Und das macht auch nichts. Man kennt hier "Die USA (tm)" aus den Medien, allen voran dem Fernsehen und dem Kino. Was wir alles nicht wissen, das flicken wir selbst schnellstens mit dem, was wir im Fernsehen gesehen haben. "wie das dort drüben so ist".
Und das macht man auch mit Sci-Fi. - Es gibt wirklich SEHR WENIGE Sci-Fi-Autoren, die es schaffen eine fremdartige Kultur WIRKLICH fremdartig rüberzubringen, wo man als Leser mit dem Verstehenwollen und dem zu verstehen Versuchen am Ringen ist. - Die meisten packen doch so oder so nur ihren Hinz und ihren Kunz in ein Kostüm, einen schillernden "Sci-Fi-Anzug" und lassen sie so agieren, wie man es heutzutage eh machen würde.
Und das ist auch verständlich. - Denn die Bücher sollen ja die Leser NICHT vor den Kopf stoßen und im Leser eine Distanz aufbauen, die dazu führt, daß er von diesem Buch und ggf. von diesem Autor oder gar von diesem Verlag die Nase voll hat. - Diese Bücher MÜSSEN sich verkaufen. Sie brauchen daher AKZEPTANZ der Leser.
Das trifft in gleichem Maße auf Sci-Fi-Rollenspiele zu.
Wenn Otto Normalspieler ein Sci-Fi-Rollenspiel mit seinen Kumpels spielen möchte, dann muß er als Spieler bald genug ins Spiel finden, daß er seinen Spaß hat. - Befremdet ihn das Spiel, sorgt es dafür, daß er sich innerlich von seinem Charakter, der Spielwelt, dem betreffenden Rollenspiel verabschiedet, dann wird er (und nicht allein er) nächste Woche vorschlagen doch mal wieder eine gemütliche Runde DSA oder D&D zu spielen. Das kennt er und da kommt er schnell rein.
Das ist der Erfolgsfaktor von Traveller. Die vielen Welten haben Techlevel und Sozialstrukturen, die irdischen Vorbildern (auch aus der Sci-Fi-Literatur bekannten) entsprechen, die man kennt, die man versteht, und die einem den Einstieg in dieses Universum erleichtern.
Traveller mag heute altbacken wirken. - Aber "Innovation" an sich ist KEINE spielspaßfördernde Eigenschaft eines Rollenspiels.
Anders als in der Sci-Fi-und-Fantasy-Literatur im englischsprachigen Raum, wo Sci-Fi VOR Fantasy lange Zeit die dominierende Rolle gespielt hat, war es im Rollenspiel seit den Anfängen eher umgekehrt.
Eskapismus? Daran denkt doch NIEMAND bewußt, der sich für Rollenspiele als Hobby interessiert. - Der will nur einfach mal was ANDERES sein und tun als im heutigen Normalo-Alltag. Schwerter schwingen ist (für die meisten) ziemlich anders. In einer Raumstation im Jahre 2556 herumzusitzen und dort den korrekten Lauf der Energieversorgung zu überwachen ist genauso öde wie dies im Jahre 2008 bei einem Energieversorgungsunternehmen zu tun. - Da fehlt das Wundersame, das Begeisternde.
Wie schätzt ihr denn den Anteil an zeitgenössisch plazierten Rollenspielen im Vergleich zu Sci-Fi-Rollenspielen ein? Daß Fantasy einen weit höheren Anteil hat, darüber besteht, meine ich, Konsens.
Ich habe den Eindruck, daß ein zeitgenössisches Rollenspiel, welches OHNE Übernatürlichkeiten (Vampire, Magie, Werwölfe, Psionik, Monster, usw.) daher kommt, schlichtweg nicht interessant ist. - Daher packen fast ALLE "modernen" Rollenspielsettings ihre Kiste mit Übernatürlichkeiten aus. nWoD hat ihre Magier, Vampire, und andere Monster. UA hat ihre Adepten und Avatare und anderes Gelichter. D20 Modern hat seine Fantasy-Ausrichtung.
Ohne das ÜBER-Natürliche wäre nämlich da Natürliche zu langweilig.
Gleiches Phänomen im Western-Setting. - Es gibt zwar in absoluten Zahlen nicht so viele, aber doch zahlreiche Western-Rollenspiele. Doch die Vertreter, die sich um einen historisch halbwegs akkuraten, nicht cinematisch (damit quasi-übernatürlich!) verfremdeten Westen bemühen, sind gering in Anzahl und werden so gut wie nicht gespielt. - Gespielt wird Western mit Magie, mit Steampunk, mit Horror, mit Werwölfen, mit cthulhoiden Monstern, mit Aliens, mit ...
Wer mit einem gerne wissenschaftlich ausgesprochen gut fundierten Hard-Sci-Fi-Rollenspiel ankommt, welches im Idealfalle von den Spieler NICHT erwartet, daß sie einen Physik-, Chemie-, Astronomie-, Geologie-, und diverse andere Abschlüsse gemacht haben, um "korrekt" in der Spielwelt mitspielen zu können, der wird TROTZDEM auf geringes Interesse stoßen. - Es ist zu wenig BESONDERES an solch einem Rollenspiel.
Die Handys heutzutage stellen jeden StarTrek-Kommunikator in den Schatten. Wir LEBEN in der ZUKUNFT. - Rollenspiele wie Shadowrun, Cyberpunk oder erst recht Traveller wurden von der IT-Technikentwicklungsgeschwindigkeit schlichtweg abgehängt. - Was bleibt einem Sci-Fi-Rollenspielautoren dann noch übrig?
Fantasy in Space!
Technik ist soweit fortgeschritten, daß sie einfach so funktioniert und NIEMAND mehr eine Erklärung braucht. - Damit wären wir bei Space Operas und Pulp-Sci-Fi angelangt. Schwerter und Plasmawaffen. - Das Übernatürliche kommt mit anderer Verkleidung daher: Magie? Haben wir nicht, wir haben Psionik, die "Macht (tm)", "Nanoroboter", oder was auch immer. - Magie eben.
Ist Sci-Fi zu nah dran am nächsten Apple-Produkt, das jeder haben will, ist es nicht WEIT WEG genug für längeres Rollenspielerinteresse (denn der kauft sich das Apple-Teil nächsten Monat oder in einem halben Jahr per Ebay - und dann hat er es; keine Sci-Fi, sondern heutiger Stand der Technik).
Somit MUSS Sci-Fi weit weg oder weit daneben plaziert sein.
Doctor Who zeigt das ja. Man KANN in vielen Varianten heutiger Alltagssettings spielen, wenn man immer etwas neues, schräges Übernatürliches oder Extraterrestrisches (oder beides) einbaut. Und das bleibt auch nach 45 Jahren noch interessant.
Firefly ist ein Sci-Fi-Mäntelchen, welches manche Plot-Vehikel bereitstellt, was aber letztlich auf eine Mississippi-Steamer-Crew kurz nach dem Bürgerkrieg abbildbar ist. Western mit anderem Schokoguß. KEINE Sci-Fi.
Shadowrun ist Fantasy. Und zwar noch viel näher am D&D-Klischee des Leute-umhauens-und-deren-Wertsachen-raubens, als das manchen vielleicht bewußt ist. Die SR-SCs sind solche Aussätzigen der Gesellschaft, wie es D&D-SCs wären, wenn sie das täten, was ihnen die absichtsvoll ignorierenden D&D-Kritiker vorwerfen, daß sie es täten.
Das ganze "Transhuman"-Thema stellt KEINE "Revolution" in der Sci-Fi dar. Im Gegenteil. Das ist Aufgekochtes aus den 50er-Jahren. (Wie auch Cyberpunk nur 50er-Jahre-Sci-Fi im Netzhemd und mit New Wave Musik im Neonlicht ist.)
Was hingegen quer durch ALLE Genres interessant bleibt, ist die menschliche Interaktion. Das Soziale. - Und hier hat Firefly und Buffy und Heroes eben etwas zu bieten, was UNABHÄNGIG von dem Genre-Anstrich die Leute interessiert.
So auch bei entsprechenden Rollenspielen.
Sci-Fi ist ständig "da" gewesen. Sci-Fi war nie weg vom Fenster. - Sci-Fi fand und findet nur nicht so viele Interessenten wie Fantasy. Das ist ein zu erwartendes Phänomen einer Zeit des Technikpessimismus.
Rollenspielautoren sind Kinder ihrer Zeit (und ihres Herkunftslandes).
StarTreks Anfänge sind Kalter Krieg pur. Damals sahen die Klingonen noch wie die wodka-statt-wasser-trinkenden Kommies aus und der gute All-American-Hero haut ihnen die "Democracy" mit seinen beiden bloßen Fäusten in die Fresse. Das ist Sci-Fi. Endlich kann man mal die Bösen desintegrieren! Yeehaw!
Raumpatroullie kennt und verwendet ohne zu zögern "Overkill". Auch hier die Infiltration, Verrat, Kalter Krieg überall.
Und Perry Rhodans Anfänge sind natürlich auch geprägt vom Kalten Krieg (nebst dem Entdecken neuer Welten und neuer Feinde der Menschheit und ihrer nützlichen
Idioten Verbündeten).
Komischerweise hat sich StarTrek aber eine begeisterte Anhängerschar quer durch alle nachfolgenden, weichgespülten "PC"-gehirngewaschenen Versionen behalten können. Und PR ist DIE Sci-Fi-Erfolgsgeschichte schlechthin.
Sci-Fi als Genre in Büchern, Filmen, Fernsehen geht. Und es geht gut.
Ich kann keinen "gefühlten Mangel" an Sci-Fi-Rollenspielen erkennen. Und auch keinen Mangel an regeltechnischen Neuerungen (so verwendet ja das Starblazer Adventures Rollenspiel, auf Basis der englischen Comics aus den 70ern und 80ern, die Fate3-Mechanik, die erst mit SotC richtig publik wurde). - Traveller MUSS NICHT Innovation um jeden Preis bieten. Traveller bietet ohnehin soviel Anwendungsbreite für unterschiedliche Interessen (von ausgedehnten Raumschlachten von Großverbänden bis hin zum durchs All hopsenden Space-Cowboy). Es ist geradezu ein "generisches", wenn auch nicht universelles, Sci-Fi-Rollenspiel.
Daß es als solches nicht die SPEZIAL-Eigenschaften von thematisch enger gefaßten Rollenspielen hat, sollte nicht verwundern. - Diese thematischen One-Trick-Ponies haben aber noch lange nicht die DAUERBEGEISTERUNGSFÄHIGKEIT bei Rollenspielern bewirkt, die sich Traveller rühmen darf.
Was die "Innovationen" anbetrifft: Wenn ich mir anschaue, was allein DIESES Jahr an NEUEN oder Wiederaufgelegten bzw. übersetzten alten Fantasy-Rollenspiel-Schinken, Heartbreakern, oder Noch-nicht-einmal-Heartbreakern herauskommt, dann bin ich doch sehr froh, daß die Qualtität der dieses Jahr bei mir auf dem Schirm befindlichen Sci-Fi-Rollenspiele für ein verdammt gutes Verhältnis zur Quantität spricht. Die Fantasy-Rollenspiele, die praktisch jeder Rollenspielverlag irgendwo im Dutzend billiger in der Schublade hat, oder die einzelne ambitionierte Sich-gerne-Autor-nennen-Wollende in ihren Schubladen horten, die können gerne weiterhin unveröffentlicht bleiben.
Was da durch die Publikationserleichterungen der heutigen Zeit an überflüssigem Rollenspiel-SPAM auf den Markt kommt, ist nicht gerade ein gutes Zeichen - vor allem nicht gut für den Überblick der jeweiligen Autoren über ihr eigenes Hobby.
Sollte die Sci-Fi man unter solch einer Schwemme an überflüssiger Rohstoff- und Zeitverschwendung leiden, dann - aber ERST DANN - wäre ein solcher Lamentier-Thread wie dieser hier angebracht.