AW: Maskerade vs. Requiem
Sollte Religion nicht immer Selbstzweck sein?
Nein.
Abgesehen davon ist "Erlösung" vielleicht auch einfach nicht das rechte Wort... die LS sehen sich selbst als Heilige, als Erwählte Gottes. Es geht ihnen ja nicht darum, etwas zu werden, sondern darum, Status Quo zu begründen, zu rechtfertigen und zu glorifizieren.
Oh bitte,
Deus lo vult hat doch schon 74 in Masada nicht mehr gezogen, erst das Draufsetzen der römischen Greultaten und das Versprechen auf Erlösung führte zum gewünschten Ergebnis.
Ein Gott, der nichts zu bieten hat, wenn man an ihn glaubt, hat es schwer auf dem Markt der Religionen. Das war übrigens auch einer der Pluspunkte des frühen Christentums. Und überhaupt, wenn ich per Definition zu den Auserwählten gehöre, aber mein praktizierter Glaube oder Unglaube keine Belohnung oder Bestrafung durch den Gott zu Folge hat, dann kann es mir auch egal sein was die Gemeinde von mir denkt. Das ist so ähnlich wie mit den Katholiken, nachdem man getauft wurde, damit kommt man per Definition nach dem Tod ins Reich Gottes. Ob man dem Verein danach den Rücken kehrt oder nicht ist egal.
Ich kann mir schon vorstellen, dass das auf einige Jungvampire anziehender wirkt als so manche Menschwerdungsideologie des OD oder auch viele CM-Weltanschauungen.
Menschwerdung im OD? Damit begibt man sich auf sehr dünnes Eis, um nicht zu sagen in direkten Konflikt mit der Ideologie der meisten Drachen. Die Ideologie spricht von der Überwindung des Vampirsmus, aber die Annahme, daß dies die Wiedererlangung des Menschseins ist, ist falsch. Es geht eher um die Erschaffung des Übervampirs. Menschen sind minderwertig, Vampire sind unvollkommen, nur die Weiterentwicklung des Vampirs wird vollkommen sein. Ein Drache, der danach strebt wieder zum Menschen zu werden, dürfte entweder aus dem Bund fliegen oder gleich vernichtet werden, da er keine Fortschritte macht sondern nur Rückschritte. Jetzt kann man natürlich widersprechen und sagen der OD ist nicht einheitlich und irgendwo gibt es Drachen, die daran arbeiten. Klar gibt es die, aber jeder Bund definiert sich über eine Ideologie, die von der Mehrheit der Mitglieder akzeptiert wird und die Betrachtung irgendwelcher Randgruppen oder Splittergruppen, die eine andere Ansicht haben, ändert nichts daran, was die Mehrheit glaubt. In der LS gibt es auch Gruppen, die Erlösung anbieten, sowie Menschwerdung oder eine sehr christliche Auslegung des Glaubens der LS. Das ändert aber nichts daran, was die Mehrheit der Heiligen glaubt.
Die Erwähnung der CM und Jungvampire ist genauso ein interessanter Punkt. Per Definition der Rahmenbedingungen des Spiels ist davon auszugehen, daß es sich bei diesen um Leute aus Nordamerika oder Westeuropa handelt, die erst jüngst zu Vampiren wurden. Nun stellt sich die Frage wie gläubig Menschen aus diesem Kulturkreis und dieser Zeit sind und wie sehr sie an ein Leben in demokratischen Verhältnisen gewöhnt sind. Ich stelle jetzt die Behauptung auf, daß die Ideen der CM der Übertragung von menschlichen Verhältnisen auf die Untoten solchen Leuten noch am nähsten ist, sofern es zu mindestens entfernt an demokratische Entscheidungsfindung erinnert. Denn die Alternativen erscheinen aus diesem Blickwinkel wenig verlockend: "Pseudowissenschaft" dürfte als Spinnerei abgetan werden, heidnische Praktiken und blutige Rituale dürften jemanden mit hoher Menschlichkeit abschrecken und eine dunkle Vampirkirche, die alles was man vielleicht mal über Gott und die Welt gehört hat bis ins Unkenntliche verzerrt erscheinen wenig attraktiv. Der Invictus könnte noch eine gewisse Anziehung ausüben, sofern er nicht zu feudal geprägt ist. Erfolg durch Leistung dürfte Otto-Normal-Verbraucher nicht fremd sein. Wenn der Invictus sich nun noch ein Aussehen gibt, was an die moderne Geschäftswelt erinnert und weniger an Ritter und Lehnsherrn, dann dürfte es dem Jungvampir nicht schwer fallen sich einzuleben. Gerade wenn er vorher ein Karierremensch war.
Ich halte es jedenfalls für unwahrscheinlich, daß nur weil man zum Vampir, plötzlich die spirituelle Erkenntnis kommt und man sich den geistigen Bünden zu wendet. Sicherlich gibt es Menschen, die in so einer Situation so zu Glauben finden, aber wenn etwas da ist, was zu mindestens vertraut aussieht, dann wird sich die Mehrheit dort hin wenden.
Ich persönlich würde mich jedenfalls lieber als ein Heiliger denn als Verfluchter sehen.
Das kann jeder sehen, wie er will, aber das ist der Unterschied zwischen Glauben und Einbildung.