Ich widerspreche den Requiemspielern, die sagen, dass Requiem durch seine Regeln ausgemacht wird. Ich kann auch Requiem-Chroniken mit Fate, mit Maskerade-Regeln oder mit d20 spielen. Auch Requiem wird durch seine Welt ausgemacht, sprich sein Setting, seinen Hintergrund, seinen Kanon. Der Unterschied zu Maskerade ist nicht, dass bei Requiem keinerlei „Kanon“ existiert, sondern, dass dieser nur einzelne Geschichten und Schauplätze beleuchtet, ohne diese alle zu einem zusammenhängenden Ganzen zu verknüpfen. Requiem bietet ein Default-Setting, zu dem neben den Grundannahmen (Vampire allgemein haben diese und jene Eigenschaften, es gibt 5 Clans, 5 Bünde und ein paar allgemeingültige, weil ins Wesen der Vampire eingebrannte Traditionen) zwei Städte in der Neuzeit sowie das alte Rom und der Niedergang der Camarilla als historische Schauplätze/Szenarien gehören. Der große Unterschied hier ist: Maskerade präsentiert eine detailliert ausgearbeitete Welt mit einer im Laufe der Publikationsgeschichte immer fortgeführten und ineinandergreifenden Metahandlung der Autoren. Es stand bei Maskerade im Vordergrund, diese Geschichte zu erzählen und das als Aufhänger für eine Involvierung von Spielercharakteren zu nehmen. Und um gleich einmal dem „Aber WIR spielen ja nicht mit dem Metaplot, WIR nehmen ja nur das Default-Setting: Ist ja auch völlig in Ordnung – aber auch dieses Setting fußt auf einer im GRW umrissenenen „Vorgeschichte“ (Anarchenrevolte, Gründung der Camarilla, Aufstieg der Tremere, Fall der Kappadozianer etc.), die eben erklärt, warum das Default-Setting so beschaffen ist, wie es ist.
Requiem dagegen gibt eine grobe Richtung vor, mit einigen Default-Annahmen (In Chicago herrscht Fürst Maxwell, in New Orleans herrscht Erzbischof Vidal, die Strix haben Rom auf dem Gewissen). Man versucht aber nicht, diese jetzt irgendwie zu verbinden und alle Zusammenhänge zu erläutern, eine Metahandlung voranzutreiben und diese als den Aufhänger zu präsentieren. Man lässt diese historischen Ereignisse im Dunkeln und präsentiert nicht ständig neue, ausgearbeitete Städte als Kanon-Settings, die dann durch Abstammungslinien und Ahnenintrigen verknüpft werden. Die Welt der Vampire soll dunkel und geheimnisvoll, ohne Sicherheiten, ohne Wahrheiten sein. Was als wichtigstes Element von Requiem präsentiert wird, ist nicht die Geschichte der Vampire, sondern das Wesen der Vampire und der Welt, in der sie „leben“. Maskerade erzählt viel über die Fehden zwischen Clanen und Sekten und dass die Camarilla eine sehr unfaire Gesellschaft der Alten ist etc. Requiem erzählt aber keine Geschichte, aus der Konflikte erwachsen, hier erwachsen Konflikte bereits aus dem Wesen der Vampire selbst. In Requiem geht es darum, ein Wolf unter Schafen zu sein, der seinen Opfern in die Augen blickt, bevor er sie reißt. Ja ja ja, das könnte man natürlich auch mit Maskerade machen, aber das ist nicht (mehr) das, womit Maskerade wirbt und wofür es bekannt ist. Maskerade wirbt mit dem Jyhad; sei Teil einer kewlen Parallelgesellschaft von Vampiren und versuche im ewigen Krieg der Untoten zu überleben. Requiem wirbt mit einer bodenständigeren Prämisse: Du bist ein Monster und lebst zwischen zwei Welten; Die Welt der Menschen kannst du nur kurzfristig besuchen und jedes Mal, wenn du das tust, zerstörst du Leben, die Welt der Vampire dagegen ist ein Haifischbecken, aus dem du lieber ausbrechen würdest.
Die erste Edition von Requiem knüpft da an die erste Edition von Maskerade an, die ja auch als die primäre Inspiration für die grundlegende Thematik von Requiem genannt wird. Man könnte Requiem als eine Neu-Interpretation von Maskerade 1st Edition betrachten; wo Maskerade mit der zweiten und dritten Edition in ganz andere Schwerpunkte „abgedriftet“ ist (klingt abwertender, als es gemeint ist), hat man bei Requiem diese erste Prämisse von Maskerade, die dort immer weiter in den Hintergrund gerückt wurde zugunsten der Erzählung um den Jyhad, wieder aufgegriffen und ist von da ausgehend in die andere Richtung abgebogen, weg von der epischen Erzählung der Maskerade, hin zum persönlichen Drama des Requiems.
Die zweite Edition von Requiem geht noch einen Schritt weiter. Die Betonung liegt hier ganz besonders auf dem Kontrast zwischen den zwei Welten, Menschenwelt und Totenwelt. Vampire sind ganz klar als Raubtiere gedacht, die Opfer hinterlassen, wann immer sie sich unter Menschen begeben und wenn sie miteinander interagieren. Es geht um den Spagat zwischen der Maskerade gegenüber den Sterblichen und der wahren, monströsen Natur, die man unter seinen Artgenossen nur allzu oft unter Beweis stellen muss, um nicht ob seiner Schwäche, sich zu behaupten, an den Rand gedrängt und gefressen wird. Und sich seiner dunklen Seite hinzugeben und auf seine Vampirkräfte zu verlassen fühlt sich für Vampire großartig an. Es ist befreiend, es ist berauschend – und es sorgt dafür, dass sie immer mehr vergessen, wo sie eigentlich herkommen, wer sie eigentlich mal waren. Konflikte unter Vampiren entstehen dabei pausenlos; die Ideologien der Bünde sind unvereinbar und ideologisch/religiöse Konflikte drohen ständig, aber das ist nicht einmal das, was die Hauptkonflikte im Danse Macabre schürt: Das macht das Wesen der Vampire selbst schon ausreichend. Die Konflikte sind zahlreich, aber es sind eben Konflikte zwischen Individuen, nicht zwischen global operierenden Sekten oder Clanen.
Klar, das kann man auch mit Maskerade machen, aber es ist wieder nicht das, womit Maskerade primär wirbt und als Schwerpunkt setzt, umgekehrt aber eben das, was Requiem als Schwerpunkt hat und worauf die gesamte Präsentation fokussiert ist. Hinzu kommt, dass Vampire bei Requiem auch von ihren Eigenschaften, insbesondere ab der zweiten Edition, so konzipiert sind, dass sie auch besser diese Schwerpunkte repräsentieren, ohne dass man modden muss.
Beide Spiele haben (mittlerweile) ganz unterschiedliche Schwerpunkte. Das war nicht immer so. Requiem 1st Edition war ein Retro-Klon von Maskerade 1st Edition, mit einigen Verbesserungen (im Sinne von Elementen, die das Spiel mehr in Richtung „Personal Horror“ und weniger Richtung „Global Jyhad“ lenken), um das Abdriften die Gewässer von Maskerade 2nd oder revised zu verhindern. Da kann ich verstehen, wenn Maskerade-Spieler sich da zurecht fragten „Und das soll ich mir jetzt noch mal kaufen?“. Ich kann es auch verstehen, wenn der Fokus auf den persönlichen Konflikten, die einen Vampir bei Requiem (und Maskerade 1st) plagen, nicht jedermanns Bier ist und man sich z.B. lieber Trenchcoat und Katana schnappt und Schaufelköppe umholzen geht. Ich kann es aber nicht so ganz verstehen, warum man dann ständig den Requiemspielern unter die Nase reiben muss, man könnte ja alles, was Requiem kann, auch mit Maskerade und außerdem 10-mal besser, weil bei Requiem ist ja eh alles scheiße (was man umgekehrt genauso sagen kann).
Ab der 2nd Edition von Requiem ist es aber eben nicht mehr nur ein aufpolierter Retro-Clone, sondern eine ganz eigene Rote Linie. Vampire sind mächtiger (sogar im Schnitt mächtiger als in Maskerade), aber auch deutlich entrückter und „übernatürlicher“ als in der 1st Edition. Die Grundprämisse ist dieselbe, aber die Herangehensweise ist nochmal eine andere. Das Setting ist weiterhin dunkel und voller Geheimnisse, die großen Fragen weiterhin offen, aber die Herangehensweise der Vampire unterscheidet sich deutlich von Requiem 1st und Maskerade 1st.
Und wenn ich Requiem 2nd Edition spielen will, mit dessen Schwerpunkten etc, kann ich das nicht „genauso gut und besser“ mit Maskerade V20 oder so – es gibt schon einen Grund, weshalb wieder/immer noch beide Linien produziert werden. Unterschiedliches Zielklientel.
Am Ende bleibt das immer eine Frage der persönlichen Präferenz. Die meisten Leute, die ich so kenne, ziehen epische, spektakulär inszenierte Geschichten einem bodenständigen Gruseldrama vor. Da wundert es mich auch nicht, wenn Maskerade in Deutschland besser ankommt als Requiem. Was aber eben nicht heißt, dass es deswegen „besser“ ist oder Requiem deshalb „besser“ ist, weil es subtiler, künstlerisch anspruchsvoller oder was ich sonst noch für einen Shitload an Pseudo-Argumenten gehört habe ist. Beide Spiele bedienen unterschiedliche Geschmäcker und damit unterschiedliche Märkte. Genau darum gibt es wieder Maskerade UND Requiem, weil man bei WW und OP eben gerne doppelt abkassieren möchte. (Ein bißchen Spott muss jetzt sein: Maskerade ist ja auch wirklich lukrativ – die Grognards kaufen da ja wirklich jeden Scheiß zu jedem Preis, egal, ob es wieder nur lieblos recycelter Müll ist (inb4 „Requiem ist auch nur recycelter Müll“-Spruch) oder nicht. Wenn ich den Rubel rollen lassen kann, in dem ich ein altes Produkt einfach noch mal neu verkaufe, ohne groß dran zu arbeiten, dann wäre ich schön blöd, diese Cashcow nicht auch exzessiv zu melken.)