AW: Klassischer Cyberpunk - mit Schwerpunkt auf temporeichen Konflikten
b_u_g schrieb:
Ach? Ich hätte jetzt eher getippt, dass ein abgeschlossenes Spielerlebnis der Standard sein soll. Warum offen? Wie passt das, wie hilft das dem Konzept?
Warum sollte es abgeschlossen sein, und inwiefern sollte es meinem Konzept helfen?
Wenn ich an die bisher gelesenen Cyberpunkstories zurückdenke sehe ich da selten einen klaren Ausgang. Sie starten und enden unvermittelt, und was mit den Figuren weiterhin geschieht erfährt man oft nicht.
Erfahren wir im Neuromancer was aus Case und Molly im Zusammenhang mit Neuromancer und Wintermute wird?
Verrät uns Hardwired wie Cowboys und Sarahs Kampf gegen den Orbitalsowjet endet?
Zeigt uns Dogfight was der Protagonist nach der Story noch macht?
Kriegen wir in Johnny Mnemonic am Ende noch mit was aus dem gleichnamigen Protagonisten und seiner Nemesis Yakuza wird? (Ich beziehe mich hier auf die Kurzgeschichte, nicht auf die disneyfizierte Verfilmung.)
Das ist alles episodenhaft und locker miteinander verknüpft (so wie man etwa den weiteren Ausgang aus Johnny Mnemonic erst im Neuromancer erfährt, und den von Molly im Neuromancer erst in Mona Lisa Overdrive [1]), und eben das will ich wenn schon nicht unterstützen, so doch nicht behindern. Sieh die Actionsequenzen als einzelne Kurzgeschichten an die erst im weiteren Verlauf verknüpft werden, ohne klaren Anfang, ohne klares Ende.
Ein vorgeschriebener Endspielmechanismus würde dabei gar nichts helfen, im besten Fall wäre er überflüssiger Zierrat der vom Kern des Spiels ablenkt, im schlechtesten Fall würde er völlig im Weg sein.
Wenn ich genau darüber nachdenke ist die Regel zur Auflösung von Antrieben schon ein Endspielmechanismus, und damit etwas was meinen Designzielen nicht hilft. Raus damit in der nächsten Version.
b_u_g schrieb:
Ist das nicht möglicherweise ein Trugschluss? Ich meine, sind es wirklich die Regeln, die das Spiel in diese Bahnen lenken, oder sind es nicht vielleicht doch die Spieler? Wird vielleicht einfach nur eine "besondere Sorte" Spieler von solchen Systemen angezogen? Spieler eben die sich auf diese Regeln einlassen... ...und die sich auch ohne Regeln auf die gleiche Art Spielerlebnis einlassen würden?
Ich würde sagen es sind
auch die Regeln. Natürlich gibt es keine Regeln die Spieler 180° gegen ihre Spielabsicht drehen(wonach man diese auch immer kategorisiert), und umgehen läßt sich alles mit genug Aufwand. Synergetische Effekte duch das Anziehen bestimmter Typen sind sicher auch gegeben (Wushu wird wohl kaum von jemandem gespielt werden der alles was nicht realistisch ist als "totalen Unfug" abtut und die genaue Umsetzung von Kalibern zwecks IC-Fachsimpeln als dringend notwendig betrachtet), aber ein System kann auch eine Menge dazu beitragen einen Spielstil in eine bestimmte Richtung driften zu lassen.
Würden sich immer noch genau so viele Spieler bei D&D mit Begeisterung auf jeden Ork stürzen wenn es keine XP fürs Töten gäbe?
Würden immer noch genau so viele Spieler bei Wushu aus dem Salto heraus schießen wenn Stunts nicht
bessere, sondern
schlechtere Erfolgschancen mit sich bringen würden?
Würden immer noch genau so viele Spieler bei VtM Opfer nur an- statt austrinken, wenn man den Menschlichkeitswert mit all seinen Auswirkungen streicht?
(Wenn du das noch weiter vertiefen willst dann mach einen eigenen Thread auf und verlinke ihn, hier wäre es offtopic.)
b_u_g schrieb:
Die Verknüpfung im Spielverlauf würde ich fast als wichtiger ansehen, da man so auch Wendungen in der Geschichte (ich rieche schon wieder Verrat
) fördern kann (indem es beispielsweise belohnt wird, zwei bisher unabhängige Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen).
Rewards für das Verknüpfen unabhängiger Handlungsstränge? Interessante Idee, aber ohne SL oder Gruppenabstimmung nicht bestimmbar und damit den Aufwand der Implentierung nicht wert.
Hier würde ich (neben der bereits vorhandenen Erleichterung durch mehr Teilnehmer an einer Sequenz, was das weitere Verknüpfen von Antrieben im Spielverlauf sinnvoll macht) auf Selbstregulierung setzen - es ist schließlich kein zentraler Teil des Spiels, und zuviel systemseitige Steuerung ist schlecht.
b_u_g schrieb:
Ferner sollte es einfach handfeste Vorteile geben, wenn man zusammenarbeitet - beispielsweise indem viele Aufgaben erst gemeinsam lösbar sind, und man so, ganz nach dem eine Hand wäscht die andere Prinzip ein Interesse daran hat sich mit den Anderen gut zu stellen und ihnen zu helfen.
Gibt es quasi schon. Die Anzahl der benötigten gewonnenen Konflikte in einer Actionsequenz ist fix (Anzahl der Spielteilnehmer), während die der benötigten verlorenen Konflikte variabel ist (Anzahl der Teilnehmer an der Sequenz).
Das heißt also: Je mehr mitmachen, um so besser sind die Erfolgsaussichten.
Zu deinen vorgeschlagenen Möglichkeiten:
b_u_g schrieb:
Eine Möglichkeit, die das ganze durch den Spieler kontrollierbar machen würde (was mir nicht gefällt), wäre es beispielsweise Konformität für die Differenz zwischen der Anzahl der eingesetzten PLUS Deskriptoren und der Anzahl der eingesetzten Power Deskriptoren zu vergeben (es ist schwer zu schaffen, und auf biegen und brechen komme ich gerade einmal auf zwei Power Deskriptoren, die mir helfen, also setze ich noch fünf PLUS Deskriptoren dazu (von denen habe ich im Moment sowieso so viele...) und gewinne dafür drei Punkte Konformität).
Eine andere Möglichkeit wäre nicht ein Poolsystem zu verwenden, sondern stattdessen zu ermitteln, ob man den Wurf nur Aufgrund von PLUS geschafft hat, wenn ja, dann gibt es Konformität.
An diesen beiden Möglichkeiten gefällt mir nicht dass die Konformitätserhöhung wieder zu schnell vonstatten geht und den Einsatz genretypischer Elemente bestraft.
b_u_g schrieb:
Oder man verwendet keinen ausdrücklichen Pool, sondern eben exakt zwei Würfe (einmal für Power einmal für PLUS).
Problem: Der Einsatz genretypischer Elemente wird wieder bestraft, und das ist nicht gut.
b_u_g schrieb:
Und zuletzt noch: Jede Sequenz bekommt einen eigenen Wert für Risiko, je höher dieser Wert ist, desto leichter ist die Sequenz zu bestehen (beispielsweise in dem die Würfe modifiziert werden), gleichzeitig aber gibt er auch die Menge an Konformität an, die jeder Charakter durch Teilnahme an dieser Sequenz erhält. Der Standardwert ist Null. Er kann von jedem Spieler erhöht werden, und das höchste Gebot zählt.
In diesem Rahmen würde ich dann übrigens auch gleich vorschlagen den Payoff von Sequenzen variabel zu gestalten (und ebenfalls mit der Schwierigkeit zu verknüpfen). Im Gegensatz zum Risiko wird Payoff nicht an jeden Charakter vergeben, sondern die Spieler müssen aushandeln, wer wieviel von was bekommt.
Das würde einen großen Nachteil mit sich bringen: Der Gewinn würde schon vor Ablauf der Sequenz fixiert, was in die Spieler in der Sequenz selbst unflexibler macht. Wenn etwa nur eine lockere Kneipenschlägerei angesetzt wäre bei der es nur Edge als Payoff gibt, und einer der Charaktere durch unvorhergesehene Wendungen mit einem Deck entkommen kann wäre es ihm mit fixiertem Payoff unmöglich sich dieses als PLUS aufzuschreiben.
Dazu dürfte das Verhandeln in der Praxis quälend langsam sein wenn die Spieler zwischen den sich verändernden Bedingungen mit ihrer Entscheidung teilzunehmen oder nicht hin und her springen.
Ich setze an dieser Stelle mal einen klaren Punkt um wieder in eine kohärente Richtung voran zu kommen: Ich begrabe "Entmenschlichung durch Verbesserungen" als verwirrten Zweig meines anfänglichen Brainstormings und konzentriere mich stärker auf die Konformitätsgeschichte selbst.
Meine Prämisse war schließlich ursprünglich im ersten Post
"Bleiben die Charaktere angesichts ihrer brutalen und darwinistischen Umwelt menschlich oder verwandeln sie sich in geifernde Raubtiere die instinktgetrieben die Betonruinen nach Opfern durchstreifen?"
und nicht "Bleiben die Charaktere
angesichts ihrer seelenfressenden und bösen Verbesserungen menschlich oder verwandeln sie sich in geifernde Raubtiere die instinktgetrieben die Betonruinen nach Opfern durchstreifen?"
(Wobei es inzwischen präziser heißen sollte "Bleiben die Charaktere angesichts der Zwänge ihrer Umwelt ihren Antrieben treu oder werden sie zu konformen, toten Fischen im Strom?")
Vielleicht noch einmal verständlicher: Das entmenschlichende sind nicht die Verbesserungen, es sind die Dinge die die Charaktere tun um sie zu bekommen und zu verteidigen.
Damit wird auch die bestehende Ausverkaufsregel Mist.
Folgender Ersetzungsvorschlag:
a.) Sellout tritt automatisch auf wenn der Würfel eine 10 zeigt.
b.) Ein Spieler kann vor dem Wurf erklären dass er Sellout riskiert. Er darf dafür das Ergebnis des W10 verdoppeln, aber wenn eine 9-10 fällt erleidet er auch Sellout.
c.) Kein nachträglicher Sellout - du hattest deine Chance auf Risiko zu gehen, und wenn du Risiken scheust bist du in diesem Genre falsch.
Sellout heißt dass sich die Konformität um 1 erhöht - sei es weil der Charakter bei der Konfliktauflösung besonders unmenschlich handelt (denkt an Sarahs Ermordung der Prinzessin in Hardwired), sei es weil etwas in der Konfliktauflösung einen Flashback triggert in dem gezeigt wird wie der Charakter in seiner Vergangenheit etwas konform machendes getan hat (also retroaktiv ein Konformitätsdeskriptor hinzugefügt wird).
Bei den Konflikten die ausgewürfelt werden nachdem eine Actionsequenz schon abgeschlossen ist würde ich dann Sellout draußen halten, schließlich dienen sie nur noch der Spaß an der Freud' und der Abrundung der Handlung.
Dazu kommt dann weiterhin die Konformitätserhöhung durch PLUS-Erwerb - es gibt nun mal keine sauberen Deals für die niemand leidet in einer Cyberpunkwelt.
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Noch etwas was mir in einem weiteren Solo-Testspiel aufgefallen ist:
Powerdeskriptoren sind Mist. Es dauert sie aufzuzählen, es bringt beim x-ten Mal auch nicht mehr Atmosphäre, kurz, es ist unnötige Buchhaltung.
Darum denke ich darüber nach zu Substance, Style & Attitude zurückzukehren, aber dieses Mal jedem Attribut einen Deskriptor zuzuweisen, der, wenn er bei einem Konflikt paßt, einen +1-Bonus gibt.
Das gilt auch wenn sich der Deskriptor auf ein anderes Attribut bezieht: Wer etwa bei Attitude "Netrunning" als Deskriptor wählt erhält den Bonus auch bei Styleproben die sich auf die Interaktion mit Netrunnern beziehen.
[1] Sicher gibt es auch Ausnahmen wie Turner in Count Zero, aber das sind eben das - Ausnahmen. Ein Fall für Spielerentscheid, nicht für das System.