AW: Klassischer Cyberpunk - mit Schwerpunkt auf temporeichen Konflikten
Ich denke ich habe jetzt einen Namen für das Spiel das mir vorschwebt: Racaille Cybernétique.
(Warum? Drei Gründe:
a.) Französische Titel sind noch nicht so ausgelutscht und stechen eher ins Auge.
b.) "Kybernetisches Gesindel" trifft den Kern ganz gut.
c.) Racaille war die Bezeichnung des französischen Innenministers Sakorzy für die Unruhestifter, und passt damit gut zu dem was die Charaktere darstellen: Für die einen sind sie Rebellen und Freiheitskämpfer, für die anderen Pack das mit dem Dampfstrahler weggespült gehört.)
Mal noch zu was anderem: Ich habe mal ein kleines Solo-Testspiel absolviert. Quick&dirty den fixierten Mindestwurf auf 5 festgelegt, Werte frei Schnauze verteilt, eine Hand voll Konflikte ausgedacht, abgewürfelt und geschaut was passiert.
(Ich weiß dass das kein echtes Testspiel ersetzt, aber es war auch nur zum schnellen Schauen nach offensichtlichen Bugs und um eine halbe Stunde lang die Zeit tot zu schlagen.)
Dabei kam es zu folgenden Erkenntnissen:
1.) Die Konformitätserhöhung durch PLUS-Einsatz wirkt zu abschreckend.
Das Ergebnis ist dass die ganzen kewlen Elemente die Cyberpunk mitunter so faszinierend machen, wie etwa das ins Sichtfeld eingeblendendete Fadenkreuz oder die Ästhetik eines chromglänzenden Cyberarms, an den Rand gedrängt und nur äußerst zögerlich eingesetzt werden. Das ist ärgerlich, denn das führt mich vom Ziel Cyberpunk wie in den Romanen zu haben weg.
===> Konformitätserhöhungen durch mehr PLUS- als Attributserfolge und damit auch die verschiedenfarbigen Würfel werden gestrichen. Damit ist auch das Poolsystem nicht mehr zwingend.
(Was mich gar nicht so sehr stört, denn wenn Poolsysteme nicht für besondere Effekte gebraucht werden umgehe ich sie wegen der langen Auswertungszeit und dem Platzverbrauch auf dem Tisch lieber.)
2.) Konformitätserhöhung durch Jobkonflikte geschieht zu schnell.
Was mir gefehlt hat sind profitable Aktionen auf eigene Faust - Mafiosi aufmischen um bei der Yakuza gut da zu stehen, Drogenkuriere überfallen um das Zeug auf eigene Faust zu verteilen und dergleichen. Dabei hatte ich immer ein besseres Gefühl als bei anonymer Lohnarbeit als für anonyme Auftraggeber, einfach weil es eine persönlichere Angelegenheit ist.
===> Jobkonflikte werden in Freelancer- und Auftraggeber-Konflikte aufgespalten. Erstere bringen weniger PLUS, aber dafür auch nicht zwingend Konformität, letztere bringen mehr PLUS, aber dafür sicher und mehr Konformität. (Die Powers-that-be bezahlen dich besser, machen dich aber dafür zu ihrem Stiefellecker.)
3.) Anreize für Plottwists und Rückschläge fehlen.
Klar kann man die als "guter" Rollenspieler auch so einbringen, aber ich will ein System das diese durch Regelmechaniken forciert. Mal als erster Ansatz:
===> Gifts werden auch auf Konflikte, die auf Verrat und Rückschlägen aufbauen, und nicht nur auf Bangs ausgeweitet.
Das wäre schon mal ein Anfang, geht mir aber noch nicht weit genug da man damit nur die Charaktere anderer Spieler ärgern kann. Ein aktiver Spieler in einer relativ passiven Gruppe würde mit dieser Regel alleine unterbeschäftigt sein. Was ich da noch brauche ist ein Anreiz um den eigenen Charakter in Schwierigkeiten zu bringen.
Vielleicht automatisch +1 Edge wenn ein eigener Konflikt auf einem Rückschlag aufbaut und/oder ein Rückschlag in die Erzählung des Konfliktausgangs eingebunden wird?
4.) Spielstruktur ist zu schwammig.
Es ist ziemlich schwer einen flüssigen Spielablauf zu generieren. Alles läuft ziemlich planlos ab, sogar bei einer Solo-Abwürfel-Orgie. Wie das erst aussieht wenn da vier Leute sitzen will ich gar nicht erst wissen... Wie lange dauern Jobs? Wie viele Konflikte sollte man zu deren Absolvierung auswürfeln? Das ist alles noch viel zu schwammig. Der naheliegendste Lösungsansatz wären natürlich Structured Stories à la Inspectres, aber die will ich unbedingt vermeiden, denn eine feste Struktur kennt das literarische Cyberpunkgenre nicht.
Vielleicht sollte man zu abschnittsweiser Spielleitung greifen um das Spielgeschehen konsistenter zu machen? Oder definiert man Jobs und Einsätze für die eigene Agenda als Überkonflikte die durch mehrere gewonnene Konflikte aufgelöst werden müssen, so wie Nemesiskämpfe bei Wushu oder Aufträge bei Inspectres?
5.) Anreize für atmosphärische Beschreibung fehlen.
Bei einem Abgleich zwischen meinen Ideen in den Posts und dem bisherigen Regelgerüst ist mir aufgefallen das diese irgendwie durchgeschlüpft sein müssen. Es gibt bislang keinerlei Anreiz um die regennassen Straßen mit den flackernden Neonreklamen zu beschreiben.
Die große Frage ist: Wie setzt man das ohne einen Spielleiter als neutrale Bewertungsinstanz durch ohne zugleich Zeit und Spielfluß durch Diskussionen zu verlieren? Edge für coole Beschreibung eines Konfliktausgangs, mit Daumen hoch und Daumen runter durch die gesamte restliche Gruppe als Eilabstimmung?
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blut_und_glas schrieb:
Ein Wert der einfach nur Zahlungsfähigkeit misst ist Mist. Gerade in dieser Welt, und in diesem System braucht man so etwas nicht. Denn sehen wir es ein Zaster ist letzten Endes auch nur eine bestimmte Form von PLUS (Style Descriptor: Koffer voller kanadischer 100 Dollar Scheine).
OK, du hast mich überzeugt. Zaster fliegt raus und wird durch PLUS absorbiert.
blut_und_glas schrieb:
Gifts würde ich gänzlich anders verwalten. Sie sollten immer auch in ihrem Reward das Verhältnis zu den anderen Spielern beziehungsweise ihren Charakteren betreffen, und nicht einfach als tumbe Bonuspunkte für die eigene Figur herhalten. Das passt einfach hinten und vorne nicht.
Beispielsweise könnte man aus Edge Dirty Secrets machen. Für jeden Punkt Dirty Secrets, Infos, über die du gestolpert bist, oder Dinge, die du getan hast, während sich dein "Partner" um die Szene kümmert, die du für ihn eingeleitet hast, kannst du verwenden um einem anderen Charakter einen Punkt Agenda zu schenken oder abzunehmen. Du kannst ihn also belohnen oder bedrohen, damit er (hoffentlich) das tut, was du willst.
Davon halte ich gar nichts. Andere Spieler dazu zu zwingen etwas mit ihren Charakteren zu tun was sie nicht tun wollen ist IMHO immer
schlecht. Entscheidungsfreiheit gehört für mich mitunter zu den höchsten Prioritäten im Rollenspiel.
Eine Fate-Ressource zu vergeben halte ich hier für sinnvoller. Der Spieler hat hier schnell eine direkte Belohnung für sich selbst, die in jedem Fall nützlich ist => der Anreiz Gifts zu versenden ist gegeben und stark.
Ein Damoklesschwert für andere Charaktere wäre hingegen nur indirekt hilfreich und damit keine so attraktive Belohnung. Im besten Fall würde ich damit Gifts nur unattraktiver machen, im schlechteren Fall Problemspieler die das Spiel einschließlich des Verhaltens anderer Charaktere an sich reißen wollen unterstützen.
Ich werde hier also nach wie vor beim Edgeansatz bleiben.