AW: Gewaltlosigkeit
Ich bin zwar nicht gerade ein DSA-Experte (und seit einigen Jahren auch kein großer DSA-Freund mehr), aber dieses Thema ist durchaus interessant.
Zunächst einmal halte ich gewaltfreies Vorgehen vor allem für eine Frage des Szenarios. In manchen Szenarien hat man gar keine andere Wahl als Gewalt anzuwenden; in anderen Szenarien hat man keine andere Wahl als darauf zu verzichten. Rollenspielerisch ist die Frage der Gewaltanwendung hier uninteressant; man tut bzw. läßt wozu einen die Umstände zwingen.
Um der Gewaltfrage Bedeutung zu verleihen braucht es also ein Szenario, das auf vielfältige Art und Weise lösbar ist, wozu auch Gewaltanwendung gehört. Nicht jeder Lösungsansatz muß auch im gleichen Maße erfolgversprechend sein (den "idealen" Ansatz zu finden macht für viele Leute einen großen Reiz aus; andere wählen absichtlich den "schwereren" Weg usw.); man sollte es aber schon so gestalten daß sich kein bestimmter Ansatz so weit aufdrängt, daß man sich gezwungen sieht ihn zu wählen.
Ein ganz primitives Beispiel: Die Helden wollen in eine Höhle, in der sich das MacGuffin für denn Plot des Tages befindet. Vor der Höhle lagert ein großer, fieser Oger. Auf den ersten Blick bieten sich nun schon zahlreiche Möglichkeiten: Man könnte den Oger umhauen, sich vorbeischleichen, ihn mit irgendeiner Ablenkung weglocken, ihn überreden einen in die Höhle zu lassen, warten bis er weggeht usw. Solange es für den Erfolg des Szenarios nur wichtig ist, an das MacGuffin zu gelangen, ist es den Helden völlig frei gestellt wie sie mit dem Oger umgehen. Ich habe extra einen Oger gewählt weil der kämpferisch zwar gefährlich, aber für eine eingespielte Gruppe durchaus schaffbar (ich hoffe mal, ich liege da nicht zu sehr daneben) und außerdem zu intelligenter Konversation fähig ist (OK, vielleicht nicht gerade hochintelligent, aber Reden sollte man mit ihm schon irgendwie können).
Wie unschwer zu erkennen ist ein derartiges Szenario auch relativ systemabhängig; in den meisten Systemen und Welten könnte man etwas ähnliches zusammenstricken.
Wenn man sich die möglichen Vorgehensweisen ansieht, dann ist Kampf nur eine von vielen Möglichkeiten. Daher ist es eigentlich gar nichts so besonderes, auf Gewalt zu verzichten - es gibt üblicherweise genug Alternativen.
Neben dem Szenario gibt es aber noch andere Aspekte zu betrachten; unter anderem die Gruppenzusammensetzung. Eine Gruppe ohne dedizierten Kämpfer und mit nur einem "Teilkämpfer" (Streuner, Jäger oder etwas in der Richtung), dafür einer Tsa-Geweihten, einem Gelehrten und einem Handwerker wird sicherlich so gut wie nie von sich aus für einen Kampf eintscheiden - weil sie das weder wollen noch können. Eine Gruppe aus Schwertgeselle, Soldat, Gardist und Tierkrieger hingegen ist durch die Bank recht kampfstark und wird die gewaltsame Lösung daher aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten. Das an sich offene Szenario wird unter Umständen durch die Charaktere eingeschränkt.
Stellt sich nun noch die Frage, inwiefern das System die Wahl der Mittel beeinflußt. DSA leidet leider unter einer großen Zahl von publizierten Szenarien, die nicht nur ein Ziel vorgeben, sondern auch gleich den Weg dahin. Wählt man einen anderen Weg als den, den der Autor vorsieht, dann wird man entweder scheitern oder der SL muß den Plothammer auspacken. Das ist zwar eigentlich ein Szenario-Problem aber da dieser Stil in vielen Publikationen präsentiert und gefördert wird (oder zumindest lange Zeit wurde) kann man das im weitesten Sinne schon als System-Problem auffassen.
Ist jedoch ein entscheidungsfreies Szenario gegeben, dann reduziert sich der Systemeinfluß üblicherweise auf die Frage "Wie riskant sind Kämpfe für die überlegene Seite?". Ja, das impliziert, daß die SC üblicherweise im Kampf irgendwie überlegen sind. Das mag unspannend klingen, aber wenn man in jeder Beziehung unterlegen ist, dann wird man spätestens den dritten Kampf in seiner Karriere nicht überstehen - früher oder später setzt sich eben doch der Bessere durch. Irgendeinen Vorteil müssen die SC also auf ihrer Seite haben wenn sie einen Kampf gewinnen sollen.
Schauen wir uns mal ein paar Beispiele an:
Bei D&D ist das Restrisiko relativ gering. Kämpfe zwischen gleich starken Gegnern sind in der Regel in drei Runden vorbei; schwächere sind entsprechend schneller am Boden und teilen - von den ganz niedrigen Stufen oder extremen Monstern mal abgesehen - selbst bei einem Glückstreffer auch nicht allzu übel aus. Ein Kampf gegen einen (vermeintlich) unterlegenen Gegner ist relativ berechnbar und die Schläge, die man kassiert, kann ein kompetenter Heiler mit erträglichem Aufwand kompensieren.
Bei ShadowRun (zumindest in den älteren Versionen; mit SR4 habe ich keine Erfahrung) besteht ein recht großes Restrisiko; allerdings kann der Überlegene ein schwaches Ziel relativ sicher mit einem Schlag ausschalten. Vieles ist eine Frage der Initiative; nicht unbedingt im regeltechnischen Sinne (auch wenn es da natürlich hilft) sondern ob man sich sicher sein kann, den Schlagabtausch zu eröffnen und genug Gegner dabei auszuschalten. Gewinnt man einen Kampf, dann üblicherweise mit wenigen bis keinen Gegentreffern. Also ebenfalls relativ berechenbar; wenn auch nach ganz anderen Maßstäben. Nebenbedingungen (Alarm, Spuren, Intensität der Verfolgung durch die Polizei etc.) sind häufig viel wichtiger - aber das ist ja wieder eine systeminhärente Szenariofrage.
RoleMaster hingegen ist wirklich eklig. Jeder Bauer kann Alrik Superheld mit einem Glückstreffer töten oder zumindest verkrüppeln; aber im Gegensatz zu SR kann Alrik den Bauern nicht sicher ausschalten. Mit hinreichender Überlegenheit kriegt man zwar relativ sicher einen E-Crit zustande, aber der allein schaltet "nur" mit etwa 10%iger Wahrscheinlichkeit aus und fügt mit etwa 30%iger Wahrscheinlichkeit eine kampfentscheidende Verletzung zu. Und jeder Schlag, der den Bauern nicht stoppt, läßt diesem eine weitere Chance für einen Glückstreffer... Hinzu kommt noch eine aktive Verteidigung; gegen eine Überzahl kann man sich nicht effektiv wehren und kassiert so selbst von "Bauern" noch richtig gefährliche Hiebe. Insgesamt ist das etwas, das ich gerne als TSN-Kampfsystem bezeichne: Thou Shallt Not. Freiwillig kämpft man nicht. Punkt.
Ordnen wir da mal DSA ein...
Hier haben wir ebenfalls eine aktive Verteidigung; Überzahl (oder besondere Gegner, die die PA umgehen) ist ein schon fast alleinig kampfentscheidener Faktor und (zumindest durch normale Charaktere; "Monster" sind ein anderes Kapitel) kaum zu kompensieren. Nicht ganz so schlimm wie bei RoleMaster - gute Rüstung allein kann schwach bewaffnete Gegner eine Weile lang im Schach halten - aber immer noch sehr unangenehm. Es dauert dank der PA-lastigkeit auch recht lange, bis man selbst deutlich schwächere Gegner in die Knie gezwungen hat; zum Glück entschärft die PA jedoch auch die Gefahr durch einen gegnerischen Glückstreffer. Das Risiko ist also eher moderat; viel wichtiger sind die Kosten eines Kampfes. Die Kämpfe dauern relativ lange; eine Menge Zeit für eventuelle gegnerische Verstärkung und damit einen Kampf gegen Überzahl. Verlorene LeP zu heilen ist relativ teuer; mußte man gar eine Wunde einstecken ist man oft längere Zeit geschwächt. Alles in allem also ein System, in dem man sich Kämpfe zwar grundsätzlich erlauben kann, aber die hohen Kosten machen alternative Lösungen deutlich attraktiver.
So, die Moral von der Geschicht:
Gewlatfreies Vorgehen ist eine Frage des Szenarios; wobei DSA im Speziellen die Kämpfe tendenziell weniger attraktiv macht.
Bis bald;
Darastin