Rezension Elyrion - Erbe der Titanen (v1.5) [B!-Rezi]

Toa

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Elyrion - Erbe der Titanen


Grundregelwerk Version 1.5


Nachdem die erste Auflage von Elyrion ausverkauft war entschloß sich Prometheus Games statt zu einer einfachen Neuauflage zu einer Überarbeitung des Grundregelwerks, so daß jetzt schon kurze Zeit nach dem Erstveröffentlichung bereits Version 1.5 vorliegt. Diese liegt mit einem Preis von 30€ sogar 5€ unter dem der Vorgängerversion (Besitzer der v1 erhalten dafür 5€ Rabatt auf ihr nächstes Prometheus-Produkt).
Elyrion bezeichnet sich selbst als Steamfantasy-Rollenspiel. Es ist also eine Welt voll Magie, Mystik und fantastischen Völkern, die von den Überresten mächtiger Technologie früherer Zivilisationen geprägt ist. So finden sich Flugapparate neben Drachen, Feuerwaffen neben Armbrüsten.
In seinen Grundzügen lassen sich einige Vorbilder ausmachen - ich würde es spontan als Mischung aus DSA und Exalted oder Earthdawn bezeichnen. Dies sticht vor allem beim Maßsystem ins Auge (kennt hier jemand Finger und Halbfinger als Maßeinheiten?). Davon abgesehen weist Elyrion genug neue Elemente auf bzw. kombiniert alte auf neue Weise, so daß es durchaus auf eigenen Beinen stehen und auch mir als altem DSA-Hasser teutonisches Rollenspiel wieder schmackhaft machen kann.

Hintergrund
Die Welt Elyrions ist geprägt von Konflikten und Kriegen, die auf einer langen, langen Geschichte der Korruption und Verrat der Götter und Schöpfervölker fussen. Durch einen Schlag eines dunklen Gottes wurden die Lande des Lichts verwüstet und ins Chaos gestürzt, so daß es nun großer Helden bedarf sie vor den nahenden Mächten der Dunkelheit zu schützen.
Die Spielercharaktere stellen dabei "Erben der Titanen" dar - wobei dies im Grundregelwerk nie explizit gesagt wird, legen es die den SCs und mächtigen NSCs zugänglichen quasi-magischen Talente doch nahe. Dennoch wäre eine ausführliche Definition eines "Erben" (ein Begriff, der außer in einem Satz im Geschichtskapitel effektiv nicht auftaucht) sowie der Rolle der Spielercharaktere wünschenswert gewesen.
Dreh- und Angelpunkt des Geschehens ist die Welt Athirû, bzw. der im Grundregelwerk beschriebene Kontinents Audakia. Dieser gestaltet sich mit einem ausgewogenen Verhältnis an Wäldern und Bergen recht europäisch, während die nur kurz angesprochenen anderen Kontinente - wie z.B. der Wüstenkontinent Ashkabar - andere Klimaklischees bedienen. Die Beschreibung im Grundregelwerk beschränkt sich auf kurze Beschreibungen der Nordhälfte des Kontinents, während einer der Regionen - der Mark Asgothar - sogar ein detailiertes, eigenes Kapitel zugestanden wird.
Dieser Kontinent wird von zahlreichen Völkern bewohnt, die ebenfalls exotische Namen wie Fen'Vey (geflügelte Elfen) oder Bork'r (Orks) tragen. Es existieren mehrere Volksgruppen (Alben, Carniden, Kobolde, magische Völker, Orks, Zwerge und Menschen), denen meist mehrere spezifische Völker zugeordnet sind - insgesamt bietet das Grundregelwerk so 13 spielbare Völker, von denen vier Menschenvölker sind. Die Völker sind äußerst interessant gestaltet und stellen in meinen Augen die größte Stärke Elyrions dar. Keinem Spiel zuvor ist es gelungen mir interessante Halborks zu präsentieren, während sie hier als nomadisches Krämervolk erstmals Sinn ergeben (nicht jeder Halbork ist also das Produkt einer Vergewaltigung). Ebenso wird mit anderen Klischees gebrochen, wie z.B. durch die hochentwickelte und zivilisierte Kultur der Bork'r oder die an der Oberfläche lebenden Zwerge (Baran'Dor). Aber auch die Kombination von Fantasy-Klischees bietet z.B. mit den halbdämonischen Dunkelelfen (Vashrani) eine neue Perspektive. Andererseits haben mich persönlich die magischen Völker nicht so sehr angesprochen - die Lavamenschen (Gro'Myr) wirken wie Earthdawn-Obsidianer, die zu lange auf dem Grill lagen, und das Geistervolk der Illuriel ist durch den obligatorischen Körperraub (bei dem die Seele des Wirts scheinbar auf Nimmerwiedersehen verdrängt wird) sicherlich auch nicht gerade ein Liebling des Volkes. Da beide Völker lokal beschränkt oder schlichtweg seltene Erscheinungen sind, hätte man im Grundregelwerk gut auf sie verzichten können. Davon abgesehen sind die Völker durchweg exzellent gelungen.
Im Gegensatz zur Magie fällt die Beschreibung der Technologie ziemlich kurz aus und beschränkt sich eigentlich auf die Ausrüstungslisten. Verfügbar sind Fahrzeuge, Mechanoide und Cyberware-artige Artefakte.

Charaktererschaffung
Die Charaktererschaffung gestaltet sich als simples Punktesystem, wobei für jeden Teilbereich (Attribute, Fertigkeiten, etc.) separate Pools zur Verfügung stehen, was die Verteilung etwas beschleunigt. Die Wahl des Volkes ist frei, da jedes Volk ein ausgeglichenes Maß an Boni und Nachteilen mit sich mitbringt - auch die Menschenrassen stellen hier keinen Null-Durchschnitt dar. Interessant wird es bei der Wahl der Talente, die - ähnlich wie bei Earthdawn - eine Mischung aus Fertigkeit und Magie darstellen. Diese sind unterteilt in unterschiedliche Pfade, die man jedoch nach Belieben mischen kann. So können Charaktere z.B. ohne Dietriche Schlösser knacken, mit ätherischen Klingen Rüstungen durchdringen oder ihrer Stimme über jeglichen Lärm Gehör verschaffen. Talente werden zwar nicht gewürfelt, haben aber gewisse Fertigkeitsvoraussetzungen.
Elyrion bietet weitere unterschiedliche übernatürliche Begabungen: Magier, Mentalisten und Priester. Diese folgen jeweils ihren eigenen Regeln, wobei lediglich das Magiesystem etwas komplexer ausfällt. Durch die Aufteilung in Domänen (Feuer, Illusion, Körper, etc.) und Weisungen (Analysiere, Erschaffe, Zerstöre, etc.), sowie in Spruch-, Spontan- und Ritualmagie erinnert das Magiesystem stark an Ars Magica. Da der Spielfokus bei Elyrion jedoch nicht auf dem Spielen einer Gruppe von Magiern liegt gestaltet es sich hier etwas einfacher als beim Vorbild. Magie wird, ebenso wie Talente, durch Essenz angetrieben, von der jeder Charakter einen gewissen Pool besitzt.

Regelsystem
Elyrion nutzt ein simples W20-Rollunder-System, d.h. die Summe aus Attribut und Fertigkeit (oder Attribut und Attribut, oder Fertigkeit und Fertigkeit - je nach Bedarf) plus/minus eventueller Modifikatoren muß mit einem W20 unterwürfelt werden. Die Differenz des Würfelergebnis zur Summe gibt die Zahl der Erfolge an, die das Maß des Gelingens angeben.
Auch das Kampfsystem gestaltet sich nach vertrauten Mustern: Initiative wird zu Beginn gewürfelt und bleibt den Kampf über bestehen. Ein Charakter kann pro Runde zwei einfache oder eine komplexe Handlung ausführen. Charaktere können beliebig oft parieren oder ausweichen, erhalten jedoch im Laufe der Runde einen kumulativen Abzug auf mehrere defensive Manöver. Der Schaden eines Angriffs hängt vom Erfolg des Trefferwurfs ab und wird nicht separat gewürfelt.

Material
Beim Öffnen des Grundregelwerks fällt einem als erstes eine schön aufgemachte Posterkarte des Kontinents Audakia entgegen. Leider ist keine Halterungstasche vorhanden, so daß man diese am besten separat lagert. Die Karte ist ebenfalls auf der Innenseite der Buchdeckel abgedruckt, wobei bei der hinteren Karte zusätzlich noch politische Grenzen eingetragen sind.
Insgesamt findet sich in Elyrion etwas wenig bzw. unvorteilhaft selektiertes Hintergrundmaterial. Die Beschreibung die Historie der Welt umfaßt mit der extrem ausführlichen Schöpfungsgeschichte 16 Seiten, wovon einige besser den Regionalbeschreibungen (21 Seiten) zugeflossen wären oder einem Technologie-Kapitel gewidmet hätten werden können. Dennoch bietet sich was Lokalitäten angeht von hohem Detailgrad (Mark Asgothar) über kurze angerissene Beschreibungen (Nordkontinent) bis hin zu weißen Flecken (Südkontinent) für jeden Spielleitergeschmack etwas. Für eine durchgehend ausführlichere Beschreibung der Welt muß man sich wohl leider noch bis zum "Reiche der Titanen" gedulden.
Den Großteil des Buches nimmt daher der Regelteil ein, der jedoch durch seine starken Subsysteme (Magie, Priester, Talente, etc.) durchaus setting-gebend ist. Die Kampfregeln sind umfassend und decken auch den berittenen oder Fahrzeugkampf ab.
Das Magiesystem ist äußerst vielseitig und bietet bereits im Grundregelwerk unterschiedliche Traditionen, sowie ein umfassendes Grimoire. Mentalisten und Priester ziehen im Vergleich dazu den kürzeren, was allerdings auch mit den simpleren Regelmechanismen zusammenhängt.
Ebenfalls vielfältig gestaltet sich das Bestiarium (21 Seiten), in dem sowohl klassische Fantasywesen wie Drachen oder Gargylen, aber auch settingspezifische Kreaturen vertreten sind.
Desweiteren findet sich im Grundregelwerk ein achtseitiges Einführungsabenteuer, in dem die Charaktere angeheuert werden verschwundene Kinder aufzufinden. Die Aufteilung in Szenen mit einer jeweils einführenden Zusammenfassung erlaubt hiermit einen leichten Einstieg.
Nachteilig erscheint die Abfolge einiger Kapitel. So werden zum Beispiel zwischen das Kapitel über Kampf und das Kapitel über Schaden unverständlicherweise die Kapitel über Magier, Mentalisten und Priester eingeschoben. Ebenso finden sich die Archetypen vor statt hinter der Charaktererschaffung, und die Völker zwischen Historie und Regionalbeschreibung (während sie in Nähe der Charaktererschaffung besser aufgehoben wären).

Aufmachung
Das Grundregelwerk ist ein 316-seitiges Hardcover, das komplett in Schwarzweiß gehalten ist. Als ich das Artwork Elyrions erstmals auf der Homepage sah wollte es mir nicht so recht gefallen, doch ich muß sagen, daß es auf dem Papier besser wirkt. Während hier zwar keine illustratorischen Höhenflüge wie bei einigen anderen deutschen oder internationalen Produktionen zu finden sind, wirkt das Artwork durchgehend aus einem Guß und fängt die Stimmung gut ein.
Das Layout ist größtenteils schlicht zweispaltig gehalten, wird jedoch stellenweise durch Hinterlegungen mit Texten und Graphiken gestört - unleserlich wird dabei allerdings nichts. Positiv hervorzuheben ist desweiteren die Austattung mit einem Lesebändchen, auch wenn die einzelnen Kapitel für sich bereits recht überschaubar und meist schnell auffindbar sind.

Vergleich zur vorherigen Version
Leider liegt mir für diese Rezension nur ein Exemplar der Version 1.5 vor, so daß ich keinen direkten Vergleich vornehmen kann. Unter die mir bekannten Änderungen fallen die Einarbeitung der Errata, eine Aufstockung der Punkte für die Charaktererschaffung, sowie ein Startkapital für Ausrüstung statt freier Auswahl.

Fazit
Ich muß zugeben, daß mein Interesse an Elyrion zu Beginn recht gering war. Dies hat sich nach der Lektüre des Grundregelwerks sicherlich geändert, allerdings hat das Spiel auch merkliche Schwächen.
Mein größter Kritikpunkt wäre wohl die durchgehend an Fantasy-Neologismen krankende Nomenklatur. Zum Beispiel die Welt Athirû, die aus den Kontinenten Audakia, Ashkabar, Amaera und Emurotho besteht - scheint als wäre die alte Albensprache sehr "a"-lastig. Auch die Völkernamen sind apostrophlastig, was besonders schade ist, da die jeweils in Klammern angegebenen alternativen Bezeichnungen (Windvolk, Wolfskinder, Sturmherren, das Hohe Volk) im Gegensatz dazu sehr stimmig wirken. Auch geographische Namen wie "der Silberforst" oder "die Blutzinnen" zeigen, daß es anders geht. Stellenweise merkt man auch die Gradwanderung zwischen deutscher und amerikanischer Fantasy an, was jedoch - je nach Geschmack - auch einen eigenen Reiz ausmachen kann.
Aber auch im Regelteil gibt es noch Macken. Hier benötigen vor allem die Talente noch einiges an Feintuning und Balancing, oder stellenweise aufgrund hoher Redundanz einfach einen Rotstift. Davon abgesehen gestaltet sich das simple Regelsystem aber als angenehm und durchweg funktional.
Eine klare Stärke sind, wie schon zuvor angemerkt, die kreativ gestalteten Völker. Während ich z.B. bei D&D Drows (und in geringerem Ausmaß auch Elfen generell) noch nie leiden konnte und eher auf eine Spielrunde verzichten als einen solchigen spielen würde, sind die Vashrani bei Elyrion relativ originell und in ihrer Konzeption gut gelungen. Allerdings werden bereits im Grundregelwerk weitere Rassen angedeutet und der Weltenband "Reiche der Titanen" liefert davon auch schon 8 an der Zahl - hier bleibt zu hoffen, daß die Masse nicht die Klasse verwässert.
Auch die recht wilde Mischung von Fantasy und Technologie ist sicherlich ein Merkmal, das Elyrion für viele interessant machen dürfte, wobei diesen Interessenten klar sein sollte, daß der Technik-Teil im Grundregelwerk noch recht gering ausfällt - hier ist Eigeninitiative oder Geduld gefragt (zugegebenermaßen nicht jedermanns Sache).
Ich kann mir durchaus vorstellen kann mal den ein oder anderen Spielabend mit Elyrion zu verbringen, zumal sich darin überraschenderweise einige Motive einer von mir geplanten Fantasy-Runde wiederfinden, muß aber zugegeben, daß ich dem Spiel noch zwiespältig gegenüberstehe. Es gibt viele interessante Aspekte (Völker, Magiesystem, Technologie (fliegende Schiffe, yarr!)), allerdings bremsen mich andere Teile (mittelmäßige Talente, übertriebene Fantasy-Nomenklatur) wieder aus. In Hinsicht auf den Untertitel "Erbe der Titanen" und die durchscheinenden Vorbilder Earthdawn und Exalted hatte ich mir auch etwas mehr Epik erhofft. Ich glaube ein Teil meiner Skepsis ist auch durch meine Haltung teutonischer Fantasy gegenüber bedingt, so daß das Spiel vermutlich für DSA-Umsteiger einen wesentlich größeren Reiz hat. Sprich, wer DSA (und idealerweise Earthdawn und/oder Exalted) mag ist hier vermutlich gut aufgehoben, dem Rest kann ein Blick auf's kostenlose Light-Regelwerk als Entscheidungshilfe dienen. Von mir gibt's drei von fünf Punkten.Den Artikel im Blog lesen
 
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