AW: [Geschichten aus der Gruft] Ich war ein ARS-Verbrecher!
Zusammengefasst unsere unterschiedliche Auffassung: Ich gehe davon aus, dass die Spieler relativ schnell ein Gefühl für die Art, wie der SL vorgeht, bekommen. Wenn dabei vom SL im Vergleich zum impliziten oder expliziten social contract zu stark lenkend eingegriffen wird (um mal die Dramaturgie als Begrifflichkeit rauszulassen), kommt es zu Konflikten mit den Spielern, was wiederum das Spiel und die Zielerreichung negativ beeinflusst. Du siehst das anders. Hab ich Dich da richtig verstanden?
Ich denke wir sprechen hier ein wenig aneinander vorbei. Die Frage ob der SL anderes handelt als erwartet und in den bisherigen Spielrunden etabliert, beschäftigt mich kaum. Ich denke nicht, dass Unmut und Frust dadurch verursacht wird, dass der SL nicht das tut womit man gerechnet hat. Ich denke diese Frustmomente sind viel unmittelbarer. Man ist gefrustet, weil der SL jetzt etwas tut was einen nervt und man nach Gründen und Erklärungen sucht, warum das nicht legitim ist; warum der das nicht darf.
Über Brüche mit dem "Social Contract" zu sprechen halte ich da für wenig produktiv. Diese Begriffe helfen um sich dieser Ebene des Spiels bewusst zu werden, also sich klar zu machen dass es viel implizites und unausgesprochenes gibt, was oft sogar noch schwerer wiegt als die Dinge, die man offen artikuliert... aber als Konzept haben sie meiner Meinung nach kein Gewicht, wenn es darum geht Spannungen und Frust am Spieltisch zu entschärfen oder gar zu vermeiden.
Was wären Deiner Meinung nach Beispiele für dramaturgische Eingriffe des SL, welche den Ergebnishorizonz nicht einschränken?
Der ziemlich grosse leere Bereich zwischen dem was etabliert ist, dem was daraus abgeleitet werden kann und dem was durch die Spieler eingebracht wird. Angenommen, du hast ein grösseres Dorf in dem wichtige Örtlichkeiten vorbereitet und etabliert sind, aber eben nicht jedes einzelne Haus. Angenommen, die Spieler entscheiden sich aus völlig unvorhersehbaren Gründen in ein Haus zu gehen, das völlig unscheinbar und bedeutungslos ist. Nach welchen Kriterien entscheidet der SL was in diesem Haus zu finden ist?
Ich sage, dass in solchen Situationen dramaturgische Kriterien hilfreich sinnvoll und hilfreich sind und eben die Entscheidungsfreiheit nicht eingrenzen. (Zumindest nicht mehr oder weniger als es andere Kriterien tun würden.) Als SL würde ich mir vielleicht Fragen stellen wie "Wie ist die Stimmung am Tisch? Ist es Zeit für eine intensive Szene? Ist es Zeit für mehr Informationen? Oder geht es eher in Richtung Entspannung und kurzes Verschnaufen? etc." oder auch "Wie vermittele ich den Spielern am ehesten ein Gespür dafür was es mit diesem Dorf auf sich hat ohne es ihnen ausdrücklich vorzukauen?" Mein Interesse als SL, wenn ich auf "dramaturgische Kriterien" zurückgreife, ist nicht irgendein Plot oder das Inszenieren irgendeiner Szene. Es geht mir um Fragen des Pacings und darum wie ich die Welt spielbezogen erweitern kann.
Natürlich kann man wenn man nach diesen Kriterien geht schlechte Entscheidungen fällen oder eine schlechte Wahl treffen. So wie der SL, der glaubt Dramaturgie bedeutet "immer im letzten Moment", "um Haaresbreite" oder "Erfolge nur nach grossen Verlusten", etc. Aber das hat man ja bei schlechten Plausibilitäts-SLs doch auch. Wieviele (Hard-)Sci-Fi Runden brechen zusammen, weil der SL derart auf starre Plausibilität pocht, dass das Spiel lahmarschig vorankriecht? Ebenso viele Runden geht die Luft aus, weil der SL nur ein sehr naives und oberflächliches Verständnis von Dramaturgie hat.
Aber schlechte SLs sind kein Argument gegen Glaubwürdigkeit bei der Spielwelt, genausowenig wenig wie sie ein Argument gegen "dramaturgische Kriterien" sind.
Da widerspreche ich ziemlich vehement. Dass die Spieler nicht durchschauen, nach welchen Prinzipien der SL das Spiel lenkt, halte für abwegig.
Moment, ich glaube das war missverständlich. Ich meinte damit, dass man als Spieler nicht von aussen beurteilen kann ob und wann der SL in seinen Überlegungen irgendwelchen Absprachen treu bleibt und wann nicht. Man sieht einem SL ja nicht von aussen an, warum er beschreibt, dass da ein Kobold hinter der Tür sitzt.
Über einen längeren Zeitraum bekommen die Spieler nach meiner Erfahrung mit absoluter Sicherheit mit, wann und wie ein SL lenkend eingreift.
Nun.. ich könnte hier ein wenig haarspalten, dass der SL immer lenkend eingreift. Dafür ist er ja da, er artikuliert die Reaktion auf das Handeln der Charaktere, die Konsequenzen ihrer Taten etc. Damit lenkt er das Spiel immer in irgendeine Richtung. Das soll er ja auch, sonst braucht man ja keinen Menschen, der das tut. Der SL soll das Spiel zu einem gewissen Grad lenken und zwar über die Spielwelt (und in der Praxis auch auf Ebene der Spieler); wie auch die Spieler das Spiel zu einem gewissen Grad lenken sollen; eben über ihre Charaktere.
Der Spielleiter spielt die Welt, er verwaltet sie ja nicht nur. So wie die Spieler ruhig aufgefordert sind ihre Charaktere zu spielen, statt lediglich ihre Spielressourcen und Optionen möglichst effektiv zu verteilen und anzuwenden, sollte auch der SL aufgefordert sein der Spielwelt sein eigenes Flair und seine eigene Vision zu verleihen. Eine Möglichkeit das zu erreichen ist eben in passenden Momenten Fragen der Dramaturgie in das eigene Spielleiten einfliessen zu lassen.
Ich plädiere ja überhaupt nicht dafür, dass man Glaubwürdigkeit, Logik oder Spielerinteraktion unterbinden soll, weil es "dramat(urg)ischer wäre, wenn jetzt X passiert". Nichts liegt mir ferner. Aber Fragen der Spieldramaturgie halte ich für kein rotes Tuch für einen Spielleiter, sondern vielmehr für ein sehr nützliches und mächtiges Werkzeug, solange man damit umzugehen weiss.
Nein, damit sagst Du ja, wenn ich Dich richtig verstehe, sinngemäß aus, dass der Zweck von SL die gewählten Mittel heiligt.
Nicht ganz. Ich behaupte viel mehr "Erfolg gibt Recht". Wenn das Spiel funktioniert, d.h. die Entscheidung des SLs dazu geführt hat, dass die Dinge betont, vertieft und weitergeführt wurden, welche für den Spielgenuss der Gruppe wichtig sind, dann waren die Mittel, die der SL dafür benutzt hat, legitim.