AW: Warum Rollenspieltheorie?
... ob Rollenspiel jenseits der in einem System aktiv und in der Praxis verwendeten Begriffe überhaupt "Fachbegriffe", ja eine "Fachsprache" nötig hat.
Rollenspiele haben als Fakt bereits eine Fachsprache, die sich abhebt von der Normalsprache der Nicht-Rollenspieler. Was ein Rollenspieler unter einem Charakter versteht, was ein NSC ist, was Stufe/Level/Grad/Rank/etc. ist, was eine Kampagne ist, was ein Szenario/Abenteuer/Modul/etc. ist, usw.
Wenn ich mir diese Begriffe anschaue und ihre SONDERBEDEUTUNGEN bzw. ihre AUSSCHLIESSLICHE Verwendung im Rollenspielumfeld, so liegt hier schon eine Fachsprache vor.
Diese Fachsprache ist "dialekt-geprägt". Wenn jemand aus der D&D-Ecke mit Levels, Challenge Ratings, Hitpoints, Feats vertraut ist, so spricht er über ähnliche Dinge, die in einem anderen Rollenspiel eventuell nur anders heißen, oder über Dinge, die ein anderes Rollenspiel nicht kennt. Da hat man die üblichen Reibungsverluste, die es auch in anderen Fachsprachen-"Dialekten" ähnlicher Überthemen gibt (z.B. Fahrzeugelektronik ist im Helikopter-Umfeld mit leicht anderen Begriffen belegt als im PKW-Umfeld, aber man - d.h. Techniker beider Sparten - versteht sich doch).
Wenn sich jemand der "Theorie"-Seite die Mühe gemacht hätte zunächst die existierenden Begriffe zusammenzutragen, sie für seine Ideen und Meinungen zu verwenden, dann wäre - so meine feste Überzeugung - nie dieser krasse Bruch zwischen dem "Theorie"-Jargon und der Rollenspieler-Normalsprache aufgetreten.
Klar hat die theoretische (und auch die "theoretische") Beschäftigung mit einem Thema jederzeit das Recht neue Begriffe zu prägen. So wurde ja auch bei Bogenschützen der Steinzeit kaum von Spine-Wert gesprochen, auch wenn sie wußten, was für eine Eigenschaft eines Pfeil damit gemeint war. - Die Definition eines neuen Fachbegriffs hat hier tatsächlich die Kommunikation für die PRAXIS der Bogenschützen ERLEICHTERT.
Solche Begriffsbildungen, die eine Kommunikationserleichterung der aktiven Rollenspieler zum Ziel haben, halte ich für jederzeit legitim.
Nicht jedoch kreatives Begriffeschaffen, welches zum einen losgelöst vom IST-Begriffsspektrum der Rollenspieler stattfindet, und welches zum anderen durch Undurchsichtigkeit der neuen Begriffe eine ERSCHWERNIS des Verständnisses darstellt (zum Zwecke der eigenen Erhöhung des Begriffsschöpfers und seiner Clique).
Das DIENT niemandem jenseits des Selbstdarsteller-"Theoretikers" und ist demnach für die Rollenspiel-Praktiker irrelevant und unbrauchbar.
Wenn man Begriffe neu erschafft, dann sollte - so MEIN Anspruch an einen Rollenspiel-Theoretiker (an "Theoretiker" kann man solche Ansprüche ja nie stellen, da sie nur sich selbst achten und nichts darüber hinaus) - der Begriff STETS hinsichtlich der VERSTÄNDLICHKEIT durch Normal-Rollenspieler, der Brauchbarkeit für die Praktiker, der Klarheit und Mißverständnisfreiheit für einen Leser/Hörer geprüft werden. - Fällt ein Begriff hierbei durch, so ist er nicht geeignet den Zweck der Kommunikation MIT ANDEREN ROLLENSPIELERN zu erfüllen. Das bedeutet, daß man sich diese Begriffsbildung noch einmal überlegen sollte.
Was ist schon nötig? Aber viele Fachbegriffe vereinfachen die Kommunikation zwischen Menschen, die sie beherrschen.
Siehe oben. Solange dies nicht nur ein Lippenbekenntnis als Ziel der Begriffsschaffung war, sondern eine überprüfbare, eine nachweisbare VEREINFACHUNG der Kommunikation, also eine ERLEICHTERUNG nicht ein Erschwernis darstellt, solange wird auch niemand sich von solchen Begriffen abschrecken lassen und sie als "Eliten-Demarkationslinie" wahrnehmen können. - Das haben die "Theoretiker" jedoch nie im Sinne gehabt. Nicht nach Vereinfachung, sondern nach einer "Wissenschaftlichkeits-Darstellung" stand ihnen der Sinn. Und sie nahmen alle absehbaren Folgen der Entfremdung von der aktiven Rollenspielerschar in Kauf, nur um selbst - in ihren eigenen Augen und denen ihrer Clique - als geistig dem Normal-Rollenspieler überlegen darzustehen.
Begriffe entstehen ja auch nicht nur aus Theoretikerkreisen, sondern aus den ganz praktischen Kreisen von Autoren und Spielern.
Wenn ein Autor sein Rollenspielwerk als "Erzählspiel" oder "Abenteuerrollenspiel" oder ähnliches bezeichnet hätte/hat, dann ist dieser Begriff zunächst einmal mit genau diesem einen Rollenspiel verknüpft. Finden sich dann andere, diesem einen, diesem ersten sehr ähnliche Rollenspiele, so kann es ja sein, daß die Spieler/Fans/Forenmitglieder/... diese anderen unter dem Begriff "Erzählspiel" oder "Abenteuerrollenspiel" zusammenfassen WOLLEN, weil es leichter ist "Erzählspiel" zu sagen, als "ein Spiel, das ziemlich ähnlich dem einen Spiel ist, welchem sein Autor den Untertitel 'Erzählspiel' gegeben hat".
Begriffe entstehen immer wieder neu, werden aus anderen Bereichen entlehnt, und sie VERSCHWINDEN auch wieder.
Gegen Rollenspielfachbegriffe kann man nichts einzuwenden haben, weil man sie STÄNDIG BENUTZT.
Es gibt sie, und sie sind nötig (Mach mal einen Fortitude-Save. - Du bekommst 10 XP. - Wieweit bist Du mit Deiner Kampagne?). Sie vereinfachen die Kommunikation schon JETZT. Immer wenn man spielt oder auch wenn man über das Spielen redet.
Was ich nur als grundsätzliche Forderung an Rollenspielfachbegriffe habe, ist deren Brauchbarkeit, deren Verwendbarkeit, deren Verständlichkeit für Normal-Rollenspieler.
Ein Bogenschütze braucht nicht zwingend die Bogenbau-Fachbegriffe zu kennen, um Bogenschießen zu betreiben. Aber wenn er sie nicht kennt, dann fällt ihm die Kommunikation schon allein mit Händlern für Zubehör schwer, da er mit Umschreibungen arbeiten muß, bis er (vielleicht) verstanden wird. - Daher kennt ein jeder Bogenschütze mindestens zu den Arten an Bögen, die er schießt, auch die entsprechenden Fachbegriffe, weil es SEINE Fachbegriffe sind, weil sie BRAUCHBAR, NÜTZLICH und die KOMMUNIKATION ERLEICHTERND sind.
Solche Begriffe gibt es im Rollenspielumfeld durchaus. Und auch hier gibt es ja - ähnlich wie die SEHR unterschiedlichen Bogenarten mit ihren bogenspezifischen Begriffen - Untergruppen von Begriffen, die einen noch spezielleren Rahmen haben (z.B. auf genau ein Rollenspiel bezogene Begriffe), als nur Rollenspiele im Allgemeinen.
Wiedermal die Diskrepanz. Sie wollen dem Rollenspiel helfen, aber keine Wissenschaftler sein, trotzdem äffen sie allem nach, zu meinem Unverständniss.
So sehr und - ehrlich gesagt - so gerne ich den "Theoretikern" Todsünden wie Stolz und Eitelkeit unterstelle, so sehr sehe ich aber auch, daß es bei den treibenden Köpfen durchaus einen ganz bewußten Willen dazu gibt, etwas für Rollenspieler überall HILFREICHES zu tun.
Sie hoffen, daß ihre "Theorie" anderen Rollenspielern hilft ihr Spiel bewußter zu machen, zu erleben, zu gestalten.
Daß sie aus anderen Gründen - wie dem trennenden Jargon z.B. - daran scheitern, steht auf einem anderen Blatt.
Zornhau sagt, sie wollen etwas wie Fechttheorie sein, praxisbezogen, wenig spekulativ.
Zornhau sagt nichts dergleichen.
Zornhau sagt - zuviel The Rock in der Glotze geschaut - ich sage nicht, daß die "Theoretiker" eine praxisorientierte Grundlage für unser Hobby erarbeiten wollen, sondern daß die "Theoretiker" im Unterschied zu den Theoretikern dies nicht interessiert. Sie sind nur sich selbst wichtig genug. Und aus dieser Selbstwichtigkeit kommt nichts, was andere Leute wollen oder gebrauchen können.
Theoretiker im Rollenspielumfeld gibt es durchaus. Und diese liefern Hilfreiches - insbesondere für Autoren von Rollenspielen, wie z.B. die Pattern-Sammlung, die wirklich jedem angehenden Rollenspielautor wärmstens zu empfehlen ist.
Aber auch die Fechttheorie ignoriert die Physik nicht, das was Werkstoffingeneure heraus gefunden haben, aber genau das macht Rollenspieltheorie, sie fängt bei null an.
Also der Anteil, den die (sehr jungen!) Erkenntnisse der Materialforscher zur Fechttheorie beigetragen haben, der ist in etwa so groß, wie der Anteil, den Stochastiker zu der Berechnung/Berechenbarkeit von Wahrscheinlichkeiten bei Rollenspiel-Würfel/Karten/sonstigen Zufallsmechanismen beigetragen haben. Ein wertvoller Beitrag, aber längst nicht die KERN-Thematik auch nur ankratzend. Man kann auch mit aufgeklaubten Knüppeln fechten. Man kann auch ohne Würfel Rollenspiele spielen. - Notwendig ist somit dieser erwähnte Beitrag nicht, wenn auch er nützlich und interessant ist.
Der große Irrtum fängt aber dann an, wenn man glaubt, daß Rollenspieltheorie bei NULL anfinge.
Wie schon oben ausgeführt, so EXISTIERT bereits eine Fachsprache der Rollenspieler. Diese befaßt sich mit den Inhalten, den Eigenschaften und dem Umfeld von Rollenspielen. Da ist schon eine Riesenmenge WICHTIGES enthalten, was nicht erst von irgendwelchen Theoretikern "entdeckt" werden muß. Es mußte meist noch nicht einmal neu formuliert werden, wenn es dafür bereits in der Rollenspielfachsprache gängige Bezeichnungen gab.
So ist z.B. was eine Kampagne ist, so ziemlich JEDEM ROLLENSPIELER geläufig. Aber wieviel Zeit braucht es, dies einem NICHT-Rollenspieler in DESSEN Wortschatz zu erklären? - Eben. Kampagne ist schon ein knapper Ausdruck für etwas, was außerhalb der Rollenspielfachsprache nur schwer kommunizierbar wäre.
Wenn nun jemand die Begriffe in Beziehung setzt. Kampagne, Szenario, Unterarten von Szenarien (One-Shots, Dungeon Crawls, Reise-Szenarien, ...), Charaktere (mit NSCs und SCs und deren Unterschieden) etc. dann bildet sich so langsam ein Bedeutungsgeflecht heraus, welches einem das Verständnis von Abhängigkeiten mancher Begriffe (und damit auch der Dinge, die sie beschreiben) erleichtert.
Ist das schon Theorie?
Ich finde: JA!
Und hier ist NICHT von NULL auf angefangen worden, sondern nur von den bestehenden, den existierenden Begrifflichkeiten und dem - oft impliziten - WISSEN um deren Zusammenhänge.
Niemand, selbst die "Theoretiker" nicht, mußte bei Rollenspieltheorie (oder -"theorie") von NULL auf anfangen.
Das ist ein schwerer Irrtum, welcher aber die folgenden Aussagen besser bewerten läßt:
Es gibt genug Werkzeuge mit denen man an Rollenspiele herangehen könnte, bevor man etwas eigenes zusamenspinnt, aber nein...
Hier sehe ich eine Parallele.
Oben wurde kritisiert, daß man Begriffe (Conflict Resolution) nicht sogleich und einfach zugänglich verstehen könne, und daß es ein nichtzumutbarer Aufwand wäre, sich vor jeglicher Diskussion darüber die Hintergründe dieser Begriffe anzueignen.
Und nun soll Rollenspiel-Hobby-Ausübenden, die sich jenseits der versammelten Spielrunde mit ihrem Hobby THEORETISCH auseinandersetzen wollen, zugemutet werden, daß sie sich mit Medienwissenschaftlichen oder Soziologischen Methoden befassen, bevor sie dies tun?
Das finde ich keine hilfreiche Sicht.
Hier lese ich - bösgläubig wie ich bin - einfach eine ANDERE Form der Selbstherausstellung als den Nicht-Medienwissenschaftlern und Nicht-Soziologen ÜBERLEGENER Rollenspielinteressierter heraus.
Diese Arroganz ist genauso wenig angebracht wie die Forge-Arroganz.
Beide könnt Ihr gerne stecken lassen. Beides muß ich mir nicht geben.
Es gibt nicht einmal irgendeinen ernstzunehmenden Versuch überhaupt nachzuweisen, daß Soziologie oder Medienwissenschaft oder Jura oder Hochfrequenztechnik geeignet sind, sich mit dem Hobby der Rollenspiel-Spiele zu befassen. - Meine Begegnungen mit - klar Einzelpersonen, aber was solls? - Vertretern von Soziologie, Theaterpädagogik, Religionswissenschaft (insbesondere Sektenexperten), welche sich "mit dem Phänomen der Rollenspiele befaßten", waren alles andere als geeignet diese Personenkreise - und damit in Erweiterung diesen Disziplinen - irgendeine Kompetenz zu einer hilfreichen und unser Hobby weiterbringenden Beschäftigung mit Rollenspielthemen zuzugestehen.
Welchen Beitrag haben denn Soziologie oder Medienwissenschaft KONKRET für unser Hobby in den letzten 36 Jahren geleistet?
Wieviele neue Rollenspiele sind aus dem Einsatz von "Werkzeugen" der Soziologie denn entstanden?
Klar ist 99% von dem Zeugs, was die Forge-Clique produziert, Schrott. Genauso scheißig wie der erste-schlechteste Heartbreaker (und Heartbreaker (auch ein Jargon-Term) sind sie ALLE!).
Aber sie geben DENKANSTÖSSE.
Und wenn es nur der Gedanke ist: "Mann, was für eine Scheißidee sich gegenseitig ständig die Spielleiterrolle zuzuschieben!". - Da hat dann wenigstens jemand einen anderen Blickwinkel auf SEINE Rollenspielpraxis mitbekommen, gesehen, wie es anders sein könnte, und sich BEWUSST FÜR SEINE Praxis entschieden. Nun weiß er (vielleicht), warum er es lieber hat, daß die Rollen "Spielleiter" und "Spieler" stets sauber getrennt und von Anfang an festgelegt sind.
Das war es schon wert (auch wenn man das entsprechende Indie-Rollenspiel danach in den Kanarien-Käfig legen kann, damit es noch zu irgendetwas weiterem nutze ist).
Interessanterweise sehen Leute, die einen Hammer (Lösungsdomäne) haben, überall in der Welt (Problemdomäne) ausschließlich Nägel. Denn die Lösungen, die sie kennen und die bislang funktionierten, die versuchen sie (zunächst) auch auf Probleme anzuwenden, bei denen sie sich nicht sicher sein können, daß diese auf die Art lösbar sind. - Oft sind sie es ja auch nicht.
Aber gerade im Falle der Entwurfsmuster paßt der aus der Architektur über die Informatik zum Rollenspiel gelangt Lösungsansatz bestens. Und er befruchtet das weitere Erschaffen NEUER Rollenspiele, indem er viele Eigenschaften in BRAUCHBARER Form den Autoren vor Augen führt und sie somit mit der nötigen Urteilskraft ausstattet BEWUSST bestimmte Entscheidungen zu treffen, wo sie vorher nur ihr unbestimmtes Bauchgefühl hatten.
Das ist ein Gewinn für unser Hobby, finde ich.
Und wenn jemand "nur" den Soziologie-Hammer hat, und er dann versucht damit auf die Rollenspiel-Nägel, aber auch -Schrauben, - Muttern, -Dübel einzuschlagen, dann kommt es an manchen Stellen eventuell zu Erkenntnissen, an anderen eben nicht, weil dieser Hammer schlechter paßt, als sich schnell mal ein paar kleine Bohrer, Schraubschlüssel und Schraubendreher zuzulegen.
Mir ist es grundsätzlich VOLLKOMMEN EGAL, aus welcher Richtung (wissenschaftlich, nichtwissenschaftlich, sonstwas) ein Ansatz sich mit einem Rollenspielthema zu befassen kommt.
Mir ist es jedoch NICHT EGAL, wenn hier bestimmte Ansätze OHNE JEGLICHEN BEWEIS DER SCHÄDLICHKEIT ODER UNTAUGLICHKEIT AUSGESCHLOSSEN werden sollen.
Das halte ich für ein sehr beschränktes Ansinnen.
Die Ansätze sind mir vollkommen egal, nicht aber, WAS DABEI HERAUSKOMMT.
Und hier kann ich den Ansätzen aus Naturwissenschaften und Technik allein schon aufgrund der Fülle an Material und der Fülle an auf Basis dieses Material entstandenen Rollenspielen bestätigen, DASS etwas herauskommt, und daß es MANCHMAL auch brauchbar ist.
Das kann ich bei den bisher frei verfügbaren Ansätzen bzw. Ergebnissen derselben aus Soziologie, Medienwissenschaften oder Theaterpädagogik überhaupt nicht. Da kommt schlichtweg nichts Brauchbares rüber.
Für Gegenbeispiele wäre ich ernsthaft dankbar. Mir sind keine solchen präsent.
Mir geht es bei diesem Theoriethema nur darum, was für das eigentliche Rollenspielhobby dabei abfällt. Und da haben sich beliebige Vertreter unterschiedlichster Disziplinen mit der gleichen Meßlatte messen zu lassen.