AW: Warum ich mit RAW und Abenteuerspiel im RPG nichts anfangen kann
Und der Fokus der von dir aufgezählten Systeme ist zu eng, als dass sie wirklich kampagnentauglich wären
Das ist auch mein Eindruck.
Ich habe ein wenig in "Actual Play"-Threads zu TSoY hineingelesen und dort Eigenschaften festgestellt, die meiner Erfahrung nach gegen eine Tauglichkeit für LÄNGERE bzw. WIRKLICH LANGE (10+ Jahre) Kampagnen sprechen.
Im Vordergrund zunächst einmal das brettspielartige GEGENEINANDER-Spielen.
Ich habe, weiß Gott, nicht ALLE "Actual Play"-Threads gelesen, und noch nicht einmal alle bis zum (aufgrund des "Bleiwüsten"-Charmes mancher Threads, ermüdenden) Ende verfolgt. Somit ist dies einfach MEINE Momentaufnahme zu solchen Rollenspielen.
Und da kommt ein GRUNDSÄTZLICHES GEGENEINANDER als eine der für mich negativst auffallenden Eigenschaften auf.
Zu dem beständigen Einander-in-die-Quere-Spielen kommt dann durch das EXTREME In-den-Vordergrund-Spielen der jeweiligen Charaktere (was natürlich auch ein Grund für das Einander-in-die-Quere-Kommen ist),
daß KEIN Charakter mal DER GRUPPE WEGEN ZURÜCKSTECKT. So zumindest mein Eindruck.
Überhaupt taucht der für Kampagnen meiner Erfahrung nach BEGRÜNDENDE Gruppengedanke in diesen Spielen NICHT auf (und es wird so getan, als ob das Totalindividualistische der überlegenere Evolutionsschritt gegenüber dem TEAM, der Mannschaft, der Gruppe, der Posse, der Schar, etc. sei).
Damit sich eine Kampagne über 10 und mehr Jahre immer noch interessant und lebendig halten kann, braucht es etwas, das mehr ist als nur die Summe der Spielercharaktere (und solche Spiele wie TSoY kommen hier noch nicht einmal auf diese Summe, weil sich die Charaktere gegenseitig "abziehen").
Ich habe gerade eine Savage Worlds Fantasy-Kampagne am Laufen, die (erst, weil Savage Worlds ja auch noch ein "junges" Regelsystem ist) im dritten Jahr ist. Und wir haben hier eine Gruppe, die mehr ist, als nur die Summe der einzelnen Charaktere. Diese Gruppe ist der MOTOR der Kampagne!
NICHT EIN EINZELNER CHARAKTER, sondern DIE GANZE GRUPPE.
Die gesamte Gruppe bewegt das Setting, daß kein Stein auf dem anderen bleibt (diese Savage Worlds Kampagne hat sich so entwickelt, wie ich mir immer schon meine HeroQuest-Kampagnen gewünscht hatte - und das OHNE irgendwelches Spielleiter-Zutun, sondern nur durch ZULASSEN dieser Entwicklung).
Was die Kampagne in Fahrt hält, ist, daß immer wieder EIN ANDERER Charakter/Spieler oder oft auch MEHRERE mit neuen Ideen kommen, wie man die Lage, die Welt für ALLE gestalten kann.
Das ist Verantwortungsübernahme, die nicht allein auf das einsame, armselige Individuum mit seinen persönlichen "Problemen" bezogen ist, sondern die aus den Reibungspunkten der Gesamtheit der Gruppe mit dem Setting entsteht.
Eine Kampagne zündet nämlich dann, wenn es UM MEHR als um individuelle Problemchen geht.
Mir ist der Fokus bei TSoY (und TRoS und anderen Forge-igen Spielen) viel zu sehr WEG von der KLASSISCHEN, MENSCHLICHEN Sozialstruktur entfernt, die Menschen schon immer gewählt haben, um GROSSES zu tun: Der Gruppe.
Klar gibt es Fantasy-Helden, die als Einzelkämpfer ihren Aufstieg erleben. - IM BUCH.
Im Rollenspiel wären das 1:1-Spielrunden. - Tendenziell ziemlich langweilig, weil hier die Interaktion zwischen den Spielern, den SCs und der GRUPPE insgesamt mit dem Rest der Welt fehlt.
In unserer Savage Worlds Fantasy-Kampagne haben wir acht SCs. Jeder ganz klar mit individuellen Zielen (zumindest bei Charaktererschaffung) ausgestattet. Nun, nach Jahren regelmäßigen Spielens haben wir hier ein SUPERTEAM. Da ziehen alle - trotz interner Reibereien - am gleichen Strang. Da ist überhaupt nicht Friede-Freude-Eierkuchen, sondern da wird hart und nicht immer fair miteinander umgegangen. Da entgleisen auch mal die persönlichen Ziele und erschweren der Gruppe das Leben. Aber da alle sich die GRUNDSÄTZLICHEN GEMEINSAMKEITEN innerhalb der Gruppe zueigen gemacht haben, rauft man sich zusammen, um DIE WELT zu bewegen, nicht nur seinen eigenen Arsch.
Ich habe den Eindruck, daß langlaufende Kampagnen mit solchen Rollenspielen nur OHNE diesen ÜBERINDIVIDUELLEN Fokus, den viele Forge-Spiele aufweisen, funktionieren können. - Rollenspiele wie Midgard, DSA, D&D, RuneQuest, Deadlands haben KEINE expliziten Regeln für das "Schaffen von Gruppen" (wie sie z.B. HeroQuest hat). Sie haben KEINE persönlichen Zielvorgaben, Obsessionen, u.a. charakterbestimmende Crunch-Werte. - Und das ist meiner Meinung nach auch der Grund, warum hier GRUPPENSPIEL besser klappt, als bei den überindividuellen Charakter-In-Die-Erste-Reihe-Forge-Spielen.
Ich kann mir z.B. nicht vorstellen, wie eine Sorcerer-Kampagne im 10. Jahr aussehen könnte. Sorcerer bricht aufgrund der Kicker-Thematik an seinen eigenen Sollbruchstellen ab.
TSoY, so mein Eindruck aus dem "Actual Play"-Stöbern, auch.
Irgendwann ist die Geschichte des Charakters, die eigentlich schon bei der Erschaffung im Keim angelegt wurde, FERTIG erzählt. Und dann ist halt Schluß.
Charaktere in Midgard oder Deadlands sind "geschichtsOFFEN". Da gibt es außer einer Handvoll Zeilen mehr an VOR-Geschichte nur das, was tatsächlich im Spiel passiert ist. Und der Spieler kann sich IMMER so oder anders entscheiden, weil er nicht durch Charakter-Entscheidungs-Crunch gezwungen wird oder ihm zumindest bestimmte Verhaltensweisen als "besser" (siehe TSoY-Erfahrungspunktevergabe) suggeriert werden.
Wenn man mal einen EINZIGEN Charakter GEGEN DEN REST DER WELT und auf Teufel komm raus ausspielen will, ist das ja auch eine gute Sache.
Nur "sozial verträgliche" Charaktere kommen bei so etwas nicht heraus.
Und was nicht sozial verträglich ist, das paßt auch in kein TEAM.
Ein Kampagnen-Team ist wie eine Fußball-Nationalmannschaft. Wenn sie zusammenstehen und sich GEGENSEITIG MOTIVIEREN, statt sich gegenseitig aus individuellen Gründen zu behindern, dann BILDET SICH ETWAS. Dann bekommt man ein SUPERTEAM. Eine Gruppe, die zusammen mehr leistet, als es die einzelnen Mitglieder könnten.
Ich hatte letztes Jahr eine sehr gute Vergleichsmöglichkeit: eine UA-Runde (UA, wo es solche Sprüche gibt wie "die Gruppe ist das Wichtigste bei der Erschaffung", wo es aber KEINE REGELN für die GRUPPE, sondern nur für OBSESSIVE INDIVIDUEN gibt) und meine Savage Worlds Fantasy-Kampagnen-Runde.
In der UA-Runde war trotz gemeinsamer Erschaffung einer "Gruppe" (wie gesagt KEINE Regeln dafür in UA) die Runde nur eine Ansammlung aus Einzelnen. Jeder von denen mit seinen eigenen Obsessionen befaßt. Nur lose durch gemeinsamen Ort und ein VAGES gemeinsames Ziel zusammengehalten. Da strebten ALLE Charaktere nur auf sich selbst zu. Das ist ja bei Individualisten mit einander ausschließenden Obsessionen nur allzu verständlich. Und es gab keine KOHÄSION innerhalb der Gruppe. Nur das UA-typische: "I'm a Mage. I take no shit from anybody!". Und das halt fünf Mal (bei fünf Charakteren).
Es gab kein "Wir sind die Kompanie des Flammenden Schwertes." In der Fantasy-Kampagne ist Wir- und Ich-Gefühl vertreten. Jeder Charakter/Spieler ist ein ICH und fühlt aber zusammen mit den anderen das WIR.
Auch Savage Worlds kennt keine Regelunterstützung für das Bilden von Gruppen. Auch Savage Worlds hat individuelle Charakterzüge (als Vorteile/Nachteile regeltechnisch abgebildet). - Aber es hat KEINE ZWANGSLÄUFIG auseinanderdriftenden Charakter-Vorgaben.
Der Unterschied zu UA ist der, daß bei UA es SEHR LEICHT und SEHR WAHRSCHEINLICH ist, solche auseinanderstrebenden Indidividuen-Ansammlungen, die sich nur "Gruppe" nennen, zu erschaffen. - Und solche Haufen verlieren sich vor lauter "Ich, Ich, ICH!" auseinander und damit die Kampagne auch an Fahrt. (Klar kann der Spielleiter immer wieder Öl nachgießen, daß den SCs Feuer unterm Hintern gemacht wird, und sie so in eine Richtung in einer Kampagne gescheucht werden. Aber SELBSTLÄUFER-Kampagnen halte ich in UA für geradezu von der Grundthematik von UA für UNMÖGLICH.)
Ich schere hier Forge- und Nicht-Forge-Rollenspiele über einen Kamm.
Dieser Kamm ist
die gemeinsame Eigenschaft, daß sie in ihren Grundsätzen (ob Regeln oder Setting oder beidem) das Individuelle der Charakter ÜBERBETONEN und aus Gruppenfähigkeitssicht auseinanderstrebenden Charaktere der GEWOLLTE Normalfall sind.
Und diese Eigenschaft ist für mich am stärksten kampagnenhinderlich. (LANGE Kampagnen gemeint - eine acht Spielabende laufende Kampagne bekommt man mit diesen Rollenspielen locker hin, aber eine acht Jahre laufende nicht.)
Wer erinnert sich noch daran, daß es bei D&D damals unter den Spielern die herausgehobene Rolle des "Callers" der Gruppe gab?
Wer erinnert sich noch daran, daß es bei D&D der 70er und beginnenden 80er ÜBLICH war seiner Gruppe an SCs einen GEMEINSAMEN GRUPPENNAMEN zu geben, unter dem die Gruppe auftrat?
Ich hatte Mitte der 80er mit US-Soldaten der Pershing-II-Truppen hier in der Region AD&D gespielt. Für die, und darunter waren einige "Veteranen" aus Chainmail-Zeiten, war solch ein Vorgehen üblich.
Man hat die Charaktere, aber man BRAUCHT die Gruppe um sich gegenseitig Halt zu geben. Die Gruppe ist die Gemeinschaft für die "Abenteuerer", die ihnen Familie, Beruf, Heimat etc. ersetzt und ihnen eben DOCH die notwendige Unterstützung im Verletzungs- oder Krankheitsfalle gewährt, sie ernährt, kleidet, bewaffnet und dafür Loyalität und Unterstützung der gemeinsamen Ziele erwartet. (Im - wieder einmal rühmlichen - Beispiel HeroQuest ist das nicht nur erkannt, von Crunch unterstützt, sondern auch vom Setting-Fluff her Bestandteil der "Lebensrealität" auf Glorantha.)
Daß diese Art der Gruppenbildung in den Urzeiten des Rollenspiels so selbstverständlich war, und so nach und nach "vergessen" wurde, kam mir erst so richtig zu Bewußtsein beim Wechsel von AD&D zu D&D 3.0. - D&D 3.0 hat viele notwendige regeltechnische Bereinigungen vorgenommen, daß man kaum mehr zum alten, inkonsistenten AD&D zurück wollte. Und doch fehlte etwas.
Der Name-Level.
Der Level, ab dem man (spätestens) VERANTWORTUNG für andere übernehmen können MUSS/sollte.
Wie kommt man dazu als Einzelkämpfender Fighter Level 8 bei Level 9 plötzlich ein Anführer von Gefolgsleuten, von Truppen zu sein?
Indem man das schon ab Level 1 LERNT und ÜBT.
Eine sehr gute Darstellung, wie das auch heute noch - im Geiste von Damals - geht, findet man übrigens bei den Order of the Stick Comics.
Der Anführer einer HELDEN-Gruppe ist praktisch NIE ein Zauberer, Dieb, oder Kleriker, sondern fast IMMER ein KÄMPFER. Das ist normale, menschliche Natur, daß man in einer Umgebung beständig drohender Gewaltanwendung denen folgt, die dies ganz bewußt zu ihrer Profession gemacht haben.
Ich finde, daß man bei dieser Art GRUPPENSPIEL Erfahrungen als Spieler macht, wie man mit einem Team noch so harte Herausforderungen durch gemeinsames Arbeiten überwinden kann. Mit allen sozialen Herausforderungen von Außen und von Innen. - Da lernt man das Verhalten von und in Gruppen sehr gut kennen.
Die heutige Zeit, der heutige Zeitgeist ist einer, der Verantwortungsübernahme, Loyalität, Zurückstecken zum Wohle anderer/aller äußerst NEGATIV gegenübersteht. Was heute mehr zählt ist Durchsetzen gegen alle anderen, Nehmen, bevor es ein anderer Nimmt, auf dem Nachteil des Anderen seinen Vorteil suchen, Loyalität nur zu sich selbst und zu sonst niemandem, Ich vor Wir.
Insofern sind die Forge-Spiele der letzten Jahre ein Kind ihrer (und unserer) Zeit.
Es sind die Rollenspiele der Egoisten, der Nehmer, der Aufsteiger, der Durchsetzer, der Illoyalen, der Niedermacher.
Daher kommt auch der "Brettspiel-Charakter" von solche Spielen, wo im Vordergrund steht, wie man SEINEN Charakter zum Schaden oder auf Kosten anderer zum SIEGER werden läßt.
Das sind keine Fußballer mehr, wo die gesamte Mannschaft (auch die auf der Auswechselbank) gewinnt oder verliert, sondern es sind Individualsportler, die nur so tun, als würden sie in einem Mannschaftssport spielen.
Daher kommt meiner Meinung nach auch eine (nicht DIE, sondern wirklich nur eine von mehreren) ARS-Auslegungen: Der Wettbewerb zwischen den Spielern steht im Vordergrund.
Das ist aus ALTER Rollenspielersicht total FALSCH.
Ich bin der alte Fußballer, der es nie anders gelernt und nie anders erlebt und nie anders zu schätzen gewußt hat, als daß SEINE GESAMTE MANNSCHAFT SPIELT und sich eventuell GEMEINSAM durchsetzt oder GEMEINSAM untergeht.
ARS-Leute wie Skyrock sind die Individualsportler, bei denen nur ihr EIGENER Sieg etwas wert ist, und denen die Gruppe nur MITTEL zum Zweck des eigenen Siegs ist.
Ich bin inzwischen durchaus davon überzeugt, daß - wie alles - auch Rollenspiele Kinder ihrer Zeit sind. Und wir haben aktuell eine völlig materialistische, Chancenungleichheit und Nimm-was-Du-kriegen-kannst propagierende und dies auch LEBENDE Zeit. Und da kommen ganz natürlich aus den Köpfen der Menschen, die in solchen Zeiten leben, die eventuell zu jung sind, um andere, sozial-verantwortlichere, gemeinschaftlichere Zeiten erlebt zu haben, Rollenspiele, die eben genau das abbilden, was eben schon lange in den Köpfen der Autoren ist.
Kampagnenfähigkeit ist für mich zu allererst TEAMFÄHIGKEIT.
Und Rollenspiele, die den Zeitgeist des "Ich vor Wir" in Regeln fassen, die sind nicht teamfähig (nicht fähig TEAMS im Spiel zuzulassen oder gar bewußt zu unterstützen). Und daher auch nicht kampagnenfähig.