AW: Spielerverantwortung
Es gibt noch Leute die versuchen eine festgelegte story durchzuziehen?
Eine ganze Menge Leute sogar.
Wie soll man den sonst die so toll durchdachten, stimmungsvoll geschriebenen Fertigszenarien für Cthulhu, Unknown Armies, etc. spielen?
Wenn man - wie hier schon
in diesem Thread ansprochen wurde - bei CoC den Spielern dieselben Freiheiten hinsichtlich ihrer Handlungen, ihrer Bewegungsfreiheit und dergleichen lassen würde, wie bei anderen, weit offener, weit weniger "geskripteten" Rollenspielen, dann könnte man die Mehrzahl der CoC und UA Fertigszenarios in den Gully kicken. Denn dann würden die SCs, die auch nur ein klein wenig Eigeninitiative, eigene Interessen oder einfach nur ein klein wenig Selbsterhaltungstrieb haben, beim ersten Erscheinen von Fertigszenario-Plot-Punkten sofort IN DIE ANDERE RICHTUNG gehen.
Ich habe bei Spielern, die aus langer Deadlands-Spielerfahrung ein ziemlich freies Agieren gewohnt waren, auch schon ein - angeblich ja so tolles, gutes, deutsches - Cthulhu-Szenario voll in die Hose gehen sehen, weil die Charaktere KEINEN auch nur irgendwie ersichtlichen Grund hatten im Szenario weiterzumachen. Keine persönliche, aus dem Charakter erwachsende Motivation, keine Hinweise, die einem neugierigen Charakter vielleicht noch ausreichend Grund weiternachzubohren geben könnte, keine Auftragsverpflichtung, nichts was die Charaktere in der "Story" gehalten hätte. - Damit war nach ca. einem Viertel des Fertigszenarios die "schöne Geschichte" vorzeitig zuende.
So kann's gehen.
Und dann gibt es - zumindest so beim Cthulhu-Forum gelesen - die wunderbaren Tips an die Spieler, daß sie gefälligst die Fresse halten sollen und einfach irgendwie weitermachen sollen, da sie ja wegen des gemeinsamen Spiels zusammengekommen sind, und wenn sie jetzt mit ihren Charakteren Zicken machen, dann sind sie eben doof und dann darf man als Spielleiter auch ganz offiziell schmollen gehen.
Das ist m.E. ein bei Cthulhu besonders verbreitetes Problem, da die an sich schön zu lesenden Fertigszenarien eben doch weit mehr den Plot als die Handlungsfreiheit der Spieler in den Vordergrund stellen. Das ist bei den neuen, deutschen Cthulhu-Produkten nach meinem Eindruck stärker der Fall, als es bei den alten Call of Cthulhu Szenarien der Fall war. Dort - zumindest in den Szenarien, die ich öfter gespielt/geleitet habe - wurde eine Situation, eine Stadt, ein irgendwie gelagertes Kräftefeld beschrieben, in welchem sich die Charaktere nach BELIEBEN der Spieler bewegen konnten. - Ich empfand schon immer die eng an einem GANZ BESTIMMTEN, ja VORHERbestimmten Plot hängenden CoC- bzw. Cthulhu(DE)-Szenarien als die vom Spielen her einschränkendsten und die vom Leiten her nur noch mit brachialen Spielleiterdruckmethoden durchzuprügelnden Vertreter der Fertigszenarios. (Nein, ich habe KEINE initiativlosen, "enjoy the ride" Spieler, sondern nur welche, die IMMER das machen wollen, was sie SELBST für sinnvoll halten. Und ich finde das gut so.)
Bei so manchen Szenarien - nicht nur bei Cthulhu, auch bei UA und vielen, mehr als ich hier auch nur anreißen will - sind die Autoren nicht so recht entschieden, ob sie lieber eine Kurzgeschichte, einen Roman, oder vielleicht doch mal etwas, wo Spielerentscheidung auch ETWAS BEWIRKEN KANN, schreiben wollten. - Ich hätte so manche Szenarien lieber als Geschichte gelesen, denn mich über das massive, vom Autoren vorgegebene MUSS-Railroading zu ärgern.
Ein wirklich enttäuschendes Beispiel war die Witchfire-Trilogie, die ich mir erst angeschafft hatte, als alle Welt sich ach so lobend geäußert hatten (ja, ich gebe was auf die Rezensionen und Meinungen in diversen Foren bevor ich mein Geld für etwas ausgebe).
Bei der Witchfire-Trilogie darf der Haupt- und Ober-Bösewicht in den ersten beiden Teilen nicht abkratzen. Da mögen die Spieler noch so findig sein, noch so schnell ihre Schlüsse gezogen haben, wer denn nun der Verantwortliche für all das Übel ist, es wird ihnen nichts nutzen. Selbst bei einer direkten Konfrontation mit dem Bösewicht MUSS dieser entkommen! Dazu ist der Spielleiter förmlich verpflichtet, wenn er so doof war und sich die drei Szenarien zusammen (bzw. den inzwischen erschienenen Sammelband) angeschafft hat). - Als ich das erste Szenario, welches ich mir zu leiten wirklich ernstlich überlegt hatte, gelesen habe, da hatte ich mich wirklich selbst über mein normalerweise schon eh cholerisches Maß geärgert über das darin festgeschriebene, unvermeidliche Railroading der SCs, die in diesem Szenario zudem noch nicht einmal den Hauch einer Motivation haben werden, irgendwelche der vorgeschlagenen "Einstieg" in diese Kampagne wahrzunehmen (das Beste: "Geht auf den Markt und kauft mir die Sachen von diesem Einkaufszettel!" - Geht es noch spannender und abenteuerlicher? - Ja, natürlich! ALLES andere ist spannender. *seufz*).
Doch ist die Witchfire-Trilogie ja ein ziemlicher Erfolg für Privateer Press geworden.
Somit scheint das Extreme Railroading ja wohl weit weniger ein Problem darzustellen, als ich es vielleicht empfinde.
Welche Verantwortung haben dann die Spieler, wenn sie mit ihrem Freund und Spielleiter z.B. Cthulhu oder Iron Kingdoms spielen wollen?
Kann es denn wirklich sein, daß die Verantwortung darin besteht, die Schnauze zu halten, eigene Kreativität runterzuschlucken, coole Ideen unausgesprochen zu lassen und passiv wie Treibgut am Strand sich von jeder Wellenbewegung des Fertigszenarios initiativlos hin- und hertreiben zu lassen?