AW: Spieler- und Charaktermotivation
Zornhau vertritt die These, dass ein Setting wie oben geschildert die Spieler mehr dazu motivieren würde plündernd, mordend und brandschatzend durch die Gegend zu ziehen, als sich daran zu beteiligen (was vom Plot unterstützt und belohnt würde) etwas neues Aufzubauen.
Ich habe KEINE "These" aufgestellt, sondern bin der ANSICHT, daß ein Setting wie "Blank Slate", wenn es OHNE moralische Werte, ohne Religion oder vergleichbare Motivatoren für das Schaffen von Gemeinschaften, für das Konstruktive im menschlichen Zusammenleben daherkommt, kaum ANREIZE für das Mitwirken am Wiederaufbau bietet.
Helden können grundsätzlich NICHT ohne jegliche moralische Motivation agieren. Denn dann sind es KEINE Helden. - Diese muß nicht irgendwie mit einer organisierten Religion, einem kodifizierten Ehrverständnis, einer für das soziale Handeln relevanten Philosophie verbunden sein, doch macht all das es LEICHTER.
Beispiel: In Deadlands können die Spieler schnell auf den "Outlaw Trail" geraten, wenn sie marodierend und überaggressiv durch die Gegend ziehen. Das wirkt nicht schnell, aber dafür sehr nachhaltig als Reaktion des Settings auf diese Parasiten, die es ständig durch unmotiviertes Töten, Rauben und Plündern stören. - Deadlands geht aber bei den Kauf-Abenteuern davon aus, daß die Spieler HELDEN des Weird West spielen sollen. Wenn die Spieler das auch WOLLEN, dann gibt es keinerlei Probleme. Aber was, wenn die Spieler das NICHT wollen, oder wenn ihnen das abverlangte Heldentum am Arsch vorbei geht? - Damit das nicht ständig die Gruppen in asoziale Verbrecherbanden entarten läßt, gibt es zum einen durch in vielen Bereichen des Westens funktionierendes Recht und Gesetz eine Hürde, zum anderen durch Spielmechaniken wie die NSC-Reaktion, wenn man Nachteile wie Enemy, Wanted, Bloodthirsty usw. hat. - Diese Spielmechaniken sind mechanische "Bremsen" für das völlige Entgleisen. - Es gibt auch die FÖRDERNDEN Mechaniken, Eigenschaften wie Heroic, Code of the West, Lawman, usw. geben direkte Belohnungen in Form von Fate-Chips für heldenhaftes, altruistisches Verhalten der Charaktere.
Man hat hier also ein noch FUNKTIONSTÜCHTIGES Sozialsystem, innerhalb dessen ein Entgleisen aufgefangen wird durch Recht, Gesetz, öffentliche Meinung, Religion, Ehrenkodex, usw. - UND es wird das konstruktive, das heldenhafte Verhalten BELOHNT.
Nun zu solchen "Zusammenbruchs-Settings" wie "Blank Slate", wo der Zusammenbruch, die Apokalypse gerade eben gestern passiert ist, also noch alles ganz "frisch" ist.
Es gibt KEIN Recht, KEIN Gesetz, KEINE öffentliche Meinung, KEINE Religion, KEINE Ehrbegriffe mehr.
Bei solchen Settings muß nämlich nicht die materielle Welt kaputt gehen, damit alles den Bach runter geht, sondern es reicht, wenn die menschliche Sozialgemeinschaft ZERSTÖRT wird.
Dann gibt es nur ein einziges "Recht": Das Recht des STÄRKEREN.
Und das sorgt dann für Verhältnisse wie in Somalia. - Marodierende Banden respektieren nur die Eigenschaft andere Leute schneller und heftiger zu töten, als sie selbst das hinbekommen.
Was hat ein einzelner Mensch nun davon, hier konstruktiv zu Arbeiten?
Er hat jede Menge LANGWEILIGER ARBEIT, harter ARBEIT vor sich. Das Konstruktive ist das Suchen, Bauen, Anbauen, die Nahrungs- und Wasserversorgung Herstellen usw.
Das ist als Computerspiel wie Civilization und dergleichen noch interessant, aber nicht wirklich spannend im Rollenspiel umzusetzen. - Wie gesagt: Will man wirklich eine Siedler-Einheit bei Civilization spielen, die einen Landstrich bewässert?
Hier kommt die Frage der Motivation auf.
Die gesamte Sozialgemeinschaft ist kaputt gemacht worden, es gibt nichts außer viel ARBEIT, und die ist auch noch langweilig und auf längerfristige Ergebnisse ausgerichtet (die nächste Ernte, das nächste Jahr, wenn die jetzt in die wieder aufgebaute Schule gehenden Kinder groß sind und die gepflegten Wasserkraftanlagen weiter warten sollen, usw.).
In solchen Settings setzt sich SOFORT der skrupelloseste Gewalttäter durch. Die Gruppe, die am brutalsten und rücksichtslosesten ist, die NIMMT sich das, was andere mühsam erbaut haben. - DAS sind die schnellen und befriedigenden Erfolgserlebnisse - UND: man bekommt noch jede Menge Kampf-Szenen mit meist unterlegenen Gegnern.
Da so ein Setting mit der Apokalypse gerade so eben "post", d.h. noch frisch nach der Zerstörung, noch KEINERLEI soziale Gemeinschaften aufweisen kann, wird es den Bach runter gehen.
Das ist meiner Meinung nach der Hauptgrund, wieso die meisten Post-Apokalypse-Rollenspiele deutlich NACH den ersten "Shake-Outs", den ersten moral-freien brutalen Schlächtereien, dem fiesen verhungern Lassen, dem Stehlen von den Schwachen, usw. spielen.
In den meisten Post-Apokalypse-Rollenspielen EXISTIEREN bereits Organisationen. Diese haben den "Shake-Out" schon hinter sich gebracht, die Zeit der brutalsten Unmenschlichkeiten ist bereits Geschichte. Und auf dieser Basis funktioniert dann wieder NORMALES Verhalten, da kann man sich mit Glaube, mit Überzeugung, mit einer Vision für eine bessere Zukunft konstruktiv an die bestehenden Gruppen anlehnen.
Das ist das, was einem HALT gibt. - Da kann man Charaktere spielen, zu denen man noch eine normale Beziehung aufbauen kann, weil sich deren Umfeld halbwegs nachvollziehbar anfühlt.
Die Marodeure der ersten Stunden sind kaum etwas, was einem für einen heldenhaften Charakter "Halt" geben kann. - Doch sind sie die GEWINNER der ersten Jahre!
Spieler in solch "haltlosen" Settings werden enorme Schwierigkeiten haben die gewünschte "Konstruktivität" im Spiel in den Vordergrund zu rücken. - Diese ist zum einen (außer für Civilization-Spieler) LANGWEILIG und zum anderen bringt sie nichts!
Ich habe teils jahrelangen Kampagnen mit Gamma World erlebt, die SEHR konstruktiv waren. Hier war der Ausgangspunkt aber immer eine kleine Siedlung mit Mutanten und Gedöns und diese wurde durch die SPANNENDEN Eroberungen, diplomatischen Missionen, Verteidigungsgefechte, Entdeckungen der SCs eben nach und nach einflußreicher und mächtiger und somit größer und ausgebauter.
Der Brennpunkt der Abenteuer waren immer KRITISCHE Herausforderungen, die oft die OPPOSITION anderer Gruppen hatten, immer mit der Option auch Verbündete zu gewinnen, Allianzen zu schmieden.
Das geht, weil man bereits EINE GUT FUNKTIONIERENDE Gruppe hat, von der man ausgehen kann, daß sie schon eine geraume Zeit in dieser Welt überstanden hat.
Bei "Blank Slate" hat man "Stunde Null". Da gibt es NICHTS an sozialer Ordnung mehr. - Und das geht böse ab. Für eine ganze Zeit geht so etwas so dreckig zu, wie man es sich am Beispiel Somalia und das potenziert vorstellen kann.
Es zählt nichts an moralischen Werten, es zählt nur die GEWALT.
Das ist meine Sicht auf ein solches "Gesellschaftsfreies Stunde Null"-Setting.