Ein Gastbeitrag von Harald Eckmüller – (He/Him) RPG nerd at @3w6pc, avid storyteller & aspiring game designer. Current project: acesinspace.com#IamHopePunk
Im Rahmen des Kickstarter von
Aces in Space habe ich irgendwann diesen
Tweet-Thread geschrieben. Im wesentlichen geht es darin um zwei Dinge: Erstens, es gibt keine nachhaltige Relation zwischen dem, was ein Rollenspiel in der Erstellung kostet, und dem, was wir alle bereit sind dafür zu bezahlen. Zweitens, das macht die Gelegenheit, ein Rollenspiel auf den Markt zu bringen, zu einem privilegierten Hobby. Dann wollen wir uns diese beiden Aussagen mal näher ansehen.
Wie man nach einfacher Internetrecherche in Erfahrung bringen kann, muss der Stundensatz eines Durchschnittseinkommens in Deutschland bei ca. 30 € liegen, damit man davon leben kann. Selbst das geht von einer durchgehenden Beschäftigungslage aus. Was, wenn man davon leben will, Rollenspiele zu machen, und in Anbetracht der Größe der deutschsprachigen Community, bedeutet das, dass nur wenige Leute überhaupt die Chance darauf hätten. Die Frage ist also: Wer hat die besten Chancen zu dieser kleinen Gruppe zu gehören?
Wer das übrigens nicht glaubt: zählt mal durch wie viele Personen Vollzeit für Rollenspielverlage arbeiten. Ich warte gerne bis ihr fertig seid — es wird aber auch nicht lange dauern. Kurzum, 30 € Stundensatz ist schon das untere Ende, realistischer wären wohl eher 50 €. Vor allem wenn man Krankenstände, niedrige Auftragslage, Kinder im Haushalt, Pensionsabsicherung, etc. abdecken und nicht beim ersten Zwischenfall pleite gehen will.
Dem gegenüber steht der Aufwand der notwendig ist, um ein Rollenspiel auf den Markt zu bringen. Das werde ich mal kurz am konkreten Beispiel Aces in Space erläutern. Insgesamt sind in dem Projekt folgende Personen involviert: 3 HauptautorInnen, 6 IllustratorInnen, 2 Proofreaderinnen, 8 Stretchgoal-AutorInnen, 14 weitere Personen die Texte beigetragen haben, 1 Software-Entwickler, und unzählige Fans die ihre Energie und Freizeit in alle möglichen Dinge wie Playlists, Lego-Builds, Fanart, Fanfiction, usw investiert haben. Kurzum, es haben 34 Personen in „offizieller Funktion“ eine relevante Menge an Arbeit rein gesteckt. Was bedeutet das genau in Arbeitsleistung? Anhand von Judith, Christian und mir wären das mal folgende Dinge:
- Kickstarter Video (34 h): 6 h Drehbuch, Vorbereitung, etc; 18 h Drehtag; 20 h Schnitt;
- Kickstarter Launchparty (27 h): 3W6 Con Vorbereitung 6 h; Liveaufzeichnung, Podcast Verbreitung, Spiel vorstellen 9 h; Kickstarter Kommunikation in den ersten drei Tagen 12 h
- Medienpräsenz (55 h): Mehrere Podcasts 10 h; Twitch-Stream 5 h; Acht Social Media Stretchgoals mit Betreuung 32 h; Flyer für den Gratisrollenspieltag 8 h
- Kickstarter Aufsetzen (80 h): Rechtliche Rahmenbedingungen schaffen; Texte schreiben, Grafiken machen, Video, Stretchgoals vorbereiten, Produktionsrecherche für Add-Ons, Backerkit einrichten, etc.
- Layout (125 h): Buch 70 h; Quickstarter 25 h; Roman 20 h
- Playtesting (160 h): Ca 20 Sessions mit Vorbereitung, Durchführung, Feedback einsammeln, in das Produkt einarbeiten
- Spiel Schreiben (220 h): Erster Draft mit Weltenbau, Regeln, und Nanogames
- Weiteres Schreiben (40 h): Kurzgeschichten für die exklusiven Pledges, eigene Stretchgoals, etc.
- Chopper Quartett (80 h): 28 Lego Chopper bauen & renderen, Texte dazu schreiben, Layouten
Laufendes Projektmanagement, ständiges Korrekturlesen, usw können wir nicht mal annähernd beziffern, ausser dass uns das Projekt seit einem Jahr beschäftigt und wir in täglicher Kommunikation sind.
Bisher sind das also 811 h Arbeitsleistung von 3 Personen. Da ist die Leistung der anderen 31 Personen noch nicht eingerechnet. Wir haben 30 Artworks mit ca 180 h, wobei auch hier viel Arbeit geleistet wurde die vermutlich nicht 1:1 verrechnet wurde, weil die Leute das Projekt auch wirklich umgesetzt sehen wollen. Die Stretchgoalautor*innen bekommen eine fixe Pauschale, aber nach dem was ich in der Kommunikation zwischen den Zeilen lesen konnte, ist der Aufwand bei jedem einzelnen jenseits dessen was die Pauschale ausmacht — in vielen Fällen eher bei 40 h aufwärts. Es wird sogar sogar eine eigene App mit einer Choose-Your-Own-Adventure Geschichte zu Aces in Space geben — wie viel Aufwand da rein geflossen ist werde ich jetzt gar nicht zu spekulieren anfangen (und das obwohl mein Brotberuf App Designer ist).
Wollen wir also mal sagen die Schätzung liegt bei 1.400 Stunden an Arbeit die in Aces in Space geflossen sind. Wenn wir das mit dem oben angesetzten Stundensatz multiplizieren, sind die reinen Kreativkosten 42.000 €. Mit Produktionskosten, Gebühren, usw. kommen wir vermutlich eher auf 50.000€. Nachdem wir 500 Bücher drucken, müssten wir also für das einzelne Buch um 100 € verkaufen um so Kostendeckend zu sein, das Leute auch wirklich davon leben können. Dabei haben wir übrigens nicht eingerechnet, was die Verlagsseite so kostet. Wer dazu mehr erfahren will, dem empfehle ich diesen
Tweet-Thread. Kurzum, die 100 € sind normalerweise nur einstellige Prozent den Handelspreises, was auch erklärt warum wenige Rollenspiele auf Amazon landen.
Klar, hier gibt es einiges an Optimierungsmöglichkeiten. Verlage sind effizienter, haben besser Deals, usw. Man kann die Produkte kleiner halten, frei verfügbare Artwork verwenden, Übersetzungen machen (was weniger Aufwand ist als originäre Inhalte zu erstellen), usw. Aber wer in der Rollenspielbranche arbeitet, kennt dieses grundlegende Problem: Im besten Fall reicht es gerade für ein wenig Gewinn, aber in Wirklichkeit hanteln sich die meisten Verlage von einem Produkt zum nächsten und jede Krise ist existenzgefährdend.
Jetzt fragt sich der geneigte Leser wohl: Aber wie kann das sein? Rollenspiele haben noch nie 100 € das Stück gekostet – zumindest nicht wenn es einfache Bücher und keine speziellen Sondereditionen waren. Und Rollenspiele gibt es jetzt seit bald 50 Jahren, also irgendwas muss hier doch nicht stimmen.
Korrekt! Was nicht stimmt, ist die Tatsache dass wir alle unser Hobby so sehr mögen, das wir lieber eine unzureichende Bezahlung hinnehmen, oder gar gratis arbeiten, nur damit es noch ein weiteres Rollenspiel da draußen gibt. Wir haben Spaß daran zu erschaffen, und freuen uns darüber diesen Spaß mit anderen teilen zu können. Was soweit sehr gut ist — die ganze Open Source Community funktioniert ähnlich.
Aber, es gibt dabei einen riesigen Wermutstropfen. Das geht alles nur, weil die Leute die das machen genug Privileg haben, dass sie sich das leisten können. Sei es der Job, der genug bezahlt und die Familie, die das mitträgt, um das alles in der Freizeit machen zu können. Sei es genug Erspartes, um noch eine weiter Illustration aus der eigenen Tasche zu zahlen. Sei es, weil Crowdfunding genug Menschen mit genug Geld erreicht, um all das zumindest teilweise finanzieren zu können. Sei es weil Verlagsbosse willig sind ihre Mitarbeitenden auszunutzen, um zu einem Ergebnis zu kommen (oder, um ein anderes Beispiel als Verlage zu nennen, siehe den Union-Streik bei Kickstarter).
Die Rollenspielbranche ist voll von Menschen, die sich so oder so etwas “leisten können” und das Hobby so sehr lieben, dass sie diese Ressourcen darin investieren. Im positiven Sinne ist das ein Crowdfunding durch Fertigkeiten. Die negative Seite ist aber, dass diejenigen, die sich das nicht leisten können, auch nicht teilhaben. Daraus entsteht eine ganz eigene Art des Gatekeepings. Natürlich gibt es keine (kaum?) Rollenspiele über das Leben von Obdachlosen. Dabei wäre es als Spielerlebnis und um die Erfahrung zu machen genauso wertvoll wie ein Spiel über Samurai. Aber die Leute, die Interesse daran hätten, so ein Spiel zu machen, haben schlichtweg nicht die Privilegien das zu tun.
Dadurch ist die weite und bunte Welt der Rollenspiele recht stark von denen geprägt, die ohnehin schon die beste Position in der Gesellschaft haben: Weiße cis Männer. Genau darum sind auch Indie-Rollenspiele so wichtig, sie sind genau das was gerade noch machbar ist für Personen mit weniger, aber nicht gar keinen Privilegien. Sie sind klein und kurz, oft nur für One-Shots geeignet und auch nicht das was man 20x hintereinander spielen will. Sie werden von wenigen Personen mit vielen Skills gemacht, haben manchmal eine geringere Produktionsqualität und brauchen oft ein Crowdfunding, um überhaupt Realität werden zu können (weil kein Verlag sich drüber traut).
Langer Blogpost kurzes Fazit: Seid euch bewusst dass Rollenspiele sehr oft nur existieren, weil viele Leute ihre eigenen Ressourcen investieren. Wenn ihr das wertschätzt, sucht euch die nächsten Spieledesigner*in, die ihr finden könnt, und sagt einfach Danke — Umarmungen sind momentan ja eher schwierig.
Über Aces in Space:
Aces in Space von
Christian&Judith Vogt sowie
Harald Eckmüller (Vertrieb durch
Ach je Verlag).
Ein
Fate-Rollenspiel über eine Gang von Raumjägerpiloten halb Battlestar Galactica, halb Sons of Anarchy, ganz Social-Media-Star!
Ein gesetzloser Teil des Weltraums, der der Kobenigürtel genannt wird, gehört den Abweichlern: Pilot:innen, die sich zusammenrotten wie die Motorradclubs lange vergangener Zeiten. Tattoos und Kutten wurden von Cyberware und Druckanzügen abgelöst. Die Raumjäger werden liebevoll Chopper genannt, Jockeys nennen sich ihre Pilotinnen, und auf Highways fliegt man Lichtgeschwindigkeit: Mit Hilfe der Droge Minkowskium ist es möglich, Wurmlöcher zu passieren, um die weiten Distanzen des Alls zu durchkreuzen.
Doch anders als in der Vergangenheit scheuen die Kleinkriminellen das Rampenlicht nicht. Jedes waghalsige Manöver, jeder Kurvenkampf und jeder Coup werden live im Datanet übertragen und entscheiden über die Social-Media-Stars der Zukunft. Der dadurch entstandene Fankult sorgt dafür, dass einige Konzerne bei den Machenschaften der Staffeln nicht nur häufig ein Auge zudrücken, sondern sie sogar mit Sponsorengeldern unterstützen.
In diesem Fate-Setting spielt ihr Jockeys, verwegene Fliegerasse, die in eine dieser Gangs gehören. Ihr werdet Bandits in waghalsigem Kurvenkampf fertigmachen, ehrgeizige Coups durchführen und live auf euren Social Media davon erzählen. Erlebt Abenteuer im Spannungsfeld von toxischem Einzelgängertum und Teamgeist.
Dare to fly!
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