Aber mich interessiert mehr, warum es heute sowohl im RSP, als auch in anderen Medien scheinbar zunehmend "abgefahrener" zu sein scheint, wenn man einen SC spielt, der ein normaler Mensch ist.
Das ist eine interessante Frage. Ich wollte zuerst damit argumentieren, dass es im Interesse der Geschichte notwendig sei, dass etwas passiert, das über das im Alltag plausible hinausgeht. Und in gewissem Maß stimmt das sicher auch. Aber dennoch kann ich mir natürlich auch Geschichten vorstellen und habe solche Geschichten auch schon gelesen und gesehen, die einen Aspekt des gewöhnlichen Lebens simulieren. In Vampire hatte ich mal eine Liebesgeschichte zwischen Erzeugerin und Kind, die wirklich schön war, und bei der der Fakt, dass beide Vampire waren, völlig nebensächlich war. Die Geschichte hätte genau so auch unter zwei normalen, sterblichen Menschen in einer völlig normalen Welt funktioniert. Aber das war wirklich ein Glücksfall, dass die Beziehung zwischen den Spielern funktioniert hat und der Spieler und ich auch genügend vertrauensvoll und intim miteinander umgehen konnten. Das klappt sicher nicht auf einem Con. Und ich glaube, dass zu viel Zufall (im Sinne von Sozialwürfen oder so) da eher kontraproduktiv ist. Was also das Rollenspiel angeht, glaube ich, könnte die Antwort einfach darin bestehen, dass ernsthafte soziale Beziehungen (und das ist ja das spannendste Abenteuer "normale" Abenteuer, das ich mir so vorstellen kann) wirklich schwierig und vorraussetzungsreich darzustellen sind.
Breaking Bad ist ja vor allem deshalb so interessant, weil es dort diese ganzen sozialen Beziehungen gibt. Hank ist ja nicht nur irgendein Bulle, sondern auch noch Walters Schwager. Und weil es natürlich so enorm gut geschrieben ist. Für The Wire oder Fargo oder The Shield (mal als Beispiele für richtig gute fiktionale Werke) gilt da selbe. Die sind einfach richtig tight geschrieben. Das kann man im Rollenspiel so nicht darstellen. Zumindest nicht ohne extremes Eisenbahnfahren. Und das will ja keiner. Und auch in fiktionalen Werken ist es natürlich leichter, über Knalleffekte Spannung zu erzeugen. Was nichts schlechtes ist. Aber das erklärt vielleicht ein Bisschen, warum John McClane in späteren Teilen zum Superhelden mutiert ist. Das kreative Gewicht hat sich eben verschoben. Spätestens in Teil vier waren Selbstrefrenzialität und generell metafiktionale Spielereien wichtiger als innerweltliche Plausibilität. Was einfach ne Designentscheidung ist, die ich nicht verurteilen würde. Aber das folgt dann eben einer anderen Logik und führt logischerweise zu anderen Effekten. Und es ist vorhersehbarer. Bei einer dicken Explosion sieht der Produzent die dicke Explosion und weiß, dass auch die Zuschauer eine dicke Explosion sehen werden. Wenn der Film nun vielleicht noch von Michael Bay oder James Cameron ist, dann ist vorher klar, dass die Leute nicht wegen der plausiblen Geschichte, der guten Dramaturgie oder der tiefen Charaktere im Kino sitzen, sondern wegen der dicken Explosionen. Das ist leichter abzuschätzen.
Wenn dagegen ein Regisseur eher auf nuancierte Emotionen und gute Dramaturgie setzt, dann kann der Produzent nicht sofort sehen, ob das beim Publikum auch so ankommen wird. Daher erscheint ihm das dann als größeres finanzielles Risiko. Das Publikum ist mit den Explosionen auch beschäftigt genug, deshalb muss man keine Zeit darauf verschwenden, ein gutes Drehbuch zu schreiben. Und deshalb gibt es so wenig gut geschriebene, plausible Blockbuster und deshalb wird in Blockbustern Explosion auf Explosion gestapelt, um möglichst viele Momente des Staunens auszulösen. Das wäre so mein Erklärungsversuch für Filme/Serien.
Und für Rollenspiel eben, dass auch hier spektakuläre Momente vermeintlich einfach zu kreieren und sichere Garanten für Spannung sind, während tiefes Charakterspiel (was ja das ist, was übrig ist, wenn man die Explosionen weg nimmt) nicht unbedingt mehr Mühe verlangt, aber definitiv eine gewisse Intimität unter den Spielern. Und mehr Konzentration als die meisten (verständlicherweise) nach ner harten Arbeitswoche in ihrer Freizeit aufbringen wollen.
Und wieder würde ich behaupten, dass da zufallsintensive Regeln eher im Weg stehen als dass sie helfen.
Zum Ned-Stark-Beispiel:
Punkte 1) bis 4) kann ich so unterschreiben (insbesondere Punkte 3 & 4).
An dem (vielleicht weniger unglücklich gewählten) Beispiel aus "Die Hard", kannst du evtl. eher erkennen, worauf ich hinauswollte.
Das ich als SL meine Spieler auch nicht "zu Tode simulieren will", bzw. mir Mühe gebe eben kein "Arschloch-SL" zu sein, habe ich aber auch schon mal geschrieben.
Gut.
Ich hatte vor einigen Jahren mal das Glück bei einer Gruppe mitspielen zu können, in der der SL eine Kampagne im Stil von "Sharpes Rifles" (schon wieder Sean Bean...) leitete.
Wir waren alle normale Typen mit umständlich zu ladenden Musketen, litten unter Ausfallserscheinungen wegen Gewaltmärschen, Schlafmangel, etc.
Und mir hats irgendwann (durch eine gegenerische Salve/Volleyfire) einfach den Kopf weggesprengt, während der Rest über meine Leiche marschiert ist.
Dennoch haben Gruppe und SL es gemeinsam hinbekommen, das dies für mich spannend und interessant war. Ein richtig gutes "Abenteuer".
Es hat mich angeregt viel über die Geographie/Geschichte der bespielten Region nachzulesen, über die damalige Kriegsführung und die gesellschaftlichen Barrieren der Zeit.
Der Tod meines SC fühlte sich an, als wenn dein Lieblingsbuch zu einem unerwarteten Ende kommt, nicht als wenn der SL dich verarschen wollte.
Bis dahin konnte ich einen überzeugenden Ausschnitt aus dem Leben einer fiktiven, „geschichtlichen Figur“ simulieren, und was ich tun würde, wenn ich wohl in dessen Stiefeln stehen würde.
Da hatte der SL ja dann diese Carte Blanche, von der ich weiter oben gesprochen habe. Es war halt allen beteiligten vorher klar, wie das Spiel funktioniert. Bei dem hypothetischen Spieler (verkörpert durch den hypothetischen Leser) von Ned Stark war das anders. Die Szene schockt ja genau deshalb so doll, weil der Leser bis zu dem Moment (und bei mir damals sogar noch etwas länger) nicht damit rechnet, dass Ned wirklich stirbt bzw. tot ist, weil er ja im Stil der Fantasyliteratur bis zu jener Zeit als der Held des Buches aufgebaut wird. Die Szene wirkt gewissermaßen nur deshalb so stark, weil GRRM die Leser verarscht. Das lasse ich mir als Leser genau ein Mal gefallen. Wenn ich dagegen ein Buch lese, in dem von vornherein klar ist, dass die Welt tödlich ist und es auch den Helden erwischen kann (ironischerweise nicht die Sharpe's-Reihe, weil Cromwells Protagonisten schon ziemlich Mary-Sues sind. Und Sharpe ist da einer der schlimmsten^^), dann weiß ich eben, was mich erwartet und dann ist es auch okay.
Mein Rollenspielgegenbeispiel war eine Dark Heresy-Runde, in der unser Tech-Priest ohne so richtig guten Grund (der Spieler fand es "lustig") an seinem internen Reaktor rumgefummelt hat. Der SL hat ne Probe verlangt, der Spieler hat sie vergeigt und alle waren tot. Und das hat mich tierisch aufgeregt und mich auch dazu gebracht, die Runde zu verlassen. Warum soll mein mit Mühe erstellter und hochgezogener Charakter sterben, weil ein anderer Spieler augenscheinlich das Spiel nicht ernst nimmt und scheiße baut? Der SL hat sich an der Stelle natürlich genau auf den verkackten Wurf herausgeredet. Ich als SL hätte den Spieler zur Seite genommen und mit ihm ein ernstes Wort geredet. Und wenn er sich völlig beratungsresistent gezeigt hätte, hätte ich was gehandwedelt, was dafür sorgt, dass nur der Charakter des "lustigen" Spielers daran stirbt. Seitdem habe ich eine Allergie gegen Würfelwürfe als SL-Absolution.