AW: Pen & Paper-Rollenspiel am Ende (von Frank Heller)
Was ist daran überinterpretiert?
Daran nichts. Ich sprach eher von einer gewissen Herangehensweise an Rollenspielregelwerke. Statt sich in die Spielwelt zu werfen, Abenteuer zu erleben und Kämpfe zu bestehen wurde es immer üblicher Regelwerke genauestens zu studieren, um sich über BAB-steigerungen über 20 Level, Max-Damage-Output und Synergieeffekte schlau zu machen.
Diese Detailbesessenheit, dieser wie ich finde unangebracht hohe Fokus auf Regeln, Regelkombination und Regeleffekte ist es, der von 3.x gefördert wurde und der 4E für manche so unspielbar und unzumutbar macht. Gerade weil das Spiel dahingehend so wenig hergibt im Vergleich zur 3.Edition oder zu Pathfinder. Das halte ich unter anderem für eine Folge der Rollenspieler, die gezwungen sind mehr Rollenspiele zu lesen als sie spielen können. 3.x war meiner Meinung nach deshalb so erfolgreich, weil es ein Spiel für die Art von Rollenspieler war die es zu dem Zeitpunkt vorrangig gab: close reading Rollenspieler.
Deshalb sprach ich von Überinterpretation. Spiele sind da, um gespielt zu werden. Wenn man sie nicht spielen kann, bleibt nur das sorgfältige Lesen und Interpretieren der Bücher. Optimierte Charaktererschaffung als Rollenspiel-methadon. Das hat die Vorstellung vieler Leute was D&D zu sein hat und wie es funktionieren soll nachhaltig verändert. Man spielte nicht nur mit den anderen am Tisch, sondern auch noch zu Hause wenn man versuchte sich den besten Build aus den verfügbaren Regelwerken und Sourcebooks zu formen.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass viele vergessen haben dass das tolle an D&D war, dass man alles in einer Fantasywelt machen konnte. Egal ob es Regeln dafür gab oder nicht.
Inzwischen habe ich innerhalb von acht Jahren das dritte D&D-Regelbuch im Schrank, muss bei jeder neuen Edition anstrengende Details neu lernen - aber das Spiel ist eigentlich immer noch das gleiche wie vor neun Jahren.
Das halte ich für einen schwerwiegenden Irrtum. Das Spiel hat sich sehr geändert. Nicht erst mit der 4.Edition. Ja, D&D hat in jeder seiner Inkarnationen mehr oder minder die gleichen Inhalte abgedeckt. Ja, es wurden auch bestimmte Konzepte mit jeder Edition übernommen. Aber das bedeutet nicht, dass es das gleiche Spiel ist.
Das Spielkonzept war identisch: schmissige Abenteuerer in einer fantastischen Welt. Die Spieler spielen ihre Charaktere, der Spielleiter spielt die Welt. Je mehr man erlebt und überlebt, desto mächtiger und einflußreicher werden die Charaktere.
Das lässt sich mit allen Edition von D&D spielen. Aber je nachdem welche Edition man sich dafür nimmt, wird sich das Spielgefühl unterscheiden.
oD&D ist etwa weit stärker auf Erforschung von Unbekannten und damit einen konzentrierten Dialog mit dem SL ausgelegt.
3.x belohnt und begrüßt Character-builds, die im Abenteuer selbst geprüft und verbessert werden.
4E legt Wert auf Teamspiel und stärkeren Zusammenhalt zwischen den Spielern, die nun gemeinsam das Unbekannte erforschen.
Nein. Das Spielgefühl ist sehr anders. Aber es ist natürlich immer daran gebunden, ob die Gruppe die Stärken oder Schwerpunkte des jeweiligen Regelwerks nutzt um das Rollenspielerlebnis der Gruppe zu formen. Das bedeutet nicht sich von den Regeln "leiten" zu lassen - auch wenn das einige gerne behaupten und dann rumnölen, dass sich 4E wie WoW für Arme spielt - es bedeutet die grundlegende Idee des Rollenspiels (das gemeinsame Vorstellen einer Welt und ihre Veränderung durch das Spiel) nehmen und ihr durch Gebrauch des Regelwerks eine eigene und unverwechselbare Form geben.
Wenn ich 3.x spiele, dann wird es ein ganz anderes Spielgefühl sein als etwa oD&D oder 4E. (Ich hatte eigentlich vor zum Burg-Con ein Mal oD&D und ein Mal 4E mit dem gleichen Abenteuer zu leiten. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das von der Zeit bis dahin schaffen werde.)
Ich stimme dir allerdings dahingehend zu, dass neue Editionen nur Sinn machen wenn sie entweder wie bei Cthulhu eher Nachdrucke sind als Rekonzeptionalisierungen oder wenn sie das Spielgefühl merklich verändern. Der Sprung von AD&D zu 3.x war in der Tat auffälliger, weil die Regeln nun nicht mehr Anhängsel des Hintergrundmaterials waren. Aber der eigentliche Umschwung fand meiner Meinung nach mit dem Ausrichten des Regelwerks auf diese "Builds" und damit das "Spiel abseits des Tisches" statt. Der Sprung von 3.x zu 4 scheint mir eher wieder in Richtung "Spielen am Tisch" zu gehen. Aber das ist etwas für das die Horden an 3.x/Pathfinder-Spieler (wie mir scheint) wenig Verständnis zeigen, wenn es bedeutet, dass sie nicht mehr ohne andere Leute spielen können.