Titel: Sturmgeboren
Art: Abenteuer
Regeln: DSA4.1
Sprache: Deutsch
Verlag: Ulisses Spiele
Publikationsjahr: 2013
Autoren: Katja Reinwald (Bandredaktion), Stephan Frings, Dominik Hladek, Rafael Knop, Nina Schellhas
Illustrationen: Boros/Szikszai, Marc Bonhöft, Tristan Denecke, Michael Jaecks, Volker Konrad, Janina Robben, Nadine Schäkel, Nina Schellhas, Mia Steingräber
Umfang: 176 Seiten
Bindung: PDF
Preis: 18,50 €
Rezensent: Jan-Paul Koopmann
Als Held in die Wildnis hinaus zu ziehen, das Land von Monstern zu befreien und Siedlungen zu gründen mag zwischenzeitlich ein wenig aus der Mode gekommen sein, ist aber bestimmt kein neues Thema des Rollenspiels. Ganz im Gegenteil: Schon 1974 galt es als das vorbestimmte Ziel eines jeden Kämpfers, irgendwann auf Level 9 oder 10 eine Burg aus dem Boden zu stampfen und Land und Leute mit Hilfe von Schwert, Schild und Steuereintreiber zu regieren. Auch
Das Schwarze Auge, dessen Landkarten schon lange keine weißen Flecke mehr an treue Spielerhände abzugeben haben, hatten seine entsprechenden Episoden. Ältere Semester haben möglicherweise im “
Schatten über Travias Haus” gesiedelt, ihr Glück als “
Herren von Chorhop” versucht oder “
Von eigenen Gnaden” in der Wildermark herumregiert.
Obwohl
Sturmgeboren, der jüngst erschienene Abenteuerband um die Besiedlung der Hardorper Ebene, also in langer Tradition steht, ist der Versuch gleich aus mehreren Gründen bemerkenswert. Aventurien ist dicht besiedelt, noch dichter beschrieben und ein derartiges Siedlungsprojekt von vornherein mit einigem Rechtsfertigungsdruck belegt. So wenig nachvollziehbar das für Spieler manch anderer Systeme auch sein mag, sind die Motivation der Siedler und die erzählerische Stimmigkeit dieser im Grunde recht unbedeutenden Veränderung der Spielwelt bei DSA ein großes Thema. Die Eigenheiten des Systems machen die Sache kompliziert und sonderbar aufwendig. Dafür macht es aber natürlich auch einen besonderen Reiz aus, an der Gestaltung gerade einer so komplexen Spielwelt teilzuhaben.
Auf den zweiten Blick ist es mit diesen Gestaltungsmöglichkeiten dann aber auch gar nicht mehr so weit her, wie man zunächst vermuten konnte. Das Team um Redakteurin Katja Reinwald hat das klassische Siedlungsthema nämlich von der Frage nach Regierungsverantwortung (und der damit verbundenen Entscheidungsgewalt) entkoppelt und die treibende Kraft hinter der Besiedlung sind nicht die Spielerhelden, sondern mitreisende Meisterpersonen. Bis die Spieler auch nur als Ratgeber angehört werden und somit wenigstens theoretischen Einfluss auf die Details des Projektes haben, wird noch einige Zeit ins Land gehen. Das Siedeln ist also weniger der Gegenstand des Abenteuerbandes als seine Rahmenhandlung.
Die Abenteuer, welche gut 100 Seiten von
Sturmgeboren ausmachen, sind dann auch eher kompakte Episoden einer größeren Geschichte, deren Ausgang bereits feststeht. So können die Spieler beispielsweise frei wählen, welchem von drei konkurrierenden Adelshäusern sie sich andienen wollen, um dann später zu erfahren, ob ihre Chefs Erfolg haben oder scheitern. Beeinflussen können sie den Ausgang nicht.
Inhaltlich geht es zunächst um die Widrigkeiten der Wildnis, Auseinandersetzungen mit Goblins und dem Nachbarn Uhdenberg und schließlich um das unweigerliche uralte Mysterium im Hintergrund: Eine außer Kontrolle geratene Hinterlassenschaft der Hochelfen wird durch die Handlungen der Siedler versehentlich aktiviert und verursacht einige Schwierigkeiten, die es zu bewältigen gilt. Die Geschichte ist durchaus interessant, fügt sich stimmig in den DSA-Hintergrund und bietet sich auskennenden Spielern ein paar Aha-Momente, die ihren Charakteren („unerfahrene Helden, die am Beginn ihrer Karriere stehen”) allerdings weniger klar sein dürften.
Der Abenteuertext versteht sich als Hilfsmittel, den Plot glaubhaft als Herausforderung zu inszenieren und eine Illusion von Freiheit zu erschaffen. Wer seine Railroadingallergie einigermaßen im Griff hat, wird feststellen, dass dies über weite Strecken auch ausgesprochen gut gelungen ist.
Sturmgeboren zu leiten ist dann nämlich (erfreulicherweise) doch komplizierter als eine fertige Geschichte vorzulesen. So gibt es beispielsweise einen recht zentralen Rechercheteil, in dem die Darstellung möglicher Ansatzpunkte streng getrennt ist von dem, das sich herausfinden lässt. Einerseits weicht es natürlich die zu überwindende Herausforderung auf, wenn die Spieler nicht unbedingt darauf kommen müssen, sich ausgerechnet an Person X zu wenden. Auf der anderen Seite bringt es den Spielleiter aber auch gar nicht erst auf die Idee, die Charaktere irgendwie unauffällig dorthin zu zwingen. Der Gegenstand Y könnte Teil einer privaten Sammlung sein, in einem Tempel unter Verschluss gehalten oder von einem Spezialhändler angeboten werden – in
Sturmgeboren obliegt es dem Spielleiter.
Festzuhalten ist in jedem Fall, dass die Autoren bemüht waren, unterschiedlichste Lösungswege und damit unterschiedlichste Spielertypen und letztlich Kunden zu bedienen. An einer anderen Stelle müssen die Spieler einen Gegenstand ergattern, der sich dummerweise gut geschützt in den Händen eines mächtigen Gegenspielers befindet. Die Autoren skizzieren mehr als zehn verschiedene Herausgehensweisen und diskutieren die entsprechenden Schwierigkeiten. Eine gute Sache für Spielleiter von Runden, die mehr Freude am Pläneschmieden haben als daran, Todo-Listen abzuhaken.
Es versteht sich, dass diese Form gehobene Ansprüche an Organisations- und Improvisationsfähigkeiten des Spielleiters stellt. Auch wenn die Charaktere ihre Abenteuerlaufbahn mit
Sturmgeboren beginnen, ist Spielleitern doch dringend zu raten, ihre ersten Erfahrungen anderswo zu sammeln!
Neben den Abenteuern enthält der Band 70 Seiten Hintergrund zur Region, wichtigen Persönlichkeiten und regelt echnischen Fragen des Siedlungsbaus. Dabei gibt es kaum neue Regeln, sondern vielmehr eine Zusammenstellung und Interpretation der benötigten Elemente aus Büchern wie
Ritterburgen und Spelunken,
Handelsherr und Kiepenkerloder der
Zoo-Botanica Aventurica. Zum Spielen werden diese Zusatzbände nicht unbedingt benötigt, können aber je nach den Schwerpunkten der Spielrunden durchaus hilfreich sein. (Die
Zoo-Botanicavermutlich noch etwas mehr als die anderen beiden.) Wie schon das Abenteuer selbst ist der Hintergrundteil eine Ansammlung von Angeboten. Es wird Spieler geben, die sich mehr für die umfangreich beschriebene Stadt Uhdenberg interessieren als dafür, dass Bohnen 30 Tage früher als gleichzeitig angepflanzte Kartoffeln geerntet werden können. Dem Rezensenten ist zum Beispiel recht egal, ob ein Sack Hafer in Rathila umfällt oder um wie viel Silber Roggen in Niritul günstiger zu bekommen als in Hardorp zu verkaufen ist („. üblichem Zoll (zwischen 5% und 10%), siehe unten”). Die entsprechenden Tabellen stören aber nicht beim Spielen der Abenteuer und es müsste schon mit dem Namenlosen zugehen, wenn sich nicht irgendjemand da draußen für solche Fragen begeistern könnte.
Das Layout des Bandes ist übersichtlich, wichtige Informationen wurden in diversen Kästen hervorgehoben und die Illustrationen sind eine Bereicherung, ohne sonderlich aufregend zu sein. Optionale Szenen, mit denen sich die Schwierigkeit zuspitzen oder abmildern lässt, sind durch spezielle Symbole gekennzeichnet und die umfangreichen Verweise auf andere Bücher übersichtlich gestaltet. Wer das hohe handwerkliche Niveau der jüngeren DSA-Publikationen gewohnt ist, wird mit
Sturmgeboren keine böse Überraschung erleben. Die PDF-Version liegt in zwei unterschiedlichen Größen vor, um (etwas) ältere Maschinen nicht sofort in die Knie zu zwingen.
Insgesamt ist die kleine Kampagne eine runde Sache und das Wiederaufgreifen des traditionellen Themas in den Grenzen des modernen Aventuriens durchaus gelungen. Dass praktisch alle die Rahmenhandlung betreffenden Entscheidungen von Nichtspielercharakteren getroffen werden, wird sicherlich nicht jeden Geschmack treffen. Dass es auf der anderen aber nicht wenige Spieler gibt, die mehr als bereit sind, diesen Preis für die Konsistenz eines „offiziellen Aventuriens” zu bezahlen, ist genauso unzweifelhaft.
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