AW: Nachteil: Feind
Feinde - das sind erst einmal BEZIEHUNGEN.
Je nach Regelsystem sind Beziehungen mit Spielwerten unterfüttert oder auch nicht. Das letztere bedeutet nicht, daß es KEINE Beziehungen gäbe, sondern daß sie ABSEITS vom Regelsystem geführt werden, da sie ja zu einer plausiblen Spielwelt dazugehören.
Ich entnehme diesem Thread eine Sicht auf die Beziehung zu einem Feind, diesen Feind stets als TODFEIND der Spielercharaktere zu verstehen. Als jemanden, der die SCs töten oder zumindest schwer schädigen will.
Das ist mir für einen Feind zu abziehbildhaft, zu schwarz-weiß, zu simpel und - vor allem - einfach in der Häufung völlig unplausibel.
Feinde sind NSCs mit EIGENEN ZIELEN, die denen der Spieler nicht nur zufällig konträr laufen, sondern die aufgrund einer bestimmten Beziehungsqualität, wie Abneigung, Haß, Konkurrenzdenken, Minderwertigkeitskomplexen, Karrierestreben, usw. eben auch AKTIV gegen die Ziele der SCs gerichtet sind.
Dabei müssen diese Feinde nicht den Tod der SCs wollen. Es reicht doch völlig aus, wenn man z.B. als Reporter-Charakter seinen Chefredakteur zum Feind hat, der einen mobbt, wo es nur geht, und der einem die miesesten, bescheuertsten und garantiert uninteressantesten Aufträge gibt, weil er einen einfach nicht leiden kann.
Oder der gleichrangige Sergeant einer Einheit fühlt sich bei Beförderungen unverdient übergangen und nun wird ihm der SC nicht nur vorgezogen, nein, er bekommt eine Field Commision zum LEUTNANT! Schon hat der neue Leutnant einen FEIND, der seine Einsätze sabotieren wird, ohne ihn gleich umlegen zu wollen.
Beziehungen können aus den unterschiedlichsten Gründen eine feindliche Note bekommen. - Auch Beziehungen zu Organisationen. Aber auch da ist nicht die "Todfeindschaft", welche durch Killerkommandos oder die berühmte Sprengfalle unter dem Bett ihre Äußerung findet, das Übliche oder auch nur das Interessante.
Sehr interessante Konstellationen verbaut man sich mit solchen schwarz-weiß gedachten Feind-Begriffen.
007 arbeitet mit einer russischen Agentin für eine Mission gegen einen wahnsinnigen Weltbeherrscher zusammen. Und in der Mission davor hat er ihren Mann eiskalt erschossen. - Was wird passieren? Wie wird diese vorhandene Feindschaft sich in der Geschichte auswirken?
Feinde schaffen Spannungsfelder. Feinde gehören in allen Ausprägungen dazu. Sie sind einfach NOTWENDIG für eine PLAUSIBLE Spielwelt.
Wie kommen SCs nun an Feinde?
Per Festlegung bei Charaktererschaffung. - Das ist der lahmarschigste und unbefriedigendste Weg, da niemand ERLEBT hat, wie diese Leute zu Feinden wurden. Das kann man im Charakterhintergrund nachlesen. Daher ist das weniger wert, als alles, was IM SPIEL erspielt wurde.
Durch Erspielen einer zerrütteten Beziehung. - Das ist der häufigste und leichteste Weg. Hier passen ALLE Feindesarten rein. Von dem Feind mit Rachegelüsten bis zu den Bauern, denen die SCs den Hof abgebrannt haben, weil sie sich in der Adresse geirrt haben. Je nach Charakteren werden diese Feinde unterschiedlich intensiv und unterschiedlich lange Zeit in Erscheinung treten.
Wie man an einen Feind im REGEL-Sinne kommt, hängt vom verwendeten Regelsystem ab.
In HeroQuest bekommt man eine Beziehung "Feind: <name> <Wert>" auf dem Charakterbogen, und diese kann man wie alle anderen Beziehungen in die Konflikte des Charakters einbeziehen.
In BoL gibt es KEINE Feind-Beziehungen in der Regeltechnik, aber man kann sich die Beziehung einfach so notieren und weiter "pflegen". Sie ins Spiel bringen, z.B. in dem man den Raub der Tempelkasse eines Kultes dem Feind in die Schuhe schiebt, wofür dieser sich mit dem Versenken der Galeere der SCs revanchiert, so daß die SCs auf einer einsamen, monsterbestückten Insel stranden, usw.
In Deadlands gibt es einen Nachteils-Mechanismus. Ein Enemy-Nachteil kann bei Charaktererschaffung für mehr Charakterbastelpunkte erworben werden, und er kann - mit Zustimmung des Spielleiters - auch später wieder für Bounty Points (XP) weggekauft werden. - Das verwende ich etwas anders. - Bei meinen Deadlands Classic Runden erspielen sich die Spieler GUTE wie SCHLECHTE Beziehungsqualitäten. Sie bekommen dadurch Ansehen oder werden Gesucht, sie erhalten Freunde in einflußreichen Kreisen oder Feinde, die ihnen das Leben schwer machen oder gar danach trachten. - Diese werden von mir als Spielleiter FREI vergeben, also OHNE Bounty Points (das betrifft auch die Vorteile!). Das Notieren als Spielwert/Spielelement erfolgt nur zur formalen FESTSCHREIBUNG einer solchen Beziehung. Steht sie auf dem Charakterbogen, dann hat der Spieler auch immer vor Augen, mit wem alles er es sich schon verdorben hat, bzw. wo er sicheren Unterschlupf und Hilfe finden mag (manchmal auch beides zugleich!).
Wegkaufen einer Feind-Nachteilseigenschaft halte ich für schwierig. Klar, bei nur EINEM Feind, den man auch noch ohne weitere Sorgen töten könnte, ließe sich ein echter, plausibler In-Game-Grund für das Wegfallen der Enemy-Hindrance finden. Aber. Solche einzelnen Feinde ohne umspannenden Einfluß stellen die billigste, einfachste und am wenigsten hinderliche Form eines Feindes dar.
Der Reporter wird nicht einfach seinen mobbenden Chef wegkaufen können. - Aber er kann sehr wohl daran arbeiten, entweder SELBST dessen Posten zu bekommen, oder den Chef zu diskreditieren, ihn zu erpressen, ihn anzuschwärzen, usw. - Und wenn der Chef gehen muß, dann bleibt die Enemy-Hindrance immer noch, nur ist sie weniger wert, solange der Feind nicht häufigen Einfluß gegen den SC ausüben kann.
Dieser besagte Reporter hat noch einen weiteren Feind: Eine Reporterin, der scheinbar alles besser und leichter gelingt, als ihm. Sie ist eine KONKURRENTIN und es herrscht eine auf dieser Konkurrenz aufsetzende Feindschaft. Das ist eine ganz andere Qualität als die Feindschaft zum Chefredakteur.
Mir sind viele Regelsysteme zu GROB im Abstufen von Beziehungen und im Abbilden von Beziehungsqualitäten. Daher mag ich es lieber, wenn diese Beziehungen freier gehandhabt werden können, und TROTZDEM klare, spielregeltechnische Effekte haben.
So bekommt der Spieler in Deadlands, wann immer sich eine der Feindschaften zum Nachteil für ihn ausgewirkt hat, oder wann immer er bewußt in einen Konflikt mit dieser Feindschaft als Last eintritt, einen Fate-Chip. Je kritischer die Situation, desto wertiger der Fate-Chip.
Ob eine Beziehungseigenschaft frei vergeben wurde oder bei Charaktererschaffung festgelegt wurde, ist für das Einspielen von Fate-Chips egal. Der Spieler hat einen ANSPRUCH auf diese während der Spielzeit anfallenden "Schmerzensgelder".
Je nach konkretem Rollenspiel, je nach Genre, je nach Setting verwende ich Feinde sehr unterschiedlich. Sie gehören zu einem plausiblen Setting dazu, aber immer durch Genre-Konventionen und Setting-Konventionen gefiltert. - Auch Feinde müssen in die Spielwelt passen.
Jeder Feind bindet den SC stärker an die Spielwelt (wie auch jeder Freund - und oftmals wechselt derselbe NSC die Qualität der Beziehung!).
Daher halte ich das Verwenden von Feinden - EGAL ob regeltechnisch mit eigenen Spielelementen wie Nachteilen usw. verbunden - für eine Selbstverständlichkeit. Man BRAUCHT Feinde.