AW: Muss es denn immer Fantasy sein?
Um den letzten Punkt aufzugreifen, ganz großer Quark, diese ganzen Gesinnungssysteme á la "ich bin unordentlich/gesetzestreu/reinlich" und deshalb zahle ich meine Steuern, aber unpünktlich, helfe alten Damen über die Straße und fühle mich irgendwie
komisch, wenn ich an einem Spielabend mehr denke und fühlende Kreaturen massakriere, als Jack the Ripper in seiner ganzen Laufbahn, weil sie grundsätzlich eine andere Gesinnung haben. Albern. Nicht, daß man anhand einer Gesinnung keinen mächtigen Konflikt aufbauen und erzählen könnte, siehe Melvilles
Billy Budd, Foretopman - der "rechtschaffen(lawful)/gute" Kapitän zerbricht an seiner "Gesetzestreue" - aber wenn ich meine Figur in ein solches moralisches Korsett stecken möchte, kann ich das auch ohne ein stehendes Regelsystem.
Muß es denn immer Fantasy sein? Mit einem Setting, das das europäische Mittelalter, die Antike und den alten Orient auf dem Niveau von
Der erste Ritter verrührt und behauptet, es sei phantastisch, weil die Franzosen hier spitze Ohren und die Karthager grüne Haut und Warzen haben. Bitte nicht noch eine. Eine Welt mit 10.000 Jahren Zivilisationsgeschichte, die für Jahrtausende auf dem technologischen und kulturellen Niveau des europäischen Hochmittelalters bleibt - spitze Ohren machen auf Dauer offenbar dement - kein Buchdruck, kein Schießpulver, kein heliozentrisches Weltbild, Polytheismus... sicher. Sehr glaubwürdig. Und selbst wenn ich Magie als Substitut für Technologie fasse - über den Feuerball (auf Kernwaffen-Niveau, gut...) kommt da auch keiner heraus.
Es gibt mit Sicherheit sehr, sehr gut durchdachte und kreative Ideen für Fantasywelten, die diesem abgedroschen Schema nicht folgen -
Dark Sun fällt mir auch spontan als Beispiel ein. Elfen und Zwerge "Gnörxbrörk und Hüxenbrül" zu nennen, wie 1of3 angemerkt hat, löst das sicher nicht - weil ich als Erzähler, genauso wenig wie als Spieler - und da sind wir mitten in meinem Problem mit "Fantasy" der quasi Mittelalter-Couleur - gar nicht die Zeit habe, eine vernünftige Identifikation und Konnotation mit der Welt und ihren Bewohnern aufzubauen. Das funktioniert möglicherweise im 12-bändigen Romanwerk, aber nicht im Erzählspiel, in dem mir nur begrenzt Zeit zur Verfügung steht, mich und meine Mitspieler auf eine bestimmte Atmosphäre einzustimmen. Die irgendeinen gemeinsamen Nenner braucht. Egal, ob ich die persönliche Selbstqual, die politische Intrige oder das Hauen & Stechen in den Mittelpunkt meiner Erzählung stelle.
Mir stellt sich generell die Frage - warum schlampig recherchierte, lieblos durchdachte und unglaubwürdige Fantasy-Welten, wenn ich gleich das Original nehmen kann?
Möglich, daß ich viel zu stark CoC- und Ars Magica/WoD-geprägt bin, aber ich bin schon seit Jahren dazu übergegangen, phantastische Geschichten in irgendeiner Form in unserer Welt zu verankern. Wenn ich ein bestimmtes historisches Flair in meinen Geschichten will - ... siedle ich die Geschichte ganz einfach in dieser Umgebung an. Magie und phantastische Geschöpfe dazugeben. Fertig. Von Homer bis H.P. Lovecraft funktioniert es nämlich hervorragend, übernatürliche Ingredienzien aller Art in unsere Welt zuzugeben, um eine spannende Geschichte zu erzählen. Wenn ich das Suffix dafür -punk anhängen möchte - weil sich unsere Welt an einem bestimmten Punkt anders entwickelt hat und Zauberei oder Orks plötzlich Alltag sind, statt ein Schattendasein zu führen - bitte. Geht. Und funktioniert in Richtung einer gemeinsamen Atmosphäre schneller und besser, als meine Spieler in das von Humsteln oder Orks bewohnte, irgendwie römisch/byzantinisch geprägte Umselwumselopolis zu versetzen, statt eben gleich nach Konstantinopel.
Also, bitte nicht noch ein schlecht durchdachtes und recherchiertes "Fantasy"-Setting. Ich werd's nicht kaufen und ich werd's auch nicht spielen.