Hier scheint bei so manchen Beitragenden, die "wider die Cinematik" mit lauter "Realismus-Argumenten" anreden, noch nicht durchgedrungen zu sein, daß es um GENRE- und SETTING-KONVENTIONEN geht.
Spielt man in einem bestimmten GENRE (z.B. Sword&Sorcery) und einem bestimmten SETTING (z.B. Lemuria von Lin Carter), dann SIND die Hauptfiguren nun einmal extrem kompetente Charaktere, die auch bei noch so haarsträubenden Aktionen das notwendige Glück haben, damit nicht nur durchzukommen, sondern das glanzvoll zu überleben.
In diesem literarischen Genre sorgt natürlich der AUTOR dafür, daß die Hauptfiguren wie Thongor solche hohe Kompetenz darstellen dürfen und solche hohen Risiken immer glücklich überleben.
Im Rollenspiel geht das natürlich auch. - Nur sind die Fragen, WER entscheidet, ob die Hauptfiguren solche hohen Risiken eingehen, WAS legt fest, wie kompetent die Hauptfiguren verglichen zur Normalbevölkerung sind, und WIE kommt die Entscheidung in einer konkreten Situation zustande, eben zumeist im Regelsystem beantwortet.
Wie kompetent ein SC gegenüber normalen NSCs oder gar als in der Spielwelt durchaus kompetent dargestellten NSCs sind, sagen einem zumeist die Spielwerte. So hat in Barbarians of Lemuria ein Normalo-NSC in allen Attributen und Kampfwerten eine 0 stehen. Ist er in irgendetwas besser als der Schnitt, dann hat er eine 1 selten eine 2 dort stehen. SCs hingegen fangen in allen Werten bei einer 1 an und sind oftmals besser. Somit stecken sie einen Normalo-NSC schnell kompetenzmäßig in den Sack. Hinzu kommt, daß SCs gegenüber dem Großteil aller NSCs überaus zäh, schwer zu töten und sehr hart im Nehmen sind. Nur echte Oberschurken kommen da auf ein gleichartiges Niveau. - Bedeutet: Gegenüber 99,99% der Spielweltbevölkerung sind die SCs SEHR kompetent und SEHR hart im Nehmen.- Das stellt die "Kompetenz-Darstellung" dar, welche ein Autor einer seiner hochkompetenten Hauptfiguren in einem Roman der literarischen Vorlage zuteil werden läßt.
Wie kommt dann eine Entscheidung in einer konkreten Situation zustande? Durch die Anwendung der Regeln. Bei BoL sind die Spielwerte der SCs zwar ziemlich hoch gegenüber Normal-NSCs, aber gegenüber Monsterkreaturen sind die SCs durchaus deutlich unterlegen. - Um dies auszugleichen haben die SPIELER Heldenpunkte für ihre Charaktere, die einen Mißerfolg bei einer Handlung in einen Erfolg hochstufen können, einen Erfolg in einen Mächtigen Erfolg, einen Mächtigen Erfolg in einen Legendären Erfolg. - Das bildet die Schicksalsgunst, das Glück im rechten Augenblick ab, mit welchem ein Autor der literarischen Vorlage seine Hauptfiguren in letzter Sekunde aus noch so sicherer Todesgefahr entkommen läßt.
Nun bekommt man bei BoL gleich mehrere Regeltechnik-Mittel in die Hand, welche die cinematischen Action-Einlagen durch hohe SC-Kompetenz und durch die Möglichkeit unerwünschten Zufallsergebnissen durch BEGRENZTE(!) Spielerressourcen zu entrinnen fördern. - Sich nackt mit nur einem Dolch bewaffnet in die Arme eines sechsbeinigen Jemadars zu stürzen stellt hier KEINEN sicheren Selbstmord dar, sondern "nur" eine schwere Herausforderung - bedeutet: Der Charakter wird es nicht leicht haben zu siegen, aber er hat eine GUTE Chance über kurz oder lang zu siegen, solange der Spieler noch Heldenpunkte für ihn hat.
Die Folge dieser regeltechnischen Kompetenzaufwertung und Abhärtung: Die SPIELER trauen sich viel mehr haarsträubende Action-Einlagen für ihre Charaktere zu und spielen die Rolle der Charaktere so, wie es den Konventionen des Genres Sword&Sorcery und des Lemuria-Settings entspricht.
Und genau das WILL man ja mit solchen cinematisch orientierten Regelwerken erreichen: Daß die Spieler eben nicht die "ökonomischste unspektakulärste" Vorgehensweise verwenden, sondern daß die Spieler eben ihre Mitspieler und den Spielleiter durch stimmiges Spiel von - im BoL-Falle - Sword&Sorcery-HELDEN unterhalten. - Würden die Spieler in demselben Setting übervorsichtige, paranoide OD&D-Niedrigstufen-Charaktere spielen, wäre es KEINE Sword&Sorcery-Fantasy mehr! Das Duckmäuserige, welches die "ergebnisharten" Regelsysteme, bei denen Charaktere schnell und unspannend wegsterben, hervorbringen, das wäre hier völlig entgegen der Genre-Konventionen und Setting-Konventionen. - In anderer Art von Fantasy paßt es hingegen wieder - nur ist diese NICHT mit cinematischen Action-Einlagen gespickt.
Spielt man hingegen generische Regelsysteme, so kann man diese so an die cinematische Action-Erwartung anpassen, daß hier auch hochkompetente Helden mit hohen Nehmerqualitäten umgesetzt werden. Vergleiche dazu mal Unisystem mit Cinematic Unisystem. Oder Cortex mit Cortex+. Oder Savage Worlds Realms of Cthulhu mit Savage Worlds Daring Tales of Adventure. - Auf Basis des gleichen oder annähernd gleichen Regelkerns wird das cinematische Element in das eher generische Regelsystem eingefügt und erlaubt stimmiges Spiel innerhalb der Genre- und Setting-Konventionen.
Spielt man mit so abstrakten generischen Regelsystemen, daß nur reine Konfliktauflösung vom System geboten wird - z.B. bei HeroQuest 2.0 oder Other Worlds - dann ist in der Regeltechnik NICHTS an Cinematik zu finden. - Hier kommt die Cinematik ins Spiel, indem man die Konflikte entsprechend dimensioniert, die Ziele, welche man mit dem Konflikt erreichen will, nach cinematischen Gesichtspunkten festlegt und auch die Konsequenzen von Erfolg und Fehlschlag aus cinematischer Sicht beschreibt. (Letztlich macht man hier rein verbal das, was einem ein cinematisch orientiertes Regelsystem so oder so per Regeltechnik vorgibt.)
Beispiel: Der SC Gary "Greased Lightning" Lockwood stellt den mysteriösen Doctor X in dessen Geheimlabor hoch oben im soliden Felsversteck des Mount St. Helens.
A) Was ist Dein Ziel im finalen Konflikt gegen Dr. X? - Ich will den Doctor umlegen. Der soll nie wieder irgendwelche Übeltaten begehen können, weshalb ich ihn mit Blei vollpumpen werde.
Und wenn Du im Konflikt unterliegst? - Dann bin ich wohl tot, da der Dr. X keine Gefangenen machen wird.
Konfliktauflösung ergibt einen geringen Erfolg: Im kurzen, heftigen, offenen Schußwechsel schießt Doctor X mehrmals Greased Lightning an, doch nicht schwer genug, um Lightning zu seinen Ahnen zu schicken. Dieweil gelingt es diesem mit präzisen Schüssen das Herz, die Leber und das Hirn des Doctors zu zerschießen, worauf dieser unrettbar für immer vernichtet zu Boden klatscht. Lightning steht aus Fleischwunden blutend über dem toten Doctor, als endlich die Spezialeinheit des FBI eintrifft.
B) Was ist Dein Ziel im finalen Konflikt gegen Dr. X? - Ich will dafür sorgen, daß Dr. X nie wieder seine Übeltaten begehen kann, und wenn ich ihn dafür töten müßte, wenn es nicht anders geht.
Und wenn Du im Konflikt unterliegst? - Dann liegt mein Leben wohl in der Hand des Doctors, der für seine unentrinnbaren Todesfallen berüchtigt ist.
Konflitkauflösung ergibt einen geringen Erfolg: Mit gezogenem Revolver versucht Greased Lightning es erst im Guten, er versucht dem irren Doctor die schlimmen Konsequenzen seines Tuns aufzuzeigen, doch der Doctor ist uneinsichtig und zieht eine Pistole. Lightning schießt ihm die Pistole aus der Hand, doch mit der anderen Hand schlägt der Doctor mit einem schweren Schraubenschlüssel auch Lightnings Revolver beiseite und stürzt sich mit irrem Blick auf ihn. Lightning stürzt zu Boden, der Doctor schlägt wieder und wieder mit dem Schraubenschlüssel auf ihn ein. Benommen von den Schlägen steht Lightning auf, wischt sich das Blut von der Stirn und ballt entschlossen die Fäuste. Mit entschlossenem Blick streckt er den Doctor mit einer trockenen Links-Rechts-Kombination nieder. Als endlich die Spezialeinheit des FBI eintrifft, steht Lightning mit wilden Blessuren übersät über dem wie ein Paket verschnürten fluchenden Doctor und schließt seine Verlobte Maggie, die mit den G-Men das Labor des Doctors gestürmt hat, für immer in seine Arme.
Die Würfelwürfe sind hier in beiden Beispiele dieselben. Die Cinematik kommt hier durch die unterschiedliche ZIELSETZUNG des Konflikts, durch unterschiedliche Konsequenzen und durch unterschiedliche FAKTEN-Umsetzung zustande. - Wie gesagt, cinematisch orientierte Regelsysteme ersparen einem das Aushandeln des Konfliktziels und der Konsequenzen und konzentrieren sich auf das Abwickeln von an sich schon cinematischen Handlungen.
Wenn die Spieler in einem cinematisch ausgerichteten Regelsystem immer noch KEINE cinematischen Action-Szenen liefern, dann ist entweder das Regelsystem nicht wirklich cinematisch orientiert, sondern nur vermeintlich, oder die Spieler kommen mit der Cinematik grundsätzlich nicht klar und man sollte mal mit ihnen REDEN und ihnen IM SPIEL die entsprechenden BEISPIELE - nur eben von Gegnerseite her - geben. Wenn man mal am "Nehmerende" von coolen cinematischen Action-Einlagen war, dann bekommt man auch als Spieler LUST darauf so etwas mal selbst mit seinem SC auszuprobieren.