AW: Ist Rollenspiel ein überholtes Hobby?
Schon mal daran gedacht, daß auch die Rollenspieler-Nachwuchsgewinnung vom "demographischen Wandel" betroffen ist?
Ich kann den Rückgang jugendlicher Einsteiger in den Kampfkünsten, die ich betreibe genauso feststellen. Und auch bei den Kampfkünsten gibt es heutzutage - ähnlich wie im Rollenspiel - ein früher nie dagewesen breites Angebot unterschiedlichster Stile, Ausrichtungen und Ausprägungen.
An der Breite des vorhandenen Angebotes liegt es nicht.
Da könnte man auf die Idee kommen, daß es ja zum Rollenspiel, wie auch zu bestimmten Kampfkünsten durchaus Alternativen gibt. Man könnte die breite Computerspielpalette nennen oder - auf Kampfkunst bezogen - die Aerobic-Kampfkunst-Mischungen wie Tae Bo und wie sie noch alle heißen.
Entscheidend ist für mich in der aktuellen Lage in Deutschland, daß es allein schon über die reine Anzahl weniger potentielle Interessenten geben kann, weil weniger Jugendliche als vor 20 Jahren in Deutschland leben. - Um diese kleinere Menge potentieller Interessenten wirbt nun - mehr oder weniger aktiv - eine sehr viel größere Menge an möglichen Freizeitaktivitäten, manche davon sogar ein wenig rollenspielerisch ausgerichtet (siehe Computerspiele).
Da bleibt natürlich nicht aus, daß man einfach weniger Neueinsteiger im Schulalter mobilisieren kann. Und die paar, die man findet, durchleben den üblichen "Rollenspieler-Lebenszyklus", der schwere Zäsuren bei Ereignissen wie "Erste feste Freundin", "Schulabschluß", "Ortswechsel zu Ausbildungs-/Studienort", "Ortswechsel zu Arbeitsort", "Erstes Kind", "Hausbau/Wohnungskauf", etc. sehr wahrscheinlich macht. - Bei jedem dieser Ereignisse fallen Leute aus dem Rollenspiel-Hobby, weil sie ihre Zeit für etwas anderes, ihnen Wichtigeres brauchen, oder weil sie den beim "face-to-face pen&paper"-Rollenspiel notwendigen direkten Kontakt mit ihrem angestammten Personenkreis nicht mehr aufrechterhalten können (da reicht schon, daß man aus beruflichen Gründen auswärts eingesetzt wird und nicht mehr Wochentags einen festen Termin halten kann, und - auch bedingt durch den Auswärtseinsatz - man am Wochenende auch kaum Zeit hat, weil man da alles erledigen muß, was man wegen des Auswärtseinsatzes eben nicht mal schnell unter der Woche machen konnte *seufz* Scheiß-Arbeit!).
Rollenspielen ist als Hobby natürlich NICHT überholt.
Ob ein Hobby "überholt" ist, das entscheidet sich nicht an der absoluten oder der "gefühlten" Zahl der Aktiven. Solange es noch einen lebenden Aktiven gibt, der dieses Hobby betreibt, solange ist es zwangsläufig nicht überholt.
Vor allem: wie kann ein Hobby den "überholt" sein? Das impliziert ja ein Veralten des Gegenstandes des Hobbies. Aber das ist ja noch nicht mal bei den alten, mies von Hand gedruckten ersten Briefmarken der Fall. Im Gegenteil - die alten, "überholten" Dinger scheinen nur umso mehr geschätzt zu werden. Komisch das.
Solange Rollenspieler nicht bundesweit zwangsmäßig organisiert sind, ist eh schwer zu sagen, wer denn alles aktiver Rollenspieler ist. Ist auch eigentlich nicht von so überragendem Interesse.
Mal ein Blick auf wirklich "gering-populierte" Hobbies...
Ich möchte z.B. einmal die Annahme treffen, daß es weit mehr Rollenspieler als Tipp-Kick-Spieler in Deutschland gibt.
Tipp-Kick ist ein Spiel, daß in den 20er Jahren entwickelt wurde, bei dem es weltweit nur genau EINEN Hersteller gibt, und das seit über 80 Jahren unverändert in Regeln und - im Wesentlichen - im Spielmaterial ist. Der Wikipedia-Eintrag gibt dazu an:
Im Deutschen Tipp-Kick-Verband sind Tipp-Kicker aus Deutschland organisiert. Es gibt mehr als 50 Vereine und ca. 1000 aktive Spieler mit einer großen Bandbreite bezüglich des Alters (10 Jahre - 60 Jahre).
1000 aktive Spieler. Da gibt es ja wohl durchaus deutlich MEHR Rollenspieler als Tipp-Kick-Spieler in Deutschland, oder?
Ist Tipp-Kick, weil es weniger Aktive hat, weil es älter als alles Rollenspielen ist nun "überholter"?
Natürlich nicht.
Die Aktiven Tipp-Kicker haben jede Menge Spaß, haben ihre diversen Ligen (ja auch Bundesliga) und spielen einfach weiter - egal wie alt das Spiel ist, oder ob es weniger Aktive hat als Tischfußball oder Billiard.
Und wie machen diese Exoten das mit dem Nachwuchs?
Wie alle anderen.
Eine aktive Gruppe Tipp-Kicker verbreitet das Tipp-Kick-Spiel im Freundes- und Bekannten- (und Kollegen-) Kreis. Man gründet - gerade auch auf dem "unterversorgten" Land - Vereine. Die Vereine und offen zugängliche Veranstaltungen (lies: Cons) sind auch Werbung und Rekrutierungsaktivitäten. - Ich bin durch einen Kollegen zu Tipp-Kick gekommen, den ich dafür zu Munchkin gebracht habe. Wenn man die Gelegenheit bekommt etwas in druck- und streßfreier Umgebung entspannt auszuprobieren, dann entdeckt man manchmal, was einem alles auch noch Spaß macht, über das Altbekannte hinaus.
Und so kommt es, daß besagter Kollege von mir hier in der weiteren Region (eben etwas "auf dem Lande") einen Verein zusammen mit Aktiven gegründet hat. Und dieser Verein stellt Tipp-Kick auf örtlichen Messen, auf Stadtfesten, auf Sportfesten etc. vor.
Trotz des weit höheren Alters von Tipp-Kick verglichen mit Rollenspielen hat Tipp-Kick KEINE Nachwuchssorgen. Im Gegenteil.
Natürlich sieht das mit Rollenspielern etwas anders aus.
Wenn sich vier Schulkumpels ohne Freundinnen ständig in der Bude hockend vom Rest der Welt abkapseln, dann finden sie (neben keiner Freundin) auch keinen Rollenspielnachwuchs.
Das ist eher der Knackpunkt (auch in Zeiten des demographischen Wandels).
Spieleinteressierte gibt es nämlich wie Sand am Meer. Wer kauft denn die jährlichen Neuerscheinungen auf der Spiel (vor allem im z.T. hochpreisigen Brettspielbereich)? Das sind nicht die 15 Jährigen, sondern deren Eltern.
Und wer sagt denn, daß ein Rollenspieleinsteiger mit Pickelfresse und Stimmbruch ringen muß?
Wir haben im Verein z.B. Einsteiger mit Ende 30, Anfang 40 nicht nur gehabt, sondern als inzwischen regelmäßige, aktive Spieler gewinnen können.
Vergeßt bitte die Erwachsenen Spiele-Freaks als "Rekrutierungsmasse" nicht. Da gibt es eine ganze Menge an Leuten, die über die sehr festen Gerüste der meisten Brettspiele hinauszugehen sich nicht nur trauen, sondern den Geschmack an "Rollenspielartigem" (z.B. Rundbound) oder an tatsächlichen Rollenspielen finden.
Das Problem sehe ich eher darin, daß es Kontaktschwierigkeiten gibt, die nur durch das Schaffen einer förderlichen Umgebung gesenkt werden können. Ich meine, welcher Enddreißiger mit eigenen Kindern ist sogleich bereit sich von einem 17-Jährigen Spielleiter führen zu lassen? Und welcher 17-Jährige ist im Spiel mit mehr als doppelt so alten Leuten sofort locker und unbefangen? - Das stellt sich aber schnell ein, wenn es z.B. in einem Verein einfach NORMAL ist, quer über alle Altersgruppen miteinander zu spielen.
Wer miterleben durfte, wie eine Einsteigerin im Rollenspiel mit Anfang 40 in einer Runde zusammengesetzt aus Spielern aus jedem "Jahrzehnt" (Teens, Twens, 30er, 40er) genauso eingestiegen ist, genau die Begeisterung, das Erstaunen, das Austesten der eigenen Möglichkeiten, das Sich-Einlassen auf eine fremde Welt gezeigt hat, der - so ging es mit jedenfalls - fühlte sich an seine eigenen Anfängererfahrungen erinnert. Da gibt es gar keinen Unterschied im Empfinden, in der Begeisterungsfähigkeit.
Das geht in der Kampfkunst, das geht im Tipp-Kick, das geht auch beim Rollenspielen.
Solange es noch Leute gibt, die sich zum Rollenspiel zusammenfinden, solange existiert das Hobby weiter. Von "überholt" könnte man nur sprechen, wenn es durch etwas neueres, etwas, daß das alte Rollenspiel-Hobby ablösen müßte, gibt. Und diese tolle neue Rollenspiel 2.0 müßte sich auch noch global so durchsetzen, daß niemand mehr das herkömmliche Rollenspiel spielen wollte.
Komisch, aber Rollenspiel-Neuerungen wie LARP, Erzählspiele, Computer-Rollenspiele, etc. haben eigentlich immer nur zusätzliche Angebote, erweiterte Möglichkeiten geschaffen, aber nicht das existierende Pen&Paper ersetzt, abgeschafft, veralten gelassen.
Langer (wie üblich) Rede, kurzer Sinn: Von "überholt" beim Rollenspiel-Hobby zu sprechen, ist völliger Unfug.