Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben, so heisst es und in vielerlei Hinsicht teile ich diesen Gedanken. Doch was ist, wenn selbst die Sieger nichts von den Ungeheuerlichkeiten wissen, die der Unterworfene begangen hat? Was, wenn diese Ungeheuerlichkeiten in Vergessenheit geraten, obwohl sie das nie dürften? Ich werde Ihnen von einer solchen Sache berichten und überdies werden sie wohl einiges über mich selbst erfahren.
Ich wurde am 30.04.1922 in eine Zeit hineingeboren, in der die Nachwehen des 1. Weltkrieges in den USA langsam am Verblassen waren und sich in einen Aufschwung umwandelten.
Mein Vater, Richard Mathews, war ein Industrie-Magnat, der in der Stahlbranche tätig war und als einer der Wenigen sehr vom Krieg profitiert hatte und zu einem Reichtum gekommen war, den er sich selbst nie hätte ausmahlen können.
Bedauerlicherweise bringt solch ein Wohlstand auch erhebliche Verantwortung und Verpflichtungen mit sich, so dass er selten Zeit für seine Familie hatte, so dass ich hauptsächlich eine Bindung zu meiner Mutter Josephine aufbauen konnte.
Er bemühte sich allerdings, mir eine möglichst gute Schulbildung zu finanzieren, sicherlich auch mit dem Hintergedanken, dass ich schließlich später der Alleinerbe des Familienunternehmens sein würde.
So besuchte ich nun mehrere Privatschulen und bemühte mich, die entsprechenden Leistungen zu erbringen, die meinen Vater zufrieden stellen würden.
Dennoch wurde der erfolgreichen Übernahme der Firma durch die Weltpolitik eines größenwahnsinnigen Mannes ein Strich durch die Rechnung gemacht, indem dieser Mann der deutschen Wehrmacht am 1.9.1939 den Angriff auf Polen befahl und damit den 2.Weltkrieg einleutete, der erneut das Schicksal dieser Welt in Frage stellen sollte.
Als die USA damit begann, sich eigenständig in den Krieg einzumischen, wurde ich ebenfalls für die US Army rekrutiert und zunächst einmal in die Grundausbildung gesteckt.
Während der Grundausbildung zeigte sich bei mir schon ein gewisses Talent für den militärischen Dienst. Gerade der Umgang an den Waffen fiel ganz in meine Begabung und bald wurde in mir auch das Interesse für Taktik und Strategie geweckt. Diese Zeit bei der Army, diese ersten Wochen halfen mir dabei, mich ein Stück weit selbst besser kennenzulernen.
Sehen Sie, während meiner gesamten Kindheit und Jugendzeit gab es für mich nie die Notwendigkeit, dass ich mich einer Hierachie unterordnen musste. Disziplin war für mich nie zum Thema geworden und nun konnte ich erkennen, dass ich mich damit äußerst wohl fühlte.
Es stellt sich wohl die Frage, wie man sich im Militärdienst wohl fühlen kann, wenn man den Krieg vor Augen hat, doch ich muss sagen, der Krieg lag für mich doch noch in weiter Ferne, zumindest aus meiner Sicht. Ich war im Hier und Jetzt und dort fühlte ich mich wohl, dort gehörte ich hin, als wäre ich dort geboren worden oder besser, als wäre ich dafür geboren worden.
Allerdings waren die Abende an Disziplin ungefähr den Tagen entgegengesetzt. Wir saßen zusammen, tranken und träumten von großen Heldentaten, die wir im Krieg begehen würden. Ich erinnere mich noch an Cole, einen jungen Mann, wie er sich vorstellte, dass er in Deutschland einmarschieren und die Gefangenen in den Konzentrationslagern befreien würde. Wir alle hatten wohl ähnliche Träume und Vorstellungen; wir waren so naiv und ohne realistische Vorstellung von dem, was uns noch bevorstand.
Im Nachhinein betrachtet verging die Zeit, in der uns die bittere Realität einholte zu schnell.
Als wir an die Front kamen, war da nichts von der Glorie, die wir uns vorgestellt hatten; dort gab es nur Blut, Verstümmelungen, Leid und Tod.
Nur wenige auf dieser Welt kennen das Gefühl im Schützengraben zu liegen und als Gesellschaft nur die Leichen oder verstümmelten Körper seiner Kameraden zu haben und dabei nichts als qualvolle Schreie zu hören.
Genausowenig werde ich den Anblick vergessen können, wie Cole vor meinen Augen starb. Die Kugel, die ihn im Gesicht traf, war so winzig und doch hat sie ein ganzes Leben auslöschen können. Ich war wie paralysiert, als ich Cole zusammensacken sah. Erst das Pfeifen einer weiteren Kugel, die ganz nah an meinem Ohr vorbeizischte, erweckte mich wieder aus meiner Starre. Sofort setzte ich mich in Bewegung, nicht mehr auf den blutigen Klumpen achtend, der einst das Gesicht eines Freundes war.
Sehen Sie, ich möchte die Erlebnisse des Krieges nicht weiter ausführen. Es gibt Sachen, die man ruhen lassen sollte.
Dennoch hat es den Anschein, als wären meine Vorgesetzten der Meinung gewesen, ich hätte mich bewährt, denn eines Tages erhielt ich den Befehl, die Front zu verlassen und mich in einem geheimen Trainingslager einzufinden. Dort sollten meine Fähigkeiten verfeinert werden.
Die kommende Zeit war hart, sehr hart, denn in nur wenigen Tagen musste ich mehr lernen, als die meisten Soldaten je lernen würden. Mein rudimentäres Verständnis für Taktik und Strategie musste ausgebaut und verfeinert werden und mein Umgang mit Schusswaffen mochte zwar ausreichend für die Front sein, aber nicht für das, was man mit mir und ein paar anderen „Auserwählten“ vor hatte. Ebenso musste ich mir in einem Crashkurs, wie man das heute nennt, die deutsche Sprache aneignen, damit ich in Berlin nicht auffallen würde.
Trotzdem reichte die Zeit aus, dass sich viele Freundschaften im Lager bildeten. Einer meiner besten Freunde in der Zeit war David, ein feiner Kerl. Er war auf seinem Gebiet, Elektronik und Ingenieurwesen, ein Profi, der Seinesgleichen suchte. Vor allem aber war er ein bodenständiger Mann. Ich wusste, dass er zu Hause eine junge Frau und eine kleine Tochter hatte, die auf ihn warteten. Es war stets sein ganzer Stolz gewesen, mir Bilder der beiden zu zeigen. Oft saßen wir bis spät in die Nacht vor der Kaserne und er erzählte mir von den beiden, von dem was er mit den beiden erlebt hatte. Es waren eigentlich nur Kleinigkeiten, die ersten Schritte, das erste Wort, wie er seine Frau kennengelernt hatte, aber diese Nächte waren stets geschwängert von Träumen, die uns in die Heimat trugen und ich spürte in mir leise den Wunsch aufkeimen, selbst ein Mädchen zu haben, das auf mich warten würde.
Doch diese Nächte sollten bald von Anspannung und Angst überschattet werden.
Es war der 30.06.1942, als man uns endlich sagte, was uns erwarten würde. Unsere Spione hatten in Berlin ein Labor ausgemacht, in dem die Wissenschaftler des Großdeutschen Reichs Versuche unternahmen, die über den Ausgang des 2. Weltkrieges entscheiden könnten. Wir sollten in dieses Laboratorium eindringen, es sabotieren und nach Möglichkeit zerstören.
Am 03.07. waren wir bereits in Deutschland, am 04.07. erreichten wir in der Nacht die Anlage. Ein Verräter in den Reihen der Laborangestellten schleuste uns rein und ab da waren wir auf uns alleine gestellt. Systematisch reinigten wir die Gänge und Labors von Gefahrenquellen, wie den Wachangestellten und brachten so eine Ebene nach der anderen hinter uns. In uns stieg immer mehr eine Unruhe und nervöse Anspannung auf, denn egal wie weit wir gekommen waren, nirgends entdeckten wir etwas, was so prekär gewesen wäre, dass es eine derartige Gefahr darstellte, wie die Army glaubte. Erst in der untersten Ebene, nachdem wir einige Sicherheitssysteme umgangen hatten, erhielten wir eine Antwort.
Vor uns taten sich einige Räume mit Zellen auf, die Menschen enthielten. Zumindest dachten wir auf den ersten Blick, es seien Menschen, doch es waren keine, es waren Kreaturen. Die, die wir für Menschen hielten, hatten Fänge, blutrote Augen, manche hatten tierische Merkmale, manche hatten krallenbewehrte Klauen. Es war ein grauenvoller Anblick. David kümmerte sich um die Sicherheitsanlage, die anderen sicherten den Raum, während ich mir die Unterlagen ansah, die ich finden konnte.
Den Unterlagen nach, solle es sich bei den eingesperrten Versuchsobjekten um eine Spezies handeln, die mit den mythologischen Begriffen Vampir oder Werwolf zu bezeichnen wären, weshalb die Versuchsreihe auch den Namen „Projekt Werwolf“ trüge.
Über die Herkunft dieser Spezies sei noch nichts näheres bekannt, aber die Meinungen schwankten zwischen dem, was wir heute als einen genetischen Defekt bezeichnen würden, zu einer neuen Stufe in der Evolution des Menschen. Vertreter letzterer Meinung wurden sehr schnell exekutiert; die Annahme, es könne eine Spezies geben, die über der Herrenrasse stehen würde, war Vaterlandsverrat.
Ich war so vertieft, dass ich hochschreckte, als ein Geräusch an mein Gehör drang – das Quietschen einer Zellentür. Plötzlich brach die Hölle los. Wie in einer wilden Raserei stürzten sich diese Bestien auf einander und auf die Mitglieder meiner Einheit. Erfüllt von Panik, versuchte ich mir den Weg freizuschießen und rannte davon. Noch ehe ich die Treppe zu den oberen Ebenen erreichte, hörte ich bewusst den ersten Todesschrei – es war Davids Stimme. Ich rannte die Gänge entlang, floh und betete zu Gott, dass keines dieser Wesen mich erwischen würde.
Ich werde diese Nacht niemals vergessen. Noch heute leide ich manchmal an Alpträumen, in denen sich diese Nacht wiederholt, mit dem erschreckenden Unterschied, dass ich heute vieles besser verstehe, viel besser.
Die folgende Zeit war für mich eine Zeit der Entbehrungen, denn ich hatte mich in den Untergrund begeben um ein Teil des organisierten Widerstandes zu werden. In den USA hatte man dem Nazi-Regime so einige Greueltaten zugeschrieben, doch das, was ich mit eigenen Augen gesehen habe, überstieg alles, was man sich in den USA ausmalen konnte.
Das Labor war zwar zerstört, doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass damit auch die Versuche enden würden. Wäre ich zur US Army zurückgekehrt, dann wäre die Gefahr zu groß gewesen, dass man mich einfach nur an die Front zurückschicken würde, dorthin, wo ich nichts ausrichten würde. Es war besser, wenn man mich für im Krieg verschollen erklären würde und ich dann später vielleicht überraschenderweise nach Hause zurückkehren würde.
Mit meinen Fertigkeiten nahm man mich im Widerstand gerne auf.
In den kommenden Jahren bis zum Ende des Krieges war ich der Durchführende einiger Anschläge und zumindest an der Planung vieler weiterer Attentate beteiligt.
Als der Krieg dann endlich vorbei war, konnten wir es kaum glauben. Es war, als würde nach Jahren die Sonne zum ersten Mal wieder richtig aufgehen. Ich bedaure nur, dass ich in den Jahren keine Spur mehr vom Projekt Werwolf entdeckt habe, zumindest nicht, bevor der Krieg zu Ende war. Es war irgendwann, ca. ein Jahr nach Ende des Krieges, als mir ein Zeitungsartikel auffiel.
Leitender Wissenschaftler des Nazi-Regimes tot aufgefunden
Professor Doktor Richard Brock, ehemals Leitender Wissenschaftler bei dem sogenannten „Projekt Werwolf“, wurde in der vergangenen Nacht in seiner Zelle tot aufgefunden. […]
Bei dem Projekt Werwolf handelte es sich um ein Forschungsprojekt, bei dem es um die Entwicklung biologischer Kriegswaffen ging. Es sollten spezielle Chemikalien für den Gebrauch als Waffe entwickelt werden.
Durch einen schweren Schlag vor drei Jahren, bei dem die meisten der mitarbeitenden Wissenschaftler getötet wurden, war die Forschung jedoch soweit zurückgeworfen, dass sie kein Ergebnis hervorbringen konnte. […]
Immer wieder las ich den Artikel. Es sah für mich ganz danach aus, als wollte jemand vertuschen, was wirklich hinter dem Projekt Werwolf stand. Die letzten drei Jahre, die ich im Untergrund verbracht hatte, waren auch dem Kampf gegen die Nazi-Diktatur selbst gewidmet, doch hauptsächlich, so merkte ich nun, waren sie ein Kampf gegen meine Erinnerungen gewesen. Doch nun, wo ich diesen Artikel las und sah, dass das Projekt Werwolf nun zu Ende war, merkte ich, wie aussichtslos dieser Kampf eigentlich war. Das Projekt war gegangen, die Erinnerungen blieben.
Nun, nach Beendigung des Krieges, sah ich für mich die Zeit gekommen, den Kontakt zu meinen Eltern wieder aufzunehmen und sie wissen zu lassen, dass ich am Leben war.
Die Zeiten des Schattenkriegers waren vorbei und nun konnte das Leben wieder beginnen.
Ich denke man kann die Freude meiner Eltern nur zu gut nachvollziehen, als sie erfuhren, dass ihr Sohn nicht im Krieg gefallen war, doch sie respektierten auch meinen Wunsch, noch eine Weile in Berlin zu bleiben. Ich hatte in dieser Stadt Freunde gewonnen und obwohl sich keiner von uns beiden es eingestehen wollte auch so etwas, wie eine Partnerin.
Ich hatte Kathrin im Widerstand kennengelernt. Nachdem ihre Eltern von den Männern der SS ermordet worden waren, weil sie einem Juden Unterschlupf gewährt hatten, war sie dem Widerstand beigetreten.
Uns beide verband damals eine innige Freundschaft, doch zugeben, dass es Liebe war, konnten wir nicht. Jeder von uns beiden hätte jederzeit sterben können. Eine Liebelei hätte das Ganze nur noch erschwert. Im Nachhinein, manchmal, wenn ich wieder an die Vergangenheit zurückdenke, wünschte ich mir, wir hätten es uns wenigstens nach dem Krieg zugestehen können, doch es sollte nie mehr als eine Freundschaft werden.
Am 13.08.1956 erreichte mich dann der Brief eines Notaren. Es war der Notar meiner Eltern, der mir berichtete, meine Eltern seien bei einem Autounfall unverschuldet ums Leben gekommen und dass ich nun der Alleinerbe der Firma sei. Bereits drei Tage später war ich auf dem Weg in die Staaten. Kathrin blieb in Berlin und ich habe sie seitdem nie wieder gesehen.
Ich übernahm nun die Führung der Firma bzw. ich suchte mir kompetente Männer und bildete einen Firmenvorstand, der in der Lage war, die Firma in die neue Zeit zu führen, fort von der Rüstungsindustrie, fort von allem, was an den Krieg erinnerte. Eigentlich hätte ich es besser wissen sollen, denn auch dies konnte mir die Bilder in meinem Kopf nicht nehmen.
Doch die Erinnerungen waren nicht das einzige, was ich aus dem Krieg mitgenommen habe; er hat auch eine Rastlosigkeit in mir zurückgelassen, die ich mit der Führung der Firma nicht stillen konnte. Schlimmer noch als diese Rastlosigkeit war allerdings der bittere Beigeschmack der Sinnlosigkeit in meinem Leben. Im Krieg hatte ich ein Ziel, ich hatte eine Aufgabe und jetzt war der einzige Kampf den ich zu führen hatte ein Papierkrieg und das einzige, was ich zu verteidigen hatte waren die Aktienkurse meiner Firma und diese Arbeit wurde mir durch den Vorstand ohnehin fast vollständig abgenommen. Ich war zwar Vorstandsvorsitzender, doch die wirkliche Führungskraft ging vom Vorstand selbst aus. Dies war wohl der Hauptgrund, weswegen ich das Angebot annahm, das mich im Jahr 1957 erreichte.
Es war bereits am späten Abend, als mich ein Anruf in meinem Büro erreichte. Ich war als einziger der Firma länger geblieben, weil ich noch etwas Papierkram zu erledigen hatte. Dennoch erwischte ich mich selbst dabei, wie ich an der Fensterfront stand und das Tummeln der nächtlich Stadt betrachtete, als das Telefon klingelte.
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und nahm den Höhrer ab. „Mathews.“ Die Stimme am anderen Ende der Leitung war ein tiefer, aber angenehmer Bass: „Mr. Mathews, ich würde Sie gerne noch heute Abend aufsuchen um ihnen ein Geschäft zu unterbreiten, von dem ich denke, dass Sie es sich nicht entgehen lassen wollen.“ Ich runzelte leicht die Stirn. „Worum geht es?“ „Um eine neue Aufgabe in ihrem Leben.“ Damit legte der mysteriöse Anrufer auf.
Zwei Stunden später saß er mir in meinem Büro gegenüber. Er stellte sich mir als Maximilian Graves vor. „Sehen Sie, Mr. Mathews, die Organisation, die ich vertrete, könnte einen Mann mit ihren Kompetenzen gut gebrauchen und damit meine ich nicht ihre Fähigkeiten als Vorstandsvorsitzender ihrer Firma, sondern ihre Kompetenzen, die Sie seit ihrer Ankunft 1942 in Berlin unter Beweis gestellt haben.“ Ich fuhr von meinem Stuhl hoch und starrte den Mann an. „Wer sind Sie?!“ „Das habe ich Ihnen bereits gesagt. Ich bin Maximilian Graves. Ich denke, Sie wollen vielmehr wissen, wen genau ich vertrete. Ich vertrete direkt eine Organisation, die sich Haus und Clan Tremere nennt und damit indirekt auch die größere Organisation, deren Teil wir sind, die Camarilla. Ah, ich sehe bereits Ihre Frage in Ihrem Gesicht. Lassen Sie mich etwas ausholen…“ Er berichtete mir von der kainitischen Gesellschaft, von der Camarilla, welche Ziele sie vertrat und er berichtete mir auch Einiges über Haus und Clan Tremere und beantwortete mir meine Zwischenfragen geduldig, soweit es ihm möglich war und gab mir damit einige Puzzlestücke in die Hand, die das Projekt Werwolf für mich um Einiges klarer werden ließ.
Ich weis nicht, wie lange ich mit ihm saß und mich mit ihm unterhielt. Nachdem er geendet hatte, blieb mir nur eine Frage: „Sie erzählen mir das alles doch nicht, trotz der Maskerade und lassen mich dann einfach so am Leben.“ Mittlerweile stand nun Maximilian am Fenster und blickte auf die Stadt. „Wir haben Mittel und Wege um dieses Gespräch für Sie ungeschehen zu machen. Wir mögen Vampire sein, doch die meisten von uns töten nicht grundlos, viele töten gar nicht. Dennoch rate ich Ihnen gut über meinen Vorschlag nachzudenken. Bedauerlicherweise ist dafür nur nicht mehr so viel Zeit. Ich brauche eine Antwort von Ihnen – jetzt.“
Ich hatte im Grunde genommen bereits meine Entscheidung getroffen. Dies würde vielleicht meine letzte Chance sein, meine Rastlosigkeit zu besiegen, denn anderweitig wäre sie es wohl gewesen, die mich früher oder später besiegt hätte. Ich sagte ja.
Der Kuss war kurz und schmerzlos, doch die Verwandlung war die Hölle. Unter großen Schmerzen zog es sich in mir zusammen und ich merkte, wie viele meiner Organe langsam verschrumpelten; ich erbrach blutige Klumpen auf den Boden und in mir breitete sich ein brennender Durst aus.
Maximilian führte mich aus meinem Büro und ich sah, wie ein paar Männer an uns vorbei gingen, ausgestattet mit Reinigungsmaschinen. „Nur noch ein wenig Geduld. Bald wirst du von einem Blut kosten können, dessen Macht deine Vorstellungen zur Zeit noch übersteigt und wenn wir erst im Gildenhaus angekommen sind, werden wir dir auch noch mehr geben können.“
Er brachte mich zu einem Wagen, der scheinbar auf uns gewartet hatte. Die Scheiben waren getönt, so dass niemand von außen hineinsehen konnte. Dies war wohl auch besser so, denn der Hunger dürfte mein Gesicht wohl zu einer monströsen Fratze verzogen haben.
Als ich das erste Mal das Gildenhaus sah, war ich wie überwältigt. Ich weis nicht, was ich mir vorgestellt hatte, aber gewiss nicht den Turm aus Glas und Stahl, der mich erwartete. Mit einem Aufzug gelangten wir unter die Erde, nachdem Maximilian auf einem Nummernblock einen Code eingegeben hatte.
Dort, in einem kleinen, steril wirkenden Raum, trank ich mein erstes Blut. Man hatte mir eine junge Frau gebracht und man musste mich mit Gewalt davon abhalten, sie gänzlich zu leeren. Es war so ein berauschendes Gefühl. Nichts, das ich zuvor gespürt hatte, war damit zu vergleichen. Es war, als hätte ich in meinem Leben nie etwas genießen können, alles Vergangene wirkte schal in diesem Augenblick.
Als ich fertig war, brachte man die geschwächte Frau aus dem Raum und mich befiel eine Art Lethargie. Ich lag am Boden, kostete den letzten, auf meinen Lippen verbliebenen Tropfen Blut aus, als wäre es der letzte, den ich je trinken würde. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dieses Gefühl je übertroffen werden könnte. Ich sollte eines Besseren belehrt werden.
Ich war wohl in einen tiefen Schlaf gefallen, denn als ich wieder aufwachte, befand ich mich an einem anderen Ort. Ich lag zwar auf dem Boden, aber mein Anzug war einer schlichten Kutte aus Leinen gewichen und der Raum wurde durch ein grünes Licht erhellt. An den Wänden hingen schwere Gobelins aus rotem Samt, auf die in goldener Farbe sich zwei Motive abwechselten: Ein archaisch wirkendes Wappen und eine Pyramide, in deren Mitte ein Auge zu sehen war. Ich fühlte mich vage an eine Organisation mit dem Namen ‚Illuminati’ erinnert.
Ich richtete mich in eine halb liegende, halb sitzende Position auf und sah nun, dass ich von Personen in Roben und Kutten verschiedenster Art umgeben war. Sie alle intonierten einen leisen Sprechgesang, doch die Sprache konnte ich nicht erkennen. Direkt vor mir führten drei Treppenstufen zu einer Erhebung, auf der sich ein prunkvoller Thron befand. Direkt vor diesem Thron stand ein Mann in einer ebenso prunkvollen Robe, in den Händen einen goldenen Kelch haltend.
„Bruder Robert Mathews, komm zu mir und knie nieder.“ Ohne zu wissen, wie mir geschah, erhob ich mich, ging ein paar Schritte auf den Mann zu um dann gleich vor ihm wieder auf die Knie zu sinken. „Bruder Robert Mathews, als Mensch bist du gestorben, als Kainit bist du auferstanden, zu dienen dem alten und ehrwürdigen Haus und Clan Tremere. Sei sein Schwert, wo die Feder versagt, doch sei weise und nutze die Feder, wann immer es möglich ist. Sprich mir nach und leiste den Eid, wie es der Kodex Haus und Clans Tremere verlangt.“
Es war ein erhebendes Gefühl, diesen Eid zu leisten. Es war, als würde ich die Macht spüren, die der Clan darstellt und als würde ich ein Teil davon werden. Nachdem ich geendet hatte, hielt der Mann den Kelch empor und wandte seinen Blick nach oben. Er rezitierte ein paar Wörter, die ich nicht verstehen konnte, doch ich meinte, es handelte sich um Latein. Dann sah er mich erneut an. „Erhebe dich nun, Robert Mathews, Lehrling des ersten Zirkels der Mysterien und empfange das Blut unseres hohen Rates, bekräftige damit deinen Eid und werde ein Teil unserer erleuchteten Pyramide.“
Er reichte mir den Kelch und ich trank, zunächst zögernd, doch dann in vollen Zügen. Das Blut rauschte in meinen Adern, dröhnte sanft in meinem Schädel und ich spürte die tiefe und starke Macht, die ihm inne wohnte. Ich wollte diese Macht nutzen, mein ganzer Wille war darauf ausgerichtet. Ich führte mir die Hand vor Augen und ich sah, wie sie in Flammen aufging, die lodernd und dennoch kalt meine Finger umspielten.
Doch genauso plötzlich, wie dieser Schub der Macht kam, verklang er auch wieder und die Flammen waren erloschen. Dennoch, etwas hallte in meinem Geist nach; es war eine Zahl und ich sprach sie leise aus: „Vier.“
Im ganzen Raum ging ein Raunen umher und manch einer sah mich verwundert an. Einer jedoch betrachtete mich mit Stolz, mein Erzeuger Maximilian Graves. Er kam auf mich zu legte die Hand auf meine Schulter. „Komm, Robert, ich führe dich nun in dein Zimmer. Genieße noch diese Nacht, nimm sie um nachzudenken und endgültig mit deinem Leben als Sterblicher abzuschließen, denn ab morgen beginnt deine Ausbildung und ich übertreibe nicht, wenn ich dir sage, dass sie hart wird.“
In den kommenden Nächten und Wochen, bekam ich Maximilian nur selten zu sehen. Man hatte mich an einen anderen, mir höher gestellten Lehrling verwiesen, damit er mich in die Gesellschaft, in die Traditionen und die Etikette der Camarilla einwies. Ebenso gab er mir ein Grundwissen über die Clans, doch bei einigen fiel das Wissen leider nur etwas spärlich aus. Auch in der Clanshistorie wurde ich unterwiesen.
Das Studium der Thaumaturgie wurde mir teils im Alleingang überlassen, teils kümmerte sich Maximilian aber auch selbst darum. Recht schnell erkannte Maximilian eine besondere Begabung in mir. Mein Geschmackssinn gibt mir intuitiv die Möglichkeit, bereits wenige Merkmale von kainitischer Vitae auch ohne den Einsatz der Thaumaturgie herauszufiltern, so dass ich wenige Informationen daraus ziehen kann. Er besprach dies mit dem Regenten des Gildenhauses, welcher der Ansicht war, dass dies wohl eine einmalige Nebenwirkung des Blutes der Sieben sei. Er selbst hatte so etwas noch nie gesehen. Seine Vermutung bestätigte er innerlich durch die Zahl, die ich sagte, nachdem ich das Blut getrunken hatte.
Mein Wissen mehrte sich und damit einher ging mein Aufstieg in den Zirkeln der Mysterien. Aufgrund meiner Aufgaben, wurde der Hauptaugenmerk meiner Ausbildung jedoch nicht auf die Thaumaturgie gelegt, sondern auf das Verwischen von Spuren und die Beeinflussung des Geistes.
Ich möchte nicht, dass hier ein falscher Eindruck entsteht. Man könnte vielleicht dazu geneigt sein, die Lehrzeit auf ein bis zwei Jahre einzuschätzen, doch man darf die Ausbildung eines Tremere nicht mit der Zeit vergleichen, die man braucht um als Neugeborener freigesprochen zu werden. Ich bin nun seit 47 Jahren Kainit und ich habe meine Ausbildung immer noch nicht vollständig abgeschlossen und das liegt nicht daran, dass ich langsam wäre. Das Studium der Hermetik ist äußerst langwierig und jedes Bisschen Wissen muss sich in meinem Clan hart verdient werden. Wären meine Aufgaben nicht etwas anders geartet und wäre es nicht notwendig, mich aus der Dienstbarkeit meines Erzeugers in die des Clans zu überstellen, dann wäre ich heute immer noch nicht ein Lehrling des vierten Zirkels, ja nicht mal einer des Dritten. Im Übrigen war eine Bedingung dafür, dass ich mich nun verstärkt um das Studium der Thaumaturgie kümmern sollte.
Während meiner Lehrzeit legte ich mir zwei Ghule zu. Der eine Ghul ist Thomas Stark. Er ist hauptsächlich für die Sicherheit meiner Zuflucht zuständig, aber er regelt auch alle meine Geschäfte am Tag, wobei ich mich bei Bankgeschäften lieber auf Online-Banking verlasse. Er dient mir auch ebenfalls als Assistent bei meinen thaumaturgischen Arbeiten und Forschungen. Zwar passt er nicht ganz in das konservative Clanbild, da er blondierte Haare hat, die er stachelig nach oben gegelt trägt, doch ich konnte ihn immerhin mittlerweile dazu bringen, dass er einen Anzug trägt, wenn er unterwegs ist.
Man sieht es ihm nicht unbedingt an, doch er ist nicht gerade schwach, wenn es sich auch eher in einem sehnigen Aussehen äußert.
Kennen gelernt habe ich ihn bei einem Seminar für Sicherheitstechnik. Er sagte mir, er arbeite für eine Security-Firma und nach genauer Prüfung nahm ich ihn in meine privaten Dienste.
Der Andere Ghul ist Dennis Coleman. Er war eines der Vorstandsmitglieder meiner Firma. Nun, ich habe ihn ebenfalls zu meinem Ghul gemacht und anschließend habe ich an ihn meine Firma verkauft, damit er nun Vorstandsvorsitzender ist und alle Einnahmen auf seine Konten fließen, auf die ich jedoch auch zugreifen kann, dank einer Vollmacht, so dass ich mir keine große Sorgen mehr machen muss, dass mit meiner Firma etwas passiert, aber dennoch Zugriff auf den Gewinn habe.
Bei Dennis ist es etwas schwieriger die Versorgung mit Blut zu gewährleisten, sobald ich in New York bin, aber er wird alle zwei Wochen eine geschäftliche Reise nach New York machen, damit ich ihn versorgen kann.
Für den Fall, dass ihm etwas geschieht, wurde das Testament so aufgesetzt, dass ich unter dem Mantel einer Deckidentität alles Erbe.
Maximilian war im Übrigen so freundlich, mich an einen Waffenhändler im Big Apple namens Donald Crumb zu vermitteln, so dass ich mir dort im Notfall meine Ausrüstung auch erweitern kann. Er soll wohl einen normalen Waffenladen führen, aber auf kleiner Ebene auch ein paar krumme Dinger drehen um so auch etwas bessere Waffen verkaufen zu können; natürlich nur mit den nötigen Referenzen.
Ein anderer Kontakt, der mir vielleicht noch von Nutzen sein kann, ist ein Polizist, ein Detective, wenn ich mich nicht irre. Ich muss schon sagen, es war ganz witzig, wie ich an ihn gekommen bin. Bei uns, wie in jeder Stadt, gibt es ein paar Bars, in denen gutbürgerliche Menschen normalerweise nicht verkehren, die sich aber umso besser für Geschäfte eignen.
Ich hatte dort in einer der Bars einen Kontaktmann getroffen, der mir ein paar interessante Bücher verkaufen wollte und mit dem ich die Vertragsbedingungen aushandeln wollte, als besagter Polizist gerade mit ein paar Kollegen dort einen Zuhälter festnahmen.
Man kann sich wohl denken, dass ich nicht schlecht gestaunt habe, als ich denselben Polizisten ein paar Tage später in einer anderen Bar beim Erwerb von Rauschgift sah. Ich verfolgte den Mann bis in eine kleine Gasse, in der er dann umgehend die gekauften Drogen zu sich nahm.
Er erwies sich als unglaublich kooperativ, nachdem ich Andeutungen machte, dass seine Kollegen das besser nicht wissen sollten.
Nachdem sich andeutete, dass ich bald nach New York gehen würde, ließ er sich gnädiger Weise dorthin versetzen. Ich glaube es kam ihm ganz recht, denn seine Kollegen fingen bereits an, einen Verdacht zu hegen. Sein Name ist übrigens Scott Darson.
Als guter Geschäftspartner hat sich auch ein schon etwas älterer Herr namens Roger Newman erwiesen. Ich erwähnte ihn bereits. Er ist ein Antiquitätenhändler, der sich auf alte Bücher spezialisiert hat. Da er sich selbst sehr stark für okkulte Schriften interessiert, hat er manchmal ein paar interessante Bücher in seinem Angebot und weis, wie er an sie gelangt. Sollte er einmal nicht dazu bereit sein, seine Schätze aus der Hand zu geben, so zieht er doch gerne einmal eine Kopie davon. Ich habe selten einen Sterblichen mit seinen Kompetenzen auf dem Gebiet kennengelernt.
Jetzt schreibe ich nun schon eine Menge über mich und das Meiste davon ist Gerede über die Vergangenheit. Aber was führt mich eigentlich nach New York? Die Geschichte von dem Blutfluch, der New York heimgesucht hat, hat seine Wellen auch bis zu uns nach Boston geschlagen. Für mich gibt es einige Gründe dorthin zu gehen. Zum einen ist es für mich wichtig dort die Camarilla und insbesondere Haus und Clan Tremere zu stärken. Die Krankheit hat ein paar Plätze freigemacht, in die Haus und Clan Tremere gerne eindringen würden. Ich würde gerne Mitglieder von Haus und Clan in den Führungspositionen sehen, auch wenn ich selbst nicht unbedingt das Prinzenamt anstrebe. Vielleicht wird aber auch im clansinternen Zusammenhang der ein oder andere Posten frei und ich bekomme vielleicht die Gelegenheit, weiter in den Rängen aufzusteigen.
Aber auch an der Bekämpfung des Sabbats ist mir gelegen. New York muss endlich frei sein von diesem Abschaum.
Wie schon erwähnt will ich mich allerdings auch in der Thaumaturgie weiterschulen. Ich habe in einem Buch in meinem Gildenhaus ein paar Aufzeichnungen über eine Praktik der Thaumaturgischen Sicht gefunden. Diese dürfte sich gut zur Aufklärung und eventueller Reinigung von feindlichen Gebieten eignen. Allerdings muss ich dafür meine Fähigkeiten in der übernatürlichen Wahrnehmung, Auspex genannt, noch erweitern.
Vorbereitungen für meine Reise nach New York sind weitestgehend getätigt. Der höchstrangige Tremere der Stadt, ein gewisser Xavier de la Guerra, ist über meine Ankunft informiert und Thomas hat uns beiden bereits eine Eigentumswohnung in Brooklyn besorgt, die meinen Ansprüchen voll und ganz genügt. Sie befindet sich im zweiten Stock eines Wohnhauses und die Raumeinteilung ist ideal für meine Bedürfnisse.
In der Mitte der Wohnung befindet sich mein Arbeits- und Schlafzimmer mit einem Computer, einem kleinen Chemielabor, einem Feuerlöscher, einigen Bücherregalen und Aktenschränken, einem versteckten Safe, einem ausziehbaren Sofa, einem Kohlebecken und einem hermetischen Zirkel, der sich unter de Teppich in der Mitte verbirgt. Thomas hat ihn gezeichnet und obwohl ich ihm vertraue, werde ich ihn lieber noch mal kontrollieren, sobald ich die Wohnung beziehe. Ansonsten ist die Wohnung eigentlich recht gewöhnlich. Wohnzimmer, Thomas’ Schlafzimmer, eine Küche und ein Badezimmer.
Zum Abschluss des Ganzen, sei noch etwas erwähnt. Die Thaumaturgie ist eine große Macht, aber sie hat auch Nebenwirkungen. Das bereits erwähnte Talent hat mein Jagdverhalten stark beeinflusst. Ich trinke zwar nach wie vor Blut wie jeder Kainit, doch ab und zu verlangt es mich nach einem besonderen Kick. Blut, dass von Opfern, die unter Starken Emotionen wie Angst oder Erregung leiden, getrunken wird, hat einen viel feineren Geschmack.
Für die Reise ist nun alles vorbereitet. Ich habe sogar einige Bücher aus unserer Bibliothek einscannen und auf CD ziehen dürfen. Meiner Reise steht nun nichts mehr im Weg.