Klar, die vielen kleinen Nadelstiche sind schon ne gute Taktik. Und wenn man einfach hochgespielte Charaktere hat, ist das mit der Herausforderung natürlich prinzipiell schwieriger. Wobei selbst ein lange gespielter Charakter nicht einach so auf Willenskraft 10 und überall auf 5 hochspringt.
"lange gespielt" bedeutet in unserem Fall 20 Jahre
, da kann der eine oder andere Wert durchaus das Maximum erreichen...
Mir fällt es immer ein bisschen schwer, mir solche Charaktere vorzustellen, vor allem in "klassischen" Spielersituationen. Mit solchen Fähigkeiten und Disziplinen ist es aber durchaus nicht unwahrscheinlich schon ziemlich weit oben in der Nahrungskette zu stehen und das ist ja dann auch okay. Da kommen dann ganz andere Probleme auf sojemanden zu. Selbst mit den besten Disziplinskombinationen und ausgeklügeltsten Fähigkeiten kann man nicht jeden NSC überwachen und kontrollieren, der potentiell am Stuhl sägt.
Aber - siehe Punkt 2 - wenn jemand am Stuhl sägt, dann fällt es wiederum relativ leicht, den Säger zu finden und ihm dann entsprechend zu... disziplinieren. Das "verdammt, wer arbeitet da hinter unserem Rücken gegen uns"-Gefühl ist nicht leicht aufrechtzuerhalten.
Es kommt halt immer drauf an, was so ein Spieler will. Warum er seinen Charakter überhaupt so hoch gesteigert hat. Ein Powergamer will vermutlich direkte Konfrontation als Herausforderung. Dann muss er halt damit leben, dass ab so einem Level Werwolfsrudel und Ahnen / Methusalem seine Sparringspartner sind. Oder ne große Jägerorganisation. Wenn er auch auf soziales und settinginhärent plausibles Spiel wert legt, dann ists vielleicht dazu noch ein Haufen ambitionierter und einfallsreicher Neugeborener. Oder eben er selbst. Selbst Götter scheitern an sich selbst. Jeder hat Schwächen und die zu finden ist oft nicht besonders schwer. Spieler und Spielleiter müssen halt wissen, dass sie auf dem gleichen Parkett spielen.
An dem Punkt kann ich zumindest postitiv vermerken, dass wir nur einen ausgewiesenen Powergamer am Tisch haben, und das nicht allzu häufig. Ansonsten haben wir durchaus Spieler in der Gruppe - mich selbst eingeschlossen -, die noch einen niedrigen bis mittleren zweistelligen Betrag an unverbrauchten Erfahrungspunkten haben. Nicht, weil das was sie steigern wollen so teuer ist und man Punkte sparen muß, sondern weil es irgendwie gerade nichts Passendes zum Steigern gibt, das ins Charakterkonzept passt.
Ich kann verstehen, dass einem das Wettrüsten auf den Sack geht und man auch nicht immer Dragonball-mäßig den nächst größeren Powerlevel in den Ring schmeißen will. Dann muss man, wenn die Spieler da mitmachen, eben das Dingen rumreißen. Den Horror und die Herausforderung im Inneren suchen. Im Kleinen. Im Konflikt mit sich selbst und untereinander.
Ich habe vor langer Zeit mal eine NSC eingeführt, Valerie, die 11jährige Tochter einer ehemaligen Kommilitonin von einer unserer SCs. Im Laufe der Erzählung ging die Kommilitonin drauf, und unsere SC hat sich daraufhin um die Unterbringung bei einer nahen Verwandten gekümmert. Im Laufe der Zeit hat Valerie dann ein paar Pubertätsprobleme gehabt (sie ist von zuhause weggelaufen, weil sie zu ihrem Onlinefreund wollte), hat die High School absolviert und durch unsere SC einen Platz an einer Eliteuni bekommen und steht jetzt kurz vor ihrem Abschluß in Jura. Anhand von Valerie bemerken die Spieler immer wieder, wie die Zeit vergeht, und die betreffende SC bekommt immer wieder vor Augen geführt, wie ihr Leben hätte aussehen können, wenn sie selbst eine sterbliche Familie gehabt hätte.
Solche kleinen, persönlichen Geschichten finde ich viel prickelnder als "Wir haben die Welt gerettet. Schon wieder.".
Ich freu mich schon auf Valeries Hochzeit in ein paar Jahren...
@Thread
Ich hab eins meiner Probleme gefunden:
- Was hilft, um das Gefühl zu unterstützen, tatsächliche Vampire zu spielen? Vielleicht kennt das der ein oder andere. Im politischen / sozialen Intrigenspiel geht die Kernessenz ein bisschen unter. Bluttrinken wird zur bloßen Nahrungsaufnahme und die Charaktere sind im Grunde phasenweise nur komische, sich selbst regenerierende Menschen, die nur bei Nacht aktiv sind. Das Problem hatte ich in den Jahren immer wieder. Es klappt immer mal wieder, Dinge einzubauen, die "das Vampirische" ein wenig hervorheben aber zu gezwungen solls ja auch nicht sein. Ist okay, wenns für die Gruppe so funktioniert, für mich persönlich ist es aber oft ein Krampf, wenn ich das merke und es mich akut nervt.
Oh ja, das Problem kenne ich, insbesondere wenn ich das Gefühl habe, nicht "Vampire", sondern "Shadowrun mit Zähnen" zu spielen (oder wenn die oben erwähnten kleinen, persönlichen Szenen zu sehr in Richtung Seifenoper abdriften). Wir sind, nachdem wir bemerkt haben, dass die allnächtliche Weltrettung auf die Dauer etwas dröge ist, von Erzählungen rund um Feind A, B oder C abgerückt und stellen viel stärker die kainitische Gesellschaft in den Vordergrund. Wie sind die Claims in der Stadt abgesteckt? Zu welchen Konflikten kommt es clanintern oder zwischen den Clans? Welche disziplinarischen Mittel ergreift der Prinz, wenn mal jemand über die Stränge schlägt? Gerade bei letzterem Punkt läuft es den Spielern manchmal kalt den Buckel runter - weil sie bis vor nicht allzu langer Zeit selbst ab und zu die zu bestrafenden Delinquenten waren und so weit noch nicht weg sind von ihren Jugendsünden.
Was auch manchmal ganz interessant ist, ist den Spielern klarzumachen, dass sie mit Leuten umgehen, die schon beträchtlich mehr Jahre auf dem Buckel haben als sie selbst. Und damit verbunden sind dann natürlich auch gewisse Ansichten zu manchen Themen. Sicher, Demokratie mag eine tolle Sache sein. Für die Charaktere. Aber für jemanden, der im feudalen Europa aufgewachsen ist? Oder noch davor? Sklavenhaltung, pfui Teufel. Aber für manchen Ahn mag es völlig normal erscheinen, Menschen zu besitzen. Gleichberechtigung für Mann und Frau - klar, wir wollen die Spielerinnen am Tisch ja nicht vergraulen
. Aber sooo alt ist die Idee des Frauenwahlrechts auch wieder nicht. Und die älteste unserer SCs wurde 1985 zum Vampir. Also vor geradezu lächerlich kurzer Zeit, wenn man bedenkt, dass der Prinz unserer Stadt schon gute 100 Jahre alt war,
bevor die Indianer Nordamerikas zum ersten mal ein Pferd gesehen haben! Manchmal schadet es nicht, so etwas den Spielern vor Augen zu führen.