AW: Der kleine Hobbit
Skycorax schrieb:
... also hätte man in meinen Augen einfach nur Unmut produziert ohne irgendwas damit besser zu machen.
Scaldor schrieb:
... weswegen eine stärkere Abweichung als die bisherige bestimmt für Unmut gesorgt hätte.
Es gibt prinzipiell zwei Möglichkeiten, sich an der Verfilmung eines Buches zu versuchen. Erstens: Man lässt sich durch ein Buch zu einem Film inspirieren, übernimmt Teile, dichtet aber auch eigenes hinzu. Man könnte also sagen, dass man den Stoff neu interpretiert oder auch uminterpretiert.
Blade Runner ist ein gutes Beispiel für eine solche Neuinterpretation. Zweitens: Man will den Stoff als Literaturverfilmung auf Zelluloid bringen. Die Handlung soll nicht neu erfunden werden, die Charaktere werden weitestgehend übernommen, wo nötig kann man glätten und kürzen. Ich denke, es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass wir es bei PJs HdR mit einer Verfilmung vom Typ 2 zu tun haben. Euren Posts, speziell den beiden Zitaten, entnehme ich weiter, dass ihr beide auch lieber eine Verfilmung von Typ 2 haben wollt, als von Typ 1. Das führt dann zu der Frage, ob Jackson diesem Anspruch gerecht wird, oder nicht. Äußerst wichtig sind immer die Figuren einer Geschichte. Zum Thema "versaute Charaktere im HdR-Film" habe ich mich in einem anderen Forum schon einmal länger ausgelassen, ich kopiere das mal hier herein:
Viele wichtige Charaktere wurden versaut:
1. Frodo:
Ich kann mich aus dem Buch heraus nicht an einen pubertierenden Jugendlichen erinnern. Frodo Beutlin ist ein ca. 50-jähriger gesetzter werdender Gentleman – der Ring hält ihn zwar äußerlich jung und vielleicht entwickeln sich Hobbits ja auch etwas langsamer, dennoch handelt der Buchfrodo als Erwachsener mittleren Alters. Ein Mann, der weiß, was er will; ein Mann, der sehenden Auges in eine Gefahr hineinläuft, von der er weiß, dass er sie nicht richtig abschätzen kann. Ist das eine übermütige Handlung? Nein, er geht dieses hohe persönliche Risiko bewusst ein, um seine Heimat zu schützen. Dabei ist er innerlich stark genug, keinem seiner Freunde auch nur einen Ton seiner Pläne mitzuteilen, damit sie nicht auf die Idee verfallen, ihn ins Exil zu begleiten. Dieses Vorgehen verlangt eine Integrität, die bei einem Kind zu vermuten unpassend wäre – und was anderes ist der Filmfrodo, als ein Kind? Gleich zu Beginn fällt er Gandalf an wie ein übermütig tollender Fünfjähriger. Der Blick, mit dem seine beständig waidwund dreinschauenden Rehaugen seine Umwelt betrachten, wirkt wie eine ängstlich erstaunt vorgetragene Bitte um Erlösung. Der Blick eines Kindes, das nicht weiß, wie ihm geschieht.
Man könnte argumentieren, dass dies nur ein Eindruck ist, aber der Filmfrodo verhält sich auch wie ein Kind: Eine der Schlüsselszenen des Buches Frodos Charakter betreffend finden wir in der
Flucht zur Furt. Verwundet, dem Tode näher als dem Leben, wendet sich Frodo zu den Ringgeistern um, das Schwert in der Hand. Er wird sich nicht wie ein Tier in die Enge und schließlich zu Tode hetzen lassen, er wird sich und den Ring verteidigen und das gegen den größten Schrecken, dem er je begegnet ist. An dieser Stelle weiß der Leser: Dieser Hobbit ist aus Granit. Elronds Rat wird keinen stärkeren Ringträger finden können. Zum Film: Frodo hat sich seiner Ohnmacht ergeben und Arwen spielt Mammi. Sie hat sich „ihren Kleinen“ über den Sattel gelegt und verteidigt ihn gegen die Schrecken der Welt, denen er allein offenbar nicht gewachsen ist ...
Ich komme zu dem niederschmetternden Ergebnis, dass bis auf den Namen zwischen den beiden Figuren nicht sonderlich viele Ähnlichkeiten bestehen.
2. Merry & Pippin:
Es sei mir gestattet, diese beiden als Einheit zu behandeln. Buch: Zwei junge Edelmänner, die das Herz am rechten Fleck haben. Sie sind übermütig und risikofreudig, denn mit dem Recht der Jugend wissen sie: Die Welt gehört ihnen. Sie bekommen mit, dass Frodo sich in Gefahr begibt und
beschließen, ihn zu begleiten. Dieser Beschluss ist als Fanal der Freundschaft aufzufassen. Sie unterstützen ihren Freund und verlassen die sichere Heimat – dadurch zeigen sie echte Größe. Diese Größe schließlich ist es, die ihre Entwicklung zu Kriegshelden in der „Rückkehr“ erst glaubwürdig erscheinen lässt. Der Film: Im Film haben wir es mit zwei auf die komischen Momente reduzierten Rübendieben zu tun, die mit auf die Reise kommen, um einem wütenden Bauern zu entgehen, sie entscheiden nicht aktiv, sie sind Spielbälle des Zufalls. Sie sind nicht übermütig, sondern selbstbezogen. Dass PJ im dritten Teil der von Tolkien vorgegebenen Handlung folgt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entwicklung dieser beiden Figuren im Film schlecht bis gar nicht motiviert ist.
3. Aragorn
Aragorn ist eine wandelnde Prophezeiung. Ob nun durch Bilbos Verse, durch Anduril, durch sein Banner, durch den Elbenstein oder den Palantir, er ist mit besonderen bedeutungstragenden Attributen ausgestattet – fast fühlt man sich an die Krönungsinsignien eines Königs erinnert, was kein Zufall sein dürfte. Aragorn hat ein Schicksal zu erfüllen und er versucht nie davor zu fliehen, wie z.B. Ödipus´ Vater, er wird den Thron Gondors besteigen. Von seinem ersten Auftritt im tänzelnden Pony an ist klar: Dieser ist mehr, als er zu sein scheint. Außer Gandalf ist er der Einzige, der wirklich auf das kommende vorbereitet ist. Man nimmt der Figur den Anführer ab. Er zweifelt nie an seinem Recht, nur manchmal am richtigen Zeitpunkt.
PJs Aragorn dagegen ist eher so eine Art Hamlet. Der zaudernde Prinz, der sich gering schätzt und, weil er nie weiß, was zu tun ist, sich im Reagieren übt, wenn nicht gar in Passivität. Das einzige, was Viggo fertig bringt, ist umwölkt in die Ferne zu schauen – ich hab´ gehört, das kommt bei den Damen ganz gut an ...
4. Die Ringgeister:
Der Horror dieser Kreaturen besteht darin, dass du erledigt bist, wenn sie dich erreichen. Sie sind gestaltgewordener Albtraum, du musst rennen und rennen und rennen, denn sie sind unbesiegbar. Dieser Effekt verpufft in dem Augeblick, in dem Aragorn mal eben fünf von ihnen anzündet.
5. Saruman:
Oder war es nicht doch eher Dr. Saru-Man-Chu? – Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls, wenn der gute Christopher mit spitz zugefeilten Nägeln und Chinamannhängebart über dem Palantir hängt. Mit bösartigem Fieslingsgesicht serviert Christopher Lee uns einen „Evil Overlord“ vom feinsten. Motive hat er keine – außer Machtgier versteht sich, aber das reicht dem heutigen Publikum normalerweise klaglos aus. Der geschickte Manipulator und eiskalte Lügner, den wir aus dem Buch kennen, der hat im Film die Subtilität einer durchgehenden Wildschweinherde. Das bewundernswerte Geschick in der Argumentation beschränkt sich hier auf einen (schon seit Dracula-Zeiten ausgelutschten) hintergründig bösen Blick. Im Buch leitet sich Sarumans Gefährlichkeit nur Vordergründig aus seiner militärischen Stärke her. Viel wichtiger sind seine Funktion als Verräter und die Gründe für diesen Verrat. Im Gegensatz zu Sauron nämlich handelt Saruman aus durch und durch menschlichen Motiven: Angst, Schwäche und Eigennutz. Damit ist er sichtbarer Exponent einer Gefahr, die in jedem Menschen steckt oder zumindest stecken kann. Der letztendlich unbegreifbaren Bedrohung von außen wird also eine andere Bedrohung zur Seite gestellt, die sogar ohne äußeren Feind bestand hätte. Im Film verkommt Saruman zum Endgegner des 2. Levels (folgerichtig ist er also auch nicht wichtig genug, im dritten noch einmal erwähnt zu werden).
6. Boromir:
Mit der Person Boromirs habe ich weniger Probleme als mit dem Einsatz dieser Person. Boromir wird als von sich selbst überzeugter aber dennoch fähiger Mann beschrieben; ein Mann, für den der Zweck oftmals die Mittel heiligt. In ihm schlummert die Möglichkeit, vom Ring korrumpiert zu werden. Sein Wunsch, den Ring zu besitzen bricht jedoch erst in Lórien am Ende einer längeren Kette von Ereignissen durch. Ein wichtiger Katalysator ist die Nähe zu seiner Heimat und die Gefahr, in der diese schwebt. Oberflächlich betrachtet steht für Boromir mehr auf dem Spiel als für die anderen Gefährten. Im Buch war Boromir also nicht offensichtlich das „schwächste Glied der Kette“.
Im Film dagegen agiert Sean Bean von Anfang an so, als sei er ein Suchtkranker und der Ring seine Droge. Der gesamte Rat inklusive dem weisen Elrond und Gandalf Oberschlau werden dadurch zu Stümpern und Idioten degradiert, dass sie Boromir auch nur in die Nähe des Rings gelassen haben. Der Endpunkt von Boromirs Veränderung wird im Film treffend dargestellt, die Veränderung selbst leider nicht.
7. Denethor:
Denethor ist alt, Denethor ist müde, Denethor ist fast zerbrochen, Denethor ist zerfressen von Misstrauen – soweit stimmen Film und Buch überein. Das wichtigste jedoch, was mir zum Buch-Denethor einfällt, ist folgendes: Denethor strahlt eine große, unübersehbare Würde aus. Diese würde wird vom Autor an keiner Stelle in Frage gestellt. Der Truchsess ist klug und willensstark, im ganzen Buch ist er der einzige, der Gandalf die Stirn zu bieten wagt. Sauron konnte sich diesen Willen nie unterwerfen. Sein ganzes Leben lang hat er quasi auf vorderstem Posten gegen Mordor gestanden, ohne Hilfe von irgendwem zu erhalten. Zum Schluss glaubt Denethor versagt zu haben und aus diesem Grund will er untergehen und schnell vergessen werden. Die Figur hat den Respekt ihrer Umgebung.
Der sabbernde Greis im Film jedoch hat keinen Funken Würde mehr, und Respekt bezeugt ihm auch niemand – die Figur wurde total verhunzt.
Außerdem bin ich der Meinung, dass PJ zu viel zeigt: Kankra in voller Schönheit hätte ich nicht gebraucht, das reduziert nämlich eher das Grauen. Sauron hätte ich gar nicht sehen müssen. Die Armeen in dieser Größe wirken auch eher kurios. Kennt der Film überhaupt irgendeine andere Kameraeinstellung als „gerade drauf“? Oh, und dann war da natürlich noch Diabolos Gastauftritt im ersten Teil ...
... aber die Landschaft war wirklich schön. Nur glaube ich, dass sie das auch ohne Herrn Jackson ist.