Sieh mich an, sieh nicht hinab. Zurückgeschaut haben wir doch oft genug und selten so den Drang gespürt zu gehen. Wenn das Heute auch nicht mehr bringt, als unser Gestern barg, bleibt mitunter bloß nostalg'sches Schwelgen in der wohlig duftenden Erinnerung an die Blüte unserer Tage.
Also sieh nicht hinab und fass mich bitte bei der Hand - ich spür' andre schon gaffen, geifern, unverwandt. Geht, fahrt Ihr nur weiter, die Hölle ist Euer, heim zur Familie oder in andre Gemäuer.
Manchmal war's so richtig nett, und ich wär' auch hier geblieben, doch man erkennt kaum noch, wer einen wirklich liebt - die Welt ist voll von Dieben. Tägliches Leben kreist über uns, verstrickt mittels aufschiebender Worte, zeigt noble Gesten und erwartet doch scheinbar, dass sich ein Glied aus der Reihe löst, um als nächstes Opfermahl gepickt werden zu können.
Doch nein; Vergänglichkeit wird erst vergehn, wenn wir nicht mehr sind - dessen bin ich sicher. Und vielleicht sind die Abschiedsschmerzen, die zeitweise mein Gewissen martern ja gerade die Geburtswehen von etwas Neuem, Wunderbaren. Ja, wenn ich hier so stehe und nach unten seh', scheint mir der Himmel näher als Mutter Erde, und sie wird mir bestimmt nicht nehmen, dass ich eins mit ihm werde. Nun, wir werden sehn.... Werden Freunde uns verstehn? Uns verzeihn? Uns verfluchen? Uns nachgehn?
Bin ich doch überrascht, wie intensiv sich jeder Zug Atem als Leben ausgibt und mir sagenhaft sanft berauschend schmeckt. Rückt erst das Ende nah, scheint der Sinn des Lebens plötzlich wieder da.
Aber nein, was drängt sich da zwischen meinen Entschluß und die so arg argwöhnische Moral, die stets bereit ist zu verbieten und sich verweigert zu vergeben.
Wieder verschwend' ich Gedanken und erblick' doch das Tor zur ew'gen Jugend einen Schritt weit von mir entfernt.
Es ist Zeit, die Schwelle zu überqueren, was meinst Du? Lass uns endlich gehen, hin zu zukünftiger Erinnerung, welche wir zurück lassen, zusammen mit der sicherlich bestürzten Entsorgung unserer Körper und der gelassenen Entwöhnung so mancherlei Sticheleien.
Sind wir nun Körper oder haben wir einen Körper? Unser Traum kann endlich zu Wirklichkeit werden. Wir nehmen uns, was wir wollen. Wir nehmen uns, was uns gehört. Wir nehmen uns das Leben. Hand in Hand.
Lebt alle wohl, wir entschweben auf blutrotem Teppich höher; und höher hinein in die Tiefe der Unendlichkeit.....
Zeitungsnotiz des darauf folgenden Tages:
ES WIRD WIEDER HERBST
Am gestrigen Sonntag fand eine Gruppe von Spaziergängern in den Nachmittagsstunden zwei bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Körper unterhalb der für Selbstmord berüchtigten Neckartalbrücke. Es handelt sich bei den Toten, wie inzwischen ermittelt werden konnte, um zwei Jugendliche einer Kleinstadt im Zollernalbkreis. Einen Abschiedsbrief fand man nicht - weder vor Ort noch im Elternhaus. Die bestürzten Eltern vermuten, dass ihre Kinder aufgrund schlechten Umgangs suiziden Denkweisen zugänglich geworden waren. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Münder der halb im Erdreich steckenden jungen Menschen auf unerklärlich groteske Art und Weise zu lachen schienen.
edit: Kagge wenn man aus Word reinkopiert...