AW: Das Vergewaltigungsthema
So - zu Hause, jetzt kann ich auch mal was längeres Schreiben.
Also, der Vampire/AC-Vergleich bringt mal gar nix (mir fällt grade auf, ich hab AC sogar schonmal auf 'ner Con gespielt...). Letzten Endes ist die Frage doch:
1. Soll/darf man Vergewaltigung im RPG thematisieren?
2. Wenn ja, wie?
Alle Argumente DAGEGEN haben bisher nicht dem Vergleich zu anderen Verbrechen standgehalten, z.B.
- moralisch fragwürdig/verbrecherisch : ja, aber nicht mehr als Mord, Plünderung, Raub, etc., was regelmässig ohne weiteres thematisiert werden darf.
- könnte Traumata bei Opfern wieder aufreissen : da ist das Risiko bei Ohnmachts- oder Gewaltszenarien genauso gegeben und wird völlig ignoriert.
Nun hat man sich auf das "wie" festgebissen. Alleine Smokey Bear hat in den letzten Posts Begriffe wie "schickes Powerup", "leichtfertig", "verharmlosend" und "grob fahrlässig" eingeworfen. Übrigens jedesmal als Argument - obwohl das lediglich eine Wertung ist.
Auch hier könnte man das ganze wieder mit anderen Verbrechen vergleichen, alleine die Art wie mit bewaffneter Gewaltanwendung umgegangen wird erfüllt Smokey Bears Wertungen in der Mehrheit der Rollenspiele.
Aber das bringt uns ja nicht zu einer konstruktiven Antwort auf "soll man und wie?" sondern hält uns nur bei einem "wieso soll man nicht nicht?" auf.
Also:
Soll/darf man Vergewaltigung im RPG thematisieren.
Das hat drei Komponenten:
A) Soll/darf man Gewalt im RPG thematisieren?
Ich denke, jeder ehrliche Rollenspieler wird diese Frage mit ja beantworten müssen. Die Ausübung und Abwehr von Gewalt ist nunmal der Höhepunkt jeder spannungsorientierten Geschichte, nicht nur im Rollenspiel.
B) Soll darf man Sex im RPG thematisieren?
Wie der Sex/Erotik-Thread im Vampire-Forum gezeigt hat, haben hier schon viele das erste Problem. Gerade die klassische Fantasy-Runde ist eher ein männerlastiges, homophobes Umfeld, weshalb man das Thema Sex eher meidet. In gemischten Runden war das meiner Erfahrung nach jedoch fast immer mindestens ein Randthema. (Kann man auch mal drüber nachdenken...)
Je nachdem kann man "Stimmungs-Rollenspiel" (ich benutze den Begriff absichtlich, da die "ARS-Fraktion" von dem Thema wohl weniger berührt wird) irgendwo zwischen vergnüglichem Geschichtenerzählen und soziologisch-psychologischem Experimentierfeld aufhängen. Da Sexualität ein Grundbedürftnis und - vergnügen ist, ist es in einem angenehmen Umfeld sicherlich erstrebenswert, diese zu thematisieren, ganz davon abgesehen, das sie in vertrauter Runde mMn auch regelmässig Gesprächsthema ist.
Wer nun bei A) und B) noch "ja" gesagt hat, steht vor Frage
C) Soll/darf man sexuelle Gewalt thematisieren?
Hier gibt es ebenfalls mehrere Aspekte:
1. Der Vergnügensaspekt: Einer gewissen Fraktion von Spielern und Spielerinnen bereitet das Thema einen gewissen erotischen Reiz. Wenn man nun (siehe B) gewillt ist, Sexualität zu thematisieren, dann darf man mMn auch thematisiseren, bis zu welchem Punkt man bereit ist, sexuelle Gewalt in der Fantasie oder gespielt auszuüben oder sich dieser zu unterwerfen. Der Austausch hierüber kann überraschende Einsichten liefern.
2. Der Aufhänger: Gerade WEIL sexuelle Gewalt polarisiert liefert es einen starken Motivator für jegliche Geschichte. Vom ritterlichen erretten der Bauerstochter aus Orkhand (für was wurde die wohl entführt?) bis hin zum Rachefeldzug für die geschändete eigene Familie bis hin zur Erklärung diverser psychologischer Besonderheiten im Charakterhintergrund.
3. Der soziologische Aspekt: Sexuelle Gewalt ist ein stark tabuisiertes Thema, über das dementsprechend viel Aberglauben existiert, andere verdrängen das Thema komplett. Hier kann man das Thema ins Bewusstsein rücken, inwieweit man dort "pädagogisch" wird ist ein anderes Thema.
4. Der therapeutische Aspekt: Sowohl für Opfer sexueller Gewalt als auch Menschen, die mit ihrer eigenen Neigung zur sexuellen Gewalt (Täter- wie Opferrolle) kämpfen kann es auch gewinnbringend sein, wenn innerhalb des "Simulationsraumes" eines Rollenspiels reif mit dem Thema umgegangen wird.
Mit dem Stichwort "reif" kommen wir dann auch schon zur Frage:
Wie sollte man sexuelle Gewalt thematisieren?
Hier möchte ich wieder drei Eckpunkte festhalten:
A) Erstmal ist eine klare Differenzierung gefragt: Zwischen realer Vergewaltigung einerseits und Vergewaltigungsfantasie/gespielter Vergewaltigung ist strikt zu trennen.
B) Wenn man Vergewaltigungsfantasien die Spieler betreffend (wieder in Täter- wie Opferrolle) im RPG einsetzt, muß klar sein, dass dies nur mit dem Einverständnis aller Beteiligten geschieht. (Allerdings ist dieses auch implizit gegeben, wen man ein RPG spielt, das sexuelle Gewalt zentral thematisiert.)
C) Es muß klar sein, das für die katastrophale seelische Zerstörung einer realen Vergewaltigung Verständnis herrscht und diese nicht unter den Tich gekehrt wird, aber auch, das für die erotische Faszination sexueller Gewaltfantasien Verständnis herrscht und dies nicht verurteilt wird.
Insbesondere beinhält das auch, das man jederzeit bereit ist, einen Gang zurückzuschalten, wenn jemand unangenehm berührt ist, man aber auch nicht aus "moralischer Entrüstung" anderen vorschreibt, wie sie sich zu fühlen haben - egal ob man der "wie könnt Ihr nur" oder der "hab Dich nicht so"-Fraktion angehört.
Und man sollte darauf vorbereitet sein, plötzlich zu realisieren, dass am Tisch ein oder mehrere Vergewaltigungsopfer sitzen (was nicht zwangsläufig durch einen Tränenausbruch geschieht) oder sich am Tisch der/die eine oder andere zu sadomasochistischen und/oder dominant-unterwerferischen Neigungen bekennt.