Je fremder mir die Mitspielenden sind (z.B. Con-Runden mit lauter neuen Gesichtern), desto UNANGENEHMER empfinde ich es, wenn ein Charakter - egal welchen Geschlechtes - versucht sexuell mit meinem Charakter anzubandeln.
Das ist ein durchaus intimes Thema, welches zumindest bei mir mehr Vertrauen und mehr Vertrautheit voraussetzt, als ich es bei einer fremd-besetzten Runde aufbringen kann.
Wenn ein Spieler meint ob der hohen Spielwerte seines Charakters irgendeine sexuelle "Motivation" in meinem Charakter auslösen zu können, dann sollte es sich besser um ein Regelsystem handeln, in welchem man derartige soziale Konflikte klar regeltechnisch einleiten und durchführen kann, so daß hier klare, mechanische Folgen herauskommen. Denn ansonsten sehe ich nicht, wieso gerade mein Charakter irgendwie "scharf" auf einen Mitspieler-SC sein sollte, EGAL wie hoch dessen Ausstrahlung/Aussehen/Charisma/Sex-Appeal/usw. auch immer sein soll.
Das geht auch andersherum: Wenn ein Charakter ein abstoßendes Äußeres hat, eine massiv einschüchternde Ausstrahlung, abweisend, gefährlich, bedrohlich sein soll, dann macht sich mein Charakter auch nicht in die Hose, so dies nicht durch entsprechende Spielwerte und Regelmechaniken klare Folge einer HANDLUNG dieses Charakters ist.
Es ist nicht so einfach WIRKUNGEN auf andere Charaktere deren SPIELERN vorschreiben zu wollen, finde ich.
"Die Tür geht auf und mein Charakter kommt herein. Der ist so schrecklich einschüchternd anzusehen, daß ihr alle Angst habt." - "Nö."
"Mit wiegenden Hüften bewegt sich mein Charakter auf Euch zu und wirft Euch den sinnlichst-erotischsten Blick zu, den Ihr Euch vorstellen könnt. Ihr seid alle scharf auf sie." - "Nö."
"Mit seiner jovialen, humorvollen Art macht mein Charakter während der Seereise jeden von Euch zu seinem Freund." - "Nö."
Das Problem bei solchen Schilderungen ist, daß der Spieler des jeweiligen Charakters die VORSTELLUNG hat, wie sein Charakter bei anderen ankommen sollte. Diese Vorstellung einer bestimmten WIRKUNG auf andere ist ihm für sein Gefühl, sein Empfinden bezüglich seines Charakters wichtig - denn sonst würde er nicht solch breiten Raum für derartige Wirkungsschilderungen aufwenden.
Nur ist dies ALLEIN SEINE Vorstellung!
Die WIRKUNG auf ALLE ANDEREN ist aber unabhängig von der inneren Vorstellung eines Spielers, wie cool, sexy oder humorvoll sein Charakter angeblich sein soll. Die Wirkung auf alle anderen Mitspieler ist allein abhängig davon, WIE DER CHARAKTER GESPIELT wird.
Und mit "gespielt" ist eben nicht das beim ersten Auftreten "Vorwegnehmen" der Wirkung auf die anderen gemeint, wie ich es in den obigen, schlechten Auftritts-Beispielen dargestellt habe. Solche AUFGEZWUNGENEN Empfindungen beschneiden ja immer die anderen Mitspieler in IHRER Gestaltung ihres Charakters!
Warum sollte mein Charakter scharf auf die aufgedonnerte, "over-sexed" Tussi sein, die vermutlich bestenfalls in einem drittklassigen Porno eine erträgliche "schauspielerische Leistung" erbringen wird, aber sonst nichts attraktives zu bieten hat? - Warum sollte mein Charakter, der als älterer Priester schon über 40 Jahre seines Priesterlebens weit stärkere Versuchungen erlebt und diesen widerstanden hat, gerade jetzt auf diese Frau irgendwie anders reagieren als "Was für eine arme, gequälte Seele, die ihr Leid hinter Make-Up und sexueller Freizügigkeit versteckt" reagieren?
Wer auch immer welchen Charakter auch immer spielt, sollte sich im Klaren sein, daß NICHT DER SPIELER des Charakters bei seinen Mitspielern über die WIRKUNG seines Charakters irgendwie zu "entscheiden" hat oder diese gar anderen aufzwingen kann!
Ein Charakter wirkt durch seine Handlungen, seine Worte, seine Art im Spiel zu agieren - und wenn DANN ein Mitspieler meint, daß sich sein Charakter zu diesem hingezogen fühlt, diesen einschüchternd empfindet, diesen als guten Freund wahrnimmt, DANN ist das alles auch kein Problem.
Nehmt Euren Mitspielern nicht die Hoheit über die Empfindungen IHRER Charaktere weg!
Wenn Ihr meint EUER Charakter ist ja sooooo toll, sexy, was auch immer, dann SPIELT IHN SO!
Hier helfen natürlich durchaus klare Regelmechaniken für soziale und andere Konflikte. Aber! - Aber man sollte sich dabei im Klaren sein, daß man hier in einen KONFLIKT Spieler-gegen-Spieler bzw. SC-gegen-SC eintritt!
Wenn man also WIRKLICH will, daß sich ein Mit-SC in den eigenen SC verknallt, dann kann man durchaus einen sozialen Konflikt fahren, die Verführungskünste des eigenen SC gegen den regeltechnisch vorgesehenen Widerstand des anderen SC setzen und den Konflikt nach den Regeln austragen. - Dann lebt man aber mit den KONSEQUENZEN!
Und die können, wie im richtigen Leben, alles andere als erstrebenswert sein!
Wenn z.B. eine Gruppe SCs zusammenarbeiten soll, um ein Großes Übel (tm) in der Welt zu bekämpfen, und ein Spieler meint mit einem anderen Spieler SC-gegen-SC in einen Verführungskonflikt eintreten zu wollen, dann kann man das machen. Dann kann man diesen Konflikt austragen. Dann kann dabei herauskommen, daß sich der Mit-SC in den SC des Spielers bis über beide Ohren verliebt. Kann. - Es KANN aber auch herauskommen, daß der Mit-SC seiner Ehefrau treu ist und diesen Anmach-Versuch als so widerlich und aufdringlich empfindet, daß er sich außer Stande sieht in Zukunft auch nur mit diesem SC zusammenzuarbeiten! Einer der beiden SCs muß nach dem Ergebnis des Konflikts die Gruppe verlassen!
Das KANN eben auch bei sozialen Konflikt-Systemen herauskommen! - Ein schlechter Würfelwurf kann bei noch so hohen Spielwerten einen sozialen "Tod" des Charakters - zumindest für den Rest der Gruppe oder auch nur für die Beziehung zweier SCs zueinander - bedeuten!
Wer derartige Konsequenzen nicht haben möchte, der fängt nicht LEICHTFERTIG solche sozialen Konflikte mti den Mit-SCs an, nur um seine eigene Vorstellung von seinem Charakter anderen via Regelmechanik aufzudrängen!
Meiner Erfahrung nach sind es ausschließlich Spieler, die NIE gelernt haben und NIE willens sind MIT den anderen zusammenzuspielen, sondern die rein EGOISTISCH nur auf IHREN Spaß aus sind, bei denen man derartiges Verhalten findet.
Spieler, die mit anderen ZUSAMMEN zu spielen gewohnt sind, die "entmündigen" nicht ihrer Mitspieler, indem sie die Wirkungen ihres SCs auf die Mit-SCs zwangsweise vorwegnehmen, sondern die gestalten ihre Charaktere aus dem aktiven, lebendigen Zusammenspiel mit den anderen SCs.
Ein Charakter, der auf dem Papier vielleicht als "humorvoller Kumpel" gedacht war, kommt nämlich schnell als Nervensäge, als Jar-Jar oder schlimmeres bei den Mitspielern an, wenn man nicht IM SPIEL darauf Acht gibt, diesen Charakter tatsächlich humorvoll und als Kumpel auszuspielen!
Was auf dem Charakterbogen steht, das ist gerade mal das Skelett eines Charakters, das man im Spiel nicht sieht und auch nicht sehen will. - Das einzige, was im Spiel von Bedeutung ist, sind die TATEN und die WORTE des Charakters. Wie er sich eben in der Spielwelt gerade gegenüber seinen Mit-SCs verhält. Die Spielwerte helfen nur dabei in bestimmten Situationen Unsicherheiten zu beseitigen und FAKTEN zu schaffen. Aber die überwiegende Mehrzahl an FAKTEN wird durch das freie Charakterspiel des SCs geschaffen. Ohne Spielwerte. Ohne Regelmechanik.
Und wer hier seinen Charakter so spielt, daß er UNANGENEHM bei den Mitspielern und über diese Wirkung auf die Spieler auch indirekt bei den Mit-SCs ankommt, der kann sich von seiner eigenen Ideal-Vorstellung, wie sein SC wohl auf andere wirken mag, verabschieden.
Das soll jetzt KEINE Aufforderung zu dem von Tsu erwünschten "Laientheater" sein!
Es reicht, wenn man sich bemüht seinen Charakter entsprechend darzustellen, weil ja die Mitspieler allesamt auch keine egoistischen Bastarde sind, die einem das Spielen eines humorvollen, attraktiven oder sonst irgendwie besonderen Charakters mißgönnen würden.
Und wenn man mehr Sicherheit, mehr Stütze braucht, dann hilft es tatsächlich in Regelsystemen mit Mechaniken zu spielen, die z.B. NSC-Reaktionen auf den Charakter anhand dessen Spielwerten eben eher in die Richtung der eigenen Vorstellung des Spielers ausgehen lassen. - Das hilft nur wenig bei den Reaktionen der Mit-SCs, da diese (meist) nicht einfach "auf Reaktion" würfeln werden.
Eines sollte man - egal welche Art von Charakter man gerne spielen würde - durchaus bedenken: Manche Charaktere bzw. manche "zum Charakter passende Verhaltensweise" kommt bei den Mitspielern in einem Bereich an, den sie als INTIM oder gar als UNANGENEHM empfinden. Das mag das "Anbaggern von Mit-SCs" sein, oder das Ausspielen von Folter-Szenen oder das ständige Reagieren mit Ultragewalt auf alles und jeden.
Wenn die Mitspieler GENERVT wirken, dann ist das ein sehr sicheres Anzeichen dafür, daß sie tatsächlich GENERVT SIND!
Und dann sollte man einfach mal einen Gang runterschalten und sich überlegen, ob man hier gerade wirklich alle anderen am Spieltisch nerven oder anpissen oder ihnen emotional zu nahe treten möchte.
Was Du nicht willst, daß man Dir tu, das füge auch keinem anderen zu. Und selbst wenn Du meinst, daß Du es so hart brauchst und es so hart einstecken und aushalten kannst, dann kannst Du NICHT davon ausgehen, daß alle anderen es auch so hart wollen oder auch nur so hart aushalten können!
In diesem Sinne finde ich das sexuelle Anmachen von SC zu SC alles andere als etwas, von dem man "ganz selbstverständlich" als von der Gruppe, von den betroffenen Spielern akzeptiert ausgehen kann. - Eher ist vom GEGENTEIL auszugehen, nur um nicht irgendwen unabsichtlich zu verletzten oder ihm das Spiel zu verderben.
Das betrifft übrigens nicht nur die Crossdresser im Rollenspiel, sondern auch wenn eine Spielerin mit ihrem weiblichen SC versucht meinen männlichen SC in-game anzumachen, empfinde ich das in den allermeisten Fällen als einen zu intimen Schritt. - Klar, wäre ich ein notgeiler Single, der sich über jede Form weiblicher Aufmerksamkeit freut, würde ich das vielleicht anders sehen. Aber das weiß ja die Spielerin auch nicht vorher. Und sie wird vermutlich auch nicht begeistert sein, wenn ich das Anmachen der CHARAKTERE als einen direkten persönlichen Anmachversuch der SPIELERIN selbst mißverstehe! Und das kann schneller passiert sein, als man meint.
Klar hilft es VOR der Spielsitzung miteinander alles mögliche abgesprochen zu haben. Aber ich habe derartige "formales Vorgespräche" weder bei häuslichen Runden, noch im Verein, und schon überhaupt nicht auf Cons erlebt. - Somit ist das ein guter Tipp, den so gut wie NIEMAND wirklich umsetzt.
Es hilft alles Vorbesprechen eh nichts: Wenn nicht bei JEDEM Mitspieler eine grundsätzliche Bereitschaft zum MITEINANDER und zur RÜCKSICHTNAHME vorhanden ist, und eine grundsätzliche Bereitschaft und FÄHIGKEIT die Reaktionen der Mitspieler wahrzunehmen und zu deuten, dann schwingt immer das Risiko mit, daß sich einer auf Kosten und zum Leiden anderer egoistisch SEINEN Spaß nimmt, nach ihm die Sintflut.