AW: [08.05.2008] Lilly und Steven erzählen sich ihre (Un-)Lebensgeschichte
„Uii, da hattest du aber einen schlechten Start. Glück für dich, dass du für so einen fetten Maskeradebruch nicht gleich die Todesstrafe bekommen hast, und dass dir dein Erzeuger nicht den Kopf abgerissen hat.“
Denn schließlich hatte ein Erzeuger ja das Recht sein eigenes Kind zu töten solange es noch nicht freigesprochen war.
„Ach, was bin ich froh, dass es dich noch gibt.“
Lilly umarmte Steven kurz und heftig.
„Mein Erzeuger hat mir eingeimpft mich vor allem an die 7. Tradition zu halten: Lass dich nicht erwischen. Also wenn schon Regeln brechen, dann möglichst so, dass es niemand merkt.
Hat dein Erzeuger dich denn vorher länger beobachtet bevor er dich für den Kuss ausgewählt hat?“
Ein Kind erschaffen zu dürfen war ja keine Kleinigkeit, da wär´s schon sinnvoll eine kluge Wahl zu treffen und nicht den Erstbesten zu nehmen.
„Bist du denn dann später noch öfters in Schwierigkeiten mit dem Gesetz gekommen? Also dem kainitischen Gesetz.“
Und dann sprach er also wieder von dieser Tremere namenes Rahel.
Eine rebellische Tremere - na der waren bestimmt mittlerweile von ihrem Clan längst die Flügel gestutzt worden.
„Warst du in Rahel verliebt, und sie in dich, ward ihr ein Paar? Zumindest scheint sie dir einiges bedeutet zu haben.
Wenn irgendeine deiner Verflossenen hier auftaucht und dich zurückgewinnen will, da wär ich nicht begeistert, aber ansonsten juckt mich das nicht mit wem du schon alles was hattest. Da brauchst du es also nicht zu verschweigen, wenn da zwischen dir und Rahel mehr war als bloß Freundschaft.“
Lilly war da in der Tat nicht eifersüchtig, außerdem ging sie natürlich davon aus, dass sie jegliche anderen Frauen, die Steven etwas bedeutet hatten, sowieso überstrahlte.
Toller als Lilly waren die doch sowieso nicht. Da war sie doch sehr von sich selbst überzeugt.
Und jetzt, wo Steven einmal Lilly kennengelernt hatte, da würde er bestimmt keine andere Frau so sehr wollen wie sie.
„Und was mich auch interessieren würde – wie du so ganz allgemein zur Camarilla stehst.
Also mein Erzeuger hat ein recht distanziertes Verhältnis zu dem Verein, er nennt die Camarilla immer Scheißverein, und das tu ich im Geiste ganz genauso, aber ich posaune das nicht überall herum. Er war´s ja, der mir gesagt hat, erzähl nicht jedem was du wirklich denkst, aber tu das was du für richtig hältst auch wenn es nicht camarillakonform ist.
Mein Erzeuger war nie Camarillahardliner, und ich auch nicht.
Er hat immer gesagt, solange es für uns einen Nutzen hat Teil dieses Scheißvereins zu sein, wozu austreten. Ach, er heißt übrigens Albert und ist Deutscher. Albert hat sich immer sehr am Rande der Kainskinderschaft bewegt, und ich bin diesem Beispiel gefolgt. Ich war ständig bereit für einen möglichen Absprung.
Sag - wenn für einen von uns innerhalb dieses Scheißvereins alle Stricke reißen, würdest du dann mit mir in den Untergrund gehen, oder vielleicht sogar nach L.A. oder San Fransisco? Ich war schon mal dort, und ist gar nicht mal so übel."
Lilly ergriff Stevens Hand und drückte sie fest.
"Wir lassen uns nicht unterkriegen, von nichts und niemandem. Ich wäre froh, wenn dir die Camarilla auch nicht viel bedeutet. Aber sieht für mich ja bislang nicht so aus als wärst du Camarillahardliner. Bist wohl eher einer von denen, die die Schattenseite der Camarilla kennengelernt haben?“
Aber sie sollte jetzt mal weitererzählen.
„Aber ich schweife ab. Wo war ich stehengeblieben?
Mein Leben in der Gosse, in München.
Also ich war ja sehr erstaunt als mir plötzlich jemand Kleingeld in die Hand gedrückt hat. So erbärmlich sah ich doch eigentlich gar nicht aus. Aber ich lief barfuss rum, und deswegen haben mich die Leute für bettelarm gehalten, das hab ich aber erst gecheckt als Albert es mir gesagt hat.
Meine Güte, ich bin in Afrika immer barfuß rumgelaufen, das war für mich völlig normal. Na ja, O.K., außer in der Schule, da gab es Kleidervorschrift. Aber kaum war ich vom Schuldgelände runter, hab ich mir diese lästigen Schuhe ausgezogen. Ist doch viel angenehmer ohne, na zumindest wenn es nicht so bitterkalt ist wie hier im Winter. Meine Fußsohlen waren sehr abgehärtet.
Meine Schwestern hatten natürlich immer brav ihre Schuhe getragen, aber ich nicht, da konnte meine Mutter motzen soviel sie wollte. Vornehme Leute laufen doch nicht ohne Schuhe rum, ts, aber war mir doch egal.
Na ja, und in München, als es im September kälter wurde, da wurde mir also allmählich ziemlich kalt, vor allem an den Füßen.
Albert sagte später was ihm zuerst an mir aufgefallen sei, das sei mein stolzer, selbstbewußter Blick gewesen. Das sei so völlig untypisch für eine normale Bettlerin, denn die wollten ja Mitleid erwecken und haben deswegen möglichst jämmerlich dreingeschaut.
Er hat mich in ein Gespräch verwickelt, und schließlich hat er mich eingeladen bei ihm zu übernachten. Er hat zu dieser Zeit quasi in einer Art Kommune gewohnt.
Das waren zwei Frauen und zwei Männer. Da auch Frauen dort wohnten habe ich mich darauf eingelassen, und ich hab ihm gleich gesagt, wenn er mich ins Bett kriegen will, das kann er vergessen. Da hatte er aber zum Glück nie ein Interesse dran. Er sah nicht schlecht aus, aber ich wollte mich einfach mit niemandem auf eine Lovestory oder Sex einlassen.
Die Leute in der Kommune waren alles Kommunisten. Was ich aber nicht ahnen konnte: Dass keiner davon ein gewöhnlicher Mensch war. Zwei waren Kainskinder und zwei waren Ghule.
Eine der Frauen hieß Isabella, sie war Italienerin und Kainitin, und die andere Frau war ihre Ghulin. Der zweite Mann war also Ghul von Albert. Ich hab mich gewundert, dass Albert und Isabella tagsüber nie da waren. Sie waren tagsüber scheinbar so überaus betriebsam, und ich bekam sie dann erst Abends zu Gesicht. Ich fand das etwas seltsam, habe aber nicht nachgehakt. Das fand Albert gut, dass ich da nicht zu viele Fragen gestellt habe.
Isabella und ich haben uns nicht besonders gut verstanden. Ein Paar waren die beiden nicht, aber diese Frau wollte immer im Mittelpunkt von Alberts Aufmerksamkeit stehen und war eifersüchtig, weil ich ihm immer wichtiger wurde. Sie wollte mich ja auch erst gar nicht in der Kommune haben, aber Albert hat sich durchgesetzt.“
Was für eine blöde Zicke. Lilly war deutlich anzusehen, dass sie nicht gut auf diese Frau zu sprechen war.
„Albert ist sehr charismatisch, und er hat mich förmlich mit sich gerissen mit seiner Begeisterung für den Kommunismus. Wenig später bin ich auch Mitglied der kommunistischen Partei geworden. Wir haben diese Überzeugungen voll ausgelebt, wir haben alles brüderlich und schwesterlich miteinander geteilt. Albert und ich haben auch sehr viele und teilweise recht hitzige Diskussionen miteinander geführt. Nicht über triviale Sachen, sondern über Ideale und Ziele innerhalb der Partei. Na ja, wir haben eben beide Temperament."
Lilly grinste. Sie dachte sehr gern an diese Zeit zurück. Sie sprach sehr respektvoll von ihrem Erzeuger und empfand offenbar auch sehr viel Sympathie für ihn.
"War schon nicht übel, dieses Leben. Irgendwann hat Albert dann einen Maskeradebruch begangen indem er mir gesagt hat was er wirklich ist: Ein Vampir. Und er hat mich gefragt ob ich sein Kind werden will.“
Was wär wohl gewesen, wenn sie Nein gesagt hätte? Hätte er sie dann nicht eigentlich umbringen müssen?
„Er hat mir in groben Zügen erzählt was mich erwartet, und ich hab das Angebot angenommen. Bin echt froh, dass ich da die Wahl hatte, dass mir das nicht aufgezwungen worden ist.
Erschaffen wurde ich 1920. Albert hat mir beigebracht wie man unauffällig jagt ohne dass jemand zu Schaden kommt. Dass ich beim Jagen jemanden getötet hätte ist mir bisher noch nicht passiert, zum Glück.
Mein Erzeuger hat mir nie irgendwas aufgezwungen, er hat geahnt, das klappt sowieso nicht, aber auch so hat er einen sehr prägenden Einfluss auf mich gehabt. Er hat mich gebeten Schuhe zu tragen, und mit Mühe hab ich mich daran gewöhnt. Wollte ja dann auch nicht mehr für eine Bettlerin gehalten werden und nicht mehr frieren.
Ich war also in der Partei recht aktiv, und die Welt der Kainskinder und die Camarilla war für mich genauso nebensächlich wie für Albert.
Immer brenzliger wurde es für uns als die Nazis immer mehr auf dem Vormarsch waren. Die haben uns Kommunisten ja gehasst wie die Pest.
In München waren wir bis 1930. Dort wurde ich auch freigesprochen und hab einen Deutschen namens Paul geghult.
Jetzt hab ich dich erstmal genug vollgelabert, jetzt bist du wieder dran. Aber erst möchte ich einen Kuss."