[03.05.08] Ankunft am Bahnhof 2.07 Uhr

Regine

Tremere
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Anna Lisa saß auf ihrem Platz in der ersten Klasse in einem Großraumabteil. Sie musste sich immer wieder daran erinnern, sich zwischendurch leicht zu bewegen. So viele Stunden hintereinander war sie lange nicht mehr mit fremden Menschen zusammen gewesen und ihr Erzeuger hatte es gehasst, wenn sie sich unnötig bewegte. Dadurch wirkte sie oft sehr steif. Sie saß aufrecht in ihrem Sitz, nutzte die Lehne nicht für ihre Bequemlichkeit. Ihre Knie waren geschlossen, die Unterschenkel ein wenig schräg nach hinten gestellt, so wie man Frauen häufiger in engen Röcken sitzen sah. Sie jedoch trug einen klassischen, anthrazitfarbenen Hosenanzug mit einer weissen Bluse. Ihre Schuhe hatten eher kleine Absätze. Der größte Farbtupfer an ihr waren ihre roten Haare. Es war ungewohnt, sie wieder lose über die Schultern fallen zu lassen. Es fühlte sich nicht mehr richtig an. Trotzdem hatte sie ihre strenge Frisur gelöst, so bald sie im Zug gewesen war, heimlich fast auf der Zugtoilette. Ob sie jetzt in die Freiheit fuhr? Oder doch nur ihrem Tod entgegen? Sie wusste es nicht. Aber sie wollte nicht mehr die Kreatur Güldens sein. Das Öffnen der Haare war ihre Form des Protestes, den sie erst jetzt wagte, als er sie nicht mehr sehen konnte. Sie hätte es schon vor zwei Jahren tun können, aber sie hatte sich nicht getraut. Sie hatte nicht mehr Probleme als nötig haben wollen.

Auf der Zugtoilette hatte sie auch ein dezentes Make Up aufgelegt. Auch das hatte Gülden nicht gemocht. Hier im Zug mochte es ihr helfen nicht so auffällig zu sein. Es wäre gut, wenn ihre Haut ein wenig rosig war, weniger totenbleich. Sie schminkte dezent ihre Augen, deren blaues Strahlen jetzt mehr unterstrichen wurde. Ein wenig Rouge färbte ihre Wangen und ein zarter, fast natürlich wirkender Ton schmückte ihre Lippen. Sie hatte sich informiert, welche Art von Make Up heute getragen wurde. Sie konnte schlecht im Stil der Achtziger durch die Gegend laufen. Lange brauchte sie nicht.

Jetzt hielt sie ein Buch in den Händen und die einzige Bewegung außer dem Ausgleichen der Fahrbewegungen, war ein regelmäßiges Umblättern der Seiten. Sie las zügig einen Band der Inscriptiones Graecae. Die Zugfahrt dauerte fast vier Stunden. Ihre Mitreisenden sprachen sie nicht an. Sie wirkte nicht unbedingt offen für ein Gespräch. Nach einer kleinen Weile schnarchte ihr Sitznachbar. Nur der Schaffner störte sie kurz beim Lesen, als er ihre Karte wollte. Sie sah ihn ausdruckslos an, während er ihre Karte entwerte und wechselte kein Wort. Die Sammlung der griechischen Schriften und ihre Übersetzung beschäftigte ihren Geist. Wirklich wertvolles Wissen war es nicht, aber es verhinderte erfolgreich das Grübeln über ihre Situation, der Ungewissheit, der sie entgegen fuhr.

Zwei Minuten, bevor der Zug im Bahnhof von Finstertal einfuhr, stand sie auf. Sie streckte sich nicht. Sie nahm lediglich ihre beiden großen Koffer aus den Ablagen und verstaute das Buch vorsichtig in einer Seitentasche. Zwei weitere Kartons würden ihr in einer Woche nach gesendet werden. Das waren dann auch schon ihre ganzen materiellen Besitztümer, wenn man von ihrem Geld absah. Ihre Handtasche hängte sie über die Schulter und wartete geduldig, bis die meisten Menschen den Zug verlassen hatten, bevor sie selbst aus stieg. Das Gildenhaus war über ihre Ankunft informiert worden. Man hatte sie jedoch nicht darüber in Kenntnis gesetzt, ob sie nun am Bahnhof oder im Gildenhaus selbst erwartet werden würde. Der Zug hatte keine nennenswerte Verspätung.

Sie stand ruhig auf dem Bahnsteig und sah sich mit unbewegtem Gesicht um, ob einer der wartenden jemanden suchte. Jemanden, den er nicht kannte.
 
AW: 3.5.08 Ankunft am Bahnhof 2.07 Uhr

Nun, es war viel los auf dem Bahnhof mit seinen vielen Gleisen und Ebenen, doch irgendwie schien keiner auf sie zu warten. Allerdings fand sie nach einiger Zeit einen Taxistand, so wie eine Reihe Taxis mit gelangweilt dreinschauenden Fahrern, die zu der späten Stunde auf Fahrgäste warteten.

Die meisten davon wirkten irgendwie unzufrieden und einige auch ziemlich ungepflegt und pafften eine Zigarette nach der anderen.

Offenbar hatte man sich drauf verlassen, daß sie den Weg schon finden würde.
 
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Anna rollte mit ihren beiden Koffern zum Taxistand hin. So gleich kam der erste in der Reihe auf sie zu noch mit der Kippe im Mund und wollte ihr ihre Koffer abnehmen, als ihre Absicht deutlich wurde. Sie musterte ihn mit regungslosem Ausdruck. "Es tut mir leid. Ich möchte ein Nichtrauchertaxi." "Im Taxi rauche ich schon nicht", antwortete er grinsend. "Sie riechen trotzdem danach."

Anna wendete sich dem dritten in der Reihe zu, da er zu mindest im Moment nicht rauchte. Der andere murmelte noch etwas wie "Blöde Kuh!" und regte sich bei den anderen Fahrern auf.

"Sie sind Nichtraucher?" Der Fahrer bejahte und packte die Koffer nach ihrer Aufforderung ein. Sie nannte die Adresse des Gildenhauses und war bald angekommen. Sie gab dem Mann ein vernünftiges Trinkgeld, nicht zu viel, nicht zu wenig. Nachdem er ihre Koffer entladen hatte, rollte sie mit ihnen zur Tür und klingelte.
 
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Auch hier dauerte es eine ganze Weile bis die Tür geöffnet wurde und der alte Guhl an der Tür erschien.

"Sie wünschen bitte?" fragte er und musterte die Frau vor der Tür.

Was heute nur alle hier wollten. Gestern waren sogar Nichttremere im Gildenhaus gewesen, wo sollte das nur hinführen?
 
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"Guten Abend. Mein Name ist Anna Lisa Reeben", sagte sie ruhig. Ihr Tonfall war ebenso neutral wie ihr Gesicht. "Meine Ankunft sollte angekündigt sein."
 
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"Ah, dann kommen sie herein", sagte der Mann. "Es ist leider so, daß alles im Moment etwas drunter und drüber ist, die Regentin kann sich also nicht empfangen, aber ich werde ihnen gerne ihre Unterkunft zeigen."

Er trat zur Seite, das ging ja fast zu wie im Taubenschlag.

"Ich hoffe, sie hatten eine angenehme Reise. Kann ich ihnen etwas abnehmen?" Er deutete auf das Gepäck.
 
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"Ich danke Ihnen, Herr...." Anna ließ dem Mann die Möglichkeit zur Antwort, bevor sie auf seine Fragen einging. "Die Reise ist problemlos verlaufen. Wenn sie mir einen der Koffer abnehmen würden, wäre es sehr angenehm." Der Mann mochte zwar wahrscheinlich ein Ghul sein. Deshalb musste man ihn trotzdem nicht respektlos behandeln. Wahrscheinlich stand er schon lange in den Diensten des Hauses und sein Wohlwollen könnte einiges Vereinfachen, wo ihr sein Ärger Steine in den Weg legen könnte. Ihm einen der Koffer aufzudrücken, kam so wohl seiner Rolle und seinem Angebot entgegen. Gleichzeitig berücksichtigte es auch ihre kräftigeren Arme. Außerdem würden sie beide schneller voran kommen, wenn jeder nur einen Koffer bugsieren musste.
 
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Der Guhl, der keinen Namen nannte, nahm einen der Koffer und ging dann voran, durch das Gilde haus, bis zu einem Teil, der weiter hinten lag und mehrere kleinere Zimmer enthielt.

"Die Regentin wohnt auch nicht hier, sie und ihre Schwester haben ein Haus, nicht weit von hier, doch die Adresse ist keinem von uns bekannt", erklärte er auf dem Weg. "Sie können das Gildehaus nur betreten, wenn sie entweder Bewegung durch den Geist beherrschen oder ihnen geöffnet wird. Auch bei vielen wichtigen Räumen ist das so."

Dann hatten sie das Zimmer erreicht, es war fast genauso wie das von Mertin.
 
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"Es war mir noch nicht vergönnt, diese Fähigkeit bisher zu erlernen." Das Zimmer war klein aber gemütlich eingerichtet. Es war in ihren Augen völlig in Ordnung. "Ich fürchte, ich werde sie des öfteren Bemühen müssen, bis ich Gelegenheit hatte mein Versäumnis nach zu holen." Anna stellte ihren Koffer vor dem Schrank ab. "Ich hätte noch drei Bitten an euch. Mögt ihr mir euren Namen verraten, damit ich euch anreden kann? Könnt ihr mir einen Topf mit Regenwasser bringen? Oder mir sagen, wo ich hier welches finde und wo ich es erhitzen kann. Alle anderen Zutaten habe ich selbst mit gebracht. Meine dritte Bitte betrifft meine Garderobe. Gibt es jemanden in diesem Haus, der für die Wäsche zuständig ist? Falls ja, wäre ich Ihnen verbunden, wenn meine Kleidung gebügelt werden könnte. Falls nein könnt ihr mir vielleicht sagen, wo ich ein Bügelbrett und ein Bügeleisen finde."
 
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"Ja, einen Namen, ich hatte einen, aber den habe ich schon lange vergessen", sagte der Mann. "Das mit der Tür macht nicht, das weiß man vorher schließlich nicht.

Das mit dem Regenwasser wird allerdings schwierig, denn es hat schon einige Tage nicht geregnet. Ansonsten gibt es hier eine Küche, die jeder, der hier wohnt benutzen kann, es gibt natürlich noch andere Räume, doch die darf ich ihnen nicht einfach so zeigen. Eine Waschmaschine und einen Trockner haben wir auch und natürlich auch Bügelbrett und -Eisen. Das kann auch jeder benutzen oder sie geben es in die Reinigung.

Um so etwas kümmert sich hier jeder selbst oder eben dessen Guhl."
 
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"Wie werden sie in der Regel angesprochen?" Wie nervig. Wenn er schon nicht einmal mehr seinen Namen wusste, dann hatte er wahrscheinlich auch nur noch wenig persönlichen Ehrgeiz. Damit war er weniger leicht zu manipulieren.

"Das Regenwasser ist sehr wichtig. Es sollte hier doch eigentlich eine Regentonne geben wo so etwas gesammelt wird. Vielleicht zeigen sie mir auch noch die Küche und die anderen Dinge, die ich benötige."
 
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Der Mann grinste. "Manche sagen Igor, andere Opa, ich weiß schon, wann man mich meint, irgendwann die nächsten Tage werde ich sowieso nach Warschau ins Gildehaus reisen", sagte er dann. "Kommen sie, ich zeige ihnen alles, aber eine Regentonne haben wir hier nicht, aber vielleicht dürfen sie eine im Garten aufstellen."

Er würde ihr alles wichtige zeigen, was sie wissen mußte, die Küche, den Hauswirtschaftsraum und einiges andere. Auch einen Fernsehraum und eine kleine Bibliothek, die jedem zugänglich war, gab es.
 
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Das war doch zum Hühner melken. Na ja, vielleicht legte man hier nicht viel wert auf das Ritual. Dummer Weise tat das nichts zur Sache. Ihr war es wichtig. sie wollte nicht schon am ersten Abend einen Fehler begehen, der sich vermeiden ließ. Dann würde sie wohl die Gärten der Nachbarschaft erkunden müssen. Oh Graus. wenigstens dürfte jetzt kaum noch jemand wach sein.

"Gibt es noch etwas, was ich für heute Nacht beachten sollte? Wurde meine Ankunft der Obrigkeit gemeldet?"
 
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"Es wäre ratsam, wenn sie bei der Kunstakademie bei Herrn Romero um Aufnahme ersuchen", erklärte der Guhl. "Das ist unumgänglich und die Zeit könnten sie nutzen. Ich gebe ihnen die Adresse und die Telefonnummer, sowie die Beschreibung, wie sie dorthin kommen können."

Ja, der Mann war einfach nur aalglatt, gab Auskunft, was sein mußte aber nicht wirklich mehr, er hatte schon soviele hier kommen und gehen sehen, da machte eine mehr oder weniger auch nichts aus.

"Geben sie acht, wir haben in der Stadt auch Werwolfe."
 
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Na, das wurde ja immer besser. Oder anders gesagt: In ihr keimte der Verdacht, dass der Bericht über sie wirklich nicht sehr vorteilhaft ausgefallen war.

"Vielen Dank für die Warnung. Gibt es ein Telefon im Haus, das ich nutzen kann?"
 
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"Ja, natürlich gibt es hier ein Telefon, es gibt sogar eines in ihrem Zimmer, das sie jeder Zeit benutzen können, wenn sie möchten, es gibt dort auch eine Telefonliste der wichtigsten Leute in der Stadt", erklärte der Mann weiter. "Es sind auch die Adressen der Elysien dabei, wenn sie diese noch besuchen wollen.

Es ist heute am frühen Abend schon jemand angekommen, er hat das Zimmer neben ihnen, als wundern sie sich nicht, wenn sie später Geräusche hören."
 
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"Danke sehr. Können sie mir seinen Namen und seinen Status sagen? Wie finde ich sie, wenn ich noch etwas benötigen sollte?"
 
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"Merten Steiner ist der Name und er ist wohl Neugeborener, es steht mir nicht zu nach Status zu fragen, Fräulein Reeben", kam es als Antwort.

Hatte die Frau denn keine Erfahrung mit solchen Dingen?
 
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"Nun, zu mindest konntet ihr mir eine Einschätzung geben. Ihr habt meine zweite Frage noch nicht beantwortet." Die Antwort kam wie alles zuvor ohne sichtbare Emotion.
 
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"Nun, ich habe ihnen alles gezeigt, was sie nutzen dürfen, solange sie nicht offiziell vorgestellt wurden", erklärte der Guhl. "Ich bin hier um die Interessen des Lords zu wahren, werde aber ihnen und allen anderen die Tür öffnen, wenn sie das Haus verlassen."

Früher hatten sich die Gildehäuser wenigstens noch informiert, was jemand können sollte, wenn er hierherkam, doch das schien auch der Vergangenheit anzugehören.

"Es tut mir leid, wenn sie in ihrem alten Gildehaus eine grosse Dienschaft zur Verfügung hatten, hier gab und gibt es so etwas nicht."
 
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