Rollenspieltheorie Zum Anspruch und Kunstbegriff von Rollenspielen

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Heute habe ich einen Satz gelesen, der bei mir ein paar Glöcklein des Verständnisses geläutet hat bezüglich eines schon lange vor sich hingärenden Themenkreises:

Gibt es nun "anspruchsvolle" Rollenspiele und wie sehen die aus?

Können Rollenspiele "Kunst" sein?

Kann man Rollenspiele bewerten im Hinblick auf den Anspruch bzw. auf deren künstlerischen Gehalt?

Diese Fragen werden und wurden ja schon vielfach mit großem Eifer und einer mitunter abstoßenden Heftigkeit diskutiert. Der Satz, welcher meinem Verständnis diesbezüglich auf die Sprünge geholfen hat, hat auf den ersten Blick gar nichts mit diesen Fragen zu tun und stammt aus dem Tanelorn:

Manche Leute denken mechanisch, also einzig und allein in Spielmechaniken; das hat mit Rollenspiel eigentlich recht wenig zu tun.
*

Dazu fallen mir zwei Dinge ein, die mir in dieser Form noch nicht klar waren und die ich auch noch nirgends gelesen habe.

1. Der Satz beinhaltet eine enorm wichtige Unterscheidung in der Herangehensweise an Rollenspiele(rn), die bislang so noch nicht angedacht wurde.

Es gab schon diverse Versuche, Rollenspieler zu klassifizieren. Das funktioniert natürlich immer nur teilweise. Es gibt schlicht zu viele Facetten im Rollenspiel und bei Rollenspielern, wodurch immer ein bisschen Information auf der Strecke und damit unerfasst bleibt. Andererseits ergeben Teile solcher Typologien oftmals auch Sinn und helfen durch ihre Vereinfachung beim Verständnis einiger Phänomene am Spieltisch.

In der GNS beispielsweise fand ich den Gamismus als Konzept eigentlich relativ eingängig – im Gegensatz zu den vollkommen vermurksten und kaum plausibilisierbaren N und S. In Deutschland existierte mal eine Strömung sehr lauter Spieler, welche eine mit dem Gamismus eng verwandte Spielart propagierte: herausforderungsorientiertes Rollenspiel ganz im Sinne des ursprünglichen Gamismus sowie Rollenspiel als (vornehmlich taktische) Weltensimulation. Parallel versuchte sich Florian Berger mal an einer Abgrenzung von Spielen und identifizierte dabei ein Schisma, welches nach seiner Auffassung aus taktischen und erzählerischen Spielen bestand.

Die gemeinsame Klammer ist nun, und damit kommen wir zum Kern des ersten Punktes und zugleich zurück zum Zitat, die Mechanik bzw. das der Mechanik beigemessene Gewicht. Damit meine ich das Ausmaß und die Wichtigkeit, welche Spieler und deren Runden der Mechanik im Rollenspiel beimessen. Man kann das meinetwegen mit Begrifflichkeiten wie Mechanik, Mechanikorientierung oder Mechanikpräferenz bezeichnen. Ich machs mir im Folgenden mal leicht und rede da von "Mechanik".

Es ist nach meiner Auffassung diese so definierte Mechanik, welche (z.B. über Charakteroptimierung) das herausforderungsorientierte Spiel und das (z.B. über Handlungsmaschinen) auf Weltsimulation getrimmte Spiel vereinigt.

Es ist auch die Mechanik, an der sich die größten Diskussionen zwischen nWoD und oWoD entzünden. Einige Beitragende halten die Verbesserungen des Regelkerns der nWoD für so wesentlich, dass ein Relaunch gerechtfertigt ist, während andere kopfschüttelnd mit der regeltechnisch schlechter gestellten, aber settingtechnisch voll etablierten oWoD weitermachen.

Es ist die Mechanik, welche einige Leute Contests über die Effizienz von Charakteren veranstalten und andere Leute den Kopf darüber schütteln lässt.

Es ist die Mechanik, welche die 4E und die D&DNext („rulings, not rules“) ganz fundamental voneinander trennt.

Es ist die Mechanik, welche einige Leute ihre Charaktere mit großer Freude optimieren und andere für derlei Zeitvertreib dazu wenig erfreuliche Bezeichnungen (Powergamer, Munchkin) finden lässt.

Es ist umgekehrt die (fehlende) Mechanik, welche einige Leute ihre Charaktere auch abseits von Werten und Spielabenden liebevoll ausgestalten und andere für derlei Zeitvertreib dazu wenig erfreuliche Bezeichnungen (Barbiespieler) finden lässt.

Es ist auch die Mechanik, welche einige Leute mit Begeisterung einen Partipationismus inklusive aller Konsequenzen (Railroading, Dramaturgie, Rule of Cool etc.) praktizieren lässt, der in anderen die blanke Abscheu vor so wenig „Spiel im Spiel“ entstehen lässt.

Es ist die Mechanik, welche einige Beitragende eine generelle Abbildbarkeit von NSC durch die Regeln fordern lässt, während andere Leute das mit Kopfschütteln quittieren, weil dadurch einer Spielwelt womöglich der mystische Reiz abhandenkommt.

Und so weiter.

Kurzum: es ist die Mechanik, welche viele der fundamentalen Fragen rund um Rollenspiele entscheidend beeinflusst.

Es ist somit auch die Mechanik, welche viele der maßgeblichsten Unterschiede von Spielern und Spielrunden erklärlich macht. Die Mechanik ist quasi ein Maßstab zum Verständnis und Verhältnis der beiden Komponenten unseres Hobbies: des (üblicher Weise qualitativ orientierten) Agierens in einer Rolle (roleplaying) und des (üblicher Weise quantitativ verregelten) spielerischen Anteils (game).

Der typische Rollenspieler wird durchaus an beiden Komponenten Spaß haben, weil er sich sonst vermutlich schlicht für ein anderes Hobby begeistern würde. Zu wichtig sind beide Komponenten in Rollenspielen, um auf eine davon komplett verzichten zu können. Jedoch können natürlich die Ausprägungen und Gewichtungen der beiden Facetten über Spieler, Spielrunden und sogar Spielabende innerhalb der gleichen Spielrunde vollkommen unterschiedlich sein.

Sicherlich gibt es auch Spieler, und zu denen zähle ich mich, die keine klar definierten und schon gar nicht zeitstabile Präferenzstrukturen haben. Das könnte sogar gut und gerne die Mehrheit der Rollenspieler umfassen. Diese Leute spielen dann je nach Runde, aktueller Situation und dem jeweiligen System gerne unterschiedliche Mischungen aus dem Agieren in einer Rolle und den spielerisch verregelten Teilen.



2. Der Satz ist ganz grundsätzlich richtig.

Ich halte den Satz für richtig, weil es sich bei Mechanik zwar um eine für Rollenspiele sehr wesentliche Komponente handelt. Ohne Mechanik bleibt nur freies Agieren in einer Rolle übrig. Das ist Improtheater. Ohne freies Agieren in einer Rolle bleibt hingegen die Verregelung von Aktionen übrig. Das sind reine Brettspiele. Nur die parallele Existenz beider Komponenten ist meiner Ansicht nach konstitutiv für Rollenspiele. So definiert sind dann übrigens auch Erzählspiele klarer Weise Rollenspiele. Und so Klamotten wie die Werwölfe aus dem Düsterwald. Oder Räuber und Gendarm. Etc. Finde ich in Ordnung. Darum gehts mir an dieser Stelle aber nicht in erster Linie. **



Und was hat das alles nun mit dem Anspruch und Kunstbegriff eines Rollenspiels zu tun?

Die Mechanik erklärt, wie spezifisch beziehungsweise ganzheitlich die Rollenspieler einer Runde beansprucht werden. In Runden mit hoher Mechanik sind vor allem logisch-mathematische Fähigkeiten gefragt. Es geht um das Erkennen von Mustern, um die Entwicklung und Umsetzung von Taktiken, um die strategische Ausrichtung des Charakters, um die abstrakte Erfassung von Beziehungen zwischen Stakeholdern etc. Das kann alle Beteiligten beliebig fordern und geht von einer typischen Bier&Bretzel-Runde mit viel Alkohol und deren mehr oder weniger zielorientierten Würfeleien bis hin zu maximal ausgefuchsten und anforderungsintensiven Runden höchster Ambition.

In Runden mit geringer Mechanik werden die Beteiligten auch abseits der logisch-mathematischen Fähigkeiten gefordert. Dennoch besteht je nach Ambition der Gruppe womöglich eine höhere Belastung der Beteiligten. Denn eine solche Runde benötigt einerseits logisch-mathematischen Fähigkeiten, welche für das Erfassen von Situationen unerlässlich ist. Das geschieht vermutlich in einem geringeren Ausmaß als in Gruppen mit hoher Mechanik. Hinzu kommen im Falle von geringer Mechanik jedoch erheblich stärkere Anforderungen an sprachlich-linguistische, körperlich-kinästhetische, interpersonale und auch intrapersonale Aspekte der Intelligenz.

Dadurch ist meiner Ansicht nach die Auffassung begründbar, dass in Runden mit geringer Mechanik durchaus ein höherer Anspruch im Sinne einer ganzheitlicheren Belastung der Beteiligten einhergehen kann. Auch kann in Runden mit enorm geringer Mechanik durchaus einmal etwas entstehen, was die Beteiligten als „Kunst“ auffassen. Das wiederum lässt sich in Runden mit hoher Mechanik schwerlich nachvollziehen.***

Soweit erst mal meine Gedanken. Muss gleich los, deshalb ist das alles noch etwas ungeordnet. Bin gespannt auf Eure Kommentare, werde aber nur sehr wenig dazu kommen, den Thread zu moderieren oder inhaltlich zu begleiten.

Wichtig ist mir, dass eine konstruktive, inhaltlich geführte Diskussion zustandekommt. Das ist angesichts des Themas und seiner Implikationen geboten. Bitte haltet Euch daran. Herzlichen Dank.

Und nun viel Spaß beim Diskutieren. Ich bin gespannt auf Eure Gedanken.

*: Das Zitat stammt von Archoangel und das gibts ausnahmsweise mal ohne Link, weil mir der Rest des zugehörigen Posts für diese Diskussion vollkommen unerheblich erscheint und deshalb vom eigentlichen Thema ablenkt.

**: Bittebittebitte: lasst Euch nicht zu Definitionskriegen hinreißen. Dazu ist dieser Thread explizit NICHT da. Insbesondere möchte ich keine Abhandlung darüber lesen, weshalb Indiespiel XYZ mit Auflage 10 doch irgendwie aus dieser Systematik ausbricht. Es geht mir in diesem Thread um den großen Pinselstrich. Herzlichen Dank :)

***: Nur um sicherzugehen: Lässt sich daraus direkt oder indirekt eine Überlegenheit eines bestimmten Spielstils ableiten? Natürlich nicht.
 
Ich hab bisher rein instinktiv immer zwischen "mechanischen" und "atmosphärischen" Rollenspielern unterschieden, aus der Erfahrung heraus und mit Bauchgefühl. Das ist sicher nicht immer eine saubere Trennung aber die Beobachtung zeigt, dass es einfach ne ganze Menge auf beiden Seiten gibt, die jeweils eine klare Gewichtung auf einem der beiden Gesichtspunkte verteilen. Find ich Beides auch okay, wenn die aufeinandertreffen und miteinander spielen sollen, kommts schonmal zu Zerwürfnissen, kann aber auch gut gehen, weil sie sie sich womöglich ergänzen - das hat dann wieder mehr mit der sozialen Kompetenz und Kompatibilität der Gruppe zu tun.

Beim Kunstbegriff bin ich nicht wirklich überzeugt. Aber sowohl da, als auch beim Attribut "anspruchsvoll" seh ich da mehr die Gruppe, als das Spiel. Das Spiel ist erstmal das Spiel. Kann sein, dass da die Intention hinter lag, was "Tieferes" zu schaffen, aber die muss am Tisch überhaupt keine Rolle mehr spielen (höhö). Wenn die Gruppe möchte, kann sie ernste, berührende und für sie "tiefe" Themen behandeln, oder eben nicht. Das geht sicher auch mit so gut wie jeder Vorlage. Ob das dann für einen Dritten auch die Form von "Kunst" ist, die sie darin sehen, sei mal dahingestellt. Tendenziell würde ich sagen, dass Kunst abseits vom Tisch dann auch nicht mehr existiert, außer ein Beobachter ist begeistert von der spezifischen Herangehensweise - aber die gibts ja nun auch nicht so oft. Rollenspiele an sich können Kunst sein, müssen sie aber auch nicht. Und ich finde auch nicht, dass der Anspruch ein Qualitätskriterium ist. Das ist doch gerade das schöne.. ich kann Spaß dabei haben, in Dungeons Orks zu vermöbeln, meine Nerven mit lovecraftschem Horror strapazieren oder ein paar Tränchen wegdrücken, wenn der Tod meines Weggefährten thematisiert wird. Weniger wertvoll ist keine der Aktivitäten.

Zu dem Satz: die Unterscheidung finde ich auch wertvoll, ich halte ihn aber nicht für "richtig". "Improtheater" ist, oder kann eben ein Teil von Rollenspiel sein, von mir aus auch völlig ohne Regeln. Es kann aber auch heißen, sich sehr streng daran zu halten. Ich glaube nicht, dass wir wirklich einen Gradmesser darüber brauchen, wie viel Rollenspiel die individuelle Herangehensweise ist. Eigentlich sollten wir das Hobby dafür feiern, so ziemlich jedem Spieler etwas in die Hand zu geben, womit er Spaß haben kann.
 
[…] Gibt es nun „anspruchsvolle“ Rollenspiele und wie sehen die aus?

Können Rollenspiele „Kunst“ sein?

Kann man Rollenspiele bewerten im Hinblick auf den Anspruch bzw. auf deren künstlerischen Gehalt? […]
Meiner Ansicht nach würde ich alle diese Punkte mit »Ja« beantworten. :)

Anspruchsvolle Rollenspiele bieten in meinen Augen ein verständliches und funktionstüchtiges Regelwerk, welches dabei den Spielfluss und die Immersion der Welt jedoch nicht unnötig verlangsamt oder gar völlig verbaut. Von einem guten Rollenspiel erwarte ich eine illustrative Beschreibung der Welt und Regelmechanismen, denen eine solide Logik zu Grunde liegt. Wenn ein Autor es schafft, die beiden Aspekte in Einklang zu bringen und mich dazu noch für sein Universum zu begeistern weiß, ja, dann würde ich es tatsächlich ›Kunst‹ nennen! |]

Persönlich finde ich mich da in der Welt der Dunkelheit gut aufgehoben, denn der Ansatz das Universum mit der realen Welt so eng zu verknüpfen, hat mir schon viele unterhaltsame Rollenspielnächte beschert. Aus meinen Erfahrungen kann ich bisher nicht bestätigen, dass die Mechanik der WoD-Spiele irgendwie dazu geführt hätte, das gemeinsame Abenteuererlebnis meiner Spieler und mir maßgeblich zu bestimmen — vielleicht liegt das einfach daran, dass wir in letzter Instanz immer auf die ›Goldene Regel‹ bauen — dem gesunden Menschenverstand. :cloud:
 
Ich halte die Aussage die im Tanelorn getroffen wurde für grundlegend falsch.
Bei einem Rollenspiel handelt es sich um ein Spiel. Die Art und Weise wie ein Spiel gespielt wird, die zugrundeliegende Spielmechanik ist für das Rollenspiel elementar.
An dieser Stelle zu behaupten das ein Fokus auf die Spielmechanik recht wenig mit Rollenspiel zu tun habe erscheint mir nicht nachvollziehbar.

Es nimmt überdies, meiner Ansicht nach, auch dem Rollenspiel den Anspruch.
Nimmt man die Mechanik aus dem Spiel bleibt zwar die Kommunikation übrig, allerdings wird diese nicht verstärkt gefordert.

Betrachtet man, da es als Beispiel angeführt wurde, die klassische World of Darkness besteht durch eine Ablehnung der Verwendung von Mechaniken kein Anlass die weiteren Fähigkeiten anspruchsvoller zu gestalten.
Das man, nur als Beispiel, die Initiative-Regelung entfernt führt nicht dazu das die Personen sprachlich geschickter agieren müssen, den Körpereinsatz besser koordinieren oder empathischer sein.

Mitunter kann es sogar sein das es auch in dieser Hinsicht einfacher wird.
Das heißt man muss bei der Beschreibung nicht mehr die Vorgaben berücksichtigen, es sprachlich entsprechend meistern das man z.B. 7 Erfolge beim Treffen hatte aber nur 2 Schaden macht, sondern man erzählt einfach irgend etwas. Der künstlerische Wert oder die Spannung der Geschichte, mitunter selbst die realistische Abbildung der Welt in einem Spiel mit erzählerischen Ansatz, sind doch da lediglich Vorwände sich dem eigentlichen Anspruch zu entziehen.
 
@Kunst: Kunst liegt im Auge des Betrachters.
@Anspruch: hängt vom Bildungsstand des Rollenspielers ab.

die Unterscheidung in Mechanik und freies Handeln (aka Rollenspielen) ist ja recht gängig. In dem Sinne ist zunächst zu klären, was freies Handeln im Rollenspiel bedeutet. Wie spielt das das Setting rein, das Genre? Kann man überhaupt frei Handeln?
 
"Kunst" ist ja immer ein umstrittener Begriff.

Ist ein Film Kunst? Jeder Film?
Ist alles Kunst, was man produziert, wenn man eine Kamera draufhält?

Ich würde sagen "Ja, wann immer ein Anspruch dahintersteckt mit dem fertigen Produkt über die Art der Präsentation zu faszinieren, unterhalten oder zu bewegen, Gedanken anzuregen und/oder Gefühle zu erzeugen - und man diesem zumindest in irgendeiner Form auch gerecht wird."
Wenn ich meine Katze filme, wie sie auf dem Sofa schläft, ist das keine Kunst.
Wenn ich meine Katze filme, wie sie auf dem Sofa schläft, dabei die Belichtung so vornehme, dass sie die Ruhe des Moments unterstützt, dann ist dies ein künstlerisches Stilmittel und somit Teil eines (wenn auch trivialen) Kunstwerkes.

Rollenspiel ist ein Medium, dass es mir erlaubt meine Spieler emotional zu bewegen. Ich kombiniere Hintergrund-Musik, den flexibel wechselnden Klang meiner Stimme und ein stimmungsvolles Ambiente um den Inhalt, Erzählungen von einer fantastischen Welt, ideal zu transportieren - ergänzt um bewusst genutzte Spannungs- und Immersionswerkzeuge, wie Interaktion und Live-Fortentwicklung der Geschichte basierend auf Zufallsmechaniken.

Rollenspiel muss nicht immer Kunst sein. Kann gut sein, dass ihr nur um den Spieltisch sitzt und ner metaphorischen Katze beim Schnurren zuschaut, während ihr Fakten austauscht und Würfel rollen lasst.

Ich hingegen sehe Rollenspiel als ein künstlerisches Medium und bereite deshalb meine Spielsitzungen entsprechend vor und setze sie auch mit Beteiligung der Spieler mit dieser Absicht um. Wer mit mir spielt und sich darauf einlässt, hat nicht nur (aber auch ;)) einen unterhaltsamen Abend, sondern erlebt (in guten Sitzungen) eine mitreißende emotionale Berg-und-Talfahrt. Das ist mein Anspruch an mich selbst als Spielleiter, dem ich nicht immer aber doch auch nicht selten gerecht werde.
 
"Anspruch" und erst Recht "Kunst" sind Begriffe, die ich gerne, zusammen mit ihren Benutzern, aus meinen Runden raushalte. Weil es sehr elitäre Begriffe sind, die idR weder von ihren Benutzern, noch von den Spielen, die sie spielen eingeholt werden können und in der Regel wenig mehr als... wie soll ich sagen... Egogewichse sind.
Was ist schon Kunst? Liegt im Auge des Betrachters? Na fein, dann können wir uns die Vokabel auch gleich sparen.
Und Anspruch? Ninja please... dann nimm die Runde halt auf und sende sie auf Arte. Arte will sie nicht haben? Liegt das jetzt daran, dass Arte zu doof für dein anspruchsvolles Rollenspiel ist, oder bist du einfach auf dem Holzweg und heftest dir da ein Namensschild an, das zu groß ist und falschrum hängt?

Rollenspiel ist Rollenspiel. Manchmal ist Rollenspiel begeisternd und denkwürdig. Manchmal kann es sogar richtiggehend philosophisch werden. Das fällt mir beispielweise bei MicroScope immer wieder auf, dass wir wegen dieser auf völlige narrative Freiheit des Einzelnen ausgelegten Mechaniken immer dazu neigen, die Fragen zu behandeln, die uns eben gerade umtreiben. Und das sind bei vier gleichberechtigten Spielern eben mitunter vier Themen und immer vier Blickwinkel auf jedes Thema. Und das kann auch inhaltlich recht tief werden. Auch weil MicroScopes Regeln und Konzept solches Spiel unterstützen.
Aber gehen wir von vornherein mit nem philosophischen Anspruch ran? Auf keinen Fall. Es ist ein Spiel.
Man könnte vielleicht argumentieren, ein Spiel, das die Spieler zum etwas tieferen Nachdenken anregt, obwohl die eigentlich nur Bier trinken und quatschen wollten, sei an sich schon Kunst. Aber selbst wenn ich dem vielleicht noch zustimmen würde, würde ich niemals für mich und meine Gruppe in Anspruch nehmen, dass WIR Kunst produzieren. Oder dass WIR anspruchsvolles Spiel betreiben.

Insofern: Wenn Kunst, dann unter Umständen auf Seiten der Autoren. Aber ganz sicher nicht auf Seiten der Spieler.

Was die Mechanik vs. Rollenspiel (synonym zu "erzählen" gedacht)angeht, fand ich auch immer, dass das keine so richtig taugliche Unterscheidung ist.
Die kann man natürlich treffen, aber sie sagt nichts aus. Und die Kriterien für diese Unterscheidung sind idR ziemlich schwammig und dürftig.
Und MicroScope zeigt ja auch, dass ein mechanisch simples Spiel präzise DURCH seine Mechanik das Geschichtenerzählen unterstützen kann. Das schließt sich also keineswegs aus und befindet sich nicht einmal auf der selben Achse.

Die Unterscheidung, die mich aber weiter bringt und die mir mit den Jahren auch immer sinnvoller erscheint, ist die zwischen mechanisch guten und mechanisch schlechten Spielen.
Das widerum hat nicht viel mit mechanischer Komplexität zu tun. Höchstens insofern, als dass mechanisch komplexe Spiele dazu neigen, sich bei den mechanisch schlechten Spielen zu finden.
Der Maßstab für die Unterscheidung ist dabei die simple Frage, ob die Mechanik mich beim Spielen unterstützt oder behindern. Überkomplexe Regeln behindern eher. Simple Regeln unterstützen eher. Undurchdachte und konfuse (oder auch nur konfus geschriebene) Regeln behindern auch eher.
Deshalb mag ich Savage Worlds und die nWoD. Deshalb mag ich DSA und die oWoD nicht.
Die ersten beiden Spiele haben einfache und kurze Regeln, die in sich stimmig sind und schnell verstanden und mühelos ausgelegt werden können.
Die letzten beiden brauchen richtig Arbeit, um benutzbar zu sein. Entweder in Form von Hausregeln oder (wie bei der DSA-Magie) in Form eines Hochschulstudiums in Nerdwissenschaften.
Jetzt sind aber die Regeln der beiden WoDs nicht weit auseinander was Komplexität angeht. Aber die einen greifen einfach besser ineinander und stehen weniger im Weg als die anderen.

Das Setting ist dabei für mich selten so richtig relevant. Ein Setting muss natürlich cool sein, damit ich es spielen will. Klar. Aber die allermeisten Settings lassen sich ohne viel Arbeit mit den allermeisten Systemen bespielen.
Schwierig wird es dann nur bei Systemen, wo das nicht so einfach geht. Scion ist so ein Beispiel. Eins meiner Lieblingssettings, das aber in einem schlimmen Regelsystem und einem katastrophalen Buch gefangen ist. Und aufgrund der drei Machtstufen auch relativ schwierig in SW beispielsweise konvertierbar ist.
Das ist unheimlich schade.
 
Der Ansage, Rollenspiel sei eine Mischung aus Charakterspiel und Regeln stimme ich zu. Wenn sich das Verhältnis der beiden zu stark verschiebt, ist es für mich kein Rollenspiel mehr, sondern Improtheater, Taktikspiel, Therapiespiel oder was auch immer. Natürlich kann man Rollenspiel auch mit Anspruch oder als Kunst betreiben, wenn man das gerne möchte.

Das ist aber kein Alleinstellungsmerkmal: Ich kann jedes Hobby mit künstlerischem Anspruch ausleben, auch Fahrrad fahren und Schach spielen. Auch die Einschränkung, dass Rollenspiel desto künstlerisches wird, desto näher man es an die Improtheaterecke rückt, teile ich nicht. Eine taktisch herausfordernde Situation mit beschränkten Mittel in einer gegebenen Zeit zu lösen, das kann ebenfalls eine Kunstform sein (sieht man z.B. wenn man gute und schlechte Let's-Play-Videos vergleicht).
 
Und Anspruch? Ninja please... dann nimm die Runde halt auf und sende sie auf Arte. Arte will sie nicht haben? Liegt das jetzt daran, dass Arte zu doof für dein anspruchsvolles Rollenspiel ist, oder bist du einfach auf dem Holzweg und heftest dir da ein Namensschild an, das zu groß ist und falschrum hängt?
Ne, das liegt daran, dass Arte auch nicht Goethes Faust in Buchform sendet.
Oder Michelangelos David in mein Wohnzimmer stellt.

Arte sendet halt das Medium "Fersehen" bzw. Fernsehversionen von was anderem. Und Rollesnpiel ist halt was anderes als Fernsehen - außer vielleicht bei der klassischen DSA-Schienentour.

Würde ich Arte bei mir mitspielen lassen, wäre es eine Ehre für Arte dabeisein zu dürfen. :cool:
 
Auch die Einschränkung, dass Rollenspiel desto künstlerisches wird, desto näher man es an die Improtheaterecke rückt, teile ich nicht.
Ich übrigens auch nicht. Ich finde das ehrlich gesagt sogar eher schade, da ich Improtheater eher mit einer Darstellung für Dritte verbinde und seien es auch nur die anderen Mitspieler, die man mit seiner Darstellung bespaßt.
Rollenspiel ist da eher vergleichbar mit Träumen. Du hast ein unbegrenztes Rahmensetting, dass vor deinem inneren Auge entsteht und mit dem du interagierst, wobei du den Gesetzen der Traumwelt unterliegst - weshalb für mich ein gutes System bzw. eine gute Umsetzung desselbigen eine absolut wesentliche Bereicherung für (subjektiv) gutes Rollenspiel darstellt.

Ich sehe absolut keinen Gegensatz oder Konkurrenzkampf zwischen dem System und der künstlerischen Umsetzung. Das wäre so als würde man einem Film unterstellen, dass er ohne Kamera besser wäre. Natürlich nicht! Die Kamera will richtig genutzt werden. Sie ist ein tolles Werkzeug, die den Film überhaupt erst so wirklich zum Film macht - ohne gehts zwar auch, aber dann heißts halt "Theaterstück".

Und nochmal: Auf Arte ist es eben gerade deshalb keine Kunst mehr, weil das Medium Fernsehen viel zu beschränkt ist um die unglaubliche Faszination eines guten Rollenspiels wiederzugeben.

Seriously, wenn auf Leinwand gebannte Träume zum passiven Angucken Kunst sind, wie zur Hölle kann ein vom Spielleiter geführter, geteilter Traum, der sich direkt live in der Gedankenwelt seiner Spieler entwickelt keine Kunst sein?


...im nächsten Leben werd ich Berufs-Künstler und bring myWoD im Nationaltheater auf die Bühne. Im Frack. Für 10 Personen mit improvisierendem Orchester zur Stimmungsuntermalung und Dodo-Eiern als Pausensnacks.
 
Ioelet schrieb:
Ne, das liegt daran, dass Arte auch nicht Goethes Faust in Buchform sendet.
Oder Michelangelos David in mein Wohnzimmer stellt.

Arte sendet halt das Medium "Fersehen" bzw. Fernsehversionen von was anderem. Und Rollesnpiel ist halt was anderes als Fernsehen - außer vielleicht bei der klassischen DSA-Schienentour.

Würde ich Arte bei mir mitspielen lassen, wäre es eine Ehre für Arte dabeisein zu dürfen.

Ach ja... case in point.
*gähn*
 
Was an dieser Stelle nicht vergessen werden sollte: Kunst muß nicht unbedingt gleich weltbewegund Tiefsinnig sein. Wir neigen heutzutage dazu z.B. ein Drama immer als "Wertvoller" anzusehen als eine Komödie. Aber beides ist Kunst und beides hat seinen "Nutzen" und ist in der "Wertigkeit" der Kunst eigentlich völlig gleichberechtigt.

Kunst ist schwer zu definieren. Vielleicht am besten mit "Das Unsichtbare sichtbar machen bzw eine Atmosphäre wiedergeben". Aber genau das ist ja eigentlich was wir im Rollenspiel alle machen. Spieler und Spielleiter machen die ganze Zeit über Unsichtbares sichtbar. Die Runde erzählt, nein besser noch erlebt (!) eine gemeinsam Geschichte. Und jeder trägt etwas zu dem Gesamtwerk (des gelungenen Rollenspielabends) bei. Das ist Kunst. Nur weil die Rollenspielrunde sich nicht auf Shakespeare-Niveau bewegt, heißt das nicht das keine Kunst währe. Die Mechanik ist dabei erstmal völlig egal.
 
Nur als kleiner Einwurf.
Kunst und Anspruch korreliert nicht unbedingt.

Als einfaches Beispiel ist eine Go-Partie zwischen zwei hochrangigen Dan durchaus anspruchsvoll, sie bietet wenn sie aufgezeichnet wird durchaus geneigten Spieler Anspruch, ist jedoch nicht unbedingt Kunst.
Umgekehrt kann es Kunst geben, Kunstwerke die durchaus Kunst darstellen jedoch mitunter keinen nennenswerten Anspruch besitzen.
 
Ich spiele Spiele.
Ich mache keine Kunst.

Haben meine Spiele Anspruch?
Ja. Den Anspruch mich und meine Mitspieler zu unterhalten. Dieser wird zu 95+% erfüllt.

Sollte man diese Spiele mit Anspruch filmisch aufzeichnen oder audiomitschneiden, transkribieren und das Transkript in Leder binden?
Unbedingt nicht! Denn sie sind vor allem im Augenblick und für die Spieler vor Ort unterhaltend und wichtig.

Das Spiel erzählt häufig auch eine Geschichte. Diese gibt der Spiel-(nicht Kunst!-)Leiter vor und die Spieler gestalten diese mit oder um, durch ihre Interaktion über ihre Spielfiguren im Spiel.

Manchmal sind diese Geschichten richtig, richtig gut und toppen viele Buch- oder Filmplots.
Oft sind sie genauso gut.
Manchmal sind sie auch nur mäßige Stangenware oder schlechter.
NIE waren sie jemals Kunst oder sollten es sein.

Lasst uns einfach spielen.
Richtig gute Spiele, gerne auch mit Anspruch.
Aber manchmal schickt mir einfach ein Loch in der Erde vorbei, schön voll mit Orks und Gezeuchs und Schätzen und Fallen und dem Oberbösen im letzten Raum.

Das und ein Rudel Freunde ist alles, was ich brauche, um durch die Woche zu kommen.

Die Kunst kann mich mal!
 
Moment eben. Da wird so einiges durcheinander geworfen. Meine Schuld vermutlich, denn die Gedanken hatte ich schnell aufschreiben wollen und dann zu wenig Zeit zur Moderation. Danke. Hier noch mal der entscheidende Absatz:

„Dadurch ist meiner Ansicht nach die Auffassung begründbar, dass in Runden mit geringer Mechanik durchaus ein höherer Anspruch im Sinne einer ganzheitlicheren Belastung der Beteiligten einhergehen kann. Auch kann in Runden mit enorm geringer Mechanik durchaus einmal etwas entstehen, was die Beteiligten als „Kunst“ auffassen. Das wiederum lässt sich in Runden mit hoher Mechanik schwerlich nachvollziehen.“

Das ist eine auf mich plausibel wirkende Begründung für den aus meiner Sicht erstaunlichen Umstand, dass ganz bestimmte Runden für sich einen höheren „Anspruch“ des Spiels reklamieren. Oft sind das Leute, die wenig mit stark verregeltem oder formalisiertem Spiel (sprich in meiner etwas unscharfen Terminologie: mechanisch) anfangen können.*

Das waren jedenfalls meine Gedanken, als ich mich als SL wieder für Vampire erwärmte. Ich finde Vampire, so wie ich es kennengelernt habe, erheblich anspruchsvoller als alle anderen mir bekannten Rollenspiele. Wenn ich das mit anderen Runden vergleiche, stelle ich tatsächlich eine ganzheitlichere Belastung fest. Da frage ich mich: wieso eigentlich? Meine vorläufige Antwort: der Grad der Formalisierung ist relativ gering, alles ist möglich und insbesondere wird ein Kompetenzspektrum angesprochen, welches im Vergleich zu den Alternativen größer ist. Ich will mich dabei nicht darauf versteifen, dass das, was wir da so zustandebringen, „Kunst“ ist. Hab ich nie behauptet und würde ich auch nicht tun. Auch würde ich in Runden, die so etwas von sich behaupten, gar nicht erst mitspielen (außer die Leute beeindrucken mich WIRKLICH).

Aber das Phänomen finde ich evident. Zudem betrifft es offenkundig nicht nur mich. Es ist zwar alles andere als „en vogue“, das Wörtchen Anspruch im Zusammenhang mit Rollenspielen zu äußern. Egal. Natürlich kann auch der Prozess des Erschaffens von Regeln oder die Anwendung von Mechaniken kunstvoll sein. Mir ist aber noch nie jemand untergekommen, der das behaupten würde. Beim Anspruch des Actual Play ist das aber anders. Da kenne ich viele, viele Beispiele von Leuten, die bei Spielen mit geringer Mechanik von einer Steigerung des Anspruchs beruchten. Nun kann man meinetwegen behaupten, dass all diese Leute prätentiöse, ahnungslose Vollidioten sind. Oder man tut diese Leute als Verblendete ab, die sich nie von der Kiesowschen Besserspielerdoktrin haben lösen konnten. Das leuchtet mir aber ehrlich gesagt nicht hinreichend ein.

Wie sich das nun genau mit den Indies verhält, daran knabbere ich ehrlich gesagt noch. Könnte es beispielsweise sein, dass sich damit kurzfristig ähnliche Erlebnisse hohen Anspruchs verbinden, die über die Zeit jedoch aufgrund der engeren Fokussierung verhallen?

Eventuell wäre das hier beschriebene Phänomen auch eine Erklärung für den höheren Frauenanteil in Runden mit geringerer Mechanik. Es gibt ja diverse Geschlechterunterschiede in Sachen Emotionalität. Aber das ist ein anderes Thema

Soweit erst einmal weitere Gedanken. Viel Zeit hatte ich leider wieder nicht für gesammeltere Betrachtungen. Vielleicht empfinden das ja einige Leute als hilfreich. Fänd ich schön. Reine Motzer wirds ansonsten immer geben. Das ist das Netz. Schicksal. Muss nun ins Bettchen. Vielleicht schaffe ich morgen oder Dienstag noch mehr. Danach wird’s erst mal wieder eng leider.

Aber um es noch einmal ganz klar zu sagen: In unserer Spielrunde produzieren wir nach meiner Ansicht nichts, was ich als Kunst bezeichnen würde. Es geht mir auch gar nicht darum zu ergründen, ob irgendeine Rollenspielrunde "Kunst" produziert oder nicht. Das ist mir vollkommen wuppe. Ich möchte wissen, weshalb diverse Leute bestimmte Spielrunden als "anspruchsvoller" wahrnehmen als andere. Ich erkläre mir das durch eine ganzheitlichere intellektuelle Auslastung. Das liefert für meine Spielerfahrungen jedenfalls relativ solide Erklärwerte. Nicht mehr und nicht weniger.

*: Ob es sich beim formalisierten Spiel nun um GURPS, D&D4, FATE, Fiasko oder DogsitV handelt: geschenkt. Überall werden dort Korridore intellektualisiert-formalisiert eröffnet, welche das Spiel mittels einer logisch-mathematischen Herangehensweisen auf Kosten anderer Lösungsmöglichkeiten beschneiden. Das betrifft insbesondere Handlungen + deren Konsequenzen in „klassischen Rollenspielen“ inklusive FATE sowie mögliche Ereignishorizonte + Konfliktlösungsmechanismen im Falle der allermeisten Indies. Dadurch wird die kognitive Belastung der Beteiligten einseitiger angesteuert als in einem weniger formalisierten Rahmen.
 
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