Rollenspieltheorie [Zornhau schreibt...] Realismus! - Wirklich?

Wir hatten in unserer Runde einen Spieler, der immer wieder ausgeprägten Realismus für das Spiel an sich (wir spielten eine Warhammer-Runde) aber vor allem für seinen Charakter in Anspruch nahm.
Dieser "Realismus" fiele ja eigentlich unter das Feld der sozialen Interaktion.

Will man diese WIRKLICH realistisch in seinem Rollenspiel haben? - Nein. Will man nicht. Will man NIE!

Die Aktion des obigen Spielers wirkt jedoch nicht wie ein Problem des "Realismus in sozialen Interaktionen", sondern als klassischer Fall von "Mein Charakter ist halt so"-Arschigkeit: eine "Begründung" für arschiges SPIELER-Verhalten durch Beharren auf "realistischem" Ausspielen der Verhaltenszüge des vom SPIELER selbst erstellten und kontrollierten Charakters.

Hier ist der Realismus nur vorgeschoben. In Wirklichkeit ist der SPIELER ein Arsch und unwillig mit anderen ZUSAMMEN zu spielen und sich auf die für die gesamte GRUPPE geltenden Interessen einzulassen. Ein Egoist eben. - Realismus hat hier überhaupt nichts mit dem Problem zu tun, daß sich der SPIELER bekloppt verhält.
 
Man könnte vielleicht zwischen "Echtweltrealismus" und "Spielweltrealismus" unterscheiden. Im Blogbeitrag geht es zu großen Teilen genau darum. Beim Spielweltrealismus geht es darum, ob bestimmte Elemente auch vor den anderen Ausgangsbedingungen der Spielwelt glaubwürdig sind.

Beispiel:

Würde man noch Stadtmauern bauen, wenn es in der Spielwelt fliegende Monster gibt?

Die Antwort hängt dann halt von weiteren Faktoren ab, etwa wie weit solche Kreaturen verbreitet sind, wie häufig Armeen sie einsetzen, ob es effektive Abwehrmöglichkeiten (z. B. bestimmte Zaubersprüche) gibt usw.

Der Realismus entsteht doch aber - wie bei Teylen hier zu sehen - in der Abschätzung der Spieler und der "richtigen" Regelanwendung. Also eigentlich weiß man schon, was genau passiert, will aber das Spiel mit einem Zufallsmechanismus spannender gestalten, um die Situation wieder in Richtung Eskalation zu schubsen.

Zum Realismus gehören halt auch Unwägbarkeiten, weshalb ein Probenmechanismus als solcher nicht falsch ist. Ob das jeweilige Probensystem zu glaubwürdigen Ergebnissen führt ist eine andere Frage. Sollte dies nicht der Fall sein, ist es angebracht, sich mit dem Würfeln in manchen Situationen zurückzuhalten oder zu Hausregeln zu greifen.

Als Beispiel nehme ich mal die 1. und 2. Edition von Space Gothic. Rein nach Regeln würde es auf einem Schützenfest mit siebzig Teilnehmern beim Schießwettbewerb je nach Anzahl der Schüsse pro Person grob geschätzt ein bis zwei Tote geben, denen die Waffe beim Abfeuern explodiert ist.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bezogen auf die verschiedenen Spielwelten handelt es sich, in der Regel, weniger um Spielwelt-Realismus sondern um Genre-Emulation.
Einfach weil für einen Realismus die meisten Settings nicht in Hinblick auf eine innere Konsistenz hin gestaltet sind.

Das heißt die Stadt hat in dem Fantasy-Setting weniger eine Stadtmauer weil es gegen Angriffe schützt, als mehr weil es zu einer mittelalterlichen Stadt dazu gehört. Die Länder auf Aventurien bieten die verschiedenen Klimaszonen und Kulturen nicht weil es geologisch Sinn ergibt, sondern weil man gerne unterschiedliche Abenteuer erleben mag. In der Welt von Mad Max streitet man sich um Wasser und Ressourcen, rast dann aber umher als würde es irgendwo einen unendlichen See voller Sprit geben. Hinsichtlich Magie wird in der Regel darauf verzichtet darüber nachzudenken das man, mit der Magie, mitunter einfach jedwede Nahrungsnot beenden könnte und die Grundversorgung sicher stellen.

Hinsichtlich des Warhammer-Beispiel.
Man hat die Option eine Genre gerechte, nachvollziehbare, Motivation für einen Söldner zu schaffen oder nicht. Wenn man es nicht macht gibt es ein anderes Problem als Realismus. Man kann ja auch in der richtigen Welt ein zahlenorientierter Beamter mit Schreibtisch und Kleingarten sein oder ein Mitglied der Fremdenlegion. Was in stark unterschiedlichen Einstellungen zum eingehen von Risiken resultiert.
 
Man könnte vielleicht zwischen "Echtweltrealismus" und "Spielweltrealismus" unterscheiden. Im Blogbeitrag geht es zu großen Teilen genau darum. Beim Spielweltrealismus geht es darum, ob bestimmte Elemente auch vor den anderen Ausgangsbedingungen der Spielwelt glaubwürdig sind.
Diese Unterscheidung ist nicht hilfreich.

Realismus ist der Versuch Elemente UNSERER realen Welt abzubilden.

Was Du mit "Spielweltrealismus" meinst, ist nichts anderes als Plausibilität. Diese kann aber, gerade bei phantastischen Welten, bei Magie, Ultra-Tech, usw., total unrealistisch sein, aber in sich für die Gegebenheiten der Spielwelt stimmig, plausibel eben.

Auch eine plausible Modellierung einer Spielwelt ist ein MITTEL um das ZIEL der Glaubwürdigkeit zu erreichen. Nur ist es eben ein ANDERES Mittel als Realismus.
 
Da muß ich Dir recht geben, bei genauerem Hinsehen ist "Spielweltrealismus" schon von der genauen Wortbedeutung von "Realismus" her ein Oxymoron. Zum Glück bin ich nicht der erste, der diesen Fehler macht (ist der DSA-Redaktion mit "Phantastischer Realismus" auch schon passiert).
 
Ob das jeweilige Probensystem zu glaubwürdigen Ergebnissen führt ist eine andere Frage. Sollte dies nicht der Fall sein, ist es angebracht, sich mit dem Würfeln in manchen Situationen zurückzuhalten oder zu Hausregeln zu greifen.
Sehe ich anders. - Nur, wenn es irgendwen STÖRT, daß die Ergebnisse unplausibel sind, mag man sich darüber Gedanken machen Hausregeln einzuführen oder gar das Regelsystem zu wechseln. Aber oft sind ja Rollenspielwelten so oder so auf extreme Weise "verzerrte Realitäten", daß man sich auch an eigentlich ziemlich unplausiblen Ergebnissen von Regelmechanikanwendungen nicht oder nicht besonders stört.

Bei Systemen mit explodierenden Würfeln kommen oft krasse Resultate heraus, die man wirklich nur noch als "Glücksfälle" einordnen kann. So etwas gibt es auch in unserer wirklichen Welt, aber wohl kaum mit der so einfach berechenbaren Chance und längst nicht so häufig wie in manchen Regelsystemen.

Als Beispiel nehme ich mal die 1. und 2. Edition von Space Gothic. Rein nach Regeln würde es auf einem Schützenfest mit siebzig Teilnehmern beim Schießwettbewerb je nach Anzahl der Schüsse pro Person grob geschätzt ein bis zwei Tote geben, denen die Waffe beim Abfeuern explodiert ist.
Das hört sich schon etwas seltsam für ein an sich ernsthaftes Setting an.

Aber, in Deadlands - egal ob Classic oder Reloaded - fliegen den Verrückten Wissenschaftlern STÄNDIG ihre Apparillos um die Ohren. Das passiert oft und ist oft krass gefährlich, verstümmelnd oder gar tödlich. Nur gehört das zum Setting, zur Spielwelt dazu. Es ist NICHT realistisch, wohl aber für die Vorgaben des Settings stimmig und damit plausibel.
 
Die Aktion des obigen Spielers wirkt jedoch nicht wie ein Problem des "Realismus in sozialen Interaktionen", sondern als klassischer Fall von "Mein Charakter ist halt so"-Arschigkeit

Vielleicht hat das Beispiel nicht ganz so gut zu dem besprochenen Thema gepaßt, allerdings spielt es für mich mit eine Rolle im Zusammenhang zwischen den angesprochenen Faktoren "Glaubwürdigkeit" und "Realismus" im Spiel. Unterm Strich war es wohl glaubwürdiger Realismus, der seinen Charakter letztlich davon abgehalten hat, sich ins "Abenteuer" zu stürzen. Ja, mit solchen Spielern, die das Spiel nicht spielen mögen, kann man nichts anfangen (so war es dann letztlich auch...).

Man hat die Option eine Genre gerechte, nachvollziehbare, Motivation für einen Söldner zu schaffen oder nicht.

Oh - es gab eine nachvollziehbare und gerechte Motivation für einen Söldner: Geld, jede Menge Geld! Dann mag es zwar durchaus glaubwürdig sein, wenn der Söldner auf einmal nach einem Massakter moralische Anwandlungen bekommt (nachdem er selbst heftigst mitgewirkt hat und der Spieler auch scheinbar seinen Spaß daran hatte), um dann seine Sachen zu packen und zu verschwinden.
 
Ohne bisher die Kommentare gelesen zu haben. Das hohle ich nach, aber diese Anmerkungen müssen raus aus meinem Kopf:

1) Misery Porn? Ich lese das Wort zum Ersten mal. Gibt es das wirklich? Wer spielt so?

2) @Zornhau welches Rollenspiel erfüllt denn deiner Ansicht nach den Anspruch eines tatsächlich Realistischen Kampfsystems am Besten?
 
Was ist eure Meinung dazu?
Birgt keinen Fortschritt gegenüber den fruchtlosen Diskussionen, die es hier zu diesem Thema schon etliche Male gab. WMA-Fachsimpelei, die Verkürzung auf einen in solchen Kreisen üblichen (sehr kritisch zu betrachtenden) Realismusbegriff, der auf vorgeblicher Rekonstruktion beruht, und die nicht ausdrückliche, aber implizite Annahme, dass Realismus nicht mit Abstraktion zusammengeht, bringen mich nicht mehr weiter.

Unter der ehrlichen Maßgabe, wohl wissend, dass Zornhau sich da nicht mehr ändern wird: Ich habe den Artikel nur schnell quergelesen. Sorry, aber diesen... unverwechselbaren Stil finde ich persönlich zu unangenehm, um mich in ihn zu vertiefen.
 
Nur, wenn es irgendwen STÖRT, daß die Ergebnisse unplausibel sind, mag man sich darüber Gedanken machen Hausregeln einzuführen oder gar das Regelsystem zu wechseln.
Das ohnehin, habe ich nur beim Schreiben vergessen mit anzugeben.

Das hört sich schon etwas seltsam für ein an sich ernsthaftes Setting an.
Bei einer 100 auf einem W100 (immer ein kritischer Fehlschlag, unabhängig von der Fertigkeit) kommt bei Schußwaffen etwas mit "Waffe explodiert, der Schütze erleidet den Maximalschaden am Kopf" heraus. In einer Runden haben wir dann die Regel übernommen (ich habe mal gehört, daß das sogar ein offizieller Vorschlag war, habe es aber nicht verifiziert), daß man einen Patzer (Ein Fehlschlag, der gleichzeigtig ein Pasch ist, 98-100 ist immer ein Fehlschlag) erst verifizieren muß, wenn es sich um Kampftalente handelt. Bei einem erneuten Pasch geschieht dann dieses Ergebnis.
 
bei dem Thema ist ja im Grunde schon lange alles durchgekaut worden. Ich wundere mich etwas, dass es jetzt so viel Interesse weckt. Trotzdem eine gute, ausgedehnte Ausführung, der eigentlich nichts hinzuzufügen ist.
 
1) Misery Porn? Ich lese das Wort zum Ersten mal. Gibt es das wirklich? Wer spielt so?
Es gibt gerade in letzter Zeit vermehrt Misery-Porn-Rollenspiele, in denen die Spieler im Leid der Charaktere schwelgen.
Zum Beispiel gibt es ein "Obdachlosen-Rollenspiel" auf Basis der Powered-by-the-Apocalypse-Regeln, bei denen man eben Obdachlose in der Gosse spielt. Alles voll realistisch, aber immer sehr einfühlsam und respektvoll. Oder so.
Aktuell ist SEHR erfolgreich "Blackbeards Bride" gekickstartet worden, SEHR erfolgreich, obschon man dabei als Gruppe von Spielern nur einen einzigen Charakter spielt, Blaubarts Braut. Man spielt ihre Verzweiflung, oder ihr Fügen in das Geschick, daß ihr sexuelle und sonstige Gewalt angetan werden wird. Aber bestimmt ist das alles ganz respektvoll und einfühlsam. Bestimmt.
Im LARP-Sektor sind ja gerade auch solche Misery-Porn-Themen sehr beliebt. So gibt es z.B. offenbar ein "Hartz-IV-LARP", bei dem man beim Warten in der Arbeitsagentur voll Spaß haben kann, aber immer respektvoll und einfühlsam. Klar doch!

2) @Zornhau welches Rollenspiel erfüllt denn deiner Ansicht nach den Anspruch eines tatsächlich Realistischen Kampfsystems am Besten?
Am besten? Wüßte ich nicht. - Und zwar, weil ich überhaupt nicht erwarte, daß ein Kampfsystem "realistisch" sein soll.

Meiner Erfahrung nach gibt es umständliche und weniger umständliche Kampfsysteme. Die Umständlichkeit des Systems ist unabhängig vom Detailgrad und erst recht vom Realismus.

Ich kann Dir Rollenspiele nennen, deren Kampfsysteme MIR SPASS machen. Realismus nimmt da keines für sich in Anspruch.
 
Es gibt ANDERE. Und zwar jede Menge anderer Realismus-Begriffe. Das ist ja ein grundlegendes Problem mit "DEM Realismus", weil es "DEN Realismus" als allgemeingültigen Begriff nicht gibt.

Daher muß man nachfragen, was nun genau damit gemeint ist, oder man definiert - so wie ich das im Blog-Artikel getan habe - eben gleich vorab, was man selbst darunter versteht. Damit können dann andere für die weitere Diskussion mehr anfangen als zu "raten", was sich wohl dieser eine Autor und dem Realismus-Begriff vorgestellt haben mag.

Bessere Realismus-Begriffe? Besser für WAS? - Für das, was im Rollenspiel alles(!) als "Realismus" bezeichnet wird? - Sicher nicht, denn das sind ja, wie auch hier in der Diskussion zu finden, so viele unterschiedliche Dinge, die man nicht einfach mal eben unter denselben Hut packen kann.
 
Viele Rollenspieler benutzen "Realismus", wenn sie von "Glaubwürdigkeit" sprechen (basierend auf ihrem eigenen Wissen, Halbwissen und Vorurteilen). Ich dachte auch, das wäre schon für über 10 Jahren klargestellt worden :(

@Zornhau
Was ist mit The Riddle of Steel?
Das ist vom Präsidenten der HEMA. Imho ein unspielbares Klein-Klein, aber er berücksichtigt sehr viel. Natürlich nur im Kampf :rolleyes:

ins polnische DSA (Dzikie Pola) Würde ich auch gern mal reinschnuppern.
 
Mir fallen hier mindestens fünf Dinge auf, die in der Diskussion vermengt werden und es unmöglich machen, zu einem Clue zu gelangen
  1. Was ist Realität? Etwas woran sich viele Philosophen die Zähne ausgebissen haben und sich nie einig geworden sind. So gibt es Vertreter unterschiedlicher Lager
  2. Spielsystemmöglichkeiten - was wird in den Regeln überhaupt behandelt, was kann das System abbilden.
  3. Spielsystemauflösung - Wie datailgenau ergeben die Regeln eine Situation wieder, wann beginnt der "Fluff" und wie wird mit diesem verfahren. Wer darf zum Beispiel ausschmücken, der Spieler oder die SL
  4. Systemimmanente Logik - Erkennt man das was geschieht wieder? Ist das glaubhaft oder stylisch, macht es mich an?
  5. Systemabstraktion - will das System überhaupt etwas real abbilden oder geht es um eine Regel, die zB. den Umgang unter den Spielern oder Figuren festlegt (Kampfrunden, narrative Rechte, Zufallselemente)
 
Zuletzt bearbeitet:
Genaugenommen wird imho jeder Punkt in dem verlinkten Artikel abgearbeitet. Musst du mal lesen. Deswegen ist die Diskussion ja unnötig.
 
@Zornhau
Was ist mit The Riddle of Steel?
Das ist vom Präsidenten der HEMA. Imho ein unspielbares Klein-Klein, aber er berücksichtigt sehr viel. Natürlich nur im Kampf
Norwood ist tatsächlich in HEMA aktiv und war mal Präsident einer entsprechenden Organisation. Doch sind seine Kampfkunstaktivitäten eher später als die Entwicklung von TRoS von Belang.

Für TRoS hatte er reichlich Interpretationen nach John Clements, einem alles andere als unumstrittenen Übersee-"Vorfechters" der Beschäftigung mit historischen europäischen Kampfkünsten (insbesondere im Rahmen der ARMA) einfließen lassen. Manches davon ist natürlich durchaus auf tatsächliche Fechtgegebenheiten bezogen, aber das meiste ist leider ebensolcher UNrealistischer Kram, wie man es in allerlei anderen Regelsystemen findet. Ein Blick auf die "Trefferzonen" und die Schadenspunkte zeigt schon, daß hier auch nur mit dem schalen Wurstwasser gekocht wird, das andere Regelsysteme in den Jahrzehnten zuvor verwandt haben.

TRoS hat als erschwerendes Problem noch, daß es weder Fisch noch Fleisch ist. Es entstand 2002 aus dem Dunstkreis der Forge, mit lauter "touchy feely stuff" eingebaut. "Narration" und Emotion sollten groß geschrieben werden, gleichzeitig aber auch ein "realistisches Kampfsystem", aber bitte auch mit Magie. - Daß so etwas nicht gut ausgeht, kann man sich denken.

TRoS ist nett für die Erkenntnis, daß es eben so NICHT geht.
 
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