Vor fast einem Monat habe ich einen Brief an die Produktionsfirma der Terra X-Folge zu Frankfurt im Spätmittelalter geschrieben, die ja einige Wellen geschlagen hatte. Über einen Bekannte hatte ich die Mailadresse und Einwilligung zur Kontaktaufnahme der Produzentin erhalten.
Leider kam es zu keinerlei Reaktion und daher habe ich mich entschlossen den Brief als offenen Brief noch einmal zu veröffentlichen:
Sehr geehrte Frau XXX,
vielen Dank für die Möglichkeit, Ihnen ein Feedback zur Sendung "Ein Tag im Mittelalter" zu geben.
Ich bin freiberuflicher Kulturvermittler und spezialisiert auf die Vermittlung des Alltagslebens im späten Mittelalter. Mein Fokus liegt dabei auf der Region um Frankfurt in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts.
Mit meiner Agentur "Geschichtsfenster" habe ich in den letzten Jahren etwa 30 Veranstaltungen organisiert, zum größten Teil im musealen Umfeld und war an der SWR-Produktion "Mittelalter im Südwesten" beteiligt.
Darüber hinaus habe ich Kulturwissenschaften und Geschichte studiert und glaube aufgrund dieser Tätigkeiten sagen zu können, dass ich die mediale Darstellung von Geschichte sowohl in Bezug auf die Sachkultur,
als auch auf die affektive Aneignung der gezeigten Bilder durch den Zuschauer beurteilen kann.
Ich muss der Produktion auch durchaus Lob aussprechen. Es wurden außerhalb der Spielszenen viele interessante Informationen transportiert, die durchaus dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Leider kommen solche "erzählten" Informationen nicht
gegen die Wirkungsmacht inszenierter Spielszenen an und da liegt in meinen Augen das Problem.
Die Spielszenen ergeben das Bild einer furchtbaren, primitiven Zeit ohne jede Schönheit. Ein Bild, das auch dadurch erzeugt wird, das Mode und Sachkultur mit den Vorlagen wenig bis gar nichts zu tun haben.
Die Quellenlage was Mode und Sachkultur in Frankfurt angeht ist ausgezeichnet. So gibt es z.B. zwei illustrierte Handschriften von einem Frankfurter Goldschmied (
http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/msma/content/thumbview/3654385), die detailliert die Mode der Zeit wiedergeben. Auch etliche Künstler in und um Frankfurt haben gerade in graphischen Werken eine Unzahl an Vorlagen hinterlassen. Ich habe vollstes Verständnis, dass es unmöglich ist, eine solche Produktion komplett neu einzukleiden, aber die Nutzung von Funduskleidung, die aus Versatzstücken besteht, die entweder frühstens zwei Generationen später üblich waren (wie die vielen getragenen Barette oder die schwarzen Roben der Ärzte) oder eben gar nicht (wie zugebundene Hemdsärmel, die gezeigten Schuhe, quasi alle im Film gezeigten Frauenkleider) kann eben auch keine Lösung sein. Gerade die Mode der Zeit ist ausgesprochen interessant. Die hautengen Hosen der Männer erfordern ausgesprochen durchdachte Schnitte und die Stoffqualität ist den heutigen industriell gefertigten Stoffen weit überlegen. Zudem ist das 15. Jahrhundert schreiend bunt. Selbst einfache preiswerte Färbungen waren intensiv und sehr beliebt. Die Quellen zeichnen hier also ein völlig anderes Bild als es seit einigen Jahren in der medialen Umsetzung zu finden ist. Quer durch die Produktionen herrscht ein Bild dunkler und fahler Stoff und wenig sinnvoller Kleidung vor. Tatsächlich existierende Mode wie geschnürte Wämser oder gefältelte Schecken kommen darin leider nicht vor.
Auch bei der Darstellung des Alltagsleben komme ich nicht umhin, zu widersprechen. Die Darstellung, dass ein Zunftmeister mit seiner ganzen Familie in einem winzigen dunklen Raum wohnt, dessen Fenster mit Stroh ausgestopft sind, ist für mich nicht nachvollziehbar. Auch hier gibt es mannigfaltige Quellen von erhaltener Bausubstanz bis zu Gemälden, die den bürgerlichen Lebensraum zeigen. Schon diese Anfangszene vermittelt den Eindruck einer Notsituation. Offenbar mangelt es den Gezeigten an Wohnraum ebenso wie an den finanziellen Möglichkeiten, die Situation zu verbessern. Das 15. Jahrhundert ist aber eine Zeit relativen Wohlstandes. Die Wirtschaftsgeschichte zeigt in der Zeit eine deutliche Anhebung des Lohnniveaus aufgrund eines Arbeitskräftemangels. Auch die Nahrungsversorgung war sehr gut, die kleine Eiszeit befand sich erst an ihrem Anfang. Der Höhepunkt war im späten 17. Jahrhundert.
Hier sind wir dann genau beim Punkt der affektiven Aneignung. Dem Zuschauer bietet sich ein Bild das an Notunterkünfte oder Fluchtsituation erinnert. Die Wohnstatt des Wundarztes hat den Charme eines ausgebombten Hauses.
Dieser Hauch des Primitiven zieht sich auch durch die Marktszenen, in denen er durch die Tatsache verstärkt wird, dass die Stände offenbar kaum Waren anzubieten haben. Der Obststand hat ein paar Körbe mit wenig Inhalt. Auch da verstehe ich, das wir hier von Kosten sprechen, aber der Eindruck, der beim Zuschauer bleibt, ist abermals Mangel. So ungefähr muss es in der DDR in den Läden ausgesehen haben. Selbst der Buchhändler wird durch ein paar Pergamentrollen dargestellt und Gutenberg kann auch nur ein paar Einzelseiten verteilen. Übrigens ausgerechnet Einzelseiten aus einer handgeschriebenen französischen Prunkhandschrift.
Leider bleibt es nichtmal bei diesem optischen Eindruck. Es werden auch noch eine ganze Reihe Dinge aufgeführt, die so gar nicht in die Zeit passen. Der Hexenglauben war z.B. im 15. Jahrhundert vernachlässigbar. Der Hexenwahn kommt erst ab dem 16. Jahrhundert in Fahrt und dauert dann bis hinein ins 18. Jahrhundert. Schandmasken sind gar nicht nachweisbar. Selbst die im Beitrag gezeigten Bildquellen stammen deutlich erkennbar aus späterer Zeit. Auch solche Ehrenstrafen haben ihren Höhepunkt um 1700.
Astrologie war zwar damals eine durchaus angesehen Wissenschaft, aber das gilt schlicht für die gesamte Vormoderne, teilweise bin hinein in die heutige Zeit.
Damalige Gedankengebilde wie die Säftelehre nach Galen werden zwar angeschnitten, dann aber falsch dargstellt. Natürlich wäre es auch nach dieser Lehre unsinnig, den Überschuss eines Saftes (im Film gelbe Galle) durch das Abzapfen eines anderen durch Aderlass zu kurieren. Im Gegenteil zeigt diese Lehre, dass eben nicht bei jeder Gelegenheit zum Schröpfkopf gegriffen wurde.
Aber überhaupt machen die Ärzte im Film den Eindruck völliger Unfähigkeit. Auch hier ist das Bild, das hängen bleibt, fatal.
Das sind jetzt nur einige Punkte, die Liste an Kritikpunkten wäre um einiges länger, aber es ergibt sich auch so leider ein deutliches Bild. Die Spielszenen zeigen eine trostlose düstere Zeit. Es wird quasi nichts positiv dargestellt (von Holzvertäfelung und Butzenscheiben bei den ganz Reichen). Dass die Werke der Spätgotik heute Museen füllen und selbst Alltagsgegenstände wegen ihrer hohen handwerklichen Kunstfertigkeit geschätzt werden, ist für den Zuschauer an keiner Stelle zu erkennen.
Wie schon gesagt, ich habe volles Verständnis für die Notwendigkeiten einer solchen Filmproduktion.
Es gibt gerade in dieser Epoche in Deutschland dutzende hervorragend ausgestatteter Darsteller und selbst wenn man nicht auf diese zurückgreifen will wäre es nicht schwer, deren Ausrüstung zu nutzen. Ich kann Ihnen für die Zukunft anbieten, hierbei Kontakte zu vermitteln.
Als Gegenetwurf zu ihrer Darstellung einer belebten Innenstadt möchte ich Ihnen diese kurzen Film zeigen, der quasi ohne Budget als Werbemittel entstanden ist:
Die darin gezeigte Sachkultur und Kleidung basiert komplett auf Quellen aus der Zeit um 1470.
Es tut mir auch leid Sie mit solch harter Kritik angehen zu müssen, aber bei meinen Auftritten in Museen, Schulen und bei Burgbelebungen muss ich stetig gegen die Vorstellung angehen, das Mittelalter (schon hier fehlt oft jede Differenzierung zwischen den Jahrhunderten) sei eine besonders rückständige Zeit gewesen. Aber solange in quasi allen Fernseh- und Filmproduktionen das gleiche primitiv-dreckige Bild gezeigt wird, habe ich wenig Hoffnung, dass sich etwas daran ändert.
Mit freundlichen Grüßen
Andrej Pfeiffer-Perkuhn
Geschichtsfenster