AW: Wie tot ist Pen&Paper-Rollenspiel eigentlich?
Klar gibt es schon Systeme, die solche cinematischen Anforderungen erfüllen,
Cinematisches Rollenspiel "unterstützen" manche Regelsysteme besser als andere. - ABER: Cinematisches Rollenspiel ist SCHWER! Da müssen Spieler und Spielleiter in einer ganz bestimmten Art "drauf" sein, damit es sich so spielt "wie im Kino". Dabei helfen manche Regelwerke ein wenig, indem sie nicht mit langdauernden Regelmechanikanwendungen in den Vordergrund treten, aber AUSREICHEND ist das nicht um cinematisches Rollenspiel zu betreiben.
Mag Horror schon nicht ganz so einfach im Spiel umzusetzen sein, so - mein Eindruck - ist WIRKLICH cinematische Action mindestens so schwer, wenn nich noch schwerer. - Und am Schwersten ist: Komik. BEWUSST auf KOMISCH getrimmtes Rollenspiel ist harte Arbeit für alle Beteiligten.
ABENTEUER in PHANTASTISCHEN WELTEN sind weit genug weg von dem (Film-)Realismus des modernen Action-Kinos, daß man sich Ungenauigkeiten erlauben kann. Die Welten sind so fremdartig, daß die Akzeptanz für "seltsame" Vorgänge (die oftmals ja mehr durch Regelsystem-Eigenschaften denn durch tatsächliche Setting-Eigenschaften bedingt sind) höher liegt. - Action-Kino KENNT JEDER. Und wenn DA etwas nicht stimmt, dann MERKT DAS JEDER!
Die Idee einfach mit möglichst weit von den Realitäten des Rollenspiels entfernten Filmbeispielen potentielle Spieler zu ködern (ich bin versucht zu schreiben: hinters Licht zu führen) ist schlicht und ergreifend schlecht.
Eben.
Einfach nur zu hoffen, dass die existenten, wenig einsteigerfreundlichen Spiele nach einem Probespiel attraktiv genug sind hat irgendwie die letzten drei Jahrzehnte nicht wirklich geklappt.
Ganz im GEGENTEIL! - In meinen häuslichen Runden und erst recht im Verein kommen STÄNDIG neue Leute zum Rollenspiel, indem man ihnen KEINE LIGHT-Systeme, sondern NORMALE Rollenspiele wie D&D, Earthdawn, Cthulhu, Savage Worlds etc. "zumutet". - Solange sie in einer aufgeschlossenen, freundlichen Runde von Leuten ins Spiel kommen, die ihnen Regeln geduldig erklären, die ihnen die Grundkonzepte BEIM SPIELEN beibringen, die ihnen exotischere Dinge im Spiel VORFÜHREN, so daß sie dies Nachmachen können, dann lernen das Neu-Spieler sehr schnell.
Meine Erfahrung ist, daß man z.B. Table-Top-Spielern sehr gut mit anfangs mehr auf taktische Kampf-Szenen ausgelegten Szenarien mit vielen Figuren, Szenerien etc. kommen kann, wo der Charakter-zu-Charakter-Kommunikationsanteil anfangs eher gering ist. Das kann man im nächsten Szenario steigern, und mehr und andere Aspekte einführen, und inzwischen IDENTIFIZIERT sich der Spieler mit seinem Charakter und dann ist er "drin". - Und so einfach.
Meine Erfahrung ist, daß man Leute mit viel Phantasie, die gerne Geschichten ausdenken (oder gar schreiben) mit Engel (oder anderen WIRKLICH erzählerisch ausgerichteten Rollenspielen) einen sehr guten Einstieg in das Spielen einer Rolle geben kann. Durch die REGELSYSTEMLOSIGKEIT bei gleichzeitigem FOKUS AUF DEN CHARAKTER wird hier dasselbe Pferd einfach von einer anderen Seite aufgezäumt. - Und dann steht dem Ausprobieren und Spielen anderer, mehr regeltechnisch ausgelegter Systeme nichts mehr im Wege. - Das geht nachweislich sehr gut.
Meine Erfahrung ist, daß man Leute, die sonst vornehmlich Computerspiele (eher weniger die Online-Varianten) gespielt haben, mit D&D-Fantasy praktisch SOFORT zum Verständnis, was geht, was möglich ist, und was sie tun können, verhelfen kann. Die kommen da sehr schnell rein und merken schnell, was alles MEHR geht gegenüber dem Computerspiel. Und so funktioniert das prächtig.
Ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass man (oder sogar ich) einem Rollenspieler für so gut wie jedes Feld eine passende Empfehlung machen könnte. Nicht aber einem "Neuspieler". Das sind die Auswahlmöglichkeiten nämlich beschränkt. Stark beschränkt. Durch Erhältlichkeit, Sprachbarriere, Verlags- und Fanunterstützung, Verbreitung (Anschluss an existierende Runden!, Zahl potentieller Mitspieler!), Preis, ... (und den Dauerbrenner "Regeln" habe ich da sogar noch ausgespart).
Es gibt eben nicht genug Rollenspiele... ...für Neulinge.
Das sehe ich nicht so. - Es gibt GENUG Rollenspiele, die so beschränkt sind, daß sie VIELLEICHT GERADE NOCH für Neulinge zum Probieren (zum Fahren mit Stützrädern) taugen.
Aber KEINES davon ist INSPIRIEREND GENUG, daß ein Neuling sich so richtig darauf einläßt, daß er selbst leiten möchte, oder daß er jede erdenkliche Gelegenheit eine Runde zu spielen, wahrnimmt. - Diese Begeisterung eines Neulings habe ich hingegen mit Engel, mit D&D, mit Cthulhu, mit Savage Worlds, mit Midgard, mit RuneQuest schon so erlebt.
Als ich mit Bogenschießen angefangen habe, da hatte ich gleich einen RICHTIGEN Bogen in die Finger bekommen (zwar etwas weniger Zug, weil ungewohnt etc., aber EXAKT so gefertigt, wie die Bögen der Fortgeschrittenen dort). - Es gibt aber auch "Anfänger-Bögen", die schwabbelig aussehen, mehr nach Kinderspielzeug als nach einem Bogen, die vom gesamten Schießerlebnis unbefriedigend sind.
Ich bin FROH, daß ich mit einem RICHTIGEN Bogen habe zu lernen anfangen dürfen. Das hat mich weit mehr motiviert dieses Gerät zu meistern, als es ein Anfängerbogen (mit Stützrädern) getan hätte.
Ich meine, daß man Rollenspiel-Neulingen in offenen, aufgeschlossenen Gruppen JEDES noch so crunch-lastige Rollenspiel als Einstieg ins Rollenspiel-Hobby erschließen kann.
ABER: Das geht NICHT IM SELBSTSTUDIUM!
Genau dafür, für das leichte Erlernen ALLEIN, ohne die Mithilfe anderer Leute, die bereits Rollenspiele spielen, sind viele Regelwerke ungeeignet.
In dieser Hinsicht frage ich mich aber, ob es denn heutzutage wirklich noch so viele Gruppen gibt, die OHNE JEGLICHEN KONTAKT zu anderen Rollenspielern ins Hobby zu kommen versuchen?
Damals, Ende der 70er, Anfang der 80er, da waren Regelwerke oft noch besser überschaubar. Mit 59 Seiten Gamma World hatte ich mit meinem Schul-Englisch zwar noch ein wenig sprachlich zu ringen, aber ich habe das ALLEINE auf die Reihe bekommen. - 800+ Seiten Gamma World D20 würde ich heute keinem Schüler (mit meinen damaligen Englisch-Noten) zumuten wollen.
In dieser Hinsicht sollten sich die Rollenspielverlage überlegen, ob sie ihre Autoren nicht dazu bewegen könnten, eine KLARE, SELBSTSTUDIUMSGEEIGNETE Darlegung der KERNREGELN eines Rollenspiels mit BEISPIELEN und Hinweisen, wie man - auf Basis der Kernregeln - mit nicht abgedeckten Situationen umgehen sollte, abzufassen.
Klare Schreibweise. Gutverständliche Darstellungen. Klare Konzepte. - Das alles erschließt sich schnell und gibt schnell SICHERHEIT. Die Art Regelsicherheit, die man bei heutigen Brettspielregeln oft genug findet: die sind nämlich klarer abgefaßt, als die meisten Rollenspielregeln. - Und damit meine ich NICHT, daß man die Rollenspielregeln so ENG FASSEN soll wie Brettspiele (solche Mißgeburten wie "Epos" kämen dabei heraus), sondern nur, daß sie SPRACHLICH an die Zielgruppe Neueinsteiger ANGEMESSEN aufbereitet sind.
Aber wer statt eines Rollenspiels lieber einen Roman schreiben würde, dann aber doch ein Rollenspiel daraus macht, der schafft es eh nicht die notwendige Klarheit bei den Regeldarlegungen hinzubekommen. - Viele Rollenspielautoren (nicht nur hierzulande) schreiben NICHT AUF DIE FUNKTION VON REGELN AUSGERICHTET ihre Texte. - Einem Einsteiger nutzt all der schöne Fluff, der sich kreuz und quer durch die Regelteile "marmoriert" nämlich wenig, wenn die Regeln nicht klar und deutlich verstehbar abgefaßt sind.
Die ZUGÄNGLICHKEIT der Rollenspiele für Neulinge liegt VORNEHMLICH in der Hand der AUTOREN. - Und diese Autorenhände sind hierzulande nicht am Neueinsteiger interessiert, sondern nur an der Selbstdarstellung des Autoren.
Solange sich da nicht etwas im grundsätzlichen Selbstverständnis ändert, werden wir keine deutschsprachigen, einsteigertauglichen, NICHT-TRIVIALEN Rollenspiele haben.