Schlüsselkind

Lethrael

Schreiberling
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9. März 2004
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Hallo Freunde, ich habe mal wieder eine Kurzgeschichte geschrieben, viel Spaß.
Mdbg Leth


Schlüsselkind.
Milde warme Frühlingsluft vertrieb den muffigen, alten Geruch der Schule. Frische Wiesendüfte, junges Gras, neues Laub, altes Holz und Pollen rochen wehend vor sich hin. Als er endlich in seine Siedlung kam, vermischte sich der Geruch der Natur mit dem Geschmack des Mittagessens.
Gebratene Zwiebeln, Steak und Bratkartoffeln wechselten sich mit Tomatensauce, Nudeln und sogar mit Rouladen, Salzkartoffeln und Bratensoße ab. Irgendwo grillte jemand knisternd und duftend Würstchen auf dem Grill, anderswo zogen Schwaden aus einem Fenster die nach gekochtem Huhn und Gemüse dufteten und schmeckten. Überall lachten Kinder und aßen zufrieden das, was ihre Mamis für sie gekocht hatten.
Er zog den Schlüssel aus dem Brustbeutel und schloss die große Haustür auf, sah hoch zum Briefkasten, in dem sich sicher wieder viele Rechnungen finden ließen. Seufzend ging er an den Briefkästen vorbei, reckte sich und schnupperte. Köstlicher Gerüche, Nudeln und Rouladen, Tomatensauce und Grünkohl, Salzkartoffeln und Reis vermischten sich und strichen durch die Stockwerke.
Er spürte wie ihm das Wasser im Munde zusammenlief. Er ließ den Kopf hängen und stieg in den, nach Pizza riechenden, Aufzug.
Geradeso erreichte er auf den Zehnspitzen stehend den Knopf für den 14. Stock und drückte drauf.
Rumpelnd schlossen sich die Fahrstuhltüren und sperrte ihn mit den Gerüchen der Pizza ein, schüchtern starrte er auf den tomatenroten Boden, auf die teiggelben Wände und die silbernen Knöpfe. Langsam zog das Gewicht am Aufzug, glatt und weich stieg der Aufzug bis in seinen Stock, entließ ihn mit einem letzten Schnaufer, schloss die Tür hinter ihm und verschwand wieder nach unten.
Hier roch es nach Brokkoli, Schnitzel, Pommes, Erbsen und Möhrchen, sowie nach Erbsensuppe, Spargel und sogar nach frischen Fischstäbchen direkt bei Jonas, seinem Freund und Nachbarn.
Dann stand er vor seiner Tür, an der ein Nikolaus noch fröhliche Weihnacht wünschte. Seufzend schob er den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn knackend herum und warf sich gegen die Tür, die sich knarzend, knirschend öffnete. Der Flur begrüßte ihn mit Schweigen, er knallte die Tür hinter sich zu und versuchte mit diesem Knall die Stille zu vertreiben, doch nachdem er verhallte blieb es wieder still.
Stammelnd sprach er schließlich mit sich selbst. „Na, Thomas schauen wir mal was Mami leckeres gekocht hat?“. Er schlich in die Küche, warf den Ranzen in die Ecke und ging zum Tisch, wo er einen Zettel liegen sah, den er langsam hochhob und murmelnd zu lesen begann:
„Iss was im Kühlschrank steht, spül ab, bring den Müll runter, räum dein Zimmer auf und mach deine Hausaufgaben.
Ich kontrollier’ es heute Abend, wenn ich wieder da bin. Geh um halb acht ins Bett und vergiss das Zähneputzen nicht.
Bis morgen Mama.
P.S.: Die Fernbedienung liegt auf dem Küchentisch, aber räum erst die Flaschen und den Aschenbecher weg.
P.S.: Hab dich lieb! Mama.
Er überlas die letzte Zeile, weil er sie schon auswendig kannte und zuckte kurz zusammen, als er an die letzte Nacht dachte, als seine Mama ihn um hab elf weckte und ihn wegen der Sache mit dem vergessenen Müll mal wieder den hintern versohlte. Er ließ zitternd den Zettel fallen und begann Mamas Liebe und ihre Aufgaben zu erfüllen…
 
AW: Schlüsselkind

Schöne Geschichte... der eigene, graue Alltag, neben dem das Leben der anderen im wahrsten Sinne des Wortes köstlich aussieht (und riecht).

Gerade die Idee, die ganzen Düfte auf dem Heimweg aufzunehmen und mitzubekommen, während daheim nur "troster Kühlschrankfraß" auf einen wartet gefällt mir... der Text würde glaube ich noch wesentlich plastischer wirken, wenn du dich nicht nur auf eine Aufzählung des "fremden" Essens beschränkt, sondern es 'plastischer', vielleicht einfach nur bildhafter beschrieben hättest... der sämige geruch nach dicker, schwerer Sauerbratensoße, die zähflüssig von der Schöpfkelle tropft und den Geschmack nach Rosinen und ... herbstlich-winterlichen Soßenlebkuchen vermengt... der Geruch nach frisch gebratenem Steak, den man ganz vorne in der Nase wahrnimmt und einem fast verspielt mit den eigenen Geschmacksknopsen foltert und das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt...

Der Text ist so schon sehr, sehr gut geworden, finde ich. Ein bißchen könnte man da wie gesagt noch "spielen" und aus der Aufzählung eine (Sinnes-)Schilderung machen...

Würde mich freuen, hier mehr von dir zu lesen,

LG
Durro
 
AW: Schlüsselkind

Aber es gibt doch mehr von mir.
Ich habe vor einigen Jahren hier was reingesetzt.
Mdbg leth
 
AW: Schlüsselkind

deswegen habe ich ja auch nicht "noch etwas anderes" sondern "mehr" geschrieben ;)
 
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