AW: Nieder mit den rollenspielerischen Herausforderungen
Auf Cons ist das ganz einfach: Ich bereite einen Haufen Charaktere vor, aus denen die Spieler dann auswählen können. So vermeide ich, daß mir jemand in einem Neulings-Szenario mit einem überpowerten, seit 20 Jahren gespielten Charakter daherkommt, oder daß mir jemand einen Euthanasiefall an "Charakterkonzept" präsentiert. Durch vorbereitete Charaktere schränkt man natürlich die Gestaltungsmöglichkeiten der Spieler ein. Bei einer auch meist zeitlich sehr begrenzten Con-Runde ist das eine vertretbare Maßnahme. So stellt man sicher, daß der Charakter wenigstens paßt. - Der Spieler kann natürlich immer noch in die Spielergruppe nicht hineinpassen. Aber das kann man nicht so leicht im voraus beeinflussen (außer ihn wegschicken, wenn man merkt, daß man mit ihm nicht klarkommen wird).
Bei privateren Runden (daheim oder im Verein) mache ich oft zusammen mit den Spielern den Charakter zurecht. So kann ich gleich steuernd auf die Charaktererschaffung einwirken, indem ich direkt auf Unverträglichkeiten mit dem geplanten Setting, der geplanten Kampagne, etc. hinweise.
Ich stelle bei den meisten Rollenspielen (nicht bei allen, da manche ja nicht auf kooperatives Spiel ausgelegt sind) die Fragen: "Wie soll Dein Charakter mit den anderen zusammenarbeiten? Was mögen oder schätzen die anderen Charaktere wohl an Deinem Charakter?" - Das zeigt mir meist frühzeitig ein Unverträglichkeitsproblem.
Aber: JEDER Charakter ÄNDERT SICH IM SPIEL.
Somit kann ich NIE SICHER sein, ob ein anfänglich haarsträubender Charakter sich im aktiven Spiel nicht doch zu einer Perle für die Gruppe entwickeln wird. Oder andersherum, ob ein solider, Kooperation fördernder Charakter im aktiven Spiel nicht total durchdreht und die Gruppe ungewünscht polarisiert und spaltet.
Selbst bei Spielern, die ich inzwischen fast 30 Jahre lang kenne, kann ich da NIE SICHER sein. Und ich habe solche "Aussetzer" auch schon mitten in einer jahrelang in bester Spielerharmonie gelaufenen Kampagne erlebt.
Nun, ich kann mir also nie sicher sein, ob der Charakter, der mir "frischgeneriert" gleich schon aufstößt, nicht doch eine cooler Spielrunde bescheren wird.
Ich wäre nicht ich, wenn mich das abhalten würde bei einem Charakter, der mir beim ersten Blick total daneben erscheint, auf den Schredderaufsatz auf meinem Papierkorb zu verweisen.
Klar liege ich dann vielleicht manchmal daneben und mir und anderen entgeht eine tiefe, das Innerste berührende Spielerfahrung.
Ich kann damit leben.
Wenn ich ganz subjektiv den Eindruck habe, daß ein Charakter nicht paßt, dann weiß ich zwar, daß ich mich irren könnte, aber dann sage ich das dem betreffenden Spieler zunächst einmal direkt: "So ein Charakter paßt nicht in die Runde. Warum meinst Du, will ich und wollen die anderen Spieler diesen Charakter gerne um sich haben?"
Wenn dann nichts Überzeugendes kommt, dann mache ich - soweit das Konzept an sich "rettbar" erscheint - Vorschläge, die ein besseres Passen erreichen sollen. Geht das nicht, dann geht das eben nicht. Neuer Charakter. - Im Extremfall: neuer Spieler. Oder zumindest DIESEN Spieler nicht in DIESER Runde.
Ich passe auch nicht in jede Runde. Wenn ich "Engel" als Spieler spiele, so sind meine Charaktere grundsätzlich die STREITER des Herrn. Ich spiele MILITÄRISCHE Engel und keine Insassen einer Kindertagesbetreuung. - Das paßt so manchen Engelspielleitern nicht, die mehr Interesse am "schönen Charakterspiel" von - wie ich finde - sehr unpassend ZU kindlichen, ZU naiven, und einfach ZU VERKORKSTEN Charakteren haben. - Wenn ich das mitbekomme, daß hier Psycho-Plüschi-Hab-mich-lieb-Herzchen-Engel gespielt werden sollen, wo ich mit meinem abgehärteten Ostfront-Gabrieliten daherkomme, dann lasse ich das lieber selbst sein. - Manchmal merke ich das aber auch erst nach ein oder zwei Spielsitzungen, in welche (mir nicht genehme) Richtung das Ganze gehen soll. Dann kann man sich aber immer noch rausziehen. Besser früh als spät oder gar zu spät.
Ich will ja anderen ihr Spiel nicht versauen, bloß weil deren Spiel anders ist, als mein Spiel.
Das erwarte ich aber auch von allen anderne Mitspielern.
Solange man keine 1:1-Runde mit nur genau EINEM Spieler macht, solange MUSS eine gewisse Rücksichtnahme auf einander und der Respekt vor einander bestehen. Ein Überflieger-Charakter, ein (Zer-)Störer-Charakter versaut ALLEN anderen den Spielspaß. Damit nimmt sich dessen Spieler via seines Charakters mehr heraus, als ihm bei gleichen Rechten für alle in der Runde zusteht. - Und das mag ich nicht. Das mögen WIR nicht.
Und, wie man sieht, damit liegt das Problem eigentlich überhaupt nicht beim Charakter, sondern beim Spieler.
Oben hatte ich erwähnt, daß ich mit dem Spieler spreche. Daß ich ihm Fragen stelle, deren Beantwortung mir zeigen soll, ob sich der SPIELER überlegt hat, wie er mit den anderen spielen kann. Denn eigentlich ist der Charakter sekundär.
Hat der Spieler irgendwelche Probleme, die er mittels eines besonders Beachtung beanspruchenden Charakters zu kompensieren sucht, dann ist er bei mir falsch. Ich bin kein Psychologe, sondern unangenehm.
Man merkt bei mir stets unmißverständlich, wenn mir was nicht paßt.
Das Austragen von Psycho-Problemen in einer Runde, wo alle als Freizeitbeschäftigung ihren Spaß haben wollen, statt sich über einen Durchgeknallten zu ärgern, paßt mir nicht.
Der Vorschlag in einem Beitrag weiter oben, daß ein untauglicher, ein suizidaler Charakter dann halt in-game abkratzt, geht daneben. - Wie gesagt, nicht der Charakter, sondern dessen SPIELER hat das Problem. Daher bekommt der Spieler die Chance einen passenden Charakter zu basteln, oder die Tür von außen zuzumachen. Seine Probleme kann er gerne zum nächsten "Shrink" tragen, aber bei mir müssen die ebenso draußen bleiben wie nasse Regenschirme und Fahrräder.
Es gibt durchaus auch Charaktere - gerade in Literatur und Film - die extrem nervig sind und die man daher aus dem Buch oder Film gestrichen haben möchte.
Niemand bei gesunder Psyche kann einen ganzen Film lang Jar Jar Binks ertragen. Niemand mag Kender - weder in den Dragonlance-Romanen, noch im Spiel. Niemand mag das blöde Schlitzaugen-Blag in Indiana Jones 2.
Das sind zwar Beispiel-Charaktere, die z.T. wiederkehrende Charakterkonzepte aus Medien darstellen, die für Rollenspiele Inspirationsquellen sind. Aber wer meint "Hollywood's Most Annoying Supporting Act" bieten zu müssen, der kann wegbleiben.
Im Film haßt man zwar Jar Jar, aber man kann nichts gegen diesen Charakter TUN. Im Rollenspiel hingegen können die andern SC gegen einen verhaßten SC vorgehen. Da sitzt man als Spielleiter hilflos da und schaut sich das PvP-Gemetzel an. Auf diese Art habe ich eine langjährige AD&D-Kampagne abbrechen müssen. Bei einer Midgard-Kampagne hatten wir Spieler uns gemeinschaftlich abgesprochen um den SC eines anderen Spielers, der uns wirklich jede zivile, kommunikative Tour durch sofortigen und exzessiven Gewalteinsatz versaut hatte, auszuschalten. Das war schlichtweg MORD. - Aber nötig. - Die Midgard-Kampagne ging danach auch nicht weiter, weil der Spieler natürlich angepißt war. - Nein, von uns Jungspunden (hach die Jugendzeit, als ich noch langes wallendes Haar hatte!) kam keiner auf die Idee mal mit dem Spieler zu reden, ihm zu sagen, wie scheißig wir sein Verhalten über Monate hinweg schon fanden. Wir haben ALS CHARAKTERE miteinander einen perfekten Mord geplant und durchgezogen. Und uns allen (Spielern) erschien das zu diesem Zeitpunkt als mehr als gerechtfertigt und generell eine gute Idee. - Der Spielleiter konnte nichts machen.
Wer durch Extreme im Charakterkonzept auffällt, der MUSS ja nicht so extrem SPIELEN.
Wer aber EXTREME VERHALTENSWEISEN AUSSPIELT, der muß damit rechnen, daß er seine Mitspieler befremdet, stört, anpißt, und generell schlechte Laune am Tisch auslöst. - Ein Spieler, der sich auf sein Charakterkonzept beruft, und dabei jeden am Tisch anpißt, der soll Scheißen gehen. Mit dem kann ich nichts anfangen.
Solche Spieler spielen KEINE "rollenspielerischen Herausforderungen", sondern nur lästige Gestörte, die KEINER MAG. Und manchmal kommen sie (die Spieler) damit durch, weil man ja mit ihnen befreundet ist, weil man schon lange miteinander spielt und nun nicht gleich jemanden rausschmeißen will. - Diese, wie ich finde, unangebrachte Toleranz gegen aktives Stören ist es, die den Störenfrieden an "Herausforderern" erst erlaubt ganze Runden kaputtzumachen.
Dagegen helfen manche Zauberworte, wie: "Nein!", "Raus!", "Geh weg!".