Carolina Möbis ist eine Autorin, die schon lange für Ulisses Spiele arbeitet. Die meisten kennen und schätzen sie für ihre Heldenbreviere, also Reiseberichte von Helden aus fernen Ländern. Auch für das Heldenbrevier zur Gestade des Gottwals hat Carolina keine Mühen gescheut, um euch mit einem authentischen Reisebericht zu beglücken.
Das T(h)or(wal) zur Welt
Thorwal, verpixelt im Computerspiel Schicksalsklinge, war die Haustür, aus der ich ins DSA-Universum auszog, um weitere Abenteuer zu erleben. Da war es keine Frage, dass ich unbedingt das Heldenbrevier zur neuen Regionalspielhilfe beisteuern wollte.
Egal wie gut man glaubt, eine Region zu kennen, am Anfang steht immer die Recherche. Das gehört zum täglich Brot eines DSA-Autors wie Hartwurst und Käsetoast. Schließlich wollte ich nicht beim Klischee des pöbelnden, mettrinkenden Thorwalers hängen bleiben. Nicht, dass das Heldenbrevier von Pöbeleien oder Met verschont geblieben wäre, aber Abwechslung muss sein: Auch Premer Feuer kommt natürlich nicht zu kurz.
Tatsächlich sollte das Brevier aber kein Reiseführer durch die schönsten Hafenkneipen werden, sondern durchaus auch andere wichtige Orte der Region besuchen. So wie die Thorwaler mit Ottaskin und Ottajasko unterschiedliche Gemeinschaftsformen und Traditionen pflegen, so sollten auch die Protagonisten die Region sowohl zur See, als auch zu Fuß bereisen.
Zugleich sollte auch eine andere Kultur des Nordens zur Geltung kommen: die Gjalsker. Ihrer Kultur sollte sich das Brevier ebenso wie der Thorwalschen Lebensart widmen, die Reise sollte auch durchs Hochland führen und einigen wichtigen Schauplätzen des Gjalskerlandes Rechnung tragen, wie zum Beispiel dem sagenumwobenen Amanma Rhudh.
Mit dem Wunsch, das große erzählerische Potenzial der Region und ihrer Kulturen so weit wie möglich erzählerisch auszukosten, stand ich zum Glück nicht allein.
So fanden sich eines Abends Nikolai Hoch, Jeanette Marsteller und ich zu einer abendlichen Skype-Session zusammen, bei der jede Menge Ideen gewälzt wurden.
Ein Friedloser und eine Meeresschnecke spielten dabei eine entscheidende Rolle. Ich glaube, ich habe noch nie so viel in einer Brainstorming Session mitgeschrieben, wie bei dieser Brevierplanung. Etwa 8 Seiten handschriftlicher Notizen (das ging für mich schneller als tippen) später standen der grobe Plot und die Vereinbarung, diesem Heldenbrevier ein klein wenig mehr Zeichen zu spendieren, als bisher üblich.
Viele Emails später, die der tapfere Niko immer geduldig beantwortete, ging es ans Schreiben.
Einige Umstände machte mir die doch sehr eigene Sprache der Gjalsker. Seit diesem Brevier ist das Tastaturkürzel für „û“ für immer in mein Gedächtnis eingebrannt. ALT + 0251. Und ja, man könnte mich auch nachts aus dem Schlaf reißen. Es gibt dann zwei Fragen, die ich problemlos beantworten könnte. Nämlich, wann die Normannen England erobert haben und dieses Tastaturkürzel.
Zwischenzeitlich hatte ich Befürchtungen, dass sich das Glossar am Ende wie ein Wörterbuch des Gjalskischen liest, aber es kam dann auch noch genug Thorwaler Mundart dazu, sodass diese Gefahr abgewendet werden konnte.
Die Gjalsker boten auch in anderer Hinsicht eine Herausforderung, die in der erzählerischen Struktur der Heldenbreviere begründet liegt. Die Breviere haben ja den Anspruch inneraventurisch zu berichten. Daher kommen oft Briefwechsel zum Tragen, Tagebucheinträge, behördliche Protokolle, Notizen und sogar eine Zeitungsannonce hatten wir schon dabei.
Aber eine weitgehend unschriftliche Kultur stellte mich hier natürlich vor ein gewisses Problem, da eigentlich nur gesprochene Monologe möglich sind. Dialoge, die dann allerdings ohne jede Art zusätzlicher Beschreibung auskommen müssen, da es ja keinen beschreibenden Erzähler gibt, neigen schnell dazu, für den Leser unübersichtlich zu werden. Das wäre dann ein wenig wie ein Drehbuch ohne Regieanweisungen. Das geht für kurze Einschübe, ist aber über viele Seiten gestreckt unter Umständen etwas anstrengend für den Leser.
Das zweite Problem bestand darin, dass vielleicht nicht jeder Leser schon perfekt mit den Sitten und der Sprache der Gjalsker vertraut ist. Wenn sich jetzt aber zwei Gjalsker miteinander unterhalten, würden sie gewisse Dinge nicht für den Leser erläutern, weil sie ja selbst wissen, worüber sie reden. Jede Art von Erklärung, die dann in den Text eingebaut wird, wirkt dann unglaublich erzwungen. Man kennt das vielleicht aus Filmen, wenn Protagonisten Sätze sagen, die eindeutig dafür da sind, den Zuschauer über einen Sachverhalt aufzuklären und nicht den Gesprächspartner, weil der die Erklärung eigentlich nicht bräuchte.
Solche Situationen wollte ich unbedingt vermeiden, aber gleichzeitig sollte definitiv ein Charakter aus dem Gjalskerland eine entscheidende Rolle spielen. Daher ersannen wir ein ungewöhnliches Stilmittel, dass wir sonst bei den Brevieren eher selten einsetzen: Wir schickten einen Ausländer ins Gjalskerland, einen Tulamiden, der aus seiner Sicht das Leben im Hochland betrachtet.
Wer jetzt an den Reisebericht eines gewissen Ahmad Ibn Fadlān denkt, der mit Antonio Banderas in der Hauptrolle durchaus erfolgreich verfilmt wurde, der liegt richtig, das Beispiel hatten wir natürlich im Hinterkopf. Unser aventurischer Reisender ist allerdings ein Geschichtenerzähler auf der Suche nach Stoff für seine Erzählungen und auch inhaltlich halten sich die Parallelen in Grenzen, das Brevier hat nichts mit dem Beowulf-Epos zu tun.
Ein Briefwechsel soll es richten
In seinen Briefen in die Heimat fungiert der Tulamide bisweilen und inhaltlich logisch begründet als notwendiger Erklärbär und in den Dialogen als Ansprechpartner für die Gjalskerin, eine Tierkriegerin.
Diese Profession finde ich herrlich spannend und konnte es mir nicht nehmen lassen, einem solchen Charakter im Brevier Raum zu geben.
Der aufmerksame Leser wird nun unter Umständen einwenden, dass das Problem der Unschriftlichkeit natürlich auch bei den Thorwalern greift, die ja nun auch nicht gerade als beste Briefpartner oder Romanciers Aventuriens von sich reden machen. Hier fand sich die Antwort im Sozialleben der Thorwaler: da ein Kneipengespräch, dort ein Vortrag vor den neugierigen Ohren aufmerksamer Skolari der Runajasko (der Magierakademie in Olport). Wenn ein Thorwaler eine Geschichte erzählen will, findet er Zuhörer.
Insgesamt stellen die Charaktere eine bunte Mischung dar: Eine Olporter Elementaristin, ein Held wider Willen, eine Tierkriegerin und ein Geschichtenerzähler. Ich glaube eine so eigentümliche Zusammenstellung hatten wir noch in keinem Brevier. Vor allem nicht, wenn dann noch der Antagonist dazukommt, denn der ist ein Pirat. Jarhar!
Bei so vielen unterschiedlichen Figuren und unterschiedlichen Schauplätzen von Prem bis zum Haerad Mortakh braucht es natürlich verbindende Elemente, um der Gefahr einer gewissen Episodenhaftigkeit zu entgehen. Hierbei kamen Nikolai Hoch und ich schnell auf zwei zentrale Motive: die Liebe zu Hautbildern und Glaube an Vorbestimmung durch das Schicksal. Ein Glaube, der sowohl im Weltbild der Thorwaler als auch der Gjalsker eine große Rolle spielt. Daher ist ein Hauch von Mystik in diesem Brevier nicht nur Nebeneffekt, sondern durchaus beabsichtigt. Zudem wird man einige Elemente auch im Regionalabenteuer
Runen des Schicksals oder im Abenteuer
Treuschwur aus dem
Meisterschirmset Schicksalsschwur & Skaldensang wiederfinden.
Treffen wir uns in Thorwal?
Natürlich muss man das Heldenbrevier nicht kennen, um die Abenteuer zu spielen, aber es enthält hier und da ein paar Hintergründe, beispielsweise indem einer Figur, die in einem der Abenteuer auftritt, auch im Heldenbrevier eine Rolle zukommt.
Natürlich geht bei so viel Detailtreue auch manchmal einiges schief. Beispielweise schickte ich der Redaktion einen Illuvorschlag zu Amanma Rudh, weil mir anfangs nicht klar war, dass die mit „Knochenklippen“ betitelte Illu für die Regionalspielhilfe genau diesen Ort bereits abdeckte. Eine Dopplung wollten wir natürlich nicht. Dafür bekam dann die berühmte Otta Vig einen illustren Auftritt, was mich auch durchaus beglückt hat. Und wer jetzt denkt, ich wäre ein Schwarzaxt Fangirl, der hat absolut Recht!
Auch sollten die Katakomben unter der Olporter Akademie eine Rolle spielen und ich wälzte entsprechende Lagepläne, bis mir klar wurde, dass es logisch wäre, wenn die Charaktere von den Magiern zum Stillschweigen über ihren Aufenthalt dort verpflichtet würden und somit niemand darüber berichten konnte oder würde.
Hier zeigt sich einmal mehr, dass die Heldenbreviere nicht auf jedes in Romanen übliche Mittel zurückgreifen können und so bleiben die Details der Räumlichkeiten dem geneigten Leser genauso vorbehalten wie dem restlichen Aventurien. Trotzdem spielt die Magierakademie eine wichtige Rolle, und das nicht nur, weil eine Protagonistin von dort kommt. Mit einem Wort: Runenmagie.
Und mit diesem kyrptischen Hinweis verabschiede ich mich und hoffe, euch bald in Thorwal wieder zu treffen. Das Wohl!
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Werkstattbericht Das Schwarze Auge 5: Heldenbrevier zu der Gestade des Gottwals erschien zuerst auf
Ulisses Spiele.
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