Im Juli 2017 erscheint das Almada-Abenteuer "Unbezwingbare Wut" von Jeanette Marsteller. Im folgenden Teser-Text gibt sie in Form einer kurzen Szene Ausblick auf das, was euch erwartet. Das Abenteuer
kann hier vorbestellt werden.
Yaquiria Superior im Jahre 2 Obra-Horas:
„Ein Reiter ist gekommen, Herr.“
Mit müdem Blick hob der Priester seinen Kopf, so als koste ihn jede Bewegung unendliche Anstrengung. Er hatte schon lange mit diesem Tag gerechnet, ihn vorausgeahnt und gefürchtet. Jetzt gab es kein Zurück.
„Hat er eine Botschaft gebracht?“
Plebus, der junge Diener mit den feuerroten, kurzgeschorenen Haaren, nickte hastig. „Ja, das hat er. Sie ist von Sacerdos Marcilia für dich, Herr.“ Bei diesen Worten wedelte er eifrig mit dem zusammengerollten Pergament, das man ihm übergeben hatte. Dann jedoch bemerkte er, dass sein Meister keinerlei Mühen unternahm, den Brief an sich zu bringen. „Willst du ihn denn nicht, Herr? Wenn Marcilia Iunia dir schreibt, muss es doch sicher wichtig sein.“
„Ich will ihn nicht, weil ich seinen Inhalt bereits kenne. Da, wirf ihn ins Feuer und sieh zu, dass er verbrennt“, befahl der Priester mürrisch und erhob sich. Er schob die silbernen Münzen auf dem Tisch, an dem er gesessen hatte, zusammen und ließ sie in einen Lederbeutel rieseln. Dann nahm er die blank polierten Waffen, die daneben gelegen hatten, und befestigte sie an seinem Gürtel. Achtlos griff er nach seinem Mantel und warf ihn über seine harten, durch Jahre der Schwertübungen gestählten Arme. „Wir müssen aufbrechen.“
Das Feuer knisterte gierig, als es die Worte Marcilias verschlang. Ratlos stand der junge Plebus daneben und stocherte nervös in der Glut.
„Ich verstehe dich nicht, Herr. Was hat das zu bedeuten? Erst sagst du, ich soll den Brief verbrennen, und nun willst du sofort aufbrechen.“
Der Priester seufzte. Ein Teil von ihm wurde wütend, wollte losspringen, sich dem arglosen Jungen an die Kehle werfen wie ein tollwütiger Wolf. Wie konnte dieser Narr es wagen, ihn infrage zu stellen, wo er doch geschworen hatte, in allen Dingen treu und ergeben zu sein? Aber diesem Verlangen, dieser Wut, durfte er nicht nachgeben. Nicht heute. Nicht, weil ein Schwächling wie Plebus Milde verdient hätte, sondern weil er noch von Nutzen sein würde bei dem, was ihnen beiden bevorstand.
„Dieser Brief ist das letzte, was wir von der Sacerdos hören werden. Es ist eine Warnung. Die Truppen der Horaskaiserin haben Puninum erreicht. Sie werden Marcilia und den anderen keine Gnade gewähren. Du und ich sind jetzt die letzten, die unseren Glauben verteidigen.“
Die Augen des jungen Dieners weiteten sich vor Schreck. In ihnen tanzte der Schein des Feuers. „Aber… sie werden doch nicht hierher kommen, oder? Die Truppen, meine ich. Ragathium ist weit weg von Puninum. Und dort würde uns niemand verraten, selbst unter größter Folter nicht!“
Hastig warf der Priester ein Bündel über die Schulter, das er in weiser Voraussicht schon vor einiger Zeit für diesen Fall vorbereitet hatte. Er nickte dem Jungen zu.
„Ich habe keinen Zweifel, dass Marcilia standhaft bleiben wird. Sie ist eine wahre Tochter unseres Herrn, hart und stark im Willen. Aber irgendjemand wird uns verraten. Dann sind wir in der Unterzahl. Dies ist ein Kampf, den wir nicht gewinnen können. Nicht heute, nicht hier.“
„Dann geben wir Ragathium verloren? Und unseren Herrn? Kampflos?“ Plebus konnte nicht fassen, was er aus dem Munde seines Meisters vernahm.
„Nein. Wir ergeben uns niemals“, widersprach dieser und stapfte zum Ausgang des Zelts. „Wir sorgen dafür, dass unser Glaube überlebt. Wir werden auf dem alten Pilgerpfad wandern, so wie es Generationen von Gläubigen vor uns getan haben. Wir werden an den alten Stätten unser Blut opfern und die alten Weihen durchführen. Und am Ende werden wir eins mit unserem Herrn. Wir werden sein Vermächtnis verbergen, damit es eines Tages wieder erwachen kann.“
Seine Worte, klar und doch mit dem Eifer eines wahrhaft Gläubigen erfüllt, weckten neuen Mut in Plebus. Eilig suchte der Junge zusammen, was sie für die Reise benötigen würden, und behielt dabei immer das Feuer im Auge. Von der Botschaft des Tempels aus Puninum waren kaum noch mehr als verkohlte Fetzen übrig.
„Dann ziehen wir uns also nicht kampflos zurück?“, fragte er, während er einen Laib Brot in seinem Beutel verstaute.
„Plebus, vergeude nicht unsere Zeit mit sinnlosen Fragen. Wir begeben uns auf eine heilige Reise. DAS ist der Kampf, dem wir uns jetzt stellen müssen. Das ist es, was Marcilia und die anderen von uns erwarten. Dass wir das Erbe unseres Herrn vor den gierigen Fingern der Horaskaiserin bewahren.“
Ergriffen nickte Plebus und beeilte sich umso mehr. Zufrieden hob sein Meister die Zeltplane an und sah hinaus, über die weiten, grünen Ebenen von Yaquiria Superior. Er wusste, welch weiter Weg vor ihnen lag, und auch, welchen Preis sie am Ende zu bezahlen hatten. Das war ihr Schicksal, Plebus würde es früh genug verstehen. Manche Opfer müssen eben mit Blut bezahlt werden.
„Lass uns aufbrechen, Junge. Wir werden dem Willen unseres Herrn folgen. Nur so können seine Feinde besiegt werden. Nur so kann die unbezwingbare Wut unseres Herrn eines Tages erneut erstarken, wenn die falschen Götter Silems fallen wie Sterne vom Himmel.“
Plebus‘ Augen leuchteten. „Ja, Herr. Lass uns gehen.“
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Begriffserklärungen:
Yaquiria Superior = Provinz des Bosparanischen Reiches, das heutige Almada
2 Obra-Horas = zweites Regierungsjahr der Obra-Horas, 82 v.BF.
Puninum = das heutige Punin
Ragathium = das heutige Ragath
Sacerdos = Priester/in
Silem-Horas = Kaiser, der das Zwölfgötteredikt erließ, welches die Zwölfe und ihre halbgöttlichen Kinder als wahre Götter festlegte und alle anderen Kulte verbot
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