AW: Nackter Stahl: Doomstone Industrial Western RPG
Ich musste mir letztens sogar die wirre Theorie anhören, daß man nur die Befähigung habe, ein RPG bewerten zu könne, wenn man den in Frage stehenden Spielstil und die Regeln selber MAG.
So kommt man dann auch zu 5Sterne Bewertungen.
In gewisser Weise stimmt das auch. Man muss sich ja fragen, wo das RPG seinen Platz hat, weil sich danach auch die Maßstäbe richten. Ich möchte nicht wissen, ob der Rezensent zufällig auf detaillierte Regeln steht oder schnelles Spiel über alles möchte. Es ist natürlich wichtig, zu erläutern, ob das Spiel nun detailliert oder labberig oder schnell oder langsam ist. Die Frage ist aber auch, wie alles ineinander greift. In Doomstone dauert das Abhalten einer Probe zum Beispiel vergleichsweise langsam. Wenn ich jetzt auf schnelles Spiel stehe, ist das natürlich kacke. Aber Nackter Stahl schreibt z.B. so etwas:
Ein guter Pokerspieler wird potentiell etwas mehr Erfolg haben, als ein Anfänger. Schon weil er die Blätter einschätzen kann. So wie ein in den Kampfoptionen geübter Spieler bei AC eher einen Kampf gewinnen wird, indem er seine Detailkenntnisse einsetzt, so wird bei Doomstone (wegen dem Glücksfaktor eigentlich weniger) auch noch gutes Pokerspiel belohnt. Das ist Teil des Spielspaßes. [...]
Da in unserer Runde auch alle Pokerspieler sind, und wir uns Sylvester nicht immer zwischen Rollenspiel und Poker entscheiden wollen, passt das für uns sehr gut. ;-) Voraussetzung war natürlich, dass das Spiel nicht ausgebremst wird. Das gleiche System mit Würfeln ist vielleicht einen Tick schneller. Aber da es schon schnell ist und die Auswahl der Karten ein wichtiges, taktisches, zusätzliches Element ausmacht, und so die Komplexität ohne das System schwieriger zu machen erhöht wird, haben wir uns (auch wegen dem Fluff) für die Karten entschieden.
(Quelle:
DOOMSTONE INDUSTRIAL WESTERN RPG)
Daraus schließe ich, dass so eine Poker-Probe für sich schon Spaß machen soll. Die Hausrunde von Nackter Stahl (die ich erstmal beneide, weil da Rollenspiel zu Sylvester überhaupt zur Debatte steht) zieht jedenfalls ihren Spaß daraus. Damit wird klar, dass die Probe eben auch mehr leisten soll, als einfach nur über Sieg oder Niederlage zu entscheiden. Solche Hinweise habe ich ja von den Werkstattberichten erwartet, leider ist es da ja bei ein paar Bildchen geblieben.
Wie greift das jetzt zusammen? Sollte man nicht vielleicht andere Maßstäbe anlegen? Nehmen wir Savage Worlds. Das möchte ja auch möglichst schnell sein. Das schafft es super und noch einiges mehr. Dafür gibt es aber auch einiges, was mit Savage Worlds nicht so gut geht. Inzwischen kennt ja sicher jeder den Spruch, dass man zwar alles savagen kann, aber nicht alles savagen sollte. Oder nehmen wir Cinematic Unisystem. Das möchte die Atmosphäre von Fernsehserien einfangen und auf das Spiel übertragen, dementsprechend bewegt man sich da auf einmal mit "speed of plot" und bekommt seine Drama Points, um mal eben einen Plot Twist herbeizuführen. Soll ich jetzt darüber meckern, nur weil ich auf Weltensimulation und Detailregeln stehe? Die Maßstäbe werden immer auch ein Stück weit vom Produkt mitgeliefert und neben der subjektiven Betrachtung des Rezensenten ist immer auch zu prüfen, wie gut ein Spiel wohl seinen eigenen Maßstäben gerecht wird. Ich sehe in Doomstone jetzt zum Beispiel kein komplexes, Rules-Heavy-System. Ich sehe da etwas lockeres flockigeres und gehe entsprechend damit um. Es liefert kein seriöses, gediegenes und niveauvolles Rollenspiel, sondern ein Spiel für zwischendurch. Eben vielleicht auch, um tatsächlich mal Dampf abzulassen. Jetzt habe ich da aber diese super umständliche Poker-Probe. Punkt 1 ist also, dass die Poker-Probe für sich Spaß machen soll - mehr, als nur einen Würfel zu werfen. Punkt 2 ist die Frage nach der Geschwindigkeit. Laut NaSta soll die Geschwindigkeit nicht leiden. Ich denke, das klappt, indem die Konsequenzen gewaltig sind. Das wurde hier ja auch mit der Frage nach Task oder Conflict Resolution bereits angerissen. Doomstone spricht ja ausdrücklich von Handlungen, die beprobt werden. Im Beispiel wird aber eine Verfolgungsjagd zu Pferde mit einer einzelnen Probe abgehandelt. Durch das Pokern wird die einzelne Probe bedeutungsvoller und durch die Einsätze können die Spieler mitentscheiden, wieviel auf dem Spiel steht. Eine solche Poker-Probe funktioniert einfach nach anderen Gesetzmäßigkeiten als mal schnell d20+7 gegen die 15 zu würfeln. Im Kampf setzt sich das fort. Ein Charakter hat ja irrsinnig wenig Lebenschips, wenn man sich mal anguckt, was mit einer einzelnen Probe so ausgeteilt werden kann. Ein Revolver macht 4 Punkte Schaden, dazu kommen bis zu 5 Punkte aus Erfolgschips für zusätzlichen Schaden, dazu noch die Differenz zwischen dem Blatt des Angreifers und dem Blatt des Verteidigers. IIRC hatten die Beispielcharaktere so um die 14 Lebenschips. Wenn es schlecht läuft, kann man schon mal mit einem Schuss ausgeschaltet werden! Das verleiht einem einzelnen Angriff im Kampf eine höhere Bedeutung als in so manch anderem System. Das kann man doch berücksichtigen, wenn man sich überlegt, wie schnell das System nun ist.
(BTW: Ich möchte Doomstone gewiss nicht glorifizieren. Das Produkt hat, wie es von NaSta veröffentlicht wurde, einige größere Schwächen. Der Aufbau des Regelwerks ist z.B. durcheinander und ein paar Regeln sind völlig unklar. Aber ich sehe da einiges an Potential. Mir gefällt die Idee, um den Ausgang von Aktionen zu pokern und naja, ich stehe auf schräge Settings. Ich mag ja auch RIFTS, Gamma World und Traveller.)